Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. sozialgerichtliches Verfahren. Verfahrensfehler. Entscheidung ohne mündliche Verhandlung. Zustimmung des Klägers. Erforderlichkeit einer erneuten Zustimmung nach wesentlicher Änderung der Prozesslage. Zurückverweisung
Orientierungssatz
Führt das LSG im Anschluss an die Zustimmung des Klägers zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung weitere Ermittlungen durch und fragt an, ob das Berufungsverfahren fortgeführt werden soll, ist für den Kläger eine wesentliche Änderung der Prozesslage eingetreten, die eine erneute Einverständniserklärung zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erforderlich macht.
Normenkette
SGG § 124 Abs. 1-2, § 155 Abs. 3-4, § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 5
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 07.05.2013; Aktenzeichen L 10 SB 159/12) |
SG Lüneburg (Urteil vom 18.09.2012; Aktenzeichen S 6 SB 48/11) |
Tenor
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 7. Mai 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten in der Sache noch über die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" für die Zeit ab Juni 2010. Einen entsprechenden Anspruch der Klägerin hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) mit Urteil seiner Berichterstatterin vom 7.5.2013 ohne mündliche Verhandlung verneint. Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin beim Bundessozialgericht (BSG) Beschwerde eingelegt, die sie mit dem Vorliegen eines Verfahrensmangels, nämlich einer Verletzung des § 124 Abs 2 SGG, begründet (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist zulässig. Der von der Klägerin gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG gerügte Verfahrensmangel einer Verletzung des § 124 Abs 2 SGG ist iS des § 160a Abs 2 S 3 SGG hinreichend bezeichnet.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist auch begründet. Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt vor. Das LSG hätte unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Falles am 7.5.2013 über die Berufung der Klägerin nicht ohne mündliche Verhandlung entscheiden dürfen, weil in diesem Zeitpunkt eine wirksame Einverständniserklärung der Klägerin nach § 124 Abs 2 SGG nicht vorlag.
Nach § 124 Abs 1 SGG entscheidet das Gericht, soweit nichts anderes bestimmt ist, aufgrund mündlicher Verhandlung. Gemäß § 124 Abs 2 SGG kann das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten (s § 69 SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.
Es kann dahinstehen, ob die von der Klägerin mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 20.11.2012 am 23.11.2012 gegenüber dem LSG abgegebene Einverständniserklärung, "ohne mündliche Verhandlung gemäß § 155 Abs 3 und 4 SGG" zu entscheiden, neben dem Einverständnis einer Entscheidung durch den Vorsitzenden oder den Berichterstatter auch ein Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung iS von § 124 Abs 2 SGG enthielt. Selbst wenn man davon - insbesondere im Hinblick auf die Rechtskundigkeit der damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin - ausgeht, hatte diese Einverständniserklärung wegen einer wesentlichen Änderung der Prozesslage ihre Wirksamkeit verloren (s nur Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 124 RdNr 3c mwN; s Beispiele bei Keller, aaO, RdNr 3e).
Eine für die Klägerin wesentliche Änderung der Prozesslage ist hier dadurch eingetreten, dass das LSG nach dem 23.11.2012 durch Einholung eines ärztlichen Befundberichts Ermittlungen durchgeführt sowie mit Schreiben vom 21.1.2013 die Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf die Aussichtslosigkeit der Berufung hingewiesen und angefragt hat, ob das Berufungsverfahren fortgeführt werden soll. Vor einer Entscheidung über die Berufung der Klägerin ohne mündliche Verhandlung hätte das LSG demzufolge eine erneute Einverständniserklärung der Klägerin nach § 124 Abs 2 SGG einholen müssen, was indes nicht geschehen ist.
Da die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen, macht der Senat von dem ihm gemäß § 160a Abs 5 SGG eingeräumten Ermessen zur Verfahrensbeschleunigung Gebrauch und verweist die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurück.
Das LSG wird bei Abschluss des wieder eröffneten Berufungsverfahrens auch über die Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde zu entscheiden haben.
Fundstellen