Verfahrensgang
Sächsisches LSG (Urteil vom 25.10.2016; Aktenzeichen L 9 SB 141/14) |
SG Chemnitz (Entscheidung vom 28.05.2014; Aktenzeichen S 32 SB 214/12) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 25. Oktober 2016 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) als 50 sowie die Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen G. Diesen Anspruch hat das Sächsische LSG mit Urteil vom 25.10.2016 verneint, weil bei der Klägerin maximal ein GdB von 50 bestehe. Die Würdigung der Gutachten von Dr. L., Dr. S., Dr. E. sowie der Stellungnahme von Dr. G. und der weiteren ärztlichen Befundberichte und medizinischen Unterlagen ergebe, dass die Klägerin an den GdB-relevanten Funktionsstörungen einer seronegativen rheumatoiden Arthritis, Verschleißerkrankung der Wirbelsäule ohne Nervenwurzelausfälle, einem knöchern verheilten Sprunggelenksbruch rechts, einer beginnenden Verschleißerkrankung des rechten Sprunggelenks, einer beginnenden Verschleißerkrankung der Kniegelenke, einer Hypertonie sowie an einer Angst- und depressiven Störung leide. Ohne Auswirkung auf den GdB seien die Erkrankungen der Klägerin in Form der beginnenden Verschleißerkrankung der Schultergelenke und Schultergelenksweichteile, der beginnenden Verschleißerkrankung der Handgelenke, Handwurzelgelenke und Fingergelenke sowie des medikamentös eingestellten Diabetes mellitus. Dem Beweisantrag der Klägerin, die Gutachterin Dr. L. mündlich zu hören, sei nicht nachzugehen, weil keine objektiven sachdienlichen Fragen iS von § 116 S 2 SGG schriftlich vorgelegt worden seien. Die schriftlich angekündigten Fragen seien bereits beantwortet bzw beweisunerheblich. Der Senat habe bereits am 25.5.2016 darauf hingewiesen, dass sich weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht aufdrängten. Erst nach der Ladung zum Termin am 11.10.2016, zugestellt an die Klägerbevollmächtigte am 9.9.2016, habe diese am 27.9.2016 die Vernehmung von Dr. Sch. und Dr. M. als sachverständige Zeugen beantragt. Damit sei auch davon auszugehen, dass der Antrag in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, nicht früher vorgebracht worden sei.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin beim BSG Beschwerde eingelegt und rügt das Vorliegen von Verfahrensmängeln (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Sie habe mit Schriftsatz vom 26.9.2016 und in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG durch Bezugnahme auf diesen Schriftsatz rechtzeitig beantragt, die Gutachterin zur Erläuterung ihres fachärztlich-orthopädisch-rheumatologischen Gutachtens in der mündlichen Verhandlung zu laden und diese zu den im Schriftsatz benannten Fragen zu befragen. Diese Fragen seien auch sachdienlich gewesen iS von § 116 S 2 SGG und nicht rechtsmissbräuchlich gestellt. Auch seien die Fragen nicht beweisunerheblich gewesen, wie sich bereits daraus ergebe, dass sich das LSG in der angegriffenen Entscheidung mit jeder einzelnen Frage im angefochtenen Urteil explizit auseinandergesetzt habe. Ferner sei das LSG dem weiteren Antrag im Schriftsatz vom 26.9.2016 in unzulässiger Weise nicht nachgekommen, die behandelnden Ärzte Dr. Sch. und Dr. M. als sachverständige Zeugen zu vernehmen. Durch die Verletzung ihres Fragerechts sei auch ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden und die Nichtzulassungsbeschwerde im Sinne der Zurückverweisung begründet.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, da keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie hier - darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 36). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Diesen Anforderungen wird das Vorbringen der Klägerin nicht gerecht.
Die Klägerin beanstandet, das LSG sei zu Unrecht ihrem mit Schriftsatz vom 26.9.2016 gestellten und in der mündlichen Verhandlung aufrechterhaltenen Antrag auf Befragung der orthopädischen Sachverständigen nicht gefolgt, um die von ihr aufgeworfenen Fragen hinsichtlich ihrer Erkrankungen zu klären.
1. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BSG, dass - unabhängig von der nach § 411 Abs 3 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts liegenden Möglichkeit, zur weiteren Sachaufklärung von Amts wegen das Erscheinen des Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung anzuordnen - jedem Beteiligten gemäß § 116 S 2 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO das Recht zusteht, einem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung der Sache für dienlich erachtet (BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7, Nr 2 RdNr 5; BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 355/11 B - Juris RdNr 13, jeweils mwN; siehe auch BVerfG Beschluss vom 3.2.1998 - 1 BvR 909/94 - NJW 1998, 2273 - Juris RdNr 11 f). Sachdienliche Fragen iS von § 116 S 2 SGG liegen dann vor, wenn sie sich im Rahmen des Beweisthemas halten und nicht abwegig oder bereits eindeutig beantwortet sind (BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 10). Hierbei müssen keine Fragen formuliert werden; es reicht vielmehr aus, die erläuterungsbedürftigen Punkte hinreichend konkret zu bezeichnen (vgl BSG Beschluss, aaO, RdNr 15; BSG SozR 3-1750 § 411 Nr 1). Hingegen fehlt es an der Sachdienlichkeit, wenn der Antrag auf Anhörung des Sachverständigen rechtsmissbräuchlich gestellt ist, insbesondere wenn die Notwendigkeit einer Erörterung überhaupt nicht begründet wird oder nur beweisunerhebliche Fragen angekündigt werden (vgl BVerfG ≪Kammer≫ vom 29.8.1995 - 2 BvR 175/95 - NJW-RR 1996, 183 = Juris RdNr 29, mwN zur Rechtsprechung des BGH). Da das Fragerecht an den Sachverständigen der Verwirklichung des rechtlichen Gehörs dient, ist weiterhin erforderlich, dass der Beteiligte alles getan hat, um die Anhörung des Sachverständigen zu erreichen. Dieser Obliegenheit ist er jedenfalls dann nachgekommen, wenn er einen darauf gerichteten Antrag rechtzeitig gestellt, dabei schriftlich objektiv sachdienliche Fragen angekündigt und das Begehren bis zuletzt aufrechterhalten hat (BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7).
Zur schlüssigen Bezeichnung (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) einer Verletzung des Rechts auf Befragung eines Sachverständigen muss sich hiernach aus der Beschwerdebegründung ergeben, (1.) dass der Beschwerdeführer einen Antrag auf Befragung des Sachverständigen gestellt und bis zum Schluss aufrechterhalten hat; (2.) welche eine Erläuterung durch den Sachverständigen bedürftigen Punkte der Beschwerdeführer gegenüber dem LSG benannt hat; (3.) aufgrund welcher Umstände die benannten Punkte sachdienlich waren, insbesondere ist bei einem Antrag auf wiederholte Befragung desselben Sachverständigen zu erläutern, weshalb die Punkte noch nicht durch bereits vorliegende Stellungnahmen des Sachverständigen geklärt waren; (4.) aufgrund welcher Umstände der Antrag als rechtzeitig zu werten ist; (5.) aufgrund welcher Umstände die angefochtene Entscheidung auf der unterlassenen Befragung des Sachverständigen beruhen kann (vgl BSG Beschluss vom 26.5.2015 - B 13 R 13/15 B - Juris RdNr 10 mwN).
Der Vortrag der Klägerin entspricht diesen Anforderungen nicht. Zwar trägt sie mit ihrer Beschwerde vor, dass der angekündigte Fragenkatalog, welcher sich auf verschiedene Erkrankungen der Klägerin und deren Auswirkungen beziehe, entscheidungserheblich sei. Dies betreffe die (rheumatoide) Arthritis, den Bereich der Laufstrecken, den Therapieverlauf auch hinsichtlich der Wirbelsäulenbetroffenheit und hinsichtlich der Aussagen zur Beeinflussung der Erkrankung durch Therapie, der Einschätzung zum psychiatrischen/neurologischen Krankheitsgeschehen insbesondere zur Einschätzung psychischer Komponenten hinsichtlich der Beeinflussbarkeit des Schmerzes. Auch zeige die Notwendigkeit einer PRT (Periradikuläre Therapie), dass entgegen den Ausführungen der Gutachterin Dr. L. offensichtlich eine massive Krankheitsaktivität bestanden habe bzw bestehe. Letztlich behauptet die Beschwerde jedoch lediglich das Vorliegen erheblicherer Einschränkungen zB durch die bestehende Morgensteifigkeit und die Behandlung mittels PRT, ohne schlüssig darzulegen, dass sich durch die geforderte weitere Anhörung der Sachverständigen andere Feststellungen des LSG zum Gesundheitszustand der Klägerin auf der Grundlage der bestehenden Rechtsvorschriften ergeben hätten. Insoweit wird die Entscheidungserheblichkeit des Vortrages unter Benennung der §§ 2 Abs 1 S 1, 69 Abs 1 S 4 bis 6 SGB IX iVm § 30 Abs 16 BVG und zur Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) lediglich behauptet. Demgegenüber wäre es erforderlich gewesen unter Zugrundelegung des Verschlimmerungsantrags die Vorschrift des § 48 Abs 1 SGB X sowie des § 69 Abs 1 SGB IX über die Feststellung des GdB inhaltlich darzustellen. Nach § 2 Abs 1 S 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Bei mehreren, sich gegenseitig beeinflussenden Funktionsbeeinträchtigungen ist deren Gesamtauswirkung maßgeblich. Hierzu fehlen entsprechende Darlegungen zu den von der Klägerin vorgebrachten gesundheitlichen Einschränkungen, auch wenn sie sich in ihrer Beschwerdebegründung diesbezüglich teilweise mit der Einstufung nach der VersMedV auseinandersetzt. Insoweit hätte es auch abschließend der Darstellung nach § 69 Abs 1 S 4 bis 6 SGB IX bedurft, inwieweit die Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigungen als GdB, nach Zehnergraden abgestuft, von 20 bis 100 konkret festzustellen sind und welcher Gesamt-GdB hieraus resultiert.
Dass die Klägerin im Kern ihres Vorbringens mit der vom LSG vorgenommenen Auswertung und Würdigung der vorliegenden Gutachten sowie der sonstigen aktenkundigen medizinischen Unterlagen nicht einverstanden ist und sie sich insoweit gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts in ihrem Einzelfall wendet, ist nach der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung in § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 iVm § 128 Abs 1 S 1 SGG für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unerheblich.
2. Dies gilt ebenso für die als Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz gerügte nicht erfolgte Anhörung der behandelnden Ärzte Dr. Sch. und Dr. M. als sachverständige Zeugen (§ 414 ZPO) durch das LSG. Denn auch für die Darlegung einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) gelten besondere Anforderungen. Insoweit muss die Beschwerdebegründung folgende Punkte enthalten: (1.) Bezeichnung eines bis zuletzt vor dem Berufungsgericht aufrechterhaltenen und für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2.) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, auf deren Grundlage bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3.) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4.) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5.) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN).
Die Beschwerdebegründung der Klägerin erfüllt auch diese Erfordernisse nicht. Denn wie oben bereits ausgeführt, ist ihren Ausführungen nicht zu entnehmen, welches über die bereits vorliegenden Befundberichte hinausgehende Ergebnis deren Befragung gehabt hätte und weshalb die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann. Denn für eine nicht ordnungsgemäße Durchführung weiterer Beweiserhebung ist darzulegen, welches Ergebnis die verlangte Beweiserhebung erbracht hätte (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 und BSG SozR 1500 § 160a Nr 24), und dass dieses Beweisergebnis - ausgehend vom Rechtsstandpunkt des LSG - eine Entscheidung zugunsten des Beschwerdeführers hätte möglich machen können (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 34). Denn nur diese Darlegungen lassen erkennen, weshalb das LSG sich zu dieser weiteren Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen und weshalb die Entscheidung des LSG auf diesem Verfahrensmangel beruhen soll (vgl Becker, Die Nichtzulassungsbeschwerde zum BSG ≪Teil II≫, SGb 2007, 328, 333). Die Klägerin behauptet jedoch lediglich, dass aufgrund der weiteren Befragung der sie behandelnden Ärzte ebenso wie durch die weitere Befragung der Sachverständigen Dr. L. nach Maßgabe des § 411 Abs 3 ZPO das LSG zu einem anderen für sie günstigeren Gutachtenergebnis gelangt wäre unter Zuerkennung eines GdB von 50 bis 70 sowie des Merkzeichens G. Dabei behauptet die Klägerin selbst nicht einmal, dass das LSG ausgehend von seiner Rechtsansicht eine andere, für die Klägerin günstigere Entscheidung getroffen hätte, zumal ihr ohnehin bereits ein GdB von 50 zuerkannt worden ist. Insoweit hätte es ua des weiteren Vortrags bedurft, welche entscheidungserheblichen funktionalen Einschränkungen und welche höheren GdB-Bewertungen des LSG die Angabe der sie behandelnden Ärzte zur Folge gehabt hätte und weshalb dann die konkreten Voraussetzungen für die Feststellung der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens G nach der Rechtsauffassung des LSG vorgelegen hätten. Mit den hierfür erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen setzt sich die Beschwerde - wie oben ausgeführt - nicht auseinander.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
4. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI10895445 |