Verfahrensgang
SG Detmold (Entscheidung vom 29.08.2022; Aktenzeichen S 11 AS 42/21) |
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 17.08.2023; Aktenzeichen L 19 AS 1399/22) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm zur Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17. August 2023 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
Nach § 73a SGG iVm § 114 ZPO kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet; das ist hier nicht der Fall. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG) in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers erfolgreich zu begründen. Da kein Anspruch auf Bewilligung von PKH besteht, ist auch der Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts abzulehnen (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO).
Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Solche Zulassungsgründe sind nach summarischer Prüfung des Streitstoffs auf der Grundlage des Inhalts der Gerichtsakten nicht erkennbar.
Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) ist nur anzunehmen, wenn eine Rechtsfrage aufgeworfen wird, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Dies ist hier nicht der Fall. Das LSG hat die Berufung des Klägers gegen den klageabweisenden Gerichtsbescheid des SG zurückgewiesen, weil die auf die Verurteilung des Beklagten, bestimmte (in einem Widerspruchsbescheid und im Klageverfahren getätigte) Äußerungen zu unterlassen, gerichtete Klage mangels Klagebefugnis unzulässig sei. Dies betrifft nur die Umstände des Einzelfalls, wirft aber keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf. Es liegt bereits Rechtsprechung des BSG zur Frage, wann eine Klagebefugnis bei Unterlassungsklagen zu bejahen ist, vor (etwa BSG vom 30.7.2019 - B 1 KR 34/18 R - BSGE 129, 10 = SozR 4-2500 § 53 Nr 3, RdNr 11 f mwN). Sollte im Übrigen das LSG die Rechtsauffassung vertreten haben, dass sich der Beklagte auf die Meinungsfreiheit (Art 5 Abs 1 GG) berufen könne, triff diese zwar nicht zu, denn der Beklagte ist als Träger hoheitlicher Gewalt grundrechtsgebunden (Art 1 Abs 3 GG), kann sich aber nicht auf materielle Grundrechte berufen (vgl BVerfG vom 6.12.2016 - 1 BvR 2821/11 ua - BVerfGE 143, 246 RdNr 187 mwN; zum Ganzen näher Burkiczak in Bonner Kommentar zum GG, Art 93 RdNr 454 ff mwN, Stand Oktober 2020); auf eine ggf unzutreffende materielle Rechtsanwendung kann eine Nichtzulassungsbeschwerde aber nicht gestützt werden (etwa BSG vom 16.2.2023 - B 4 AS 138/22 B ua - juris RdNr 4).
Es ist auch nicht erkennbar, dass die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht, weshalb eine Divergenzrüge keine Aussicht auf Erfolg verspricht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG).
Nach Aktenlage ist schließlich nicht ersichtlich, dass ein Verfahrensmangel geltend gemacht werden könnte, auf dem die angefochtene Entscheidung des LSG beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG). Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision kann nur auf einen Mangel des Verfahrens vor dem LSG oder auf einen Mangel des Verfahrens vor dem SG, der in die nächste Instanz fortwirkt, gestützt werden, also einen Mangel, der damit zugleich einen Mangel des Verfahrens vor dem LSG bildet (BSG vom 24.11.2021 - B 4 AS 212/21 B ua - juris RdNr 5 mwN). Neben der Sache liegen damit alle Ausführungen des Klägers, die sich auf den Rechtsstreit vor dem SG (S 17 AS 1308/16) gegen den Bescheid vom 1.3.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.5.2016 beziehen. Gleiches gilt für alle Rügen, die sich auf das dem hier angefochtenen Urteil des LSG vorangegangene erstinstanzliche Verfahren beziehen; es ist nicht ersichtlich, dass die insofern behaupteten Mängel im Berufungsverfahren fortgewirkt hätten.
Soweit der Kläger rügt, das LSG hätte nicht entscheiden dürfen, solange über seinen Antrag auf mündliche Verhandlung (§ 105 Abs 2 Satz 2 SGG) noch nicht entschieden worden sei, übersieht er, dass der Antrag auf mündliche Verhandlung unstatthaft war, weil gegen den Gerichtsbescheid des SG das Rechtsmittel der Berufung statthaft war (§ 144 Abs 1 SGG). In dieser Konstellation entfaltet § 105 Abs 2 Satz 3 SGG keine Wirkung, und das LSG darf über die Berufung entscheiden (BSG vom 6.1.2022 - B 4 AS 314/21 B - juris RdNr 6 mwN).
Auch ist nicht ersichtlich, dass ein Verfahrensmangel darin liegt, dass das LSG in Abwesenheit des Klägers verhandelt und entschieden hat. Das LSG hat den Kläger ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen, dass auch im Falle seines Ausbleibens verhandelt und entschieden werden kann. Dies ist zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ausreichend (zuletzt BSG vom 6.7.2023 - B 4 AS 100/23 BH - juris RdNr 4 mwN). Der Kläger räumt selbst ein, die Ladung erhalten zu haben. Etwaige Zustellungsmängel sind damit geheilt (§ 63 Abs 2 Satz 1 SGG iVm § 189 ZPO).
Nicht zu beanstanden ist, dass das LSG den Terminverlegungsantrag vom 16.8.2023 abgelehnt hat. Ein Grund, der gemäß § 202 Satz 1 SGG iVm § 227 Abs 1 ZPO einen Anspruch auf Terminverlegung hätte begründen können (vgl BSG vom 6.6.2023 - B 4 AS 76/22 B ua - juris RdNr 8), ist nicht ersichtlich; er ist insbesondere nicht dem Schreiben des Klägers vom 16.8.2023 zu entnehmen. Dass der Kläger den Beschluss des LSG vom 16.8.2023 über die Ablehnung des Terminverlegungsantrags nach seinem Vortrag erst am 23.8.2023 und damit nach der mündlichen Verhandlung vom 17.8.2023 erhalten habe, stand der Entscheidung des Berufungsgerichts nicht entgegen. Solange der Termin seitens des Gerichts nicht aufgehoben worden ist, müssen die Beteiligten grundsätzlich davon ausgehen, dass die anberaumte mündliche Verhandlung stattfindet (BSG vom 6.6.2023 - B 4 AS 76/22 B ua - juris RdNr 11 mwN; BSG vom 21.9.2023 - B 11 AL 27/23 B - juris RdNr 8).
Es ist auch nicht ersichtlich, dass in einer Beschwerdebegründung eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) zulässig gerügt werden könnte, weil das LSG seinen am 16.8.2023 bei Gericht eingegangenen Antrag vom selben Tag auf Akteneinsicht (§ 120 SGG) als Grund für eine Verlegung des für den 17.8.2023 anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung nicht habe ausreichen lassen. Auf eine Verletzung rechtlichen Gehörs kann sich nur berufen, wer alles Zumutbare unternommen hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (BSG vom 29.11.2022 - B 11 AL 21/22 B - juris RdNr 9 mwN auch aus der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung; BSG vom 21.9.2023 - B 11 AL 27/23 B - juris RdNr 9). Dass diese Voraussetzung hier erfüllt ist, ist nicht ersichtlich. Es liegt fern, dass der Kläger in einem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wird darlegen können, dass die Ablehnung seines Antrags auf Terminverlegung seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hätte, wenn er seine prozessualen Möglichkeiten, Akteneinsicht zu erhalten, rechtzeitig wahrgenommen, dh in vollem Umfang ausgeschöpft hätte (vgl auch BSG vom 28.12.2005 - B 12 KR 42/05 B - juris RdNr 6). Der Kläger hat schon nach eigenem Vortrag im Terminverlegungsantrag die Terminmitteilung am 22.7.2023 erhalten (von ihm irrtümlich 21.7.2023 angegeben). Der Kläger dürfte nicht in der Lage sein, nachvollziehbar zu begründen, dass es ihm nicht möglich gewesen sei, einen Akteneinsichtsantrag umgehend zu stellen. Zumal er in der Lage war, ein mit "Anhörungsrüge und Gegenvorstellung" bezeichnetes Schreiben am 7.8.2023 per Telefax an das LSG zu richten, in dem er sich gegen die Versagung von PKH durch Beschluss vom 14.7.2023, nach eigenem Bekunden ihm am 22.7.2023 zugestellt, wandte.
Schließlich liegt auch kein Verfahrensmangel darin, dass das LSG den Gerichtsbescheid des SG bestätigt hat. Zwar wäre die Begründung für die Unzulässigkeit der Klage - wie oben bereits dargelegt - insofern unrichtig, wenn das LSG davon ausgegangen sein sollte, dass sich der Beklagte auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit berufen könne. Unabhängig davon, ob diese Erwägung des LSG entscheidungstragend war, stellt dies jedenfalls die Richtigkeit der Entscheidung des LSG im Ergebnis nicht in Frage: Gegen einen Verwaltungsakt ist allein die (ggf mit einer Leistungs- oder Verpflichtungsklage verbundene) Anfechtungsklage statthaft (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG), die der Kläger auch erhoben hat und zumindest zum Zeitpunkt der hier angegriffenen Entscheidung noch beim LSG anhängig war (L 21 AS 341/21); dies kann nicht dadurch umgangen werden, dass Elemente der Bescheidbegründung oder im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens gegen diesen Bescheid getätigte Äußerungen isoliert im Rahmen einer Unterlassungsklage zur gerichtlichen Prüfung gestellt werden. Ob für eine persönlichkeitsverletzende Äußerung außerhalb eines Bescheids etwas anderes gilt, kann hier dahinstehen, da diese Voraussetzung bei der Formulierung, "dass die beigefügten Arbeitgeberbescheinigungen den Zufluss der Löhne am 1. des Folgemonats bescheinigen", offensichtlich nicht erfüllt ist.
Estelmann |
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Söhngen |
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Burkiczak |
Fundstellen
Dokument-Index HI16192613 |