Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. grundsätzliche Bedeutung
Orientierungssatz
Wird zur Begründung einer grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache in einer Nichtzulassungsbeschwerde Bezug auf Rechtsprechung des BSG genommen, muss diese Rechtsprechung auch ausgewertet werden und es muss substantiiert aufgezeigt werden, dass sich daraus keine hinreichenden Anhaltspunkte zur Beurteilung der angesprochenen Frage ergeben. Die Beschwerdebegründung muss ferner vertieft darauf eingehen, welche Antworten sich aus dem Gesetzeswortlaut, den Gesetzesmaterialien und aus der weiteren Literatur herleiten lassen und inwieweit diese Antworten im vorliegenden Kontext zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
SG Frankfurt am Main (Urteil vom 29.11.2011; Aktenzeichen S 4 R 222/09) |
Hessisches LSG (Urteil vom 25.09.2012; Aktenzeichen L 2 R 35/12) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 25. September 2012 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
Mit Urteil vom 25.9.2012 hat das Hessische LSG einen Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Kosten für selbst angeschaffte Hörgeräte in Höhe von 4300,00 Euro verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Sie beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
Die Beschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.
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Die Revision ist nur zuzulassen, wenn |
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die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), |
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das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder |
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ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3). |
Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).
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Die Klägerin hält folgende Frage für grundsätzlich bedeutsam: |
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"Ist ein nach § 14 SGB IX an sich nicht zuständiger Rehabilitationsträger gleichwohl zur Kostenerstattung gemäß § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX verpflichtet, wenn er entgegen § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB I die Überprüfung eines bestandskräftig gewordenen Ablehnungsbescheides des zuständigen Rehabilitationsträgers gemäß § 44 SGB X nicht rechtzeitig eingeleitet hatte und eine solche Überprüfung auch nicht bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen beantragt worden ist ?" |
Damit ist die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargetan. Es fehlt an ausreichenden Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit und zur Klärungsfähigkeit.
Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn sich die Antwort unmittelbar aus dem Gesetz ergibt (BSG SozR 1300 § 13 Nr 1) oder bereits höchstrichterlich geklärt ist (BSG SozR 1300 § 13 Nr 1; BSG SozR 1500 § 160 Nr 51; BSG SozR 1500 § 160a Nr 13, 65). Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte enthalten, um die aufgeworfene Rechtsfrage zu beantworten (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Fehlen derartige Anhaltspunkte, so darf dies nicht darauf beruhen, dass die Rechtsfrage ohne weiteres anhand des klaren Wortlauts und Sinngehalts des Gesetzes oder offensichtlich so zu beantworten ist, wie es die Vorinstanzen getan haben, die Rechtslage also von vornherein praktisch außer Zweifel steht (BSGE 40, 40, 42 = SozR 1500 § 160a Nr 4; BSG SozR 1500 § 160a Nr 11 S 15 f; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 7 RdNr 8). Die Lösung des Rechtsproblems muss vielmehr bestritten sein (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; SozR 1300 § 13 Nr 1; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 315). Der Beschwerdeführer muss deshalb im Einzelnen dartun, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Rechtsfrage umstritten und inwiefern sie im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig ist (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IX RdNr 186). Hieran fehlt es.
Die Klägerin hat zwar Rechtsprechung des BSG zu § 14 SGB IX (vgl BSG Urteil vom 21.8.2008 - B 13 R 33/07 R), zu § 75 Abs 5 SGG (vgl BSG Urteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 19/08 R) sowie zu § 12 Abs 1 SGB IX (vgl BSG Urteil vom 4.4.2006 - B 1 KR 5/05 R) genannt. Sie hätte jedoch diese und weitere Rechtsprechung (zB BSG Urteil vom 20.10.2009 - B 5 R 5/07 R - und Urteil vom 18.5.2011 - B 3 KR 10/10 R) auswerten und substantiiert aufzeigen müssen, dass sich daraus keine hinreichenden Anhaltspunkte zur Beurteilung der angesprochenen Frage ergeben. In diesem Fall hätte die Beschwerdebegründung auch noch vertieft darauf eingehen müssen, welche Antworten sich aus dem Gesetzeswortlaut, den Gesetzesmaterialien und aus der weiteren Literatur (über die angegebene Stelle hinaus) herleiten lassen und inwieweit diese Antworten im vorliegenden Kontext zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.
Darüber hinaus hat es die Klägerin versäumt, die Klärungsfähigkeit, dh Entscheidungserheblichkeit, schlüssig darzutun. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur, wenn sie gerade für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist. Dies setzt voraus, dass es für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits auf die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ankommt und die Entscheidung bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers in seinem Sinne hätte ausfallen müssen. Kann mangels entsprechenden Vortrags nicht ausgeschlossen werden, dass der geltend gemachte Anspruch unabhängig vom Ergebnis der angestrebten rechtlichen Klärung womöglich am Fehlen einer weiteren, bisher unbeachtet gebliebenen Anspruchsvoraussetzung scheitern müsste, fehlt es an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit und damit der Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 5 RdNr 3 mwN). Ein Beschwerdeführer hat daher den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und dabei insbesondere den Schritt darzustellen, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31 S 48). Hieran fehlt es.
Die Klägerin gibt bereits nicht den der Berufungsentscheidung zugrunde liegenden, vom LSG festgestellten Sachverhalt wieder. Zwar schildert die Klägerin auf S 1 bis 2 der Beschwerdebegründung einen Sachverhalt. Ob die dort angegebenen Tatsachen auf Feststellungen des Berufungsgerichts beruhen, ist den Ausführungen der Klägerin nicht zu entnehmen. Fehlt jedoch die maßgebliche Sachverhaltsdarstellung, wird das Beschwerdegericht nicht in die Lage versetzt, allein anhand der Beschwerdebegründung zu beurteilen, ob die als grundsätzlich erachtete Rechtsfrage entscheidungserheblich ist. Es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, anhand der vorliegenden Akten selbst zu prüfen, ob die aufgeworfene Rechtsfrage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich sein kann.
Im Übrigen kann die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht zugelassen werden, wenn das Berufungsgericht eine Tatsache, die für die Entscheidung mit der Nichtzulassungsbeschwerde angesprochenen Rechtsfrage erheblich sein würde, noch nicht festgestellt hat und damit derzeit nur die Möglichkeit besteht, dass sie nach Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht und nach weiterer Sachverhaltsaufklärung entscheidungserheblich werden kann (Senatsbeschlüsse vom 16.8.2011 - B 5 RS 18/11 B - BeckRS 2011, 75768 und vom 29.6.2011 - B 5 RS 17/11 B - BeckRS 2011, 74198; BSG Beschluss vom 10.11.2008 - B 12 R 14/08 B - Juris mwN).
Die Frage, ob der Klägerin ein Kostenerstattungsanspruch zusteht, stellt sich im Rahmen des § 15 Abs 1 S 4 SGB IX nur tragend, wenn das Berufungsgericht bereits alle erforderlichen tatsächlichen Umstände festgestellt hat, um das Vorliegen sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen bejahen zu können. Hierzu führt die Beschwerdeschrift lediglich aus, dass sich die Entscheidung des LSG "allein auf die angebliche Unzuständigkeit im Sinne von § 14 SGB IX, nicht aber auf andere Begründungen" stütze. Dies reicht jedoch nicht aus. Vielmehr hätte die Beschwerdebegründung darlegen müssen, dass und ggf an welcher Stelle das Berufungsgericht für das Revisionsgericht bindend (§ 163 SGG) festgestellt hat, dass der Rehabilitationsträger eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann oder er eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (vgl § 15 Abs 1 S 4 SGB IX). Hierzu hat die Klägerin nichts vorgetragen.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15073845 |