Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 31. Mai 2016 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Mit Urteil vom 31.5.2016 hat das LSG Hamburg das Urteil des SG Hamburg vom 30.7.2014 aufgehoben, weil nicht festgestellt werden könne, dass der Kläger Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) geworden sei. Zwar gehe der Senat mit dem SG davon aus, dass der Kläger Opfer eines tätlichen vorsätzlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden sei. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch scheitere jedoch daran, dass der Senat sich nicht davon habe überzeugen können, dass der tätliche Angriff auch rechtswidrig gewesen sei. Es lägen überdies - einen solchen Angriff unterstellt - Versagensgründe iS des § 2 Abs 1 S 1 2. Alt OEG vor. Zwar habe es sich bei den Tritten in Richtung auf den Oberkörper des Klägers ebenso wie bei dem Faustschlag in dessen Gesicht am 29.5.2010 um vorsätzliche tätliche Angriffe iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG gehandelt. An der Rechtswidrigkeit dieser Angriffe habe der Senat allerdings Zweifel und gehe aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung davon aus, dass nicht mit Gewissheit ausgeschlossen werden könne, dass zunächst von dem Kläger ein Angriff ausgegangen sei. Entsprechend lasse sich zur Überzeugung des Senats auch nicht ausschließen, dass sowohl die Tritte in Richtung auf den Oberkörper des Klägers als auch der Fausthieb in dessen Gesicht vom Notwehrrecht des § 32 Strafgesetzbuch gedeckt gewesen seien. Nach den Videoaufzeichnungen habe ein unbeteiligter Dritter durchaus davon ausgehen können, dass der Kläger sein Gegenüber körperlich angreifen würde und dass diese Gefahr konkret und unmittelbar bevorgestanden habe. Die Beweiserleichterung des § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) komme vorliegend nicht zum Zuge, weil Beweismittel zur Verfügung ständen und berücksichtigt worden seien.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt und diese mit dem Bestehen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) sowie einer Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) begründet.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ist ordnungsgemäß dargetan worden (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1.) eine bestimmte Rechtsfrage, (2.) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3.) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4.) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 13, 31, 59, 65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.
Der Kläger hält folgende Fragen für Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung:
a) Kann einem (möglicherweise sogar allein) Angreifenden mangels Angriffshandlung des später Geschädigten das Notwehrrecht zur Seite stehen, wenn er durch eigene vorhergehende Provokationen die spätere Gefahrensituation hervorgerufen hat?
b) Muss ein Kläger im unverschuldeten Beweisnotstand bei unstreitig festgestelltem objektiven und subjektiven Tatbestand der Körperverletzung auch noch die Rechtswidrigkeit der Tathandlung im Vollbeweis erbringen oder kommen ihm hierbei nicht Beweiserleichterungen für den Fall von Nichtaufklärbarkeit und unverschuldetem Beweisnotstand zugute, wie in § 6 Abs 3 OEG normiert?
c) Hat ein Kläger trotz vorhergehender Provokationen und nicht festgestellter, sondern lediglich vor dem Hintergrund des Zweifelssatzes zugunsten des Angreifers vermuteter Rechtmäßigkeit einer Angriffshandlung den Vollbeweis der Rechtswidrigkeit der Angriffshandlung zu erbringen oder kommen ihm nicht bei diesem Sachverhalt Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr bei festgestelltem Beweisnotstand zugute?
Ob der Kläger damit Rechtsfragen hinreichend bezeichnet hat, die auf die Auslegung eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals abzielen (vgl hierzu Becker, SGb 2007, 261, 265 zu Fußnote 42 mwN), kann hier dahinstehen. Denn der Kläger hat jedenfalls die Entscheidungserheblichkeit seiner vermeintlichen Rechtsfragen nicht dargelegt, nachdem das LSG unabhängig von der Frage der Rechtswidrigkeit des Angriffs iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG seine Entscheidung auch auf Unbilligkeit nach § 2 Abs 1 S 1 2. Alt OEG gestützt hat. Werden von einem Gericht mehrere selbstständige Begründungen gegeben, die für sich allein den Urteilsausspruch tragen, so muss in der Beschwerde für jede der Begründungen ein Revisionszulassungsgrund geltend gemacht werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 5, 38; BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - Juris RdNr 14 mwN). Daran fehlt es hier.
Unabhängig davon hat der Kläger auch die höchstrichterliche Klärungsbedürftigkeit der von ihm aufgestellten vermeintlichen Rechtsfragen nicht dargetan. Es fehlt insbesondere die erforderliche Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BSG, um zu begründen, dass sich daraus nicht bereits hinreichende Anhaltspunkte für die Beantwortung der Fragen ergeben (vgl dazu BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2). Schließlich kritisiert der Kläger, das LSG habe die Beweiserleichterungen des § 15 KOVVfG verkannt und kritisiert eine fehlerhafte Auslegung der Vorschriften der §§ 1 Abs 1 S 1 und 2 Abs 1 OEG. Damit greift der Kläger allerdings die Beweiswürdigung des LSG an (vgl § 128 Abs 1 S 1 SGG), womit er nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG von vornherein keine Revisionszulassung erreichen kann. Entsprechendes gilt, soweit der Kläger eine unzutreffende Rechtsanwendung des LSG rügen wollte (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).
2. Der Kläger legt auch die für eine Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) notwendigen Voraussetzungen nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dar. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB BSG Beschluss vom 28.7.2009 - B 1 KR 31/09 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 28.6.2010 - B 1 KR 26/10 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 4 mwN). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufstellt und nicht etwa lediglich das Recht fehlerhaft angewendet hat (vgl zB BSG Beschluss vom 15.1.2007 - B 1 KR 149/06 B - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN).
Zwar führt der Kläger die Entscheidung des BSG vom 25.3.1999 (B 9 VG 1/98 R) an, in welcher das BSG ausgeführt habe, dass das Notwehrrecht wegen des Tatbestandsmerkmals des Gebotenseins aus sozialethischen Gründen einer Begrenzung in den Fällen bedürfe, die eben keine Rechtfertigung verdienten. Ferner verweist die Beschwerde auf die Entscheidung des BGH vom 15.5.1975 (4 StR 71/75, BGHSt 26, 143), in der eine Notwehrlage wegen vorangegangener Provokation abgelehnt werde. Insoweit fehlt es aber bereits an der Darlegung eines tragenden abstrakten Rechtssatzes des LSG, mit dem dieses der Rechtsprechung des BSG und des BGH widersprochen haben soll. Damit ist dem Vorbringen des Klägers eine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG nicht zu entnehmen. Missversteht oder übersieht ein Berufungsgericht einen höchstrichterlichen Rechtssatz und wendet deshalb das Recht fehlerhaft an, kann daraus nicht geschlossen werden, es habe einen divergierenden Rechtssatz aufgestellt. Die Bezeichnung einer Abweichung setzt vielmehr die Darlegung voraus, dass das LSG die höchstrichterliche Rechtsprechung im angefochtenen Urteil in Frage stellt. Daran fehlt es hier. Zudem hat der Kläger auch keinen abstrakten Rechtssatz aus den zitierten BGH- und BSG-Entscheidungen entnommen, denen das LSG widersprochen haben könnte, ganz abgesehen davon, dass eine Abweichung von BGH-Rechtsprechung per se keinen Zulassungsgrund darstellen könnte (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG).
3. Von einer weitergehenden Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
4. Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI10484697 |