Verfahrensgang
SG Gotha (Entscheidung vom 03.12.2019; Aktenzeichen S 11 R 2724/17) |
Thüringer LSG (Urteil vom 29.06.2022; Aktenzeichen L 3 R 1411/19) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 29. Juni 2022 vor dem Bundessozialgericht Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.
Der im Jahr 1957 geborene Kläger war zuletzt im Jahr 1998 versicherungspflichtig beschäftigt. Nach einem früheren erfolglosen Rentenverfahren auf den Antrag vom Mai 2000 blieb auch ein im Februar 2008 eingeleitetes Überprüfungsverfahren ohne Erfolg. Einen neuen Rentenantrag vom Februar 2016 lehnte die Beklagte ebenfalls ab (Bescheid vom 3.2.2017; Widerspruchsbescheid vom 19.7.2017).
Im Klageverfahren hat das SG Gotha Befundberichte der behandelnden Ärzte sowie ärztliche Sachverständigengutachten eingeholt. K1 hat in seinem internistischen Gutachten vom 15.5.2018 den Kläger noch für in der Lage erachtet, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes bei Beachtung gewisser qualitativer Einschränkungen vollschichtig erwerbstätig zu sein. Auch die weiteren Sachverständigen haben auf orthopädischem und auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet eine Erwerbsfähigkeit von mindestens sechs Stunden täglich unter Leistungseinschränkungen bestätigt (Gutachten B1 vom 15.5.2018; Gutachten K2 vom 17.6.2019). Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 3.12.2019 abgewiesen. Das LSG hat die Akten aus dem Schwerbehindertenverfahren (L 5 SB 311/20) beigezogen, daraus die vom SG Gotha eingeholten Gutachten von B2 und W zu den Akten genommen und die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 29.6.2022).
Nach Zustellung des Berufungsurteils am 27.8.2022 hat der Kläger mit Schreiben vom 17.9.2022 und vom 19.9.2022 (jeweils eingegangen beim BSG mit Telefax vom selben Tag) die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt sowie mit Telefax vom 25.9.2022 eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse übermittelt und die Verletzung revisiblen Rechts gerügt.
II
Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen.
Einem Beteiligten kann für das Verfahren vor dem BSG nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Nach Prüfung des Streitstoffs anhand der beigezogenen Verwaltungs- und Gerichtsakten ist nicht zu erkennen, dass ein Prozessbevollmächtigter in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen das LSG-Urteil vom 29.6.2022 erfolgreich zu begründen.
Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG sind nicht zu erkennen. Die Voraussetzungen, unter denen eine Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren ist, ergeben sich unmittelbar aus § 43 SGB VI und sind in der Rechtsprechung des BSG geklärt (vgl zuletzt BSG Urteil vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R - BSGE 129, 274 = SozR 4-2600 § 43 Nr 22). Auch ist nicht ersichtlich, dass das LSG einen abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem solchen des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellt hat (Zulassungsgrund der Divergenz, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG).
Ebenso fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass eine Nichtzulassungsbeschwerde einen Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG mit Erfolg bezeichnen könnte. Nach Halbsatz 2 dieser Bestimmung kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Dass ein solcher entscheidungserheblicher Verfahrensmangel aufgezeigt werden und vorliegen könnte, ist nicht ersichtlich.
Einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nur erfolgreich rügen, wenn sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren und bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrag bezeichnen kann, dem das LSG ohne hinreichenden Grund nicht gefolgt ist. Zwar sind an Form, Inhalt, Formulierung und Präzisierung eines Beweisantrags verminderte Anforderungen zu stellen, wenn ein Kläger in der Berufungsinstanz nicht durch einen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten vertreten war. Auch ein unvertretener Kläger muss aber dem Gericht deutlich machen, dass er noch Aufklärungsbedarf sieht und dies grundsätzlich in der mündlichen Verhandlung verdeutlichen (vgl BSG Beschluss vom 21.12.2021 - B 9 V 34/21 B - juris RdNr 11 mwN).
Aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 29.6.2022 ergibt sich, dass der persönlich anwesende Kläger unter Bezugnahme auf seinen Schriftsatz zuletzt vom 16.6.2022 "und die dort geschilderten Beschwerden (Long Covid, Durchblutungsstörung, niedriger Blutdruck u.a.)" sowie unter Benennung seiner Beschwerden "im Zusammenhang mit Schädigung der Halswirbelsäule, Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule" auf sein beeinträchtigtes Leistungsvermögen hingewiesen und einen Sachantrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab Februar 2016 gestellt hat. Ein Beweisantrag lässt sich dem - mit Beschluss vom 14.10.2022 bestätigten - Protokollinhalt nicht entnehmen. Soweit der Kläger im Schreiben vom 16.6.2022 noch formuliert hatte, es werde "der Antrag auf ein medizinisches Gutachten aufrechterhalten", geht aus der Sitzungsniederschrift nicht hervor, dass er an der Forderung nach weiterer Beweiserhebung festgehalten hat. Im Übrigen erklärt auch das Schreiben vom 16.6.2022 nicht, im Hinblick auf welche konkreten Leistungsbeeinträchtigungen - nach insgesamt drei eingeholten und zwei beigezogenen Sachverständigengutachten - noch weiterer Aufklärungsbedarf bestanden haben soll. Auch ein nicht rechtskundig vertretener Beteiligter muss dies verdeutlichen (vgl BSG Beschluss vom 27.7.2016 - B 1 KR 38/16 B - juris RdNr 5 mwN).
Zudem sind keine Gründe dafür ersichtlich, dass das Berufungsgericht fehlerhaft besetzt gewesen sein könnte (§ 202 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO). Art 101 Abs 1 Satz 2 GG lässt im Fall eines gänzlich untauglichen oder rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchs eine Entscheidung des abgelehnten Richters selbst über das Gesuch zu (vgl BSG Beschluss vom 20.4.2021 - B 5 R 18/21 B - juris RdNr 20 mwN). Bei offensichtlich rechtsmissbräuchlichen Gesuchen besteht keine Wartepflicht iS des § 60 Abs 1 SGG iVm § 47 Abs 1 ZPO(vgl BSG Beschluss vom 31.8.2015 - B 9 V 26/15 B - juris RdNr 14) . Der Kläger hat mit Schreiben vom 13.8.2020 "die oder der jeweilige Richter, die oder der von Amts wegen mit Schreiben vom 04.08.20 dem Kläger 2 Gutachten eines Parallelverfahrens übermitteln ließen, abgelehnt" und mit weiterem Schreiben vom 21.5.2021 sein Ablehnungsgesuch bekräftigt. Das Berufungsgericht hat in seinem Urteil vom 29.6.2022 das Vorgehen des Klägers als offensichtlich missbräuchlich erachtet, weil der Kläger das Ablehnungsgesuch, wie bereits mehrfach und regelhaft in der Vergangenheit, gestellt habe, um Richter "auszuschalten", die ihm nicht genehme Rechtsauffassungen verträten. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BSG, dass die wiederholte Praxis eines Klägers, einen beteiligten Richter wegen seiner Ansicht nach jeweils unzutreffender rechtlicher Bewertungen und verfahrensrechtlicher Vorgehensweisen abzulehnen, als rechtsmissbräuchlich angesehen werden kann (vgl BSG Beschluss vom 23.2.2022 - B 9 SB 74/21 B - juris RdNr 13; BSG Beschluss vom 22.11.2022 - B 2 U 38/22 B - juris RdNr 10, jeweils mwN).
Schließlich könnte der Kläger in einem Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde auch keinen Verfahrensfehler des LSG dahingehend erfolgreich geltend machen, dass - wie er bereits vor dem Berufungsgericht vorgetragen hat - das erstinstanzliche Verfahren beim SG trotz dessen Gerichtsbescheids noch nicht abgeschlossen sei, weil noch über ein nach Erlass des Gerichtsbescheids angebrachtes Ablehnungsgesuch zu entscheiden sei (zu dem entsprechenden Vortrag des Klägers in einer Schwerbehindertensache vgl BSG Beschluss vom 1.7.2021 - B 9 SB 2/21 BH - juris RdNr 9).
Soweit der Kläger auch im Rahmen des PKH-Verfahrens erneut bekräftigt, er habe einen Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente, wendet er sich gegen eine vermeintliche Fehlerhaftigkeit der Berufungsentscheidung. Darauf kann eine Nichtzulassungsbeschwerde jedoch nicht gestützt werden (vgl BSG Beschluss vom 20.10.2021 - B 5 R 230/21 B - juris RdNr 6 mwN).
Da kein Anspruch auf Bewilligung von PKH besteht, entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (vgl § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
Fundstellen
Dokument-Index HI15641137 |