Verfahrensgang
SG Lüneburg (Entscheidung vom 23.09.2020; Aktenzeichen S 16 KR 509/17) |
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 15.08.2023; Aktenzeichen L 16 KR 443/20) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 15. August 2023 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich der Kläger gegen die Verbeitragung einer Kapitalzahlung aus einem sogenannten "P3 Aufbaukonto" seiner früheren Arbeitgeberin.
Der 1951 geborene Kläger war bis zum 1.10.2009 bei seiner früheren Arbeitgeberin beschäftigt. Diese bot ihren Mitarbeitern verschiedene Möglichkeiten zur Eigenvorsorge an, ua Pensionsfonds/Metallrente, Firmendirektversicherung und "P3 Aufbaukonto". Voraussetzung für das "P3 Aufbaukonto" war ein Mindestalter von 25 Jahren, mindestens drei Jahre Betriebszugehörigkeit und ein unbefristeter deutscher Arbeitsvertrag. Die Auszahlung erfolgte ua als Einmalkapital, lebenslange monatliche Rente oder Kombination aus monatlicher Rente und Ratenzahlungen frühestens ab Vollendung des 60. Lebensjahres in Verbindung mit dem Austritt aus dem Unternehmen und war nicht an die gesetzliche Rente gekoppelt. Am 30.9.2009 handelte der Kläger mit seiner früheren Arbeitgeberin einen Abfindungsbetrag in Höhe von (iHv) 240 000 Euro aus. Von dieser Summe zahlte er einen Betrag iHv 100 000 Euro auf das "P3 Aufbaukonto" bei Zusage einer Auszahlung iHv 120 000 Euro ein. Zum Fälligkeitszeitpunkt am 28.2.2013 erhielt der Kläger eine Kapitalleistung iHv 123 213 Euro ausgezahlt. Die Beklagte legte den Betrag als Versorgungsbezug der Beitragserhebung in der gesetzlichen Krankenversicherung zugrunde(Bescheid vom 26.1.2017; Widerspruchsbescheid vom 22.11.2017) .
Das SG hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben(Urteil vom 23.9.2020) . Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das Aufbaukonto sei aufgrund seiner Funktionsgleichheit nicht anders zu behandeln als die weit verbreitete und in ständiger Rechtsprechung als beitragspflichtig beurteilte Direktversicherung(Urteil vom 15.8.2023) . Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. In der Begründung des Rechtsmittels ist entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG kein Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
1. Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug(zu den Anforderungen an die Bezeichnung eines solchen Verfahrensmangels s exemplarischBSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4;BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 4 - jeweils mwN; Meßling in Krasney/Udsching/Groth/Meßling, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl 2022, Kap IX RdNr 113 ff) . Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann sich der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG stützen. Ferner kann die Geltendmachung eines Verfahrensmangels auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht) gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Prüfungsmaßstab ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG(vglBSG Beschluss vom 14.5.2007 - B 1 KR 21/07 B - juris RdNr 18 mwN;BSG Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - SozR Nr 79 zu § 162 SGG;BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - SozR 1500 § 160 Nr 33) . Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn er hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargelegt wird, sodass das BSG allein anhand der Beschwerdebegründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht. Dem wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Kläger rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör. Das für ihn negative Urteil des LSG habe ihn völlig überraschend getroffen. Er habe einer Entscheidung des LSG ohne mündliche Verhandlung nur deshalb zugestimmt, weil für ihn die Sach- und Rechtslage eindeutig und vom SG entsprechend eindeutig erfasst gewesen sei. Er habe allen Grund zu der Annahme gehabt, das LSG würde zu seinen Gunsten entscheiden. Hierdurch bezeichnet der Kläger weder einen Verstoß gegen seinen Anspruch auf rechtliches Gehör(§ 62 SGG ,Art 103 Abs 1 GG ) noch eine Verletzung des § 124 Abs 2 SGG iVm§ 153 Abs 1 SGG .
Der Kläger hat einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung durch Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 21.3.2023 zugestimmt. Dass diese Einverständniserklärung im Lauf des weiteren Verfahrens bis zur Entscheidung durch das LSG wegen einer wesentlichen Änderung der Prozesslage ihre Wirksamkeit verloren hätte(vglBSG Beschluss vom 16.7.2019 - B 12 KR 102/18 B - juris RdNr 5 ff) ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
Eine Gehörsverletzung liegt insbesondere dann vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist(vgl zBBVerfG Beschluss vom 15.1.1969 - 2 BvR 326/67 - BVerfGE 25, 137 ) oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können(vgl zBBSG Urteil vom 23.5.1996 - 13 RJ 75/95 - SozR 3-1500 § 62 Nr 12 S 19) .Art 103 Abs 1 GG gibt den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich nicht nur zu dem für die jeweilige gerichtliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern, und verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei kann es in besonderen Fällen geboten sein, die Verfahrensbeteiligten auf eine Rechtsauffassung hinzuweisen, die das Gericht seiner Entscheidung zugrunde legen will. Es kann im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags zur Rechtslage gleichkommen, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte. Allerdings ist zu beachten, dass das Gericht grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet ist. Auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, müssen daher die Verfahrensbeteiligten grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einstellen(BVerfG Urteil vom 14.7.1998 - 1 BvR 1640/97 - BVerfGE 98, 218 - juris RdNr 162) . Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt nicht vor, wenn die Problematik bereits Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens war(vgl BVerfG Kammerbeschluss vom 12.7.2006 - 2 BvR 513/06 - BVerfGK 8, 376 ; vgl auchBSG Beschluss vom 20.8.2008 - B 13 R 217/08 B - juris RdNr 9 ) oder selbst in das Verfahren eingeführt wurde. Inwieweit - gemessen daran - die angefochtene Entscheidung überraschend gewesen sein soll, obwohl nach dem Vorbringen des Klägers auch das SG auf den Versorgungsbezug der Direktversicherung eingegangen war, geht aus der Beschwerdebegründung nicht hervor.
2. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist(stRspr; vgl nurBSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17;BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6 mwN) .
Der Kläger formuliert folgende Frage:
"Ist der Umstand, dass eine einem Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber angebotene Möglichkeit, eine einmalige Kapitaleinzahlung in eine vom Arbeitgeber verwaltete Kapitalanlegemöglichkeit vorzunehmen, nur Betriebsangehörigen oder ehemaligen Betriebszugehörigen zugänglich ist, geeignet, daraus einen dahingehenden betrieblichen Bezug herzustellen, dass die Kapitaleinzahlung als der betrieblichen Altersvorsorge dienend zu bewerten ist?"
Obwohl er zum Zeitpunkt der Kapitaleinzahlung bereits aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden gewesen sei, habe das LSG einen Bezug der Einzahlung zu seinem Arbeitsleben hergeleitet, indem es die Kapitalzahlung einer Direktversicherung gleichgestellt habe. An dieser Rechtsauffassung seien durchgreifende Zweifel berechtigt.
a) Die Beschwerdebegründung erfüllt die Darlegungsvoraussetzungen für eine Grundsatzrüge(vgl hierzu exemplarischBSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN) nicht, weil darin keine abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts(§ 162 SGG ) mit höherrangigem Recht(BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN) formuliert wird. Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann(BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN) .
b) Unabhängig davon legt der Kläger auch die Klärungsbedürftigkeit seiner Frage nicht hinreichend dar. Eine Rechtsfrage ist dann höchstrichterlich geklärt und damit als nicht (mehr) klärungsbedürftig anzusehen, wenn diese bereits beantwortet ist. Ist sie noch nicht ausdrücklich entschieden, genügt es, dass schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben(BSG Beschluss vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 7 mwN) . Daher muss substantiiert aufgezeigt werden, dass und warum sich früheren Entscheidungen keine solchen Anhaltspunkte entnehmen lassen. Dem wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Senat hat sich wiederholt mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit Kapitalleistungen als beitragspflichtiger Versorgungsbezug(§ 229 Abs 1 Satz 1 SGB V ) zu qualifizieren sind(vgl uaBSG Urteil vom 8.10.2019 - B 12 KR 2/19 R - SozR 4-2500 § 229 Nr 28;BSG Urteil vom 26.2.2019 - B 12 KR 17/18 R - BSGE 127, 254 = SozR 4-2500 § 229 Nr 24;BSG Urteil vom 26.2.2019 - B 12 KR 13/18 R - SozR 4-2500 § 229 Nr 25; vgl auch BVerfG Kammerbeschluss vom 7.4.2008 - 1 BvR 1924/07 - SozR 4-2500 § 229 Nr 5; BVerfG Kammerbeschluss vom 9.7.2018 - 1 BvL 2/18 - juris) . Hiermit befasst sich der Kläger nicht hinreichend. Er bezweifelt die Rechtsauffassung des LSG und fragt, ob unter den beschriebenen Verhältnissen eine betriebliche Altersversorgung vorliegen kann. Die Behauptung, die Entscheidung des Berufungsgerichts sei inhaltlich unrichtig, kann aber im sozialgerichtlichen Verfahren nicht zur Zulassung der Revision führen(vglBSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18) .
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen(§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von§ 193 SGG .
Fundstellen
Dokument-Index HI16574321 |