Entscheidungsstichwort (Thema)
Gegenvorstellung. Anforderungen an die ausnahmsweise Zulässigkeit. Revisionsnichtzulassungsbeschwerde. Anforderungen an die Verständlichkeit einer aufgeworfenen Rechtsfrage. Verweisung in einen konkreten Umschulungsberuf
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Änderung eines an sich unanfechtbaren Beschlusses ist auf eine Gegenvorstellung hin möglich, und zwar insbesondere dann, wenn die getroffene Entscheidung in offensichtlichem Widerspruch zum Gesetz steht und insbesondere unter Verletzung von Grundrechten, namentlich unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, ergangen ist und sonst nur im Wege der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden könnte oder wenn die Entscheidung zu einem groben prozessualen oder sozialen Unrecht führen würde (st.Rspr.; vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr. 24). Auch wenn die angegriffene Entscheidung auf einem eindeutigen Tatsachenirrtum beruht, ist eine Änderung oder Aufhebung des Beschlusses möglich.
2. Ist eine Rechtsfrage unklar gestellt, so ist es nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, eine möglicherweise beabsichtigte konkrete Rechtsfrage selbst herauszufinden und zu formulieren.
3. Ob für einen Umschulungsberuf ausreichend Arbeitsplätze auf dem Arbeitsmarkt vorhanden sind, berührt die Rechtsfrage, inwieweit eine Verweisung in den Umschulungsberuf auch dann zumutbar ist, wenn die Vermittlungschance in diesem Beruf schlecht oder bei derzeitiger Arbeitsmarktlage nahezu aussichtslos ist.
Normenkette
SGG §§ 160a, 62; GG Art. 103 Abs. 1; SGB VI §§ 43, 240
Tenor
Die Gegenvorstellung des Klägers gegen den Beschluss des Senats vom 8. Mai 2003 – B 13 RJ 35/02 B – wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe
Mit Beschluss des Senats vom 8. Mai 2003 – B 13 RJ 35/03 B – wurde die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Berlin (LSG) vom 25. November 2002 als unzulässig verworfen und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren abgelehnt.
Mit Schreiben vom 15. Mai 2003 hat der Kläger gegen diesen Senatsbeschluss Gegenvorstellung „Gegendarstellung”) erhoben mit der Begründung, der Senat habe die Ausführungen in dem Beschwerdeschriftsatz vom 17. März 2003 nicht zur Kenntnis genommen. Dort sei eine noch zu klärende konkrete Rechtsfrage hinreichend klar bezeichnet worden. Ob eine Umschulung mit Erfolg stattgefunden habe, sei eine Rechts- und keine Tatfrage. Die vom erkennenden Senat im Beschluss vom 8. Mai 2003 vorgenommene Ausdeutung der von ihm – dem Kläger – aufgeworfenen Frage sei irreführend, weil sie nicht den Kern der Frage treffe. Es sei bereits streitig, ob eine abgeschlossene Umschulung vorliege, weil die in der Rehabilitationsakte befindliche Abschlussbeurteilung, die Umschulung sei dem Grunde nach als gescheitert zu bewerten, das Gegenteil bestätige.
Die vom Kläger erhobene Gegenvorstellung ist unzulässig.
Der Senatsbeschluss vom 8. Mai 2003 ist mit Rechtsmitteln nicht anfechtbar. In Abweichung von dem Grundsatz der Unabänderlichkeit unanfechtbarer Beschlüsse kann das Beschwerdegericht nur ausnahmsweise auf eine Gegenvorstellung nochmals sachlich über die Nichtzulassungsbeschwerde befinden. Die Änderung eines an sich unanfechtbaren Beschlusses ist auf eine Gegenvorstellung hin vor allem möglich, wenn die getroffene Entscheidung in offensichtlichem Widerspruch zum Gesetz steht und insbesondere unter Verletzung von Grundrechten, namentlich unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, ergangen ist und sonst nur im Wege der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden könnte oder wenn die Entscheidung zu einem groben prozessualen oder sozialen Unrecht führen würde (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 24 mwN; s auch Meyer-Ladewig, SGG-Komm, 7. Aufl, vor § 43 RdNr 16 f mwN). Auch wenn die angegriffene Entscheidung auf einem eindeutigen Tatsachenirrtum beruht, ist eine Änderung oder Aufhebung des Beschlusses möglich (Meyer-Ladewig, aaO). Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts obliegt es zunächst den Fachgerichten, die Grundrechte zu wahren und durchzusetzen sowie einen etwa eingetretenen Grundrechtsverstoß selbst zu beseitigen. Lässt die fachgerichtliche Rechtsprechung eine Gegenvorstellung zu, mit der die Verletzung groben prozessualen Unrechts geltend gemacht werden kann, so entspricht es einer am Rechtsstaatsgedanken orientierten Auslegung des Verfahrensrechts, diese auch sachlich zu bescheiden und im Falle begründeter Einwendungen den Verfahrensrügen selbst abzuhelfen (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 24 mwN).
Die vom Kläger vorgebrachten Gründe für die erhobene Gegenvorstellung zeigen keine derartige schwerwiegende Rechtsverletzung auf. Insbesondere ist eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫, Art 103 Abs 1 des Grundgesetzes) durch den erkennenden Senat nicht erkennbar. Soweit der Kläger der Auffassung ist, der Senat habe in der Beschwerdeentscheidung die mit der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfene Rechtsfrage irreführend ausgedeutet, ist in dem Beschluss vom 8. Mai 2003 schon darauf hingewiesen worden, dass bereits die hinreichend konkrete Formulierung einer Rechtsfrage zweifelhaft war. Denn ist eine Rechtsfrage unklar gestellt, so ist es nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, eine möglicherweise beabsichtigte konkrete Rechtsfrage selbst herauszufinden und zu formulieren. Dass der Senat die Ausführungen des Klägers überhaupt nicht zur Kenntnis genommen und den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs hierdurch verletzt habe, trägt der Kläger mit seiner Gegenvorstellung nicht vor. Weitere gravierende Rechtsverletzungen, insbesondere eine Verletzung von Grundrechten des Klägers, sind nach Würdigung des Vorbringens in der Gegenvorstellung nicht erkennbar.
Im Übrigen könnte auch eine Überprüfung der Beschwerdenentscheidung in der Sache aufgrund des weiteren Vorbringens des Klägers der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Selbst wenn der Kläger seine gestellte Rechtsfrage dahingehend verstanden haben will, ob von einer erfolgreichen Umschulung gesprochen werden könne, wenn eine Vermittlung im Umschulungsberuf auf dem Arbeitsmarkt nicht möglich sei, so ändert dies nichts daran, dass der Kläger die Klärungsbedürftigkeit auch der so formulierten Frage nicht ausreichend dargetan hat.
Weder in der Beschwerdebegründung noch in der Gegenvorstellung hat sich der Kläger mit der Rechtsprechung auseinandergesetzt, die eine Verweisung in einen konkreten Umschulungsberuf auch dann für zulässig hält, wenn der Umschulungsberuf noch nicht ausgeübt worden ist. Insbesondere hätte der Kläger auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) eingehen müssen, wonach zum Erfolg einer Umschulung nicht gehört, dass der Versicherte eine entsprechende Tätigkeit aufnimmt, und der Abschluss einer Umschulung nicht von der Erlangung eines Arbeitsplatzes im Umschulungsberuf abhängt (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 25, 32, 35; s auch DRV 2002, 81, 170 und DRV 1993, 493, 558; Niesel in Kasseler Komm, Ablegeordner, § 43 SGB VI ≪aF≫, RdNr 124, 125 und derselbe, § 240 SGB VI, RdNr 118, 119; Kamprad in Hauck/Noftz, SGB VI, Kommentierung zu § 43 aF ≪Rente wegen Berufsunfähigkeit≫ RdNr 51; Jörg in Kreikebohm, SGB VI ≪1997≫, § 43 RdNr 69). Ob für den Umschulungsberuf ausreichend Arbeitsplätze auf dem Arbeitsmarkt vorhanden sind, berührt somit – wie im Beschluss vom 8. Mai 2003 ausgeführt – die Rechtsfrage, inwieweit eine Verweisung in den Umschulungsberuf auch dann zumutbar ist, wenn die Vermittlungschance in diesem Beruf schlecht oder bei derzeitiger Arbeitsmarktlage nahezu aussichtslos ist. Der Kläger hätte sich daher auch unter Beachtung der von ihm in der Gegenvorstellung formulierten Rechtsfrage mit der Rechtsprechung des BSG zur Verschlossenheit bzw Nicht-Vorschlossenheit des Arbeitsmarkts bei in Vollschicht möglichen zumutbaren Verweisungstätigkeiten auseinandersetzen müssen (vgl hierzu BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 35).
Dieser Beschluss ergeht in entsprechender Anwendung des § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Der Beschluss ist unanfechtbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen