Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 02.02.1995; Aktenzeichen L 10 U 1966/93)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 2. Februar 1995 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin ist mit ihrem Begehren, ihr in Berlin ansässiges Zweigwerk mit Wirkung ab dem 1. Januar 1992 von der Beklagten an die Beigeladene zu überweisen, bzw im Unternehmerverzeichnis der Beklagten zu löschen, ohne Erfolg geblieben (Verwaltungsakt vom 30. Juni 1992 und Widerspruchsbescheid vom 4. Dezember 1992; der Klage im wesentlichen stattgebendes Urteil des Sozialgerichts vom 16. September 1993 und klageabweisendes Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 2. Februar 1995).

Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG macht die Klägerin geltend, das LSG weiche von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ab. Ferner habe die Sache grundsätzliche Bedeutung.

Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

Es besteht keine Divergenz des Urteils des LSG zum Urteil des BSG vom 5. Februar 1980 – 2 RU 80/79 – (BSGE 49, 283). Zunächst ist festzustellen, daß der von der Klägerin behauptete Ausgangspunkt, daß das BSG in dieser Entscheidung die Grundsätze der Katasterstetigkeit in Fällen fälschlich angenommener örtlicher Zuständigkeit zurücktreten lasse, selbst bei weiter Interpretation dieser Entscheidung nicht zu entnehmen ist. Dies war auch nicht zu erwarten. Denn diese Entscheidung erging zu § 667 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO). Das Urteil des LSG, soweit es mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochten ist, betrifft dagegen § 664 Abs 3 RVO. § 667 Abs 1 RVO regelt die Tatbestände, bei denen erst nach der wirksamen Eintragung im Unternehmerverzeichnis durch eine wesentliche Änderung der Verhältnisse sich die Zuständigkeit der Berufsgenossenschaft geändert hat oder eine Löschung im Unternehmerverzeichnis gerechtfertigt ist. Diese nachträgliche wesentliche Änderung in den Betriebsverhältnissen bedingt eine sich daran anschließende neue Beurteilung der berufsgenossenschaftlichen Zuständigkeit. Entgegen der Ansicht der Klägerin hat das BSG in der angezogenen Entscheidung nicht die Grundsätze der Katasterstetigkeit in Fällen fälschlich angenommener örtlicher Zuständigkeit zurücktreten lassen. Vielmehr hatte diese Entscheidung gerade den Fall einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse nach der Eintragung iS des § 667 Abs 1 RVO zum Gegenstand, in dem infolge Übernahme des Unternehmens es Bestandteil eines anderen Unternehmens iS von § 647 Abs 1 RVO wurde. Die wesentliche nachträgliche Änderung der Verhältnisse iS des § 667 Abs 1 RVO stellt ein Abweichen vom Grundsatz der Katasterstetigkeit dar. Dagegen stützt sich die Entscheidung des LSG auf § 664 Abs 3 RVO. Dort waren bei unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen die Voraussetzungen des § 667 Abs 1 RVO nicht gegeben. Dagegen bezieht sich § 664 Abs 3 RVO auf die Berichtigung einer zu Unrecht durchgeführten Eintragung eines Unternehmens in das Unternehmerverzeichnis als Mitglied einer Berufsgenossenschaft, behandelt also die Berichtigung einer von Anfang an irrtümlich angenommenen Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers. Die Vorschrift erfaßt sowohl die Aufnahme durch einen sachlich, als auch örtlich nicht zuständigen Unfallversicherungsträger (KassKomm-Ricke § 664 RVO Anm RdNr 9).

Die Klägerin macht ferner als Divergenz des Urteils des LSG geltend: Die weitere Belassung des Betriebes bei der Berufsgenossenschaft sei eine schwerwiegende Unzuträglichkeit und würde es als unbillige Härte erscheinen lassen, wenn das Vorliegen einer nach § 664 Abs 3 RVO zu berücksichtigende Unrichtigkeit verneint würde. Damit weiche das LSG vom Urteil des BSG vom 26. Januar 1988 – 2 RU 5/87 – (BSGE 63, 18) und vom Urteil des BSG vom 19. März 1991 – 2 RU 33/90 – (SozR 3-2200 § 667 RVO Nr 1) ab.

Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei dieser Feststellung des LSG überhaupt um einen Rechtssatz handelt. Denn selbst wenn man davon ausgeht, liegt eine Divergenz schon deshalb nicht vor, weil die angezogenen Entscheidungen des BSG zu § 44 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch – (SGB X) und § 667 Abs 1 RVO ergingen, während die Entscheidung des LSG, soweit sie mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochten wurde, § 664 Abs 3 RVO betrifft. Wie bereits ausgeführt, betrifft § 667 Abs 1 RVO die nachträgliche Unrichtigkeit des Unternehmerverzeichnisses. § 664 Abs 3 RVO stellt als Einzelregelung gegenüber der allgemeinen Regelung des § 44 SGB X eine Sondervorschrift über die Berichtigung einer Eintragung im Unternehmerverzeichnis dar, so daß sich die Voraussetzungen einer Berichtigung auch nach dem Inkrafttreten des SGB X nach § 664 Abs 3 RVO richten und § 44 SGB X insoweit nicht anzuwenden ist (BSG SGb 1986, 338, 339).

Hinsichtlich der „schwerwiegenden Unzuträglichkeit” als Folge der Unrichtigkeit, die gemäß § 664 Abs 3 RVO Anlaß zur Berichtigung des Unternehmerverzeichnisses ist, hat sich das LSG an die dazu einschlägige Rechtsprechung des BSG (BSGE 15, 282; 38, 187; BSG SGb 1986, 338) gehalten. Davon abgesehen, betreffen im übrigen die Ausführungen der Beschwerdeführerin im Kern eine unrichtige Beweiswürdigung durch das LSG (§ 128 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Auf eine solche Rüge kann jedoch nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 160 Abs 2 Satz 3 Halbsatz 2 SGG die Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden.

Auch soweit die Klägerin eine Divergenz der Entscheidung des LSG hinsichtlich der Frage, ob das Unternehmen durch die fehlerhafte Eintragung in das Unternehmerverzeichnis Mitglied zweier Berufsgenossenschaften wird, zur Rechtsprechung des BSG geltend macht, liegt eine Abweichung nicht vor. Denn auch hier stellt die Klägerin die Abweichung von der Rechtsprechung durch einen Vergleich mit der Rechtsprechung des BSG (BSG SozR 3-2200 § 667 Nr 1) zur nicht unmittelbar vergleichbaren Vorschrift des § 667 Abs 1 RVO her.

Nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn zu erwarten ist, daß die Revisionsentscheidung die Rechtseinheit in ihrem Bestand erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird. Es muß eine über den Einzelfall hinausgehende klärungsbedürftige Rechtsfrage aufgeworfen sein, welche bisher revisionsgerichtlich noch nicht – ausreichend – geklärt ist (s ua BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 sowie Beschluß des Senats vom 13. Februar 1995 – 2 BU 236/94). Die Klägerin hält die Frage für von grundsätzlicher Bedeutung, ob Ansprüche von Unternehmern auf Berichtigung unrichtiger Eintragungen nach § 664 Abs 3 RVO sowohl bei örtlicher als auch bei sachlicher Unzuständigkeit voraussetzen, daß die Eintragung aufgrund eines so gröblichen Irrtums erfolgt ist, daß die weitere Belassung des Betriebes bei der formal zuständig gewordenen Berufsgenossenschaft der gesetzlichen Zuständigkeitsregelung eindeutig zuwiderlaufen würde, oder daß schwerwiegende Unzuträglichkeiten nachweisbar sind, welche die Belassung des Betriebes bei der Berufsgenossenschaft als unbillige Härte erscheinen lassen. Diese Frage sei klärungsbedürftig. Es lägen zur Katasterstetigkeit zwar mehrere Entscheidungen des BSG (BSGE 15, 282; 38, 187; BSG SGb 1986, 338) vor. Mit dieser Rechtsprechung sei die aufgeworfene Frage aber nicht geklärt. Denn es gebe nur wenig Rechtsprechung des BSG zu Katasterfragen. Außerdem sei diese Rechtsprechung in ihrem Anwendungsbereich nicht klar umgrenzt. Trotz der vorliegenden Rechtsprechung ergäben sich neue Gründe, die klärungsbedürftig seien. Denn gegen die Rechtsprechung des BSG bestünden erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken.

Entgegen der Ansicht der Klägerin kommt der vorliegenden Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zu, denn die von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen sind nicht klärungsbedürftig. Sie sind vielmehr im Sinne der bisherigen Rechtsprechung des BSG zu § 664 Abs 3 RVO zu entscheiden und damit revisionsgerichtlich ausreichend geklärt. Denn das BSG hat in Fortführung der schon vom Reichsversicherungsamt und der Schiedsstelle herausgestellten Grundsätze für die Überweisung oder Löschung eines zu Unrecht aufgenommenen Betriebes entschieden und dargelegt, daß nach Sinn, Zweck, der Entstehungsgeschichte sowie der Gesetzessystematik des § 664 Abs 3 RVO eine Eintragung im Sinne dieser Vorschrift nur unrichtig ist, wenn sie aufgrund eines so gröblichen Irrtums erfolgt ist, daß die weitere Belassung des Betriebs bei der formal zuständig gewordenen Berufsgenossenschaft der gesetzlichen Zuständigkeitsregelung eindeutig zuwiderlaufen würde, oder wenn schwerwiegende Unzuträglichkeiten nachweisbar sind, welche die Belastung des Betriebes bei der Berufsgenossenschaft als unbillige Härte erscheinen lassen (vgl BSG SGb 1986, 338 mwN). Eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung dieser Rechtsprechung ist nicht erforderlich. Diese Rechtsprechung ist auch – entgegen der Ansicht der Klägerin – nicht unvereinbar mit den zur Auslegung des § 667 Abs 1 RVO ergangenen Entscheidungen. Die zu dieser Vorschrift ergangene Rechtsprechung setzt für die Überweisung eines Unternehmens eine wesentliche Änderung der Betriebsverhältnisse voraus. Bei der Auslegung von § 664 Abs 3 RVO würde es jedoch den Grundsätzen der Katasterrichtigkeit und der Katasterstetigkeit widersprechen, zwar bei einer nachträglichen Änderung der Verhältnisse eine wesentliche Änderung zu fordern, dagegen bei einer Unrichtigkeit des Unternehmerverzeichnisses von Anfang an jeden auch nur geringen Zweifel an der Zuständigkeit ausreichen zu lassen, um eine neue Entscheidung über die Zuständigkeit der Berufsgenossenschaft herbeizuführen (vgl BSGE 38, 187, 193). Auch die Regelung des § 44 SGB X erfordert keine Korrektur der zu § 664 Abs 3 RVO ergangenen Rechtsprechung, denn § 664 Abs 3 RVO ist durch das SGB X nicht aufgehoben worden (s Art II § 4, § 40 des Gesetzes vom 18. August 1980, BGBl I 1469, Art II § 3 des Gesetzes vom 4. November 1982, BGBl I 1450). § 664 Abs 3 RVO ist als Einzelregelung gegenüber der allgemeinen Regelung des § 44 SGB X eine Sondervorschrift über die Berichtigung einer Eintragung in das Unternehmerverzeichnis, so daß sich die Voraussetzung einer Berichtigung auch nach dem Inkrafttreten des SGB X nach § 664 Abs 3 RVO in der dargelegten Auslegung richten und § 44 SGB X insoweit nicht anzuwenden ist (vgl BSG SGb 1986, 338, 339).

Entgegen der Ansicht der Klägerin ist bei der Auslegung von § 664 Abs 3 RVO nicht klärungsbedürftig, ob zwischen einer örtlichen und sachlichen Unzuständigkeit zu differenzieren ist. Denn es kommt nach dieser Vorschrift nur darauf an, ob die von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien einer Unrichtigkeit als Voraussetzung einer Berichtigung des Unternehmerverzeichnisses gegeben sind.

Soweit die Klägerin die Auslegung des LSG hinsichtlich des „gröblichen Irrtums” der Eintragung im Unternehmerverzeichnis rügt, zielt die Beschwerde im Kern auf die Beweiswürdigung im konkreten Einzelfall durch das LSG ab. Dies kann jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen. Denn – wie bereits dargelegt – kann die Nichtzulassungsbeschwerde nicht auf Fehler der Beweiswürdigung iS des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG gestützt werden.

Die Beschwerde war daher als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173468

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