Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 29.03.2017; Aktenzeichen L 3 SB 3446/16) |
SG Karlsruhe (Entscheidung vom 09.08.2016; Aktenzeichen S 9 SB 3645/14) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 29. März 2017 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin wendet sich gegen die Herabsetzung des bei ihr festgestellten Grades der Behinderung (GdB) von 50 auf 40 nach Ablauf der Heilungsbewährung bei Mamma-Karzinom der linken Brust. Das SG Karlsruhe hat ua nach Einholung eines fachorthopädischen Gutachtens von Dr. J. vom 22.4.2016 den GdB ab dem 9.6.2014 mit 40 festgestellt (Einzel-GdB von 30 wegen einer stärker behindernden psychischen Störung nach der Brustkrebserkrankung, Einzel-GdB von 20 für den Teilverlust der Brust, Einzel-GdB von 20 aufgrund der Wirbelsäulenbeschwerden). Soweit Dr. J. in seinem Gutachten ausgeführt habe, er neige zu einem Gesamt-GdB von 50, sei zu beachten, dass es allein die Aufgabe des Gerichts sei, die Gesamtbewertung vorzunehmen. Das LSG hat nach Durchführung einer nichtöffentlichen Sitzung vom 24.1.2017 durch den Berichterstatter einen weitergehenden Anspruch der Klägerin mit Beschluss vom 29.3.2017 verneint. Das SG habe zutreffend die rechtlichen Voraussetzungen für die Feststellung des GdB sowie für die Herabsetzung dargelegt und ausgeführt, dass der Gesamt-GdB mit 40 angemessen bewertet worden sei. Der Antrag der Klägerin auf Einholung einer ergänzenden Stellungnahme von dem Sachverständigen Dr. J. zur Beurteilung des für die Wirbelsäulenbeschwerden anzuerkennenden Einzel-GdB und des insgesamt zu bildenden Gesamt-GdB sei abzulehnen. Zu den Gesundheitsstörungen lägen keine relevanten abweichenden Beurteilungen vor, vielmehr folge der Senat der Beurteilung des Dr. J. insoweit in vollem Umfang. Im Hinblick auf die Bildung des Gesamt-GdB obliege die Bewertung dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG) und sei Sache des Gerichts.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss hat die Klägerin beim BSG Beschwerde eingelegt. Sie rügt das Vorliegen von Verfahrensmängeln (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Sie habe die Anhörung des Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens im Berufungsrechtszug insgesamt zehnmal ausdrücklich beantragt, ua in der Berufungsbegründung.
Den Antrag auf Anhörung des Sachverständigen habe sie auch nach Erhalt der Anhörungs- und Hinweismitteilung nach § 153 Abs 4 S 2 SGG aufrechterhalten.
Letztlich habe das Berufungsgericht von Rechtswegen den Beweisanträgen der Klägerin nachkommen müssen (§ 116 S 2, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO) als Ausfluss des Rechts einer Partei auf rechtliches Gehör. Insoweit habe das Berufungsgericht die Verpflichtung gehabt, im Rahmen seiner prozessualen Fürsorgepflichten bei der Klägerin auf sachgemäße Anträge hinzuwirken.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, da keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie hier - darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 36). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Diesen Anforderungen wird das Vorbringen der Klägerin nicht gerecht. Die Klägerin beanstandet, das LSG sei zu Unrecht ihrem wiederholt gestellten und aufrechterhaltenen Antrag auf Befragung des orthopädischen Sachverständigen nicht gefolgt, um von ihr für klärungsbedürftig gehaltene Punkte des Gutachtens zu erläutern.
1. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BSG, dass - unabhängig von der nach § 411 Abs 3 ZPO in pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts liegenden Möglichkeit, zur weiteren Sachaufklärung von Amts wegen das Erscheinen des Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung anzuordnen - jedem Beteiligten gemäß § 116 S 2 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO das Recht zusteht, einem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung der Sache für dienlich erachtet (BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7, Nr 2 RdNr 5; BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 355/11 B - Juris RdNr 13, jeweils mwN; s auch BVerfG Beschluss vom 3.2.1998 - 1 BvR 909/94 - NJW 1998, 2273 - Juris RdNr 11 f). Sachdienliche Fragen iS von § 116 S 2 SGG liegen dann vor, wenn sie sich im Rahmen des Beweisthemas halten und nicht abwegig oder bereits eindeutig beantwortet sind (BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 10). Hierbei müssen keine Fragen formuliert werden; es reicht vielmehr aus, die erläuterungsbedürftigen Punkte hinreichend konkret zu bezeichnen (vgl BSG Beschluss, aaO, RdNr 15; BSG SozR 3-1750 § 411 Nr 1). Hingegen fehlt es an der Sachdienlichkeit, wenn der Antrag auf Anhörung des Sachverständigen rechtsmissbräuchlich gestellt ist, insbesondere wenn die Notwendigkeit einer Erörterung überhaupt nicht begründet wird oder nur beweisunerhebliche Fragen angekündigt werden (vgl BVerfG ≪Kammer≫ vom 29.8.1995 - 2 BvR 175/95 - NJW-RR 1996, 183 = Juris RdNr 29, mwN zur Rechtsprechung des BGH). Da das Fragerecht an den Sachverständigen der Verwirklichung des rechtlichen Gehörs dient, ist weiterhin erforderlich, dass der Beteiligte alles getan hat, um die Anhörung des Sachverständigen zu erreichen. Dieser Obliegenheit ist er jedenfalls dann nachgekommen, wenn er einen darauf gerichteten Antrag rechtzeitig gestellt, dabei schriftlich objektiv sachdienliche Fragen angekündigt und das Begehren bis zuletzt aufrechterhalten hat (BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7).
Der Vortrag der Klägerin entspricht diesen Anforderungen nicht. Vor dem Hintergrund der Frage, ob die von der Klägerin gewählten Formulierungen bei ihren Anträgen auf Anhörung des Sachverständigen Dr. J. objektiv sachdienlich gewesen sind oder nicht, werden von ihr im Rahmen der Beschwerde keine weiteren gesundheitlichen Einschränkungen dargelegt oder behauptet, die die bei ihr bestehenden Gesundheitsstörungen und die daraus resultierenden funktionellen Einschränkungen betreffen. Auch legt die Klägerin im Rahmen ihrer Beschwerde nicht dar, dass sich durch die geforderte weitere Anhörung des Sachverständigen andere Feststellungen des LSG zum Gesundheitszustand der Klägerin auf der Grundlage der bestehenden Rechtsvorschriften ergeben hätten. Insoweit wird die Entscheidungserheblichkeit des Vortrages unter Benennung der §§ 2 Abs 1 S 1, 69 Abs 1 S 4 bis 6 SGB IX iVm § 30 Abs 16 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) nicht einmal behauptet. Auch wäre es erforderlich gewesen unter Zugrundelegung des Verschlimmerungsantrags die Vorschrift des § 48 Abs 1 SGB X sowie des § 69 Abs 1 SGB IX über die Feststellung des GdB inhaltlich darzustellen. Nach § 2 Abs 1 S 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Bei mehreren, sich gegenseitig beeinflussenden Funktionsbeeinträchtigungen ist deren Gesamtauswirkung maßgeblich. Hierzu fehlen entsprechende Darlegungen zu den von der Klägerin vorgebrachten gesundheitlichen Einschränkungen. Hierzu setzt sie sich im Rahmen ihrer Beschwerdebegründung auch nicht mit den jeweiligen Einstufungen nach der VersMedV auseinander. Insoweit hätte es auch abschließend der Darstellung nach § 69 Abs 1 S 4 bis 6 SGB IX bedurft, inwieweit die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen als GdB, nach Zehnergraden abgestuft, von 20 bis 100 konkret festzustellen sind und welcher Gesamt-GdB hieraus resultiert. Dass die Klägerin im Kern ihres Vorbringens mit der vom LSG vorgenommenen Auswertung und Würdigung der vorliegenden Gesundheitsstörungen nach dem Gutachten des Dr. J. nicht einverstanden ist und sie sich insoweit gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts in ihrem Einzelfall wendet, ist nach der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung in § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 iVm § 128 Abs 1 S 1 SGG für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unerheblich.
2. Dies gilt ebenso für die sinngemäß als Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz gerügte unterbliebene Anhörung des Gutachters Dr. J.. Denn auch für die Darlegung einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) gelten besondere Anforderungen, ua durch Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten (vgl hierzu insgesamt BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN). Wie oben bereits ausgeführt, ist den Ausführungen der Klägerin nicht zu entnehmen, welches über die bereits vorliegenden Befundberichte und das Gutachten des Dr. J. hinausgehende Ergebnis die Befragung des orthopädischen Sachverständigen gehabt hätte und weshalb die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen weiteren Beweisaufnahme beruhen kann. Für eine nicht ordnungsgemäße Durchführung weiterer Beweiserhebungen ist darzulegen, welches Ergebnis die verlangte Beweiserhebung erbracht hätte (vgl BSG 4-1500 § 160a Nr 3 und BSG SozR 1500 § 160a Nr 24), und dass dieses Beweisergebnis - ausgehend vom Rechtsstandpunkt des LSG - eine Entscheidung zugunsten des Beschwerdeführers hätte möglich machen können (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 34). Die Klägerin behauptet jedoch nicht einmal, dass aufgrund der weiteren Befragung des orthopädischen Sachverständigen Dr. J. das LSG zu einem anderen für sie günstigeren Ergebnis gelangt wäre unter Zuerkennung eines GdB von mindestens 50. Insoweit hätte es ua des weiteren Vortrags bedurft, welche entscheidungserheblichen funktionalen Einschränkungen und welche höheren GdB-Bewertungen des LSG die Durchführung einer weiteren Befragung des Sachverständigen zur Folge gehabt hätte und weshalb dann die konkreten Voraussetzungen für die Feststellung eines GdB von 50 auch nach der Rechtsauffassung des LSG vorgelegen hätten.
3. Mit ihrer Rüge, das LSG habe seiner Hinweisverpflichtung nach § 106 SGG nicht entsprochen, indem es im Rahmen seiner prozessualen Fürsorgepflicht bei der Klägerin nicht auf sachgemäße Anträge hingewirkt habe, rügt die Klägerin sinngemäß eine Verletzung der Hinweispflichten nach § 112 Abs 2 S 2 SGG und damit die von ihr direkt behauptete Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG; Art 103 Abs 1 GG). Insoweit reichen jedoch die Darlegungen der Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung nicht aus. Hieran ändern auch die Fragen, die die Klägerin für den Fall eines von ihr als notwendig erachteten Hinweises formuliert hätte, nichts. Denn insoweit erschließt sich aus der Beschwerdebegründung nicht, wieso sie durch den orthopädischen Sachverständigen nicht bereits beantwortet waren bzw im Rahmen seiner Kompetenzen überhaupt hätten beantwortet werden können.
4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
5. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI11351280 |