Tenor
Der Sozialsekretär Luciano Fazi vom Patronato ACLI Germania wird nicht als Prozeßbevollmächtigter der Revisionsbeklagten zugelassen.
Tatbestand
I
In diesem Rechtsstreit wollen sich die Revisionsbeklagter, durch den im Tenor bezeichneten Prozeßbevollmächtigten vertreten lassen. Sie begehren daher vorab eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) über die Zulassung des Prozeßbevollmächtigten bzw hilfsweise, diese Streitfrage dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Sie sind der Ansicht, die Feststellung des BSG im Beschluß vom 13. Januar 1984 – Az. 1 RA 25/83 –, die ACLI sei nicht als Vereinigung im Sinne des § 166 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) anzusehen, könne nicht mehr aufrechterhalten werden. Die ausländischen Regionen der ACLI seien nämlich keine unselbständigen Untergliederungen und die freigewählten Organe hätten nicht die Anordnungen und Entschließungen des Großvereins bzw des Einheitsverbandes auszuführen. Die ACLI Germania sei daher ein inländischer Ausländerverein mit Sitz im Geltungsbereich des SGG. Die Zulassung sei ferner im Hinblick auf Art. 11 Menschenrechtskonvention, § 1 Abs. 1 Vereinsgesetz und Art. 8 der EWG-Verordnung 1612/68 geboten. Ferner sei die ACLI gleichberechtigtes Mitglied des Bundesverbandes der KAB, dessen deutsche Mitglieder vor dem BSG auftreten könnten.
Entscheidungsgründe
II
Die Revisionsbeklagten können sich vor dem BSG nicht durch den von ihnen benannten Prozeßbevollmächtigten ordnungsgemäß vertreten lassen. Die Mitglieder und Angestellten der ACLI Germania sind auch weiterhin nicht als Prozeßbevollmächtigte gemäß § 166 SGG zuzulassen, denn es handelt sich nicht um eine selbständige Vereinigung von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung im Sinne des Abs. 2 der Vorschrift.
Nach der Rechtsprechung des BSG, die auch durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bestätigt wurde, können Vereinigungen, die ihren Sitz nicht im Geltungsbereich des SGG haben und deren zur Prozeßvertretung berufene Mitglieder oder Angestellte ausländische Staatsangehörige sind, nicht als Vereinigung im Sinne des § 166 Abs. 2 SGG anerkannt werden (BSG SozR 1500 § 166 Nr. 11; BVerfG SozR 1500 § 166 Nr. 14). Das trifft hier zu. Insbesondere befindet sich der Sitz der ACLI auch weiterhin nicht im Geltungsbereich des SGG, sondern in Italien. Die ACLI Germania stellt nur eine regionale Untergliederung dar. Dies ergibt sich aus der vorgelegten Satzung vom 18. Mai 1985, die, wie die Überschrift der italienischen Orginalfassung zeigt, vom Nationalrat in Rom verabschiedet wurde. Die in Italien ansässigen Nationalorgane, zu denen gemäß Art. 25 der Satzung ua der Nationalrat und das Nationalexekutivkomitee gehören, sind letztlich für die Organisation der Vereinigung bestimmend. Dafür spricht ua, daß gemäß Art. 3 der Satzung die Mitgliedschaft durch den Erwerb des vom Nationalexekutivkomitee ausgestellten Jahresausweises erworben wird. Dieser Ausweis ist wiederum die Berechtigung zur Inanspruchnahme der Dienste der ACLI auch in den Wanderungsländern. Ferner wird gemäß Art. 19 die Errichtung neuer Provinzen der ACLI im Ausland vom Nationalrat beschlossen. Gemäß Art. 21 der Satzung wird der Regionalkongreß, das höchste Organ innerhalb einer Region, nach Bestimmungen gewählt, die vom Nationalrat verabschiedet werden. Die Bundesrepublik Deutschland ist nach Art. 24 der Satzung eine solche Region. Gemäß Art. 27 der Satzung leitet der Nationalrat alle Tätigkeiten der ACLI. Er wählt ua auch das Nationalexekutivkomitee. Die Satzung der ACLI spricht somit gegen eine selbständige Vereinigung in der Bundesrepublik Deutschland.
Im Ergebnis ist es auch gerechtfertigt, für die Vertretungsbefugnis gemäß § 166 Abs. 2 SGG daran festzuhalten, daß die Vereinigung ihren Sitz im Inland hat. Der Vertretungszwang vor dem BSG dient dem Interesse des Rechtsuchenden und dem des Revisonsgerichts. Denn das Verfahren ist besonders förmlich und als reine Rechtsüberprüfung ausgestaltet. Es ist daher erforderlich, daß vor dem BSG nur solche Personen auftreten, die im Verfahrensrecht und im materiellen Recht, insbesondere im Bereich des Sozialrechts, besonders sachkundig und erfahren sind (BSG SozR 1500 % 166 Nr. 11 S 12). Eine gut vorbereite Revision kann auch schneller erledigt werden. Eine Arbeitnehmervereinigung mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung ist zur Bestellung geeigneter Prozeßbevollmächtigter nur in der Lage, wenn sie willens und fähig ist, ihre Zwecke und Ziele nachdrücklich zu verfolgen. Die Vereinigung muß daher nach der Rechtsprechung des BSG eine größere Mitgliederzahl und ein entsprechendes Beitragsaufkommen haben, wobei eine Zahl von mindestens 1000 Mitgliedern als ausreichend angesehen wird (BSG SozR 1500 § 166 Nr. 11 S 13; Nr. 13 S 20; BSG SozR § 166 SGG Nr. 39). Ob diese Voraussetzungen bei ACLI vorliegen, kann im vorliegenden Fall offenbleiben. Denn von einer Arbeitnehmervereinigung, die wie die ACLI ihren Sitz im Ausland hat, kann auch bei entsprechender Mitgliederzahl nicht erwartet werden, daß die vor, ihr bestellten Prozeßbevollmächtigten über die für eine Vertretung vor dem BSG notwendigen Kenntnisse des deutschen Rechts verfügen (BSG SozR 1500 § 166 Nr. 11 S 13).
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob der konkrete Prozeßvertreter die notwendigen Rechtskenntnise hat. Das Gesetz stellt nämlich nicht auf die individuelle Qualifikation des konkreten Prozeßvertreters ab, sondern typisierend auf die Vereinigung (BSG SozR 1500 § 166 Nr. 13 S 21). Wie dargestellt erfüllt diese im vorliegenden Fall nicht die notwendigen Voraussetzungen.
Dieses Ergebnis verstößt nicht gegen Art. 11 Menschenrechtskonvention oder § 1 Abs. 1 Vereinsgesetz. Die dort geregelte Versammlungs- bzw Vereinsfreiheit wird nicht beschränkt. Ebensowenig wird das in Art. 8 EWG-Verordnung 1612/68 geregelte Zugangsrecht eines Arbeitnehmers aus einem Mitgliedstaat zu einer inländischer. Gewerkschaft tangiert. Es liegt auch kein Verstoß gegen das sonstige EG-Recht vor. Dies wird ua durch das Gesetz zur Durchführung der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs von Rechtsanwälten vom 16. August 1980 deutlich (BGBl I S 1453). Gemäß § 4 dieses Gesetzes, welches die grenzüberschreitende Tätigkeit betrifft, dürfen selbst ausländische Rechtsanwälte aus einem EG-Staat unter ihrer Berufsbezeichnung nur neben einem deutschen Rechtsanwalt und im Einvernehmen mit ihm auftreten (Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz 3. Aufl 1987 § 73 Anm. 4).
Einer Vorlage an den EuGH gemäß Art. 177 EWG-Vertrag bedurfte es nicht, da es sich nicht um eine für den Rechtsstreit entscheidungserhebliche Frage über die Auslegung des EWG-Vertrages handelte.
Nach alledem ist eine Prozeßvertretung durch den benannten Prozeßbevollmächtigten unzulässig.
Unterschriften
Burger, Prof. Dr. Baltzer, Borgolte
Fundstellen