Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Europäische Menschenrechtskonvention. Rechtliches Gehör. Beweisantrag. Amtsermittlungspflicht. Kieferdysfunktion. Ausnahmeindikation. Implantologische Leistungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, Ausführungen der Prozessbeteiligten – und damit auch die von diesen in Bezug genommenen Ergebnisse einer Begutachtung – zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht aber der Rechtsansicht der Klägerin zu folgen.
2. Voraussetzung für den Erfolg einer Rüge eines Gehörsverstoßes ist es unter anderem, dass der Beschwerdeführer darlegt, seinerseits alles ihm Zumutbare getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen; dies bedingt die Stellung und Aufrechterhaltung eines Beweisantrags bis zur Entscheidung des LSG.
Normenkette
SGG §§ 62, 103, 109, 128 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3, § 169 S. 3; GG Art. 103 Abs. 1; Charta der Grundrehte der EU Art. 47 Abs. 2; EMRK Art. 6 Abs. 1
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 27.04.2017; Aktenzeichen L 16 KR 106/16) |
SG Duisburg (Entscheidung vom 18.12.2015; Aktenzeichen S 9 KR 239/09) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. April 2017 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin ist mit ihrem Begehren auf Versorgung mit Implantaten bei Materialunverträglichkeiten sowie Kieferfehlfunktionen bei der Beklagten und den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat - teilweise unter Bezugnahme auf das SG-Urteil - zur Begründung ausgeführt, eine Ausnahmeindikation für die grundsätzlich ausgeschlossene Implantatversorgung (§ 28 Abs 2 S 9 SGB V) liege nicht vor. Diese sei nicht bereits gegeben, wenn Implantate zahnmedizinisch geboten seien. Vielmehr sei eine medizinische Gesamtbehandlung erforderlich, die hier fehle. Hierfür sei es nicht ausreichend, wenn dem Behandlungsplan des Zahnarztes ein Gesamtkonzept zur Wiederherstellung der Kaufunktion des Patienten zu entnehmen sei (Beschluss vom 27.4.2017).
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Beschluss.
II
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 S 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes des Verfahrensfehlers (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
1. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36).
a) Wer - wie hier die Klägerin - die Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG; Art 103 Abs 1 GG; Art 47 Abs 2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention) rügt, muss ausführen, welchen erheblichen Vortrag das Gericht bei seiner Entscheidung nicht zur Kenntnis genommen hat, welches Vorbringen des Rechtsuchenden dadurch verhindert worden ist und inwiefern das Urteil auf diesem Sachverhalt beruht (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 36; BSG Beschluss vom 10.3.2011 - B 1 KR 134/10 B - Juris RdNr 6 mwN). Daran fehlt es.
Die Klägerin macht geltend, das LSG habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es sich auf die vorliegenden Sachverständigengutachten mit Ausnahme des Gutachtens des Dr. H. gestützt habe. Gerade dieses Gutachten komme zu dem Ergebnis einer Kieferdysfunktion, die eine Ausnahmeindikation für implantologische Leistungen rechtfertige. Dabei verkennt die Klägerin den Schutzbereich des Gebots der Gewährung rechtlichen Gehörs. Dieses verpflichtet die Gerichte, Ausführungen der Prozessbeteiligten - und damit auch die von diesen in Bezug genommenen Ergebnisse einer Begutachtung - zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht aber der Rechtsansicht der Klägerin zu folgen (BVerfGK 14, 238, 241 f; BVerfGE 64, 1, 12; BVerfGE 87, 1, 33 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 4; vgl auch BSG Beschluss vom 7.2.2013 - B 1 KR 68/12 B - Juris RdNr 7 mwN). Dass das LSG, welches im Tatbestand seiner Entscheidung nicht nur das Gutachten, sondern auch den diesbezüglichen Vortrag der Klägerin ausdrücklich erwähnt, den Inhalt des Sachverständigengutachtens des Dr. H. nicht zur Kenntnis genommen hätte, behauptet die Klägerin selbst nicht.
Die Klägerin legt eine Verletzung ihres Gehörs auch nicht durch ihren Vortrag dar, das LSG hätte von Amts wegen ein weiteres Sachverständigengutachten dazu einholen müssen, dass bei ihr eine Ausnahmeindikation vorliegt für implantologische Leistungen gemäß Abschnitt B. VII. der Behandlungsrichtlinie (Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung vom 4.6.2003/24.9.2003, BAnz Nr 226 vom 3.12.2003, S 24 966, mit nachfolgenden Änderungen, zuletzt vom 1.3.2006, BAnz Nr 111 vom 17.6.2006, S 4466, mWv 18.6.2006). Die Klägerin kann die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Sachaufklärungsrüge nicht dadurch umgehen, dass sie den Vorhalt unzureichender Sachaufklärung in der Gestalt einer Gehörsrüge geltend macht (vgl BSG Beschluss vom 25.4.2006 - B 1 KR 97/05 B - Juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 28.9.2015 - B 9 SB 41/15 B - Juris RdNr 13 mwN). Voraussetzung für den Erfolg einer Rüge eines Gehörsverstoßes ist es ua, dass der Beschwerdeführer darlegt, seinerseits alles ihm Zumutbare getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 13 RdNr 6 mwN). Dies bedingt die - von der Klägerin nicht dargelegte - Stellung und Aufrechterhaltung eines Beweisantrags bis zur Entscheidung des LSG.
b) Soweit die Klägerin rügt, das LSG hätte aufgrund der Tatsache, dass ein den anderen Gutachten widersprechendes Sachverständigengutachten sowie eine abweichende Einschätzung des behandelnden Arztes vorliege, von Amts wegen ein weiteres Gutachten einholen müssen, legt sie einen Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) nicht in der gebotenen Weise dar. Sie bezeichnet schon keinen Beweisantrag, den sie gestellt und bis zur Entscheidung des LSG aufrechterhalten hat (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 20 f; Nr 29 S 49; Nr 31 S 51 f; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN).
2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI11576418 |