Verfahrensgang
SG Berlin (Entscheidung vom 18.03.2016; Aktenzeichen S 86 P 1521/15) |
LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 11.10.2018; Aktenzeichen L 30 P 20/16) |
Tenor
Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. Oktober 2018 Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im vorstehend genannten Urteil wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Das LSG Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 11.10.2018 den Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Pflegesachleistungen gegen die beklagte Pflegekasse verneint. Im August 2014 beantragte die in Spanien lebende Klägerin die Umstellung des ihr dorthin gezahlten Pflegegeldes auf die Gewährung von Pflegesachleistungen. Verwaltungs- und Gerichtsverfahren sind erfolglos geblieben. Das LSG hat im Wesentlichen ausgeführt: Ein Anspruch auf Pflegesachleistungen sei bei gewöhnlichem Aufenthalt der Klägerin in Spanien nicht von § 34 Abs 1 Nr 1 Satz 1 SGB XI erfasst (Hinweis auf BSG Urteil vom 20.4.2016 - B 3 P 4/14 R - BSGE 121, 108 = SozR 4-3300 § 34 Nr 3). Diese Rechtslage sei nach der Rechtsprechung des BSG europarechtskonform, da Sachleistungen nur in solchen Mitgliedstaaten erbracht werden könnten, deren nationales Recht der sozialen Sicherheit solche Sachleistungen auch vorsähen. Andernfalls könnten lediglich Geldleistungen exportiert werden (BSG aaO RdNr 33 ff). Diese Unterscheidung widerspreche nicht dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz von Art 3 Abs 1 GG.
Die Klägerin hat gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Urteil des LSG Beschwerde eingelegt und für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens die Bewilligung von PKH beantragt.
II
1. Der Antrag auf Bewilligung von PKH für die bereits mit einer konkreten Begründung versehenen Nichtzulassungsbeschwerde war abzulehnen. Gemäß § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Verfahren der Beschwerde vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Letzteres ist hier nicht der Fall. Die Klägerin hat jedenfalls keinen Anspruch auf Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO). Daher kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse für eine PKH-Bewilligung erfüllt.
2. Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Beschwerdebegründung vom 24.5.2019 genügt nicht den Darlegungsanforderungen, denn sie hat den allein geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht hinreichend dargetan (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
a) Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine solche Klärung erwarten lässt (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59, 65).
Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).
b) Die Klägerin hält folgende Frage für klärungsbedürftig:
"Wer erbringt diese Pflegesachleistungen, wenn die von der Pflegekasse vorgeschriebene Pflegekraft den Pflegebedürftigen ins EU-Ausland aus persönlichen Gründen nicht begleiten kann oder möchte?"
Hierzu trägt sie vor, dass sie gegen die zu dieser Problematik bisher ergangene Rechtsprechung und Literaturmeinungen erhebliche Einwände habe, da dort bislang keine überzeugende Antwort gefunden worden sei. Das Berufungsurteil verletze die Klägerin in ihren Grundrechten aus Art 2 Abs 1, Art 3 Abs 1 GG und Art 14 Abs 1 GG, wenn ihr bei dauerhaftem Aufenthalt in Spanien keine Pflegesachleistungen gewährt würden, obwohl sie Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung zahle. Ihr werde ein ungerechtfertigter Nachteil auferlegt, nur weil sie ihren Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt habe. Die Ungleichbehandlung zwischen Pflegegeld- und Pflegesachleistungen bei Aufenthalt im Ausland entspreche nicht mehr den tatsächlichen Verhältnissen. Der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 20.4.2016 - B 3 P 4/14 R - BSGE 121, 108 = SozR 4-3300 § 34 Nr 3) könne auch deshalb nicht gefolgt werden, weil im Ausland ausreichende Pflegekräfte vorhanden seien, mit denen die deutschen Pflegekassen Versorgungsverträge nach § 72 SGB XI abschließen könnten. In Spanien existiere ein Netz an qualifizierten Pflegekräften. Ungeachtet notwendiger Gesetzesänderungen seien bereits heute ausreichend geeignete Fachkräfte im EU-Ausland vorhanden, die für die deutsche Pflegeversicherung tätig werden könnten.
c) Dieser Vortrag genügt nicht den Darlegungsanforderungen an die grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit der Rechtssache. Denn wie die Klägerin selbst ausführt, liegt bereits aktuelle Rechtsprechung des BSG zu der von ihr aufgeworfenen Problematik vor (BSG Urteil vom 20.4.2016 - B 3 P 4/14 R - BSGE 121, 108 = SozR 4-3300 § 34 Nr 3), die auch die hierzu bereits ergangene Rechtsprechung des EuGH in den Blick genommen hat (vgl BSG aaO RdNr 33 ff). Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt aber, wenn ihre Beantwortung nach der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung keinem vernünftigen Zweifel unterliegt, die Frage also "geklärt ist" (vgl zB BSG Beschluss vom 21.10.2010 - B 1 KR 96/10 B - RdNr 7 mwN). Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann nur dann dennoch klärungsbedürftig sein, wenn der Rechtsprechung in nicht geringem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 S 19 mwN). Dies ist im Rahmen der Beschwerdebegründung allerdings ebenfalls darzulegen (vgl zum Ganzen BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - juris RdNr 7).
Vorliegend fehlt es an solchem substantiierten Vortrag. Die Klägerin setzt der vorhandenen Rechtsprechung nur ihre eigenen Rechtsansichten entgegen, ohne sich argumentativ ausreichend mit der von ihr zitierten Entscheidung des BSG vom 20.4.2016 (aaO) auseinanderzusetzen. Denn das BSG hat deutlich gemacht, dass der grundsätzliche Leistungsausschluss von Pflegesachleistungen bei dauerhaftem Auslandsaufenthalt (vgl § 34 Abs 1 Nr 1 Satz 1 SGB XI) vor allem den mangelnden Umsetzungs- und Kontrollmöglichkeiten der Leistungsträger im Ausland geschuldet ist (BSG aaO RdNr 27). In § 34 Abs 1 Nr 1 Satz 3 SGB XI ist für vorübergehende Auslandsaufenthalte von bis zu sechs Wochen im Kalenderjahr die Weitergewährung der Pflegesachleistung angeordnet worden; dies gilt allerdings nur unter der Einschränkung, dass die Pflegekraft, die ansonsten die Pflegesachleistung erbringt, den Pflegebedürftigen während des vorübergehenden Auslandsaufenthalts begleitet, um die Schwierigkeiten zu vermeiden, die der Gewährung von Sachleistungen im Ausland entgegenstehen. Auch wenn die Klägerin einwendet, dass sich die Realität geändert habe, weil in Spanien ein Netzwerk von Pflegekräften zur Verfügung stehe, erschüttert sie damit nicht die gesetzliche Konzeption, der zugrunde liegt, dass im Sinne des Gesetzes "geeignete" und den Kontrollmöglichkeiten der Leistungsträger unterliegende Pflegekräfte im Ausland in der Regel nicht zur Verfügung stehen (BSG aaO RdNr 28). Neue substantiierte Gründe, die das BSG insofern zu einer Überprüfung seiner Auffassung in einem Revisionsverfahren veranlassen könnten, ergeben sich aus der Beschwerdebegründung hingegen nicht (vgl dazu BVerfG Beschluss vom 18.6.2019 - 1 BvR 587/17 - juris RdNr 34).
Nichts anderes folgt aus den bereits ergangenen Entscheidungen des EuGH (vgl EuGH Urteil vom 16.7.2009 - C-208/07 - von Chamier-Glisczinski - SozR 4-6050 Art 19 Nr 3 RdNr 84; BSG aaO RdNr 35). Der EuGH ist davon ausgegangen, dass die Regelungen für den freien Dienstleistungsverkehr einem Versicherten nicht garantieren, dass ein örtlicher Wechsel in einen anderen Mitgliedstaat ua in Bezug auf Leistungen bei Krankheit oder Pflegebedürftigkeit neutral ist. Aufgrund der Unterschiede, die in diesem Bereich zwischen den Systemen und den nicht harmonisierten Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bestehen, kann ein solcher Wechsel je nachdem finanzielle Vorteile oder Nachteile haben (vgl EuGH Urteil vom 12.7.2012 - C-562/10 - juris RdNr 57).
Soweit die Klägerin schließlich verfassungsrechtliche Bedenken gegen die gesetzlich getroffene Unterscheidung zwischen der Gewährung von Pflegesachleistungen bei nur vorübergehendem Auslandsaufenthalt und dem fehlenden Anspruch auf solche Leistungen bei dauerhaftem Auslandsaufenthalt einwendet und sich auf Grundrechtsverletzungen (Art 2 Abs 1, Art 3 Abs 1 und Art 14 Abs 1 GG) beruft, fehlt es ebenfalls an der ausreichenden Darlegung der Klärungsbedürftigkeit. Allein der Wunsch nach einer Reform der Pflegegesetze und Anpassung an die tatsächlichen Verhältnisse begründet keine Verfassungswidrigkeit des bisherigen Normkonzepts. Das BSG (Urteil vom 18.2.2016 - B 3 P 2/14 R - SozR 4-3300 § 42 Nr 1 RdNr 31 f) hat betont, dass die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit besonders groß ist, wenn ein Sozialleistungssystem wie die soziale Pflegeversicherung ohnehin nur die Teilabsicherung eines Risikos bewirken soll (vgl auch BVerfGE 103, 242, 244). Ebenso wenig kann im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prüfung darauf abgestellt werden, was aus Sicht der Menschen, die einen nachvollziehbaren Unterstützungsbedarf haben, und aus der Sicht ihrer Angehörigen wünschenswert oder gar unerlässlich erscheint (so BVerfG Beschluss vom 22.5.2003 - 1 BvR 1077/00 - SozR 4-3300 § 14 Nr 1).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13586850 |