Leitsatz (amtlich)

Nimmt bei miteinander verbundenen Streitsachen (SGG § 113 Abs 1), an denen als Revisionskläger Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts beteiligt sind, einer der Revisionskläger die Revision zurück   und wird der Rechtsstreit zwischen den übrigen Beteiligten durch Urteil erledigt, so ist der Beteiligte, der die Revision zurückgenommen hat, gebührenrechtlich so zu stellen, als ob eine Klageverbindung nicht stattgefunden hätte. Er hat also nur die nach SGG § 186 ermäßigte Pauschalgebühr zu entrichten.

 

Normenkette

SGG § 113 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 186 Fassung: 1958-06-25

 

Tenor

Die Erinnerung der Beklagten zu 2) gegen die Gebührenfeststellung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 10. August 1963 - Gen. 15 - 601 I 1 - Kassenzeichen KSK 632319 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beklagte zu 2) nur ein Viertel der vollen Gebühr, also 30,-- DM, zu zahlen hat.

 

Gründe

Die klagende Bau-Berufsgenossenschaft machte im vorangegangenen Rechtsstreit gegen jede der beiden Krankenkassen einen Anspruch auf Ersatz der Familienzuschläge zum Krankengeld geltend, die sie an zwei unfallgeschädigte Mitglieder der Beklagten gezahlt hatte. Das Sozialgericht Berlin hat nach Verbindung der beiden Rechtsstreitigkeiten mit Urteil vom 8. Juli 1959 die Beklagten antragsgemäß zum Ersatz der von der Klägerin ausgezahlten Familienzuschläge verurteilt, die Beklagte zu 2) zusätzlich auch zur Erstattung von noch nicht gezahltem Krankengeld für zwei Tage. Beide Beklagten legten hiergegen Sprungrevision beim Bundessozialgericht (BSG) ein. Die Beklagte zu 2) nahm ihre Revision jedoch mit Schreiben vom 29. Oktober 1959 zurück, da sie diese verspätet eingelegt hatte. Die Revision der Beklagten zu 1) wurde durch Urteil des BSG vom 26. März 1963 mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß sie an die Klägerin nur 11,88 DM an Stelle von 11,94 DM zu zahlen hatte.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des BSG stellte daraufhin durch Zustellung eines Auszugs aus dem Gebührenverzeichnis vom 10. August 1963 die Gebührenschuld der Beklagten zu 2) für diesen Rechtszug auf 40,-- DM (ein Drittel der Pauschgebühr von 120,-- DM) fest (§§ 184, 187 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-, § 1 der Verordnung vom 31. März 1955 idF der Verordnung vom 10. Dezember 1962 -BGBl I 721-). Hiergegen hat die Beklagte zu 2) mit einem am 28. August 1963 beim BSG eingegangenen Schreiben Erinnerung eingelegt. Sie ist der Ansicht, sie sei wegen der Rücknahme ihrer Revision am Sozialrechtsstreit in der Revisionsinstanz nicht beteiligt gewesen und könne daher nicht zur Zahlung der Gebühr herangezogen werden.

Die Erinnerung ist zulässig (§ 189 Abs. 2 Satz 2 SGG); sie ist jedoch nur insoweit begründet, als die von der Beklagten zu 2) zu entrichtende Gebühr auf mehr als ein Viertel der Pauschalgebühr von 120,-- DM, das sind 30,-- DM, festgestellt worden ist.

Nach § 187 SGG haben die Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, die an einer Streitsache beteiligt sind, die Gebühr zu gleichen Teilen zu entrichten. Diese Gebühr entsteht, sobald die Streitsache

"rechtshängig" geworden ist (§ 184 Abs. 1 Satz 2 SGG), in der Revisionsinstanz also mit Einlegung des Rechtsmittels. Der Ansicht, daß bei Zurücknahme einer unzulässigen Revision die Gebühr nicht zu zahlen sei, steht die ausdrückliche Regelung des § 185 SGG über die Fälligkeit der Gebühr bei Rücknahme des Rechtsbehelfs entgegen. Die kostenrechtliche Wirkung der Rechtsmitteleinlegung wird dadurch nicht beseitigt (BSG vom 20. Oktober 1955 in SozR § 184 SGG Bl. Da 1 Nr. 1).

Bei Zurücknahme eines Rechtsmittels greift jedoch § 186 SGG ein. Danach ermäßigt sich die Gebühr auf die Hälfte, wenn die Sache nicht durch Urteil erledigt wird. Unter "Streitsache" i.S. der gebührenrechtlichen Vorschriften wird zwar im allgemeinen nicht der einzelne rechtshängige Anspruch als solcher, also nicht der Streitgegenstand verstanden, sondern jedes bei einem Gericht anhängige Verfahren, ohne Rücksicht auf die Zahl der Ansprüche und der am Verfahren Beteiligten (Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 3. Aufl., § 184 6. Nachtrag Anm. 2a S. III/101, 102; Rohwer-Kahlmann, Aufbau und Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit, § 184 SGG Rz. 31; Bayer. LSG in Bayer. Amtsbl. 1956 B 69; LSG Celle in Breith. 1956, 1257; LSG Berlin in SGb 1958, 363.

A.A. Brocke/Reese, Gebühren- und Kostenrecht der Sozialgerichtsbarkeit, § 184 Anm. III; LSG Celle in Breith. 1956, 974; LSG Hamburg in Breith. 1957, 975). Daher wird auch die Meinung vertreten, daß eine "Sache" erst dann erledigt sein könne, wenn das gesamte Verfahren abgeschlossen ist. Hiernach soll eine Ermäßigung der Gebühr auch dann nicht in Betracht kommen, wenn für einen der Beteiligten das Verfahren schon vorher, etwa durch Rücknahme des Rechtsmittels, endet (Peters/Sautter/Wolff, aaO, Anm. zu § 187 SGG 6. Nachtrag S. III/109-10/3 u. 4; LSG Berlin, SGb 1958, 363). Dieser Auffassung kann sich der Senat jedenfalls in Fällen der durch Gerichtsbeschluß angeordneten Klageverbindung (§ 113 SGG) nicht anschließen. Die Ermäßigung der Gebühr nach § 186 Satz 1 SGG beruht offenbar auf der Erwägung, daß bei einer Erledigung der Streitsache ohne Urteil die dem Staat entstehenden Kosten geringer sind, als wenn ein Urteil ergeht; eine Minderung dieser Kosten tritt aber bei verbundenen Streitsachen auch ein, wenn zwar ein Urteil ergeht, dieses aber - infolge Rücknahme der Revision durch einen Revisionskläger - eine geringere Zahl von Beteiligten betrifft. Zudem läßt § 186 Satz 2 SGG, wonach die Pauschgebühr ganz entfällt, wenn die Erledigung der Streitsache auf einer Rechtsänderung beruht, erkennen, daß eine differenzierte Kostenregelung je nach den Gründen, die zur Erledigung der Streitsache ohne Urteil geführt haben, dem Sinn des Gesetzes entspricht. Der Rücknahme der Revision durch nur einen Revisionskläger kostenrechtlich keine Beachtung zu schenken, würde dem Zweck des § 186 Satz 1 SGG widersprechen, der auch darauf gerichtet ist, den Gebührenschuldner im Interesse der Entlastung der Gerichte dazu anzuregen, in aussichtslosen Streitsachen es nicht zu einem Urteil kommen zu lassen (Brocke/Reese, Gebühren- und Kostenrecht in der Sozialgerichtsbarkeit, § 186 SGG; Peters/Sautter/Wolff, aaO, § 186 SGG, 6. Nachtrag, Anm. 1 S. III/109-10; Begr. zu § 133 der Sozialgerichtordnung, BT-Drucks. 4357, 1. Wahlperiode).

Bei der vom Gesetzgeber gewollten differenzierten Regelung erscheint es somit nicht berechtigt, die bisher am Verfahren beteiligte Körperschaft allein dadurch, daß die nur gegen sie gerichtete Klage mit einem gegen eine andere Partei gerichteten Rechtsstreit zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden ist (§ ll3 SGG), in gebührenrechtlicher Hinsicht schlechter zu stellen, als wenn sie allein beteiligt geblieben wäre. Hätte das Sozialgericht die beiden Rechtsstreitigkeiten nicht verbunden, so würde bei Zurücknahme der Revision auf die Beklagte zu 2) nur die ermäßigte halbe Gebühr, also ein Viertel der Pauschgebühr, entfallen. Um dem in § 186 SGG zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken Rechnung zu tragen, muß daher, wenn sich bei Verbindung mehrerer Rechtsstreitigkeiten der Rechtsstreit gegen einen der Beteiligten auf andere Weise als durch Urteil erledigt, die Ermäßigung demjenigen Beteiligten zugute kommen, der durch seine Erklärung den ihn betreffenden Rechtsstreit in anderer Weise als durch Urteil erledigt hat. Deshalb hat die Beklagte zu 2) im vorliegenden Rechtsstreit, an dem nach der Verbindung drei Körperschaften des öffentlichen Rechts beteiligt waren, für das Revisionsverfahren nur die Hälfte der Gebühr zu zahlen, die sie ohne Verbindung der beiden Rechtsstreite nach Rücknahme ihrer Revision zu zahlen hatte, d.h. ein Viertel der vollen Pauschgebühr, also 30,-- DM.

 

Fundstellen

NJW 1965, 799

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