Verfahrensgang
SG Nürnberg (Entscheidung vom 29.03.2018; Aktenzeichen S 11 KR 629/15) |
SG Nürnberg (Entscheidung vom 24.07.2018; Aktenzeichen S 11 KR 89/15) |
Bayerisches LSG (Urteil vom 22.06.2021; Aktenzeichen L 20 KR 397/18) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22. Juni 2021 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit haben die Beteiligten um die Versicherungspflicht der Klägerin in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung sowie die Ausstellung einer elektronischen Gesundheitskarte gestritten.
Die Klägerin war aufgrund des Bezugs von Verletztengeld infolge eines Arbeitsunfalls bei der Beklagten zu 1. gesetzlich kranken- und bei der Beklagten zu 2. sozial pflegeversichert. Die beigeladene Unfallkasse wies die Beklagte zu 1. an, ab 6.7.2010 kein Verletztengeld mehr auszuzahlen, weil der Klägerin Leistungen wegen fehlender Mitwirkung versagt worden seien. Ihr Arbeitgeber meldete sie zum 6.8.2010 von der Versicherungspflicht ab. Die Beklagten führten die Versicherungen zunächst bis 6.8.2010 fort. Gegen das Ende der Versicherung und die Ablehnung der Ausstellung einer elektronischen Gesundheitskarte sowie gegen den ihrem Arbeitgeber erteilten Hinweis auf das Ende der Versicherung wegen des Bezugs von Verletztengeld wandte sich die Klägerin mit Widerspruch und Klage (S 11 KR 89/15).
In der Folge stellten die Beklagten Versicherungspflicht in der Auffangpflichtversicherung gemäß § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V, § 20 Abs 1 Satz 1 Nr 12 SGB XI fest und forderten Beiträge (Bescheid vom 29.7.2015). Die Beklagte zu 1. übersandte der Klägerin eine elektronische Gesundheitskarte, die sie zurückgab. Auf den Widerspruch der Klägerin teilte die Beklagte zu 1. mit, der Bescheid vom 29.7.2015 sei Gegenstand des bereits anhängigen Klageverfahrens geworden. Dagegen hat die Klägerin erneut Klage (S 11 KR 629/15) erhoben, die das SG als unzulässig abgewiesen hat. Der Bescheid vom 29.7.2015 sei bereits Gegenstand des Verfahrens S 11 KR 89/15(Gerichtsbescheid des SG Nürnberg vom 29.3.2018).
Im Verfahren gegen die Beigeladene hob das LSG mit Urteil vom 10.7.2014 (L 17 U 510/13) deren Versagensbescheid auf. Nachdem die Klägerin das entsprechende Anerkenntnis der Beklagten vom 10.4.2018 nicht angenommen hatte, hat das SG im Verfahren S 11 KR 89/15 die angefochtenen Bescheide aufgehoben, die Beklagten verurteilt, die jeweilige Mitgliedschaft ab 7.8.2010 aufgrund des Anspruchs auf Verletztengeld fortzuführen sowie der Klägerin eine elektronische Gesundheitskarte auszustellen, festgestellt, dass keine Beitragsrückstände bestünden, und im Übrigen die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 24.7.2018). Nach Verbindung beider Verfahren in der mündlichen Verhandlung hat das LSG den Gerichtsbescheid vom 24.7.2018 betreffend den Widerspruchsbescheid vom 23.7.2015 aufgehoben, der bereits Gegenstand eines weiteren Verfahrens vor dem LSG sei. Im Übrigen hat es die Berufung verworfen oder zurückgewiesen. Der Klägerin fehle die Beschwer soweit sie weiterhin die Aufhebung der Bescheide sowie die Fortsetzung der Mitgliedschaft geltend mache, die Ausstellung einer elektronischen Gesundheitskarte wünsche und sich gegen eine rückwirkende Beitragserhebung wende. Insofern habe das SG der Klage stattgegeben. Die Versicherungspflicht sei erst zum 6.8.2010 beendet worden. Es bestehe auch kein Rechtsschutzbedürfnis für eine zusätzliche Erklärung für die Zeit vom 6.7. bis zum 6.8.2010. Das sei aus dem Anerkenntnis ersichtlich, das die Versicherungspflicht als fortbestehend bezeichne und das Fehlen von Beitragsrückständen feststelle. Die Berufung sei unbegründet, soweit die Klägerin die Feststellung der Rechtswidrigkeit von Bescheiden und Handlungen der Beklagten begehre. Insofern habe das SG zu Recht ein über das Anerkenntnis und den Gerichtsbescheid hinausgehendes Rechtsschutzbedürfnis verneint (Urteil vom 22.6.2021).
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. In der Begründung des Rechtsmittels ist entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG kein Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
In der Beschwerdebegründung vom 9.11.2021 behauptet die Klägerin das Vorliegen des Zulassungsgrundes des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Einen entscheidungserheblichen Verfahrensfehler zeigt sie allerdings nicht in einer den Zulässigkeitsanforderungen entsprechenden Weise auf.
Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (zu den Anforderungen an die Bezeichnung eines solchen Verfahrensmangels s exemplarisch BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4; BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 4 - jeweils mwN; Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX, RdNr 202 ff). Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann sich der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG stützen. Ferner kann die Geltendmachung eines Verfahrensmangels auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht) gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Prüfungsmaßstab ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG (vgl BSG Beschluss vom 14.5.2007 - B 1 KR 21/07 B - juris RdNr 18 mwN; BSG Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - SozR Nr 79 zu § 162 SGG; BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - SozR 1500 § 160 Nr 33). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn er hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargelegt wird, sodass das BSG allein anhand der Beschwerdebegründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht. Dem wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Klägerin macht einen Verstoß gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs geltend. Eine Verletzung des Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 128 Abs 2, § 62 SGG) liegt insbesondere dann vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist (vgl BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 8.4.2014 - 1 BvR 2933/13 - NZS 2014, 539 RdNr 13 mwN) oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können (vgl BSG Urteil vom 16.3.2016 - B 9 V 6/15 R - SozR 4-3100 § 60 Nr 7 RdNr 26; BVerfG Beschluss vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188, 190). Das Recht auf rechtliches Gehör verpflichtet nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen, ihn also zu "erhören" (BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 8.4.2014, aaO).
Die Klägerin meint, das LSG habe das Rechtsschutzbedürfnis verkannt und fehl beurteilt und ihren Antrag auf Aufhebung der Verlängerung der Mitgliedschaft nach § 7 Abs 3 SGB IV zu Unrecht nicht beschieden. Damit habe sie nicht rechnen müssen. Sie erklärt aber nicht, inwiefern sie von einer Entscheidung des LSG überrascht worden sein soll, die die Entscheidung des SG bestätigt, nach der sich bereits aus dem Gesetz ergibt, dass bei durchgehender Versicherung wegen des Anspruchs auf Verletztengeld eine Verlängerung der Mitgliedschaft nach § 7 Abs 3 SGB IV nicht stattfindet. Aus der Beschwerdebegründung wird nicht hinreichend deutlich, warum die Klägerin dennoch noch eine Entscheidung über die Aufhebung der Verlängerung der Mitgliedschaft nach § 7 Abs 3 SGB IV erwartet hat.
Soweit die Klägerin (unter II. und IV der Beschwerdebegründung) geltend macht, das LSG habe ihren Antrag unrichtig dahingehend ausgelegt, dass sie eine Entscheidung für die Zeit vom 6.7. bis 6.8.2010 nicht begehre, ist ein Verfahrensfehler ebenfalls nicht aufgezeigt. Es ist bereits nicht erkennbar, warum die Klägerin davon ausgeht, das LSG habe ihren Antrag dahingehend ausgelegt, obwohl es ausführt, das Anerkenntnis umfasse auch diesen Zeitraum. Soweit die Klägerin meint, sie habe nie die Mitgliedschaft nach § 192 Abs 1 Nr 3 SGB V, § 49 Abs 2 SGB XI begehrt, wird nicht deutlich, inwiefern sich die Klägerin dann durch die Entscheidung des LSG beschwert sieht. Soweit die Klägerin auch insofern wieder die fehlerhafte Anwendung des § 7 Abs 3 SGB IV rügt, kann die darin liegende Behauptung, die Entscheidung des Berufungsgerichts sei inhaltlich unrichtig, im sozialgerichtlichen Verfahren nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18).
Wenn die Klägerin ausführt, dass das LSG zu Unrecht von einem Anerkenntnis ausgehe, wird nicht deutlich, in welchem Verfahrensrecht sich die Klägerin berührt sieht. Soweit die Klägerin sich gegen die Verbindung der beiden vom SG getrennt entschiedenen Klagen wendet, wird nicht aufgezeigt, inwiefern das LSG das ihm eingeräumte Ermessen verletzt haben soll. Sich auf den Vorwurf zu beschränken, das LSG habe "willkürlich und ohne sachlich vernünftigen Grund beschlossen" genügt nicht. Soweit in diesem Zusammenhang die fehlerhafte Anwendung von § 96 SGG gerügt wird, ist nicht dargetan, an welcher Stelle das LSG diese Vorschrift für einschlägig gehalten hätte.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Heinz Bergner Padé
Fundstellen
Dokument-Index HI15116898 |