Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg in Stuttgart vom 9. Mai 1956 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger hat in seinem vor dem Landessozialgericht (LSG.) gestellten Antrag die zusätzliche Anerkennung von Herz- und Kreislaufstörungen und Lungentuberkulose als Schädigungsfolgen und die Gewährung einer Versorgungsrente begehrt. Mit der Berufung zum LSG. hatte der Kläger zwei Urteile des Versorgungsgerichts Reutlingen angefochten, durch die zwei Bescheide der Versorgungsbehörden bestätigt worden waren, die die Anerkennung der Herz- und Kreislaufstörungen und die Gewährung von Versorgungsbezügen versagten. Während des Verfahrens vor dem LSG. lehnte das Versorgungsamt Rottweil durch Bescheid vom 28. September 1954 die Anerkennung einer Lungentuberkulose als Schädigungsfolge ab. Das LSG. hat auch diesen Bescheid als Gegenstand des Verfahrens angesehen; es hat durch das angefochtene Urteil die Berufung des Klägers gegen die Urteile des Versorgungsgerichts zurück-, und die Klage gegen den Bescheid des Versorgungsamts vom 28. September 1954 abgewiesen.
Die Revision des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig begründet worden (§§ 164 Abs. 1, 166 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).
Das Urteil des LSG. betrifft in seinem ersten Teil die Berufung gegen die Urteile des Versorgungsgerichts Reutlingen. Es ist insoweit endgültig (§ 214 Abs. 5 SGG) und kann daher, wie die Revision selbst nicht verkennt, mit der Revision nicht angefochten werden (BSG. Bd. 1 S. 104 ff. [106]). Die Revision war insoweit schon aus diesem Grunde als unzulässig zu verwerfen.
Soweit das angefochtene Urteil den Bescheid des Versorgungsamts Rottweil vom 28. September 1954 betrifft, war es, wie das LSG. zutreffend ausführt, nicht endgültig. Die Revision ist jedoch insoweit nicht statthaft. Das LSG. hat sie nicht zugelassen. Sie ist deshalb nur zulässig, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SGG; BSG. Bd. 1 S. 150 und 254).
Die Revision rügt nur Verfahrensmängel. Sie greift das Urteil des LSG, insoweit an, als zugleich auch über den Bescheid des Versorgungsamts Rottweil vom 28. September 1954 mit entschieden worden ist, und führt dazu aus, das LSG. habe diesen Bescheid, der nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens geworden sei, zu Unrecht in das Verfahren einbezogen und dadurch dem Kläger sein Recht auf eine mehrinstanzliche gerichtliche Überprüfung dieses Bescheides genommen.
Die Rüge, das LSG. habe ohne gesetzliche Grundlage von sich aus den Bescheid vom 28. September 1954 in das Verfahren einbezogen, greift nicht durch. Das LSG. ist zutreffend davon ausgegangen, daß dieser Bescheid nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden ist. § 96 SGG setzt voraus, daß das die Erstbescheide vom 23. Mai 1950 und vom 7. Mai 1952 betreffende Verfahren bei Erlaß des Bescheides vom 28. September 1954 noch anhängig war. Diese Voraussetzung ist erfüllt. Denn bei Erlaß des Bescheides vom 28. September 1954 schwebte das durch die Anrufung des Versorgungsgerichts Reutlingen eröffente Verfahren noch vor dem LSG. § 96 SGG fordert weiter, daß der Verwaltungsakt vom 28. September 1954 die Erstbescheide abändert oder ersetzt. Diese Voraussetzungen sind dann erfüllt, wie das Bundessozialgericht (BSG.) bereits mehrfach ausgesprochen hat (BSG. Bd. 4 S. 24 [25 ff.], Bd. 5 S. 13 [16] und S. 158 [162]; BSG. in SozR. SGG § 96 Bl. Da 4 Nr. 12), wenn der spätere Bescheid den Kläger im Hinblick auf sein Prozeßziel, also den Streitgegenstand, noch mehr beschwert.
Der Sinn und Zweck der Vorschrift des § 96 Abs. 1 SGG, im Rahmen einer gesunden Prozeßökonomie ein schnelles und zweckmäßiges Verfahren zu ermögliche, Ziele, die insbesondere auch in §§ 99 Abs. 3 Nr. 2, 157 Satz 2 SGG Ausdruck gefunden haben, gebieten diese Auslegung. Danach soll die Rechtmäßigkeit aller Bescheide, die den Prozeßstoff des schon rechtshängigen Rechtsstreits nachträglich beeinflussen (BSG. Bd. 5 S. 158 [162 ff.]), in dem schon rechtshängigen Rechtsstreit beurteilt werden. Der Streit um die Gewährung einer Versorgungsrente, um den es sich im vorliegenden Fall von Anfang an handelte, wird gerade von der im Bescheid vom 28. September 1954 behandelten Frage beeinflußt, ob durch die nachfraglich geltend gemachte Lungentuberkulose dieser Leistungsanspruch gerechtfertigt wird. Der Bescheid vom 28. September 1954 hat die angefochtenen Erstbescheide, wonach dem Kläger die Gewährung einer Versorgungsrente versagt worden war, dahin abgeändert, daß er ausspricht, dem Kläger stehe ein Anspruch auf Versorgungsrente auch auf Grund der nunmehr geltend gemachten Lungentuberkulose nicht zu.
Mit seinen Ausführungen, es widerspreche den Prinzipien des Rechtsstaats, daß „dem Kläger der durch das Sozialgerichtsgesetz garantierte Rechtszug in Wegfall gerät” und daß bei der Verfahrensweise des LSG. „anstatt zweier bzw. dreier Instanzen lediglich eine Instanz über das Begehren” entscheidet, will der Kläger offenbar rügen, es stelle eine Verletzung verfassungs- und verfahrensrechtlicher Grundsätze dar, daß die Anfechtung eines Bescheides ohne Verfahren in der ersten Instanz Gegenstand des Berufungsverfahrens wird. Auch diese Rüge kann keinen Erfolg haben. Der neue Bescheid hat gemäß §§ 96, 153 SGG das durch das vom Kläger eingelegte Rechtsmittel in die Berufungsinstanz gelangte Verfahren erweitert (so BSG. Bd. 5 S. 163). Es handelt sich hierbei um einen besonders gelagerten Fall der Klageänderung kraft Gesetzes, über die das LSG. als erste und zugleich letzte Tatsacheninstanz entscheidet (Mellwitz, Komm. § 96 SGG Anm. 5). Der neue Verwaltungsakt wird nach der verfahrensrechtlichen Vorschrift des § 96 Abs. 1 SGG nicht kraft Klage in der ersten, sondern kraft Berufung in der zweiten Instanz anhängig (vgl. dazu auch § 29 SGG). Diese verfahrensrechtliche Regelung verstößt nicht gegen die verfassungsrechtliche Norm des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes, wonach der Rechtsweg für jeden offensteht, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird. Ein Grundrecht auf mehrere Tatsacheninstanzen wird weder durch diese noch durch andere Vorschriften gewährt. Nach den geltenden verfahrensrechtlichen Bestimmungen ist für eine Vielzahl von Fällen in allen Zweigen der Gerichtsbarkeit ausgeschlossen, daß mehrere gerichtliche Instanzen mit dem Streitstoff befaßt werden.
Ist hiernach der Senat der Ansicht, daß bei einer Klageänderung in der Berufungsinstanz nicht die Klage, sondern die Berufung zurückzuweisen ist und daß das LSG. daher nicht die Klage gegen den Bescheid vom 28. September 1954 hätte abweisen, sondern auch insoweit die Berufung hätte zurückweisen müssen, so hatte er zu prüfen, ob das Urteil des LSG. von Amts wegen zu berichtigen war. Der Senat glaubt, diese Frage verneinen zu müssen. Zwar können offenbare Unrichtigkeiten von der höheren Instanz berichtigt werden, solange ein Rechtsstreit vor ihr schwebt und solange sie mit der Sache befaßt ist (ebenso Wieczorek, § 319 ZPO Anm. C I b; Baumbach-Lauterbach, 25. Auflg. § 319 ZPO Anm. 3 A; Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 7. Auflg., § 57 I 3 a; a.A. Stein-Jonas-Schönke, 18. Auflg., § 319 ZPO Anm. II 1). Da jedoch in Rechtsprechung und Schrifttum verschiedene Ansichten zu der Frage geäußert worden sind, wie der Urteilsspruch zu fassen ist, wenn in der Berufungsinstanz ein weiterer Bescheid Gegenstand des Verfahrens geworden ist (vgl. Peters-Sautter-Wolff, Komm. z. Sozialgerichtsbarkeit, Stand Sept. 1959, § 96 SGG Anm. 2 c), konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, daß hier eine offenbare Unrichtigkeit, nämlich ein Fehler im Ausdruck, vorliegt. Wenn auch das Urteil zur Fassung des Spruchs keine Begründung enthält, so ist nicht auszuschließen, daß das LSG. mit der gewählten Fassung eine Rechtsansicht zum Ausdruck bringen wollte und nicht nur einen – nach Ansicht des Senats falschen – Ausdruck gewählt hat, so daß die Unrichtigkeit nicht hinreichend offenbar ist.
Da die aus § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG erhobene Revisionsrüge nicht durchgreift und für eine Rüge aus § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG nicht vorgetragen ist, war die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Der Beschluß ergeht nach § 169 SGG, die Kostenentscheidung in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Unterschriften
Dr. Tesmer, Dr. Plein, Mellwitz
Fundstellen