Verfahrensgang

SG Ulm (Entscheidung vom 11.10.2021; Aktenzeichen S 10 KR 1585/20)

LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 30.08.2022; Aktenzeichen L 5 KR 193/22)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. August 2022 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2671,07 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I

Das klagende Krankenhaus behandelte eine Versicherte der beklagten Krankenkasse (KK) im Jahr 2019 vollstationär und berechnete hierfür 6284,83 Euro nach der DRG G21B. Die KK zahlte den Betrag zunächst und machte nach Einholung einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung einen Erstattungsanspruch iHv 2671,07 Euro geltend. Abzurechnen gewesen sei nach der DRG G24C. Der OPS 5-469.20 sei zu streichen; es sei keine Adhäsiolyse im Operationsbericht beschrieben. Im März 2020 verrechnete die KK den streitigen Betrag mit einer anderen unstreitigen und im Jahr 2020 entstandenen Forderung des Krankenhauses. Während des Klageverfahrens bezahlte die KK den streitigen Betrag. Sie erklärte den Rechtsstreit für erledigt und die Bereitschaft zur Tragung der notwendigen Kosten, gab ein Anerkenntnis aber ausdrücklich nicht ab. Das Krankenhaus stellte die Klage um und beantragte die Feststellung der Zulässigkeit und Begründetheit der ursprünglichen Klage. Das SG hat die Klage abgewiesen, das LSG die Berufung zurückgewiesen. Die Feststellungsklage sei unzulässig. Es fehle an einem berechtigten Interesse des Krankenhauses an der Feststellung der Zulässigkeit und Begründetheit der ursprünglichen Klage. Streitig gewesen sei keine Rechtsfrage, sondern eine medizinische Tatsachenfrage im Zusammenhang mit dem OPS 5-469.20. Die Klage sei auch nicht deshalb zulässig, weil sich die Frage, ob der Aufrechnung das Aufrechnungsverbot des § 109 Abs 6 SGB V entgegenstehe, im Zuge der ständigen professionellen Zusammenarbeit der Beteiligten jederzeit neu stellen könne. Diese Frage habe sich im ursprünglich vom Krankenhaus geführten Prozess nicht gestellt. Streitig sei vielmehr allein die Kodierung des OPS 5-469.20 gewesen. Durch die Klaglosstellung sei das Krankenhaus hinsichtlich der Aufrechnung damit nicht um die Früchte des bisherigen Prozesses gebracht worden. Ebenso verhalte es sich mit dem Vorbringen des Krankenhauses, dass die KK der Geltendmachung der Aufwandspauschale entgegentrete. Eine Aufwandspauschale habe das Krankenhaus noch gar nicht in Rechnung gestellt und es lägen keinerlei Anhaltspunkte vor, dass die KK dieser künftig entgegentreten werde (Beschluss vom 30.8.2022).

Das Krankenhaus wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG.

II

Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (dazu 1.) und der Divergenz (dazu 2.).

1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG ≪Kammer≫ vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 ff mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.

a) Das Krankenhaus formuliert folgende Rechtsfragen:

"1.1. Ist eine Aufrechnung durch die Krankenkasse entgegen § 109 Abs. 6 Satz 1 SGB V nach § 109 Abs. 6 Satz 3 SGG i.V.m. § 17c Abs. 2 Satz 1 KHG i.V.m. § 10 PrüfvV 2016 möglich, obwohl es sich um eine Hauptforderung des Krankenhauses für die Versorgung von ab dem 01.01.2020 aufgenommen Patient*innen handelt?"

"1.2. Kann die Übergangsvereinbarung zur Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Absatz 1c SGB V (Prüfverfahrensvereinbarung - PrüfvV) gemäß § 17c Absatz 2 KHG vom 03.02.2016 vom 10.12.2019 (Übergangsvereinbarung zur Prüfverfahrensvereinbarung) unter Verweis auf die Prüfverfahrensvereinbarung regeln, dass eine Aufrechnung mit unstrittigen Forderungen zulässig ist, obschon § 2 Abs. 1 Satz 1 PrüfvV regelt, dass nur solche Fälle unter die Prüfverfahrensvereinbarung fallen, die strittig in dem Sinne sind, dass der Kostenträger den Medizinischen Dienst mit einer Prüfung des Falles unter Anforderung von Unterlagen beim Krankenhaus beauftragt?"

"1.3. Darf § 109 Abs. 6 Satz 3 SGB V so weitgehend angewendet werden, dass § 109 Abs. 6 Satz 1 SGB V vollständig oder weitgehend leerläuft, in dem eine Aufrechnung grenzenlos zugelassen wird?"

"1.4. Stellen Fragen zur Auslegung von OPS-Kodes sowie Fragen zur Definition der Voraussetzungen aus OPS-Kodes Rechtsfragen dar?"

"1.5. Hängt die Zulässigkeit der Klage von deren Begründetheit ab und von der Frage, ob das Gericht die damit verbundenen Fragen beantworten möchte oder nicht?"

b) Hinsichtlich der ersten drei Rechtsfragen, die sich auf die Zulässigkeit der Aufrechnung beziehen, legt die Klägerin die Klärungsfähigkeit nicht dar.

aa) Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur dann, wenn das BSG im angestrebten Revisionsverfahren überhaupt hierüber entscheiden müsste, die Frage also entscheidungserheblich ist (vgl BSG vom 13.1.2017 - B 12 R 23/16 B - juris RdNr 20; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG ≪Kammer≫ vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14 = juris RdNr 8). Entscheidungserheblichkeit bedeutet, dass es für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits auf die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ankommt und die Entscheidung bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers in seinem Sinn hätte ausfallen müssen (vgl BSG vom 8.2.2017 - B 5 RS 58/16 B - juris RdNr 9 mwN). Daran richtet das Krankenhaus sein Vorbringen nicht aus.

bb) Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Feststellung, dass die ursprünglich erhobene Leistungsklage zulässig und begründet war. Gegenstand der Leistungsklage war ein in der Sache unstreitiger Vergütungsanspruch, gegen den die KK mit einem von ihr zunächst geltend gemachten Erstattungsanspruch aus der Behandlung der Versicherten aufgerechnet hat. Im Ergebnis des erstinstanzlich geführten Schriftwechsels war nach den vom LSG getroffenen und vom Krankenhaus nicht angegriffenen Feststellungen zwischen den Beteiligten unstreitig, dass das Krankenhaus den streitigen Behandlungsfall zutreffend unter Berücksichtigung des OPS 5-469.20 abgerechnet hat. Die KK hat erklärt, sie bestreite oder leugne den Anspruch nicht. Die Aufrechnung konnte damit schon wegen Nichtbestehens der aufgerechneten Gegenforderung nicht zum Erlöschen der eingeklagten Hauptforderung führen. Inwiefern es insoweit für die Feststellung der Zulässigkeit und Begründetheit der ursprünglichen Klage entscheidungserheblich darauf ankommen sollte, ob der Aufrechnung (auch) ein Aufrechnungsverbot entgegenstand, legt das Krankenhaus nicht schlüssig dar.

b) Hinsichtlich der Frage 1.4., inwiefern Fragen zur Auslegung von OPS-Kodes sowie zur Definition der Voraussetzungen aus OPS-Kodes Rechtsfragen darstellen, fehlt es jedenfalls an ausreichenden Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit.

aa) Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie bereits höchstrichterlich entschieden ist. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG vom 22.2.2017 - B 1 KR 73/16 B - juris RdNr 8 mwN; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit eines entsprechenden Maßstabs BVerfG ≪Kammer≫ vom 12.9.1991 - 1 BvR 765/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f = juris RdNr 4). Diesen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung nicht.

bb) Der erkennende Senat hat bereits entschieden, dass die Auslegung etwa der Regelungen des ICD-10-GM und des OPS Rechtsauslegung und als solche dem Sachverständigenbeweis (etwa durch einen Medizincontroller) grundsätzlich nicht zugänglich ist. Nur soweit es um das Verständnis spezifisch medizinischer Begriffe geht, die die OPS-Klassifikation in den Vergütungsvorschriften nutzt, kommt Beweiserhebung durch Sachverständige in Betracht, um ihren Sinngehalt im medizinisch-wissenschaftlichen Sprachgebrauch zu ermitteln (vgl BSG vom 26.9.2017 - B 1 KR 9/17 R - SozR 4-5562 § 9 Nr 7 RdNr 16 mwN; vgl allgemein zu den Grundsätzen für die Auslegung von Abrechnungsbestimmungen BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 27; BSG vom 16.7.2020 - B 1 KR 16/19 R - SozR 4-5562 § 9 Nr 16 RdNr 17; BSG vom 22.6.2022 - B 1 KR 31/21 R - BSGE 134, 193 = SozR 4-5560 § 19 Nr 1, RdNr 12; jeweils mwN).

Inwiefern unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung hinsichtlich der aufgeworfenen Rechtsfrage noch ein höchstrichterlicher Klärungsbedarf bestehen sollte, legt das Krankenhaus nicht dar.

c) Die Frage 1.5., ob die Zulässigkeit der Klage von deren Begründetheit abhängt und von der Frage, ob das Gericht die damit verbundenen Fragen beantworten möchte oder nicht, erfüllt bereits nicht die Anforderungen an eine klar formulierte Rechtsfrage. Denn die Konkretisierung setzt regelmäßig voraus, dass die Rechtsfrage mit "Ja" oder "Nein" beantwortet werden kann; das schließt nicht aus, dass eine Frage gestellt wird, die je nach den formulierten Voraussetzungen mehrere Antworten zulässt. Unzulässig ist jedoch eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalles abhängt und damit auf die Antwort "kann sein" hinausläuft (stRspr; vgl zB BSG vom 11.11.2019 - B 1 KR 87/18 B - juris RdNr 6 mwN; BSG vom 27.1.2020 - B 8 SO 67/19 B - juris RdNr 10). Die Frage des Krankenhauses ist so allgemein gehalten, dass ihre Beantwortung eine kommentar- oder lehrbuchartige Aufbereitung durch den Senat verlangen würde. Sie könnte offensichtlich nicht losgelöst von näher zu differenzierenden Sachverhaltskonstellationen beantwortet werden. Eine in dieser Weise unkonkrete Frage kann jedoch gerade nicht Gegenstand eines Revisionsverfahrens sein (vgl hierzu auch BSG vom 1.3.2018 - B 8 SO 104/17 B - juris RdNr 8).

Im Übrigen führt das Krankenhaus in der Beschwerdebegründung selbst aus, dass sich die Zulässigkeit einer Klage denklogisch nicht nach der Begründetheit richten könne. Insofern geht das Krankenhaus selbst davon aus, dass die Frage zweifelsfrei in ihrem Sinne zu beantworten sei, sodass es auch an einer schlüssigen Darlegung der Klärungsbedürftigkeit fehlt (vgl dazu, dass eine höchstrichterlich entschiedene Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig ist, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, zB BSG vom 16.4.2012 - B 1 KR 25/11 B - juris RdNr 7 mwN). Letztlich rügt das Krankenhaus hier nur die inhaltliche Unrichtigkeit des LSG-Beschlusses. Die Behauptung, die Berufungsentscheidung sei inhaltlich unrichtig, kann aber nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl BSG vom 17.7.2020 - B 1 KR 34/19 B - juris RdNr 6 mwN).

2. Wer sich auf den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) beruft, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in einem Urteil des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und Ausführungen dazu machen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen und die Berufungsentscheidung auf dieser Divergenz beruht (vgl zB BSG vom 19.9.2007 - B 1 KR 52/07 B - juris RdNr 6; BSG vom 9.5.2018 - B 1 KR 55/17 B - juris RdNr 8; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Darlegungsanforderungen vgl BVerfG ≪Dreierausschuss≫ vom 8.9.1982 - 2 BvR 676/81 - juris RdNr 8). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat; dies hat der Beschwerdeführer schlüssig darzulegen (vgl zB BSG vom 19.11.2019 - B 1 KR 72/18 B - juris RdNr 8). Daran fehlt es.

Das Krankenhaus arbeitet keinen tragenden abstrakten Rechtssatz des LSG heraus, der von den aufgeführten Rechtssätzen des BSG in der Entscheidung vom 9.4.2019 - B 1 KR 3/18 R - abweicht. Sie rügt vielmehr auch hier im Ergebnis nur, dass die angefochtene Entscheidung mit der Entscheidung des BSG "unvereinbar" und deshalb inhaltlich unrichtig sei.

3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO, diejenige über den Streitwert auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG.

Scholz

Geiger

Schlegel

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16208699

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge