Verfahrensgang
SG Berlin (Entscheidung vom 21.10.2020; Aktenzeichen S 188 R 1846/17) |
Thüringer LSG (Urteil vom 09.11.2022; Aktenzeichen L 6 R 921/20) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 10. November 2022 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten ist in einem Überprüfungsverfahren streitig, ob die Klägerin unter Berücksichtigung der ab 1.7.2014 geltenden verlängerten Zurechnungszeit eine höhere Erwerbsminderungsrente beanspruchen kann.
Die Klägerin beantragte im Januar 2014 bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung. Nach Ablehnung eines solchen Anspruchs zunächst mit Bescheid vom 11.7.2014 half die Beklagte dem dagegen eingelegten Widerspruch der Klägerin ab und gewährte mit Bescheid vom 11.12.2014 eine Erwerbsminderungsrente zunächst befristet für die Zeit vom 1.1.2014 bis zum 30.11.2016. Auf den Verlängerungsantrag der Klägerin vom Juli 2016 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 11.8.2016 die Fortzahlung der Rente bis zum 30.11.2019 und schließlich mit Bescheid vom 13.9.2019 eine Erwerbsminderungsrente auf Dauer.
Nach einem früheren erfolglosen Überprüfungsverfahren (Bescheid vom 28.5.2015; Widerspruchsbescheid vom 6.8.2015) beantragte die Klägerin im Januar 2017 erneut die Überprüfung der Bewilligung ihrer Erwerbsminderungsrente unter Berücksichtigung der durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz vom 23.6.2014 (BGBl I 787) zum 1.7.2014 eingeführten verlängerten Zurechnungszeit. Auch dieses Verwaltungsverfahren blieb ohne Erfolg. Die Beklagte lehnte eine höhere Rentenleistung mit der Begründung ab, die mit Bescheid vom 11.12.2014 durchgeführte Rentenberechnung für die ab dem 1.1.2014 gewährte Erwerbsminderungsrente sei unter Berücksichtigung der jeweils erfolgten Rentenanpassungen unverändert gültig. Das RV-Leistungsverbesserungsgesetz gelte erst für Erwerbsminderungsrenten mit einem Beginn nach dem 30.6.2014 (Bescheid vom 7.2.2017; Widerspruchsbescheid vom 14.6.2017).
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 21.10.2020). Auch das LSG lehnte einen höheren Rentenanspruch der Klägerin ab und wies die Berufung der Klägerin zurück. Rentenbeginn für die gewährte Erwerbsminderungsrente sei der 1.1.2014 gewesen. Auf der Grundlage des damals geltenden Rechts habe die Beklagte die Rentenhöhe korrekt berechnet. Die erst später verlängerte Zurechnungszeit sei bei Bestandsrenten nicht rentenerhöhend zu berücksichtigen. Die Klägerin könne auch nicht über einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch so gestellt werden, als habe sie den Rentenantrag erst im Juli 2014 gestellt. Es sei bereits zweifelhaft, ob die Beklagte gegenüber der Klägerin eine Beratungspflicht verletzt habe. Nachdem die Beklagte noch mit Bescheid vom 11.7.2014 einen Rentenanspruch verneint habe, hätte Anlass zur Beratung allenfalls erst im Rahmen der Sachbearbeitung im Dezember 2014 bestehen können. Eine Verschiebung des im Januar 2014 gestellten Rentenantrags auf Juli 2014 mit der Folge eines Rentenbeginns - wie von der Klägerin begehrt - im Juli 2014 wäre dann ohnehin nicht mehr möglich gewesen. Jedenfalls könne sich der Senat selbst bei einer unterstellten Pflichtverletzung durch die Beklagte nicht davon überzeugen, dass dadurch kausal ein sozialrechtlicher Nachteil entstanden sei. Es sei unklar, ob die Klägerin bei Kenntnis der Möglichkeit, den ursprünglich gestellten Antrag vom Januar 2014 zurückzunehmen und im Dezember 2014 einen neuen Rentenantrag zu stellen, auch so verfahren wäre. Nach Ende der Krankengeld- und Übergangsgeldzahlungen wäre in der Zeit vom 22.10.2014 bis zum 30.11.2014 eine Versorgungslücke entstanden. Der Senat habe sich nicht davon überzeugen können, dass die Klägerin vor diesem Hintergrund auf Rentenzahlungen für diesen Zeitraum verzichtet hätte.
Gegen die Nichtzulassung der Revision hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie macht als Zulassungsgrund eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form begründet ist. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
Eine Rechtssache hat nur dann iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage zu revisiblem Recht (§ 162 SGG) aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung dieses Revisionszulassungsgrundes (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG) muss der Beschwerdeführer daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN; s auch Fichte in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl 2020, § 160a RdNr 32 ff). Daran fehlt es hier.
Die Klägerin formuliert als Rechtsfrage:
"Begründete die ab dem 01. Juli 2014 in Kraft getretene Gesetzesänderung des § 59 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. S. 2 SGB VI eine Beratungspflicht der Beklagten, aufgrund welcher diese die Klägerin im Verlauf ihrer Antragsstellung vom 31. Januar 2014 darüber informieren hätte müssen, dass eine nur unwesentlich spätere Antragsstellung zu einer erheblichen Begünstigung im Wege gesetzlich verlängerter Zurechnungszeiten führen würde? Liegen infolge der entsprechenden Pflichtverletzung die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches, gerichtet auf die Fingierung eines nach der Gesetzesänderung gestellten Rentenantrags, vor?"
Damit formuliert sie bereits keine aus sich heraus verständliche abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht. Unter Bezugnahme auf ihren im Januar 2014 gestellten Rentenantrag möchte die Klägerin vielmehr eine Antwort darauf erhalten, ob das LSG die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs in ihrem Fall korrekt geprüft und eine höhere Rentenleistung rechtmäßig abgelehnt hat. Der Wunsch nach einer höchstrichterlichen Überprüfung der von der Vorinstanz vorgenommenen Rechtsanwendung vermag die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache jedoch nicht zu begründen (vgl BSG Beschluss vom 16.11.2022 - B 5 R 121/22 B - juris RdNr 15).
Ungeachtet dessen geht aus der Beschwerdebegründung nicht nachvollziehbar hervor, dass eine Verletzung der von der Klägerin geltend gemachten Beratungspflicht entscheidungserheblich sein könnte.
Als Anspruchsvoraussetzung für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch muss zunächst eine Pflichtverletzung vorliegen, die dem zuständigen Sozialleistungsträger zuzurechnen ist. Dadurch muss beim Berechtigten ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden eingetreten sein und erst in einem letzten Schritt durch Vornahme einer Amtshandlung des Trägers der Zustand wiederhergestellt werden können, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht erfolgt wäre (stRspr; vgl zB BSG Urteil vom 3.4.2014 - B 5 R 5/13 R - SozR 4-2600 § 137b Nr 1 RdNr 37 mwN). Zur ersten Anspruchsvoraussetzung hat das LSG ausgeführt, eine bevorstehende Gesetzesänderung könne zwar grundsätzlich eine Beratungspflicht auslösen, wenn ein konkreter Anlass bestehe. Es sei aber "zweifelhaft", ob die Beklagte eine Beratungspflicht gegenüber der Klägerin verletzt habe. Sie habe nicht dahingehend beraten können, den im Januar 2014 gestellten Rentenantrag zu verschieben, weil die Verschiebung eines Rentenantrags keine rechtlich zulässige Gestaltungsmöglichkeit darstelle. Die Beratung dahin, den ursprünglichen Rentenantrag zurückzunehmen und einen erneuten Antrag zu stellen, hätte zu einem anderen prozessualen Anspruch geführt. Eine etwaige Verletzung einer Spontanberatungspflicht zum Zeitpunkt der positiven Verwaltungsentscheidung im Dezember 2014 ist jedenfalls nicht zur Überzeugung des LSG wesentliche Bedingung für die Beeinträchtigung des sozialen Rechts der Klägerin gewesen. Das Berufungsgericht konnte sich hiervon insbesondere im Hinblick auf eine zwischenzeitlich entstandene Versorgungslücke nicht überzeugen. Die Klägerin führt zwar in ihrer Beschwerdebegründung sämtliche Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs auf, setzt sich aber mit Ausführungen des LSG nicht näher auseinander, sondern referiert lediglich ihre eigene Auffassung.
Nur ergänzend weist der Senat auf seine am Tag der Berufungsentscheidung ergangene Rechtsprechung hin, wonach Bestandsrentner keinen Anspruch darauf haben, dass ihre Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Berücksichtigung der nur für Neurentner maßgeblichen längeren Zurechnungszeit neu festgesetzt wird. Der Ausschluss der Bestandsrentner von einer Ausweitung der Zurechnungszeit verletzt nach Überzeugung des Senats nicht das Gleichbehandlungsgebot des Art 3 Abs 1 GG(vgl BSG Urteile vom 10.11.2022 - B 5 R 29/21 R und B 5 R 31/21 R) . Bei der verfassungsrechtlichen Bewertung ließ der Senat nicht unberücksichtigt, dass der Gesetzgeber mittlerweile Verbesserungen auch für Bestandsrentner beschlossen hat. Nach dem zum 1.7.2024 in Kraft tretenden § 307i SGB VI(idF von Art 1 Nr 10 Rentenanpassungs- und Erwerbsminderungsrenten-Bestandsverbesserungsgesetz vom 28.6.2022, BGBl I 975) ist für Erwerbsminderungsrenten, die wie im Fall der Klägerin vor dem 1.7.2014 begonnen haben, ein pauschaler Zuschlag in Höhe von 7,5 % der jeweils maßgeblichen persönlichen Entgeltpunkte vorgesehen.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 183 Satz 1 iVm § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15741795 |