Verfahrensgang

LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 14.12.2022; Aktenzeichen L 1 BA 7/21)

SG Berlin (Entscheidung vom 21.01.2021; Aktenzeichen S 193 BA 304/18)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 14. Dezember 2022 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten über die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1. (im Folgenden: Beigeladener) in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung aufgrund seiner Tätigkeit als Gästeführer für die Klägerin in der Zeit ab 6.3.2017.

Die Klägerin ist ein Busverkehrs- und Reiseunternehmen, das ua sogenannte "Hop on / Hop off" Stadtrundfahrten nach einem Fahrplan und mit festen Stationen in B anbietet. Der Beigeladene tritt auf einer Internetseite als Stadtführer auf. Die Klägerin und der Beigeladene schlossen einen "Honorarvertrag für freie Mitarbeiter / innen", auf dessen Grundlage der Beigeladene in der Zeit vom 6.3.2017 bis zum 7.11.2021 während der Stadtrundfahrten Führungen für die Fahrgäste durchführte. Er rechnete hierfür zwischen 105 Euro (Herbst/Winter) und 135 Euro (Frühjahr/Sommer) pro Tour gegenüber der Klägerin ab. Die jeweiligen Aufträge erfolgten per Handy oder E-Mail. Vorgaben zum Inhalt der Führungen gab es nicht.

Auf Antrag des Beigeladenen stellte die Beklagte nach Anhörung fest, dass der Beigeladene die Tätigkeit als Gästeführer seit dem 6.3.2017 im Rahmen eines in der GRV sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ausübe (Bescheid vom 16.3.2018). Den Widerspruch der Klägerin wies sie zurück (Widerspruchsbescheid vom 20.7.2018).

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 21.1.2021). Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Der Annahme einer Beschäftigung stehe nicht entgegen, dass der Beigeladene auch für andere Auftraggeber tätig gewesen sei und die Aufträge der Klägerin auch hätte ablehnen können. Vielmehr sei für die Beurteilung der Versicherungspflicht auf die Verhältnisse abzustellen, die nach Annahme der einzelnen Aufträge bestanden hätten. Nach dem sich aus den vertraglichen Absprachen und der tatsächlichen Ausgestaltung ergebenden Gesamtbild der Tätigkeit überwögen die für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung sprechenden Merkmale. Die Klägerin habe die Route sowie Tourenbeginn und -verlauf im Wesentlichen vorgegeben. Die Tätigkeit sei in ein weitgehend und vergleichsweise eng von der Klägerin vorgegebenes organisatorisches Gefüge eingeordnet gewesen. Der Beigeladene habe kein nennenswertes Unternehmerrisiko getragen (Urteil vom 14.12.2022).

Mit der Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG.

II

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). In der Beschwerdebegründung ist entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG kein Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet. Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

Mit der Rüge, das angegriffene Urteil des LSG lasse sich mit dem ebenfalls vom LSG Berlin-Brandenburg erlassenen Urteil vom 15.7.2011 - L 1 KR 206/09 - nicht in Einklang bringen, wird keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

In der Beschwerdebegründung wird dazu ua ausgeführt:

"Beide Verfahren sind fast gleich gelagert, führen jedoch in der Ansicht und Urteilsbegründung zu völlig konträren Rechtsansichten. Die Nichtzulassungsbeschwerde zur Wahrung der Rechtseinheit, grundsätzlicher Bedeutung und materieller Gerechtigkeit ist daher begründet.

Die Klägerin sieht in den hier aufgeführten Urteilen erhebliche Widersprüche, die im Rahmen des hiesigen Prozesses zu einer Rechtseinheit führen sollten. Insbesondere die Tatsache, dass sowohl diverse Mitbewerber der Klägerin als auch der Bundesverband der Gästeführer in Deutschland e.V. (BVGD) bei derartigen Voraussetzungen von einer selbstständigen Tätigkeit ausgehen, lässt die Bedeutung einer einheitlichen Rechtsprechung seitens des angerufenen Gerichtes für notwendig erscheinen."

Die Klägerin macht sodann umfangreiche Ausführungen zu den Sachverhalten beider Verfahren und gelangt zu der Feststellung, es handele sich um gleichgerichtete Tätigkeiten, bei denen das LSG Berlin-Brandenburg zu unterschiedlichen Entscheidungen gelangt sei. Dies begründet sie mit weiteren Zitaten aus den Entscheidungsgründen der beiden Urteile. Sie ist der Auffassung, aus diesen Gründen sei "eine Grundsatzentscheidung" erforderlich.

1. Damit wird die Beschwerdebegründung den Anforderungen an die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung jedoch nicht hinreichend gerecht. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6 mwN). Im Rahmen der Klärungsbedürftigkeit ist darzulegen, inwieweit sich weder aus den gesetzlichen Bestimmungen noch aus der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG hinreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ergeben. Auch wenn eine Rechtsfrage noch nicht ausdrücklich höchstrichterlich entschieden worden ist, so ist sie als geklärt anzusehen, wenn schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte auch zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17 sowie BSG Beschluss vom 31.3.1993 - 13 BJ 215/92 - SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6).

a) Die Klägerin benennt schon keine aus sich heraus verständliche abstrakte Rechtsfrage zur Auslegung oder zum Anwendungsbereich einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) oder zu deren Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht (vgl BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN). Die Bezeichnung einer bestimmten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN).

b) Der Beschwerdebegründung lässt sich zudem nicht entnehmen, welche Rechtsfrage bisher noch nicht höchstrichterlich geklärt sein soll, deren Klärung aus Gründen der Rechtseinheit erforderlich und durch das Revisionsgericht zu erwarten ist. Denn sie befasst sich nicht mit der umfangreichen Rechtsprechung des Senats zu Statusfeststellungen (vgl zB BSG Urteil vom 13.3.2023 - B 12 R 6/21 R -, juris, vorgesehen für SozR 4, mwN) und zur Maßgeblichkeit der konkreten Ausgestaltung einer Tätigkeit im Einzelfall und nicht etwa anhand von Berufs- bzw Tätigkeitskatalogen (vgl ua BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 12 KR 16/13 R - BSGE 120, 99 = SozR 4-2400 § 7 Nr 25, RdNr 32 mwN). Vielmehr rügt sie im Kern lediglich die Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung im Einzelfall. Das begründet aber die Zulassung der Revision nicht.

2. Divergierende Rechtsprechung kann die Zulassung einer Revision nur begründen, wenn das angegriffene Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Eine abweichende Entscheidung eines der aufgeführten Bundesgerichte hat die Klägerin nicht bezeichnet.

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 und 3, § 162 Abs 3 VwGO.

5. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 52 Abs 2, § 47 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 sowie § 63 Abs 2 Satz 1 GKG.

Heinz

Waßer

Beck

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16192662

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