Entscheidungsstichwort (Thema)
Berichtigung der Eintragung in das Unternehmerverzeichnis. Grundsatz der Katasterstetigkeit
Leitsatz (redaktionell)
Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Mitglieds-Betrieb einer gewerblichen Berufsgenossenschaft einen Anspruch darauf hat, einer anderen gewerblichen Berufsgenossenschaft zugeordnet zu werden.
Orientierungssatz
1. Die Eintragung in das Unternehmerverzeichnis ist iS des § 664 Abs 3 RVO nur unrichtig, wenn sie aufgrund eines so gröblichen Irrtums erfolgt ist, daß die weitere Belassung des Betriebes bei der formal zuständig gewordenen Berufsgenossenschaft der gesetzlichen Zuständigkeitsregelung eindeutig zuwiderlaufen würde, oder wenn schwerwiegende Unzuträglichkeiten nachweisbar sind, welche die Belassung des Betriebes bei der Berufsgenossenschaft als unbillige Härte erscheinen lassen (vgl BSG 30.10.1974 2 RU 42/73 = BSGE 38, 187). Diese Auslegung des § 664 Abs 3 RVO entspricht dem seit jeher im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung anerkannten Grundsatz der Katasterstetigkeit.
2. § 664 Abs 3 RVO ist durch das SGB 10 nicht aufgehoben worden. Die Vorschrift ist als Einzelregelung gegenüber der allgemeinen Regelung des § 44 SGB 10 eine Sondervorschrift über die Berichtigung einer Eintragung in das Unternehmerverzeichnis (siehe § 37 SGB 1), so daß sich die Voraussetzungen einer Berichtigung auch nach dem Inkrafttreten des SGB 10 nach § 664 Abs 3 RVO in der dargelegten Auslegung richten und § 44 SGB 10 insoweit nicht anzuwenden ist (so auch LSG Mainz 14.3.1984 L 3 U 196/82 = HVGBG AID 1984, Nr 13, 104).
Normenkette
RVO § 664 Abs. 3; SGB 10 § 44; SGB 1 § 37
Verfahrensgang
SG München (Entscheidung vom 11.04.1984; Aktenzeichen S 24 U 789/82) |
Tatbestand
Die Betriebsstätte H. (H.) der Klägerin - L. , Werksgruppe Technische Gase - ist auf den Antrag der Klägerin mit Wirkung vom 1. Januar 1972 von der Süddeutschen Eisen- und Stahl-Berufsgenossenschaft (BG) an die beklagte BG der chemischen Industrie überwiesen worden. Im Jahre 1982 beantragte die Klägerin die Berichtigung des Unternehmerverzeichnisses und die Überweisung ihrer Betriebsstätte H. an die Verwaltungs-BG, da die insgesamt 135 technischen, 261 kaufmännischen und 9 gewerblichen Angestellten dieser Betriebsstätte überwiegend mit Verwaltungstätigkeiten beschäftigt seien. Die Beklagte lehnte diesen Antrag sowie den Antrag auf Berichtigung des Unternehmerverzeichnisses ab; die Betriebsstätte H. sei kein selbständiger Verwaltungsbetrieb, sondern betreue ihre dezentral untergebrachten Produktionsstätten, mit denen zusammen sie ein Unternehmen bilde, für dessen Gewerbszweig (Herstellung technischer Gase) die Beklagte die zuständige BG sei (Bescheid vom 15. Oktober 1982).
Mit der Klage hat die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 15. Oktober 1982 festzustellen, daß für den Betrieb H. nicht die Beklagte, sondern die vom Sozialgericht (SG) München beigeladene Verwaltungs-BG der zuständige Versicherungsträger ist, ferner die Beklagte zu verpflichten, die Eintragung des Betriebes H. in das Unternehmerverzeichnis zu berichtigen, sowie hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, den Betrieb H. in die Zuständigkeit der Beigeladenen zu überweisen. Dem Antrag der Beklagten auf Klageabweisung hat sich die Beigeladene, die ihre Zuständigkeit verneint hat, angeschlossen.
Das SG hat die Klage durch Urteil vom 11. April 1984 abgewiesen. Es hat ua ausgeführt: Die Eintragung der Betriebsstätte H. der Klägerin in das Unternehmerverzeichnis der Beklagten sei nicht - von Anfang an - unrichtig gewesen (§ 664 Abs 3 Reichsversicherungsordnung -RVO-). Die Werksgruppe Technische Gase sei ein Gesamtunternehmen, in dessen Rahmen die einzelnen Betriebsstätten gemeinsam dem Betriebszweck der Klägerin, der Produktion technischer Gase, dienten. Innerhalb der Werksgruppe sei die Betriebsstätte H. als nicht produzierender Teil ein Hilfsunternehmen mit dem Zweck, durch einheitliche Leitung und Verfügungsgewalt die Produktplanung und Organisation des Produktionsablaufs der anderen Betriebe der Werksgruppe zu erreichen sowie die Kalkulation, die Betriebsabrechnung, die Personalplanung und die Lohn- und Gehaltsabrechnung für alle Betriebsstätten der Werksgruppe durchzuführen. Der wirtschaftliche Schwerpunkt der Klägerin bestehe in der Herstellung technischer Gase, dem die Verwaltung in H. diene. Die Voraussetzungen, unter denen die aufgrund des bindenden Aufnahmebescheides erfolgte Eintragung in das Unternehmerverzeichnis wegen Unrichtigkeit zu berichtigen sei, lägen deshalb nicht vor. Schwerwiegende Unzuträglichkeiten als Merkmal der Unrichtigkeit (s BSGE 15, 282; 38, 187) könnten nur in solchen Umständen gesehen werden, die im Aufbau und in der Durchführung der gesetzlichen Unfallversicherung selbst Schwierigkeiten hervorzurufen geeignet seien. Solche lägen jedoch nicht vor, da die Beklagte auch in ihren anderen Mitgliedsbetrieben deren jeweilige Verwaltungen zu betreuen und auch insoweit die Einhaltung der Unfallverhütungsvorschriften (UVV) zu überwachen habe. Eine Änderung der berufsgenossenschaftlichen Zuständigkeit sei - auch nach dem Vorbringen der Klägerin - nicht eingetreten.
Die Klägerin hat mit Zustimmung der Beklagten die vom SG durch Beschluß zugelassene Revision eingelegt. Sie macht geltend, die vom SG vorgenommene Gesamtunternehmensbetrachtung werde den tatsächlichen Verhältnissen nicht gerecht. Zwischen der Betriebsstätte H. und den über das Gebiet der Bundesrepublik verteilten Produktionsbetrieben finde kein Austausch von Arbeitskräften statt, und es bestehe weder ein räumlicher noch ein betriebstechnischer Zusammenhang. Die einzelnen Betriebsteile seien in der Produktion autark; sie seien beitragsrechtlich selbständige Unternehmen und hätten folgerichtig jeweils eine eigene Mitgliedsnummer. Die Eintragung der Betriebsstätte H. sei unrichtig. Als reiner Verwaltungsbetrieb gehöre sie zum Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen. Die handelsrechtliche Gesamtbetrachtung stehe der Annahme eines Gesamtunternehmens "Werkgruppe Technische Gase" der L. ebenfalls entgegen. Es bestünden vier rechtlich unselbständige, dezentral organisierte Werksgruppen, die bei verschiedenen gewerblichen BG'en versichert seien, während bei einer Gesamtunternehmensbetrachtung für alle Werksgruppen dieselbe BG zuständig sein müßte.
Die Klägerin beantragt, 1. das Urteil des SG München vom 11. April 1984 aufzuheben, 2. festzustellen, daß für den Betrieb in H. nicht die Beklagte, sondern die Beigeladene der zuständige Versicherungsträger ist, und 3. die Beklagte zu verpflichten, die Eintragung des Betriebes H. in das Unternehmerverzeichnis der Beklagten zu berichtigen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie äußert Bedenken gegen den Feststellungsantrag zu 2, da hierfür ein Feststellungsinteresse fehle. Sie meint, die Klägerin gehe teilweise von einem mit den Feststellungen des SG unvereinbaren Sachverhalt aus. Den von ihm getroffenen bindenden Feststellungen habe das SG zutreffend entnommen, daß die Überweisung und Eintragung der Betriebsstätte H. in das Unternehmerverzeichnis der Beklagten ab 1. Januar 1972 zu Recht vorgenommen worden seien. Keinesfalls lägen jedoch die nach der Rechtsprechung zu fordernden besonderen Voraussetzungen einer Unrichtigkeit iS des § 664 Abs 3 RVO vor. Eine Änderung der Zuständigkeit iS des § 667 RVO scheide - auch nach dem Vorbringen der Klägerin - aus.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Sie bringt zum Ausdruck, daß auch nach ihrer Auffassung die Voraussetzungen der §§ 664 Abs 3, 667 RVO nicht gegeben sind.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.
Mit der Revision, die auf eine Verletzung der §§ 646, 647 und 664 Abs 3 RVO gestützt ist, verfolgt die Klägerin weiterhin ihren Antrag, die Beklagte zu verpflichten, die Eintragung des Betriebes H. in das Unternehmerverzeichnis der Beklagten - in Form der Löschung (s BSGE 38, 187, 190) - zu berichtigen.
Als Anspruchsgrundlage für das Klagebegehren scheidet § 667 RVO aus, weil bei unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen - wie hier - die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht gegeben sind (s BSGE 38, 187, 188 ff).
Nach § 646 Abs 3 RVO ist die Eintragung in das Unternehmerverzeichnis zu berichtigen, wenn sie unrichtig war. Für die Unrichtigkeit der Eintragung als Mitglied iS dieser Vorschrift kommt es nicht entscheidend auf die von der Revision erörterte Frage an, welche tatsächlichen Umstände und rechtliche Erwägungen für die sachliche Unzuständigkeit der BG anzuführen sind. Dies würde unzulässig außer acht lassen, daß über die Aufnahme in das Unternehmerverzeichnis bereits ein Bescheid vorlag, der bindend geworden ist, da er vom Unternehmer nicht angefochten wurde - hier sogar seinem ausgesprochenen Wunsch entsprach -, und damit (hier ein Jahrzehnt lang) zumindest eine Formalmitgliedschaft begründet worden ist. Der erkennende Senat hat aufgrund dessen in Fortführung der schon vom Reichsversicherungsamt und der Schiedsstelle herausgestellten Grundsätze für die Überweisung oder Löschung eines zu Unrecht aufgenommenen Betriebes entschieden und näher dargelegt, daß nach Sinn und Zweck sowie der Entstehungsgeschichte des § 664 Abs 3 RVO die Eintragung iS dieser Vorschrift unrichtig nur ist, wenn sie aufgrund eines so gröblichen Irrtums erfolgt ist, daß die weitere Belassung des Betriebs bei der formal zuständig gewordenen BG der gesetzlichen Zuständigkeitsregelung eindeutig zuwiderlaufen würde, oder wenn schwerwiegende Unzuträglichkeiten nachweisbar sind, welche die Belassung des Betriebes bei der BG als unbillige Härte erscheinen lassen (BSGE 15, 282; 38, 187). Diese Auslegung des § 664 Abs 3 RVO entspricht dem seit jeher im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung anerkannten Grundsatz der Katasterstetigkeit (s ua Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Aufl, S 514).
Zutreffend hat das SG die Voraussetzungen des § 664 Abs 3 RVO hier nicht als gegeben angesehen. Auszugehen ist von den tatsächlichen Feststellungen des SG, auch soweit von der Revision teilweise ein anderer Sachverhalt dargelegt wird (§ 163, § 161 Abs 4 SGG). Danach liegt der wirtschaftliche Schwerpunkt der Werksgruppe Technische Gase, dem Betriebszweck entsprechend, eindeutig auf dem Gebiet der Herstellung technischer Gase in den über das Gebiet der Bundesrepublik verteilten Betriebsstätten. Hierfür ist die Beklagte der zuständige Unfallversicherungsträger. Die Betriebsstätte H., deren Eintragung die Klägerin berichtigt (gelöscht) wissen will, ist kein selbständiges Verwaltungsunternehmen, sie bildet vielmehr einen - nicht selbst produzierenden - Teil zusammen mit den einzelnen Produktionsstätten. Ihr Hauptzweck besteht in der Verwaltung der Gaswerke. Die übrigen Betriebsstätten der Werksgruppe unterstehen ihrer Leitung und Verfügungsgewalt. In der Betriebsstätte H. erfolgt die Produktplanung und Organisation des Produktionsablaufs und wird die Personalplanung sowie die Lohn- und Gehaltsabrechnung für die produzierenden Betriebsstätten durchgeführt. Auch die Kalkulations- und Betriebsabrechnungsabteilung befindet sich bei der Betriebsstätte H. Die der Eintragung in das Unternehmerverzeichnis zugrunde liegende Annahme der Beklagten wie auch der Klägerin selbst, die Betriebsstätte H. sei weder ein selbständiges Unternehmen noch ein Hauptunternehmen mit verschiedenartigen Bestandteilen (s § 647 RVO; vgl BSGE 49, 283, 284), beruht somit, wie das SG zu Recht ausgeführt hat, jedenfalls nicht auf einem so gröblichen Irrtum, daß sich die Notwendigkeit einer Überweisung an die Verwaltungs-BG hätte aufdrängen müssen. Daß die einzelnen Betriebsstätten jeweils eine eigene Mitgliedsnummer erhalten haben, ist insoweit nicht von rechtlicher Bedeutung. Auch schwerwiegende Unzuträglichkeiten, welche die weitere Zugehörigkeit der Betriebsstätte H. zur - zumindest formal - zuständigen BG als unbillige Härte erscheinen ließen, sind nicht erkennbar. Eine mögliche höhere Beitragsbelastung der Betriebsstätte H. im Vergleich zu einer Mitgliedschaft bei der Verwaltungs-BG würde keine unbillige Härte darstellen (s BSGE 15, 282, 291), unabhängig davon, ob eine so eintretende Besserstellung durch eine dann möglicherweise höhere Belastung der übrigen Betriebsstätten zum Teil gemindert würde. Das SG hat auch zutreffend darauf hingewiesen, daß schwerwiegende Unzuträglichkeiten hinsichtlich der Unfallverhütung ebenfalls nicht angenommen werden können, da die Beklagte eine Vielzahl von Mitgliedsunternehmen mit den dazugehörenden Verwaltungen zu betreuen und dabei die Einhaltung der Unfallverhütungsvorschriften zu überwachen hat.
§ 664 Abs 3 RVO ist durch das SGB-Verwaltungsverfahren - Zehntes Buch - (SGB X) nicht aufgehoben worden (s Art II § 4, § 40 des Gesetzes vom 18. August 1980 -BGBl I 1469-, Art II § 3 des Gesetzes vom 4. November 1982 -BGBl I 1450). Die Vorschrift ist als Einzelregelung gegenüber der allgemeinen Regelung des § 44 SGB X eine Sondervorschrift über die Berichtigung einer Eintragung in das Unternehmerverzeichnis (s § 37 SGB I), so daß sich die Voraussetzungen einer Berichtigung auch nach dem Inkrafttreten des SGB X nach § 664 Abs 3 RVO in der dargelegten Auslegung richten und § 44 SGB X insoweit nicht anzuwenden ist (s auch LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14. März 1984 - L 3 U 196/82 - Hauptverband der gewerblichen BG'en, AID 1984, 103; s zu § 368a RVO und § 29 ZOÄ auch BSGE 56, 295, 297).
Die Revision ist danach zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen