Verfahrensgang
SG Kiel (Entscheidung vom 11.12.2017; Aktenzeichen S 5 U 32/14) |
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 28.06.2021; Aktenzeichen L 8 U 5/18) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 28. Juni 2021 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten in dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit über einen Anspruch des Klägers auf Weitergewährung einer Verletztenrente.
Die hierauf gerichtete Klage hat das SG abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 11.12.2017). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 28.6.2021).
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG rügt der Kläger eine Abweichung von der Rechtsprechung des BSG und im Übrigen das Vorliegen von Verfahrensmängeln.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) und des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht formgerecht bezeichnet worden sind (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
1. Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das angefochtene Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Um eine Abweichung aufzuzeigen, muss dargelegt werden, dass das LSG im angefochtenen Urteil nicht lediglich die Tragweite der höchstrichterlichen Rechtsprechung verkannt, sondern dieser Rechtsprechung bewusst einen eigenen Rechtssatz entgegengesetzt hat. Eine Abweichung ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage zum Bundesrecht die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Schließlich bedarf es der Darlegung, weshalb die aufgezeigten Rechtssätze nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht. Hierfür muss auch aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die höchstrichterliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird. Indes genügt es nicht darauf hinzuweisen, dass das LSG in seiner Entscheidung nicht die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hat (vgl BSG Beschluss vom 28.6.2022 - B 2 U 181/21 B; BSG Beschluss vom 4.5.2022 - B 9 V 30/21 B - juris RdNr 14; BSG Beschluss vom 31.3.2022 - B 5 R 320/21 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6; jeweils mwN). Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
a) Der Kläger rügt zunächst eine Abweichung des LSG von dem Urteil des BSG vom 2.5.2001 (B 2 U 24/00 R). Das LSG habe als Rechtssatz aufgestellt, dass ab einer Bewegungseinschränkung von 0/0/120 Grad eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 10 vH angegeben werde. Ab einer Bewegungseinschränkung von 0/0/90 Grad liege eine MdE von 15 vH vor. Erst ab einer Beeinträchtigung von 0/0/80 Grad oder von 0/10/90 Grad werde eine MdE von 20 vH angegeben. Diese Rechtsauffassung sei mit den das Urteil des BSG vom 2.5.2001 (B 2 U 24/00 R) tragenden Rechtsgrundsätzen über die Empfehlungen zur MdE-Bemessung als allgemeine Erfahrungssätze unvereinbar. Dem Gesamtzusammenhang kann auch noch entnommen werden, dass der Kläger sich auf eine Bewegungseinschränkung am linken Knie bezieht.
Mit diesem Vortrag bezeichnet die Beschwerdebegründung bereits keinen abstrakten Rechtssatz aus der Entscheidung des LSG, mit dem dieses ausdrücklich von der Rechtsprechung des BSG abgewichen sein und diese dadurch infrage gestellt haben soll. Der Kläger behauptet zwar, das LSG sehe die Empfehlungen der Gutachtensliteratur zur Bewertung der MdE als starre Rechtsgrundsätze an. Die Wiedergabe der entsprechenden Passage aus dem Urteil des LSG in der Beschwerdebegründung zeigt aber gerade auf, dass das LSG sich auf die als solche auch verstandenen Erfahrungssätze der einschlägigen Fachliteratur stützt, wonach die Funktionswerte im Fall des Klägers keine MdE von 20 vH erreichen. In diesen Ausführungen liegt kein abstrakter Rechtssatz Bundesrecht betreffend, sondern eine Rechtsanwendung von § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII im Einzelfall. Selbst wenn das Berufungsgericht dabei höchstrichterliche Rechtssätze missverstanden oder gänzlich übersehen und deshalb das Recht unzutreffend angewendet haben sollte, kann daraus nicht geschlossen werden, es habe einen divergierenden Rechtssatz aufgestellt. Die Bezeichnung einer Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG setzt vielmehr die Darlegung voraus, dass das LSG die höchstrichterliche Rechtsprechung im angefochtenen Urteil infrage stellt. Nur die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen kann die Zulassung der Revision wegen Divergenz ermöglichen (zB BSG Beschluss vom 4.5.2022 - B 9 V 30/21 B - juris RdNr 14 mwN; BSG Beschluss vom 31.3.2022 - B 5 R 320/21 B - juris RdNr 9 mwN; BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 = juris RdNr 13 mwN).
Der Kläger stellt den Ausführungen des LSG auch keinen abstrakten Rechtssatz aus der herangezogenen Entscheidung des BSG (vom 2.5.2001 - B 2 U 24/00 R) gegenüber. Die Begründung versäumt es zum einen, den Kernlebenssachverhalt jedenfalls der herangezogenen Entscheidung des BSG darzustellen. Denn eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung kann nur bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt vorliegen, auf den dieselben Rechtsnormen anzuwenden sind (zB BSG Beschluss vom 28.6.2022 - B 2 U 181/21 B; BSG Beschluss vom 25.10.2019 - B 9 SB 40/19 B - juris RdNr 7 f mwN; BSG Beschluss vom 9.8.2018 - B 5 RE 3/18 B - juris RdNr 14). Es genügt zum anderen nicht, wie vorliegend, isoliert einzelne Passagen aus bundesgerichtlichen Entscheidungen zu zitieren und losgelöst von ihrem Bezugsrahmen zu behaupten, es handele sich dabei um einen tragenden höchstrichterlichen Rechtssatz (zB BSG Beschluss vom 28.6.2022 - B 2 U 181/21 B; BSG Beschluss vom 5.6.2020 - B 9 V 4/20 B - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 7.2.2007 - B 6 KA 56/06 B - juris RdNr 10 mwN; BSG Beschluss vom 9.1.1976 - 11 BA 90/75 - SozR 1500 § 160a Nr 21 S 28 = juris RdNr 2).
Schließlich zeigt die Beschwerdebegründung auch nicht auf, dass die Entscheidung der Vorinstanz auf der behaupteten Abweichung beruht. Soweit die vom LSG festgestellten Tatsachen für eine abschließende Entscheidung als nicht ausreichend angesehen werden, hätte es einer zulässigen und begründeten Sachaufklärungsrüge bedurft (§ 103 SGG), die der Kläger indes nicht erhoben hat (dazu unter 2.).
b) Auch soweit der Kläger eine Divergenz zum Urteil des BSG vom 5.9.2006 (B 2 U 25/05 R) rügt, zeigt er eine solche nicht hinreichend auf. Er trägt vor, das LSG habe die Vorschäden außer Acht gelassen, nämlich eine Innenmeniskushinterhorndegeneration links und einen Bandscheibenvorfall. Dies weiche von dem bezeichneten Urteil des BSG ab, wonach Vorschäden bei der Bewertung der MdE zu berücksichtigen seien. Aus der Sicht des Klägers hat das LSG - wie bereits unter a) ausgeführt - lediglich die Tragweite höchstrichterlicher Rechtsprechung verkannt, nicht hingegen einen divergierenden Rechtssatz aufgestellt (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG).
2. Soweit der Kläger wiederholt auch ausdrücklich eine Verfahrensrüge in Gestalt einer unterbliebenen Sachaufklärung (§ 103 SGG) bzw fehlerhaften Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) geltend macht, ist diese nicht zulässig. Denn auf eine Verletzung von § 109 und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG kann die Nichtzulassungsbeschwerde nicht und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG). Beweisanträge des Klägers lässt die Beschwerdebegründung nicht erkennen.
Schließlich zeigt diese auch nicht sinngemäß auf, dass das LSG gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (vgl Art 103 Abs 1 GG; § 62 SGG) verstoßen hat. Dem Gebot ist Genüge getan, wenn die Beteiligten die maßgeblichen Tatsachen erfahren und ausreichend Gelegenheit haben, sachgemäße Erklärungen innerhalb einer angemessenen Frist vorzubringen. Die Gerichte werden durch Art 103 Abs 1 GG indes nicht dazu verpflichtet, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 9.2.2022 - 2 BvR 613/21 - juris RdNr 4 mwN; BSG Beschluss vom 17.5.2022 - B 2 U 91/21 B - juris RdNr 13 mwN; BSG Beschluss vom 19.4.2022 - B 2 U 70/21 B - juris RdNr 14 mwN). Hierzu verhält sich die Beschwerdebegründung nicht.
3. Dass der Kläger die Entscheidung der Vorinstanz für falsch hält, insbesondere weil das LSG gegen die vom BSG aufgestellten Rechtssätze verstoßen habe, geht über eine im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtliche Rüge eines bloßen Rechtsanwendungsfehlers nicht hinaus (vgl BSG Beschluss vom 23.2.2022 - B 2 U 197/21 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 25.5.2020 - B 9 V 3/20 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BSG Beschluss vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10 = juris RdNr 2).
4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
5. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15390319 |