Leitsatz (amtlich)
Das Revisionsgericht hat seiner Prüfung, ob das Tatsachengericht von Amts wegen Ermittlungen hätte anstellen müssen, die materielle Rechtsauffassung des Tatsachengerichts auch dann zugrunde zu legen, wenn es diese für unrichtig hält. Hat daher das Tatsachengericht irrigerweise eine Anspruchsvoraussetzung als gesetzlich nicht vorgeschrieben angesehen, so hat es seine Amtsermittlungspflicht nicht verletzt, wenn es die entsprechenden Ermittlungen unterlassen hat (Fortführung BSG 1956-06-07 1 RA 135/55 = SozR Nr 7 zu § 103 SGG).
Dies gilt auch dann, wenn sich dem Tatsachengericht die Frage, ob eine bestimmte Anspruchsvoraussetzung besteht, überhaupt nicht gestellt hat.
Normenkette
SGG § 103 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 3. September 1962 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Revision ist zwar form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, sie ist jedoch nach § 160 i. V. m. § 162 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht statthaft.
Da das Berufungsgericht die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen hat und die Voraussetzungen der Nr. 3 dieser Vorschrift schon der Sache nach nicht vorliegen können, wäre sie nur statthaft, wenn die vom Kläger erhobenen Verfahrensrügen durchgreifen würden (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Das ist jedoch nicht der Fall.
1) Es ist richtig, daß der Beweisbeschluß vom 13. Juni 1961, in welchem die Erstattung eines Gutachtens von dem Leiter der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg angeordnet worden ist, nicht durchgeführt worden ist, und zwar deshalb nicht, weil der Sachverständige sich wegen Arbeitsüberlastung für außerstande erklärt hat, das Gutachten innerhalb angemessener Zeit zu erstatten. Das Berufungsgericht hat dann aber durch Beweisbeschluß vom 29. Januar 1962 die Einholung eines Gutachtens vom Chefarzt der Inneren Abteilung des St. Josefs-Krankenhauses in Neunkirchen angeordnet. Dieses Gutachten ist auch erstattet worden, und zwar auf Grund stationärer Beobachtung. Unzutreffend ist es also, wenn der Kläger meint, daß an Stelle des in dem ersteren Beweisbeschluß vorgesehenen Gutachtens lediglich ein Ergänzungsgutachten von Professor Dr. von B eingeholt worden sei. Es bestehen aber im übrigen keine Bedenken, daß das Berufungsgericht den ersten durch den zweiten Beweisbeschluß ersetzt hat. Wenn dies auch nicht ausdrücklich geschehen ist, so muß dies doch aus dem Zusammenhang geschlossen werden; denn keinesfalls sollten zwei klinische Gutachten eingeholt werden. Zu der Aufhebung des ersten Beschlusses war das Berufungsgericht auch befugt. Denn ein Gericht kann seinen Beweisbeschluß jedenfalls auf Grund mündlicher Verhandlung, wie hier geschehen, jederzeit von Amts wegen auch stillschweigend aufheben (Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Aufl., § 115 Anm. II 2 b; Baumbach, Zivilprozeßordnung, 26. Aufl., Anm. 1 B zu § 360). § 360 der Zivilprozeßordnung steht dem nicht entgegen. Danach war nur noch der Beweisbeschluß vom 29. Januar 1962 wirksam und dieser ist, wie der Kläger auch nicht bezweifelt, durchgeführt worden.
2) Der Kläger verkennt bei seiner weiteren Rüge, das Berufungsgericht habe keine Ermittlungen angestellt, ob er sich von seinem ursprünglichen Beruf freiwillig oder unfreiwillig gelöst habe, daß das Bundessozialgericht (BSG) bei der Prüfung, ob das Verfahren des Berufungsgerichts fehlerhaft ist, von der materiellen Rechtsauffassung des Berufungsgerichts auch dann auszugehen hat, wenn es diese nicht für zutreffend hält (SozR SGG § 103 Da 2 Nr. 7). Insbesondere ist § 103 SGG nur dann verletzt, wenn das Berufungsgericht von seiner materiellen Rechtsauffassung ausgehend Ermittlungen hätte anstellen müssen. Das Berufungsgericht ist materiell-rechtlich davon ausgegangen, daß es für die Frage, welches der Hauptberuf eines Versicherten ist, der im Laufe seines Berufslebens den Beruf gewechselt hat, darauf ankommt, ob er sich von seinem früheren Beruf endgültig gelöst hat. Es war dagegen nicht der Rechtsauffassung, daß es zusätzlich auf den Unterschied ankomme, ob der Versicherte sich freiwillig oder unfreiwillig von seinem Beruf gelöst hat. Einmal stellt es hierauf in seinem Urteil nicht ab und zum anderen kann es diese Ansicht auch nicht stillschweigend gehabt haben. Denn es ist nicht anzunehmen, daß ein Gericht, falls es diese Ansicht gehabt hätte, gleichzeitig die danach erforderlichen Ermittlungen unterlassen hätte. Aus dem Unterlassen dieser Ermittlungen muß vielmehr umgekehrt geschlossen werden, daß das Gericht es allein für ausschlaggebend gehalten hat, ob der Kläger sich endgültig von seinem früheren Beruf gelöst hat. Wenn sich aber einem Gericht die Frage, ob eine Voraussetzung gesetzlich vorgeschrieben ist, überhaupt nicht gestellt hat, so kann allenfalls eine materiell-rechtlich unrichtige Entscheidung, nicht aber eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht vorliegen. Daher kann entgegen der Ansicht des Klägers in dem Umstand, daß das Berufungsgericht es im vorliegenden Fall unterlassen hat, aufzuklären, ob der Kläger sich von seinem Elektrikerberuf freiwillig oder unfreiwillig gelöst hat, nicht eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht erblickt werden.
Da die Revision somit nicht statthaft ist, mußte sie nach § 169 SGG als unzulässig verworfen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2325916 |
MDR 1963, 535 |
DVBl. 1963, 684 |