Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensmangel. Sachverhaltsaufklärung. Darlegungspflicht eines im Berufungsverfahren nicht rechtskundig vertretenen Klägers
Orientierungssatz
Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSG vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54 = BSGE 2, 81, 82 und BSG vom 24.10.1961 - 6 RKa 19/60 = BSGE 15, 169 = SozR Nr 3 zu § 52 SGG). Dass ein Beteiligter im Berufungsverfahren nicht rechtskundig vertreten war, setzt die in § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG normierten Anforderungen an eine Sachaufklärungsrüge andererseits aber nicht vollständig außer Kraft. Vielmehr muss auch ein solcher Beteiligter dem Gericht deutlich machen, dass er noch Aufklärungsbedarf sieht (vgl BSG vom 28.5.2013 - B 5 R 38/13 B = juris RdNr 8).
Normenkette
SGG §§ 103, 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
SG Frankfurt am Main (Gerichtsbescheid vom 27.02.2018; Aktenzeichen S 14 KR 340/15) |
Hessisches LSG (Urteil vom 14.11.2019; Aktenzeichen L 8 KR 216/18) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 14. November 2019 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt K., L., zu bewilligen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem oben bezeichneten Urteil des Hessischen Landessozialgerichts wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten um die Sozialversicherungspflicht des Klägers in seiner Tätigkeit für die inzwischen aufgelöste T. GmbH in der Zeit vom 1.6.2013 bis 28.2.2015.
Zum 1.6.2013 meldete die GmbH den Kläger zur Sozialversicherung an. Auf die Mitteilung des Klägers, dass er nicht der Rentenversicherungspflicht unterliege und dass er als mitarbeitender Gesellschafter der GmbH tätig sei, stellte die beklagte Krankenkasse nach weiteren Ermittlungen fest, dass er in seiner Tätigkeit für die GmbH nicht der Sozialversicherungspflicht unterliege (Bescheid vom 12.2.2015, Widerspruchsbescheid vom 21.5.2015).
Die dagegen gerichtete Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Gerichtsbescheid des SG vom 27.2.2018, Urteil des LSG ohne mündliche Verhandlung vom 14.11.2019). Das LSG ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Tätigkeit des Klägers bei der GmbH ein Scheingeschäft iS des § 117 BGB gewesen sei und nicht zur Sozialversicherung führen könne.
Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde, zu deren Durchführung er Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten beantragt hat.
II. 1. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen. Nach § 73a SGG iVm § 114 ZPO kann einem Beteiligten für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem BSG PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Hieran fehlt es. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Sie ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Der Kläger hat die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
a) Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). In der Beschwerdebegründung muss eine abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht formuliert werden (BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN). Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Kläger hält für klärungsbedürftig,
"ob die Beklagte zuvor bestehende gesetzlich geregelte Krankenversicherungsverträge und die der Versicherungspflicht gem. § 5 Abs. 1 Ziff. 1 SGB V unterliegen und was ihr ansonsten auch ausdrücklich bekannt war, danach wider besserem Wissen und ohne der Einwilligung des Versicherten zunächst in eine "freiwillige Krankenversicherung" und danach in eine "Pflichtversicherung" eigenmächtig willkürlich umwandeln darf und die von ihr zuvor erhaltenen Beitragszahlungen des Arbeitgebers und Arbeitnehmers gem. § 5 Abs. 1 Ziff. 1 SGB V aus Kranken-, Renten-, Arbeitslosen-, Pflegeversicherung in Folge dessen für sich selbst zur eigenen Beitragserhebung verwenden darf."
Damit formuliert der Kläger bereits keine aus sich heraus verständliche, abstrakt-generelle Rechtsfrage. Im Übrigen fehlt es an Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit der von ihm aufgeworfenen Frage im angestrebten Revisionsverfahren.
b) Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSG Urteil vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54 - BSGE 2, 81, 82; BSG Urteil vom 24.10.1961 - 6 RKa 19/60 - BSGE 15, 169, 172 = SozR Nr 3 zu § 52 SGG). Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann die Geltendmachung eines Verfahrensmangels auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Es ist in diesem Zusammenhang darzulegen, dass ein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag in der abschließenden mündlichen Verhandlung oder bei einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung schriftsätzlich zu einem Zeitpunkt, in dem feststand, dass das LSG von sich aus Ermittlungen nicht mehr durchführen würde, bis zuletzt aufrechterhalten oder gestellt worden ist (vgl BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 6; BSG Beschluss vom 18.12.2000 - B 2 U 336/00 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 31 S 51 f; BSG Beschluss vom 28.5.1997 - 9 BV 194/96 - SozR 3-1500 § 160 Nr 20 S 32 f; BSG Beschluss vom 18.12.2018 - B 12 R 37/18 B - juris RdNr 3). Das gilt auch in Verfahren, in denen der Kläger vor dem LSG nicht rechtskundig vertreten ist. In einem solchen Fall sind zwar weniger strenge Anforderungen an die Form und den Inhalt des Beweisantrags zu stellen. Auch ein unvertretener Kläger muss aber dem Gericht deutlich machen, dass er noch Aufklärungsbedarf sieht (BSG Beschluss vom 28.5.2013 - B 5 R 38/13 B - juris RdNr 8). Diese Voraussetzungen sind nicht hinreichend dargetan. Der Kläger beschränkt sich darauf, einige Dokumente aufzuzählen, die er dem LSG zum Beweis angeboten und vorgelegt habe.
c) Eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 128 Abs 2, § 62 SGG) liegt insbesondere dann vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist (vgl BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 8.4.2014 - 1 BvR 2933/13 - NZS 2014, 539 RdNr 13 mwN) oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können (vgl BSG Urteil vom 16.3.2016 - B 9 V 6/15 R - SozR 4-3100 § 60 Nr 7 RdNr 26; BVerfG Beschluss vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188, 190). Das Recht auf rechtliches Gehör verpflichtet nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen, ihn also zu "erhören" (BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 8.4.2014, aaO).
Eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör legt der Kläger nicht hinreichend dar. Weder trägt er vor, dass das LSG in der angefochtenen Entscheidung sein Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen noch dass es sein Urteil auf Tatsachen oder Beweisergebnisse gestützt habe, zu denen er sich nicht habe äußern können. Soweit sich der Kläger auch in diesem Zusammenhang auf eine gebotene weitere Sachaufklärung beruft, wird übersehen, dass die Beschränkung der Amtsermittlungsrüge nicht über den Umweg über die Vorschriften zum rechtlichen Gehör umgangen werden kann (vgl BSG Beschluss vom 31.7.2019 - B 13 R 263/18 B - juris RdNr 11 mwN).
d) Soweit der Kläger die fehlerhafte Rechtsanwendung und eine "völlige Verkennung des Sachverhalts" durch das LSG geltend macht, kann das nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18).
2. Da dem Kläger keine PKH zusteht, kann er auch nicht die Beiordnung eines Rechtsanwalts beanspruchen (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO).
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13909499 |