Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 9. August 2023 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Beigeladene im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so stellen muss, als hätte diese bereits im Januar 2014 einen Rentenantrag gestellt.
Bei der am 8.2.1968 geborenen Beigeladenen besteht von Geburt an eine geistige Behinderung mit Anfallsleiden. Sie bezog ab 1988 eine Invalidenrente nach dem Recht der DDR. Seit Juli 1991 arbeitet sie in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Ergänzend bezieht sie Leistungen der Sozialhilfe, für die seit 2003 der Kläger zuständig ist. Mit Wirkung zum 1.1.1992 wurde die Invalidenrente der Beigeladenen in eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit umgewandelt und seitdem von der Beklagten geleistet.
Mit Schreiben vom 12.2.2018 forderte der Kläger die Betreuerin der Beigeladenen auf, Rente wegen voller Erwerbsminderung nach Erfüllung der Wartezeit von 20 Jahren zu beantragen. Auf den am 16.2.2018 gestellten Antrag führte die Beklagte zunächst eine Kontenklärung durch und bewilligte der Beigeladenen sodann Rente wegen voller Erwerbsminderung ab März 2018(Bescheid vom 7.3.2019) . Hiergegen legte der Kläger unter Berufung auf seine gesetzliche Prozessstandschaft(§ 95 Satz 1 SGB XII ) Widerspruch ein und verlangte ua eine Rentenbewilligung gegenüber der Beigeladenen bereits ab Januar 2014. Er berief sich auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Die Beklagte hätte die Beigeladene auf die zu beantragende Rente wegen voller Erwerbsminderung hinweisen müssen, weil ihr durch die Arbeitgebermeldung die langjährige Werkstatttätigkeit bekannt gewesen sei. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück, Beratungspflichten seien nicht verletzt worden(Widerspruchsbescheid vom 28.5.2019) .
Das SG hat die Beklagte sinngemäß ua dazu verurteilt, der Beigeladenen unter Änderung des Bescheids vom 7.3.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.5.2019 Rente wegen voller Erwerbsminderung bereits ab dem 1.1.2014 zu bewilligen(Urteil vom 4.9.2020) . Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen(Urteil vom 9.8.2023) . Die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs seien hier nicht erfüllt. Es fehle schon am geforderten Kausalzusammenhang zwischen einer etwaigen Pflichtverletzung der Beklagten und einem bei der Beigeladenen eingetretenen Schaden.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt, die er mit Schriftsatz vom 20.10.2023 begründet hat. Er macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen. Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache(§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) wird nicht hinreichend dargetan. Wer sich auf diesen Zulassungsgrund beruft, muss in der Beschwerdebegründung darlegen, dass die Rechtssache eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Es ist daher eine Rechtsfrage zu formulieren und deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) aufzuzeigen(stRspr; zBBSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN). Die Beschwerdebegründung des Klägers erfüllt diese Anforderungen nicht.
Der Kläger erachtet als grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage,
"ob der Personenkreis der voll erwerbsgeminderten Menschen, welche eine Werkstatt für behinderte Menschen besuchen, als besonders schützenswerter und abgrenzbarer Personenkreis dadurch erheblich benachteiligt wird, dass der Rententräger nicht über den Zeitpunkt der frühestmöglichen Rentenantragstellung bzw. nicht über den kraft Gesetzes eintretenden Umstand der Erfüllung der Voraussetzungen für die begehrte Rente aufgrund voller Erwerbsminderung informiert (hat) und hieraus eine Pflichtverletzung (§ 109 Abs. 1 Satz 4 SGB VII ,§ 115 Abs. 6 SGB VI ,§ 14 SGB I ) des Rententrägers herzuleiten ist".
Dem Gesamtvorbringen des Klägers ist zu entnehmen, dass er damit geklärt wissen will, ob der zuständige Rentenversicherungsträger verpflichtet ist, voll erwerbsgeminderte Personen, die in einer Werkstatt für behinderte Menschen tätig sind, über den frühestmöglichen Zeitpunkt zu informieren, ab dem eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezogen werden kann. Es sei dahingestellt, ob damit trotz des Einzelfallbezugs eine aus sich heraus verständliche abstrakte Rechtsfrage zur Auslegung, zur Anwendbarkeit oder zur Vereinbarkeit revisibler (Bundes-)Normen mit höherrangigem Recht formuliert ist, an der das Beschwerdegericht die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen könnte(vgl zu dieser Anforderung zB Beschluss vom 2.3.2015 - B 12 KR 60/14 B - juris RdNr 15;BSG Beschluss vom 22.4.2020 - B 5 R 266/19 B - juris RdNr 5 ; jeweils mwN) . Der Kläger legt jedenfalls die Klärungsbedürftigkeit einer solchen Frage zu den Hinweispflichten der Rentenversicherungsträger nicht anforderungsgerecht dar.
Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn die Antwort nicht außer Zweifel steht, sich zB nicht unmittelbar und ohne Weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt oder nicht bereits höchstrichterlich entschieden ist(vgl zB bereitsBSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17) . Ist eine Rechtsfrage noch nicht ausdrücklich höchstrichterlich entschieden worden, ist sie gleichwohl als geklärt anzusehen, wenn schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte auch zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben(stRspr; vglBSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; aus jüngerer Zeit zBBSG Beschluss vom 20.11.2023 - B 12 KR 41/22 B - juris RdNr 8 ) . Zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit ist daher eine Auseinandersetzung mit den einschlägigen höchstrichterlichen Entscheidungen ebenso erforderlich wie die Darlegung, dass sich aus diesen keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ergeben(vgl zBBSG Beschluss vom 6.11.2023 - B 7 AS 30/23 B - juris RdNr 3 ) . Daran fehlt es hier.
Zwar nennt der Kläger, soweit er auf die höchstrichterliche Rechtsprechung eingeht, das Urteil des BSG vom 6.3.2003( B 4 RA 38/02 R ). Danach gilt die besondere, aus§ 115 Abs 6 SGB VI abgeleitete Hinweispflicht der Rentenversicherungsträger auf einen möglichen Rentenanspruch und die erforderliche Antragstellung auch im Blick auf solche Gruppen von Versicherten, bei denen die Rentenversicherungsträger anhand der Versicherungskonten ohne Befragung der Versicherten feststellen können, dass bei ihnen die "Antragsproblematik" typischerweise besteht(BSG Urteil vom 6.3.2003 - B 4 RA 38/02 R - BSGE 91, 1 = SozR 4-2600 § 115 Nr 1, RdNr 36 mwN) . Er hält hierzu fest, damit habe das BSG auch geklärt, wann eine Pflichtverletzung gegeben sei. Der Kläger erwähnt zudem das BSG-Urteil vom 22.10.1996( 13 RJ 23/95 ), wonach eine Verletzung der Hinweispflicht aus§ 115 Abs 6 Satz 1 SGB VI grundsätzlich geeignet ist, einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch zu begründen(BSG Urteil vom 22.10.1996 - 13 RJ 23/95 - BSGE 79, 168 = SozR 3-2600 § 115 Nr 1, RdNr 40) . Der Kläger entnimmt der angeführten Rechtsprechung jedoch nur, dass noch keine ausdrückliche Entscheidung zu Hinweispflichten gegenüber voll erwerbsgeminderten Personen, die in einer Werkstatt für Behinderte arbeiten, ergangen sei. Aus seinen Ausführungen geht nicht hinreichend hervor, inwiefern sich daraus keine Anhaltspunkte zur Beantwortung der aufgeworfenen Frage entnehmen lassen. Insbesondere setzt er sich nicht genügend mit dem auch vom LSG betonten Aspekt auseinander, dass nur dann eine Hinweispflicht nach§ 115 Abs 6 Satz 1 SGB VI bestehen kann, wenn die maßgeblichen Daten in dem beim Rentenversicherungsträger vorhandenen Datenbestand gespeichert sind(vglBSG Urteil vom 22.10.1996 - 13 RJ 23/95 - BSGE 79, 168 = SozR 3-2600 § 115 Nr 1, RdNr 46;BSG Urteil vom 6.3.2003 - B 4 RA 38/02 R - BSGE 91, 1 = SozR 4-2600 § 115 Nr 1, RdNr 39; vgl auchBSG Urteil vom 14.11.2002 - B 13 RJ 39/01 R - SozR 3-2600 § 115 Nr 9 RdNr 36) . Das gilt auch, soweit der Kläger geltend macht, das LSG habe verkannt, dass die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, die für eine Beratung des besonders schützenswerten Personenkreises erforderlichen Informationen zu erlangen und (technisch) aufzubereiten. Abgesehen davon, dass der Kläger zu einem derartigen Organisationsverschulden keine Rechtsfrage formuliert, fehlt es auch insofern an einer hinreichenden Darlegung der Klärungsbedürftigkeit. Auf den implizit erhobenen Vorwurf, das angegriffene Urteil sei inhaltlich falsch, kann die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache von vorneherein nicht gestützt werden(stRspr; vgl zBBSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4;BSG Beschluss vom 25.8.2022 - B 5 R 11/22 B - juris RdNr 16 ; vgl auchBVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN) .
Ungeachtet dessen legt der Kläger die Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage nicht anforderungsgerecht dar. Hier wäre näher darauf einzugehen gewesen, dass im angestrebten Revisionsverfahren tatsächlich über die Frage entschieden werden müsste und das angefochtene Urteil nicht bereits aus anderen Gründen bestätigt werden könnte(vgl zu dieser Darlegungsanforderung zBBSG Beschluss vom 24.1.2019 - B 13 R 389/17 B - juris RdNr 12 ;BSG Beschluss vom 8.8.2023 - B 9 V 7/23 B - juris RdNr 7 ; vgl auch B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 160a RdNr 14k mwN) . Der Beschwerdebegründung ist nicht zu entnehmen, dass abgesehen von der Frage einer Pflichtverletzung durch die Beklagte sämtliche Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs erfüllt waren. Das liegt hier auch nicht ohne Weiteres auf der Hand. Nach der vom Kläger in Bezug genommenen Urteilsbegründung hat das LSG den geltend gemachten Anspruch wegen des fehlenden Kausalzusammenhangs zwischen Pflichtverletzung und Schaden verneint. Es hat hierzu ausgeführt, soweit der Beklagten überhaupt eine Pflichtverletzung vorzuwerfen sei, wiege diese gering. Rechtlich wesentlich für die verspätete Antragstellung seien zwei vom Kläger gesetzte Ursachen. Der Kläger habe es unterlassen, spätestens 2012 einen Rentenantrag für die Beigeladene zu stellen. Zudem habe er es versäumt, die Beigeladene spätestens zu diesem Zeitpunkt über eine Rentenantragstellung zu beraten. Dem Kläger seien die Lebensumstände der Beigeladenen einschließlich ihres Gesundheitszustands seit Jahren aus dem fortlaufenden Verwaltungsverfahren bekannt gewesen. Er habe daher Anlass gehabt, mögliche Rentenansprüche der Beigeladenen spätestens 2012 zu klären, zumal er hieran ein eigenes wirtschaftliches Interesse gehabt habe. Demgegenüber sei der Beklagten vor der Kontenklärung nicht bekannt gewesen, dass die Beigeladene bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert gewesen sei. Auf diese Ausführungen und die Bewertung des Falles der Beigeladenen als "seltenen Ausnahmefall" geht der Kläger nicht in der gebotenen Weise ein. Sein allgemeines Vorbringen, die aufgeworfene Rechtsfrage sei entscheidungserheblich und die angegriffene Berufungsentscheidung beruhe hierauf, genügt vor diesem Hintergrund nicht.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen(§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ) .
2. Die Kostenentscheidung beruht auf§ 183 Satz 1 und§ 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI16283367 |