Verfahrensgang
SG Nürnberg (Entscheidung vom 15.12.2017; Aktenzeichen S 21 P 126/16) |
Bayerisches LSG (Urteil vom 23.09.2020; Aktenzeichen L 4 P 21/18) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. September 2020 vor dem Bundessozialgericht Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Rechtsanwältin S T, N, zu gewähren, wird abgelehnt.
Gründe
I
Der bei der beklagten Pflegekasse bis zum 30.9.2018 versicherte Kläger ist mit seinem Begehren auf Anerkennung von Pflegestufe I ab 1.5.2015 bei anerkannter eingeschränkter Alltagskompetenz erfolglos geblieben. Zur Begründung hat das Bayerische LSG in seinem Beschluss vom 23.9.2020 unter Bezugnahme auf das erstinstanzliche Urteil im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe ausweislich des Pflegegutachtens und der aktenkundigen medizinischen Unterlagen keinen Unterstützungsbedarf in der Grundpflege von mehr als 20 Minuten und damit bei weitem nicht den erforderlichen Hilfebedarf von mehr als 45 Minuten. Weitere Ermittlungen seien danach nicht veranlasst gewesen.
Der Kläger hat mit einem von ihm unterzeichneten - am 11.1.2021 beim BSG eingegangenen - Schreiben die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung der genannten Rechtsanwältin zur Durchführung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens gegen den vorgenannten Beschluss des LSG beantragt.
II
Der Antrag auf PKH ist abzulehnen. Gemäß § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, für das Verfahren vor dem BSG PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Es fehlt jedoch bereits an der hinreichenden Aussicht auf Erfolg. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG) in der Lage wäre, die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in der Entscheidung des LSG erfolgreich zu begründen. Es kann daher offenbleiben, ob der Kläger die persönlichen bzw wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine PKH-Bewilligung erfüllt.
Gemäß § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3); auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG kann der Verfahrensmangel nicht gestützt werden und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht) nur, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (Nr 3 Halbsatz 2). Ein solcher Zulassungsgrund ist nach Prüfung des Streitstoffs im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung durch den Senat nicht ersichtlich.
1. Es ist nicht erkennbar, dass eine Zulassung der Revision gegen das vom Kläger angegriffene Urteil des LSG mit Erfolg auf § 160 Abs 2 Nr 1 SGG gestützt werden könnte. Grundsätzliche Bedeutung iS dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt, von der angestrebten Entscheidung der Rechtssache im Revisionsverfahren somit erwartet werden kann, dass diese in einer bisher nicht geschehenen, jedoch das Interesse der Allgemeinheit berührenden Weise die Rechtseinheit herstellen, wahren oder sichern oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 30 S 57 f). Rechtsfragen, die in diesem Sinne noch grundsätzliche Bedeutung haben könnten, sind für die Beurteilung des Grundpflegebedarfs des Klägers im streitigen Zeitraum nicht ersichtlich. Dies gilt auch für die von ihm formulierte Rechtsfrage:
"Dürfen die Sozialgerichte bei ihrer Entscheidung ungeprüft auf die gutachterlich festgesetzten Pflegeminuten bzw. des Pflegegrades abstellen, wenn im Sachverständigengutachten lediglich eine Liste der behandelnden Ärzte angeführt ist, aber durch den Sachverständigen keine ärztlichen Atteste und Befunde zur Kenntnis genommen sind - weil diese nachträglich nach dem Datum des Sachverständigengutachtens datieren - und sind die Sozialgerichte dann verpflichtet, eine ergänzende Stellungnahme vom Sachverständigen einzuholen?"
Unabhängig von der Entscheidungserheblichkeit dieser Rechtsfrage ist eine (erneute) Klärungsbedürftigkeit nicht ersichtlich. Die Rechtsfrage des Klägers betrifft zum einen den sozialgerichtlichen Amtsermittlungsgrundsatz aus § 103 SGG und zum anderen die Beweisaufnahme gemäß § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 404a Abs 1, 412 ZPO iS einer Aufklärungspflicht des Gerichts unter Mitwirkung fachkundiger und unparteilicher Sachverständiger. Mit der vielfachen höchstrichterlichen Rechtsprechung hierzu ist die aufgeworfene Rechtsfrage hinlänglich zu beantworten, und es verbleibt kein Raum für einen weiteren grundsätzlichen Klärungsbedarf (vgl BSG Urteil vom 28.5.2003 - B 3 P 6/02 R - SozR 4-3300 § 15 Nr 1; BSG Urteil vom 22.4.2015 - B 3 P 8/13 R - BSGE 118, 239 = SozR 4-3300 § 23 Nr 7 sowie BSG Beschluss vom 25.4.1989 - 5 BJ 37/89 - juris). Letztlich hält der Kläger es für klärungsbedürftig, ob das LSG ohne Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen seinen Anspruch ablehnen durfte. Damit legt er keine fallübergreifende Rechtsfrage dar, sondern rügt der Sache nach einen Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht in seinem Einzelfall und damit einen Verfahrensmangel - mag er ihn auch als grundsätzliche Rechtsfrage bezeichnen -, was keine Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung rechtfertigt (vgl auch BSG Beschluss vom 25.6.2013 - B 12 KR 83/11 B - juris RdNr 14; BSG Beschluss vom 12.10.2017 - B 9 V 32/17 B - juris RdNr 22).
2. Dass der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) mit Erfolg von einem beim BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten geltend gemacht werden könnte, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Divergenz bedeutet das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die den miteinander zu vergleichenden Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind. Sie kann nur dann zur Revisionszulassung führen, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn das Urteil des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die inhaltliche Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung (vgl beispielhaft BSG Beschluss vom 20.5.2014 - B 13 R 49/14 B - juris RdNr 10). Anhaltspunkte hierfür bestehen nicht.
3. Schließlich lässt sich auch kein Verfahrensmangel feststellen, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte. Ein Verfahrensmangel ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl grundlegend BSG Beschluss vom 30.10.2018 - B 13 R 59/18 B - juris RdNr 7 mwN). Damit ist bereits der Vortrag des Klägers bezüglich einer "fehlerhaften" Entscheidung des SG für die Geltendmachung eines Verfahrensmangels unerheblich.
Soweit der Kläger sinngemäß einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) vorträgt, ist das Vorliegen eines derartigen Verfahrensmangels nach Durchsicht der Akten nicht ersichtlich. Insbesondere hat das LSG in Anwesenheit des Klägers mündlich verhandelt und damit den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit gegeben, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern (§ 110 Abs 1 Satz 1 SGG). Die Gerichte werden durch Art 103 Abs 1 GG nicht dazu verpflichtet, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (BSG Beschluss vom 10.10.2017 - B 13 R 234/17 B - juris RdNr 6 mwN). Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet nur, dass der Kläger mit seinem Vortrag "gehört", nicht jedoch "erhört" wird. In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, dass ein Verstoß gegen § 62 SGG nicht geltend gemacht werden kann, wenn der Beteiligte von gegebenen prozessualen Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen, keinen Gebrauch - zB durch die im Berufungsverfahren erfolgte Rücknahme des Antrags nach § 109 SGG - gemacht hat (BSG Beschluss vom 20.1.1998 - B 13 RJ 207/97 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 22).
Gleiches gilt für die in diesem Kontext geltend gemachte Verletzung eines fairen Verfahrens. Der aus Art 2 Abs 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Anspruch auf ein faires Verfahren ist nur verletzt, wenn grundlegende Rechtsschutzstandards, wie das Gebot der Waffengleichheit zwischen den Beteiligten, das Verbot von widersprüchlichem Verhalten oder von Überraschungsentscheidungen nicht gewahrt werden (vgl BVerfGE 78, 123, 126; BVerfG SozR 3-1500 § 161 Nr 5; BSG Beschluss vom 25.6.2002 - B 11 AL 21/02 B - juris). Dies ist hier - unter Berücksichtigung der vom Kläger zitierten Entscheidung des BSG vom 9.10.2012 (B 5 R 168/12 B - SozR 4-1500 § 73a Nr 9) zur Überspannung der Anforderungen zur Glaubhaftmachung der wirtschaftlichen Verhältnissen - nicht zu erkennen.
Des Weiteren rügt der Kläger (sinngemäß) eine Verletzung der tatrichterlichen Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG, weil auf seinen Vortrag keine weitere/ergänzende Beweisaufnahme durch das Berufungsgericht erfolgt sei. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass sich das LSG zur Einholung eines weiteren Gutachtens oder einer weiteren Stellungnahme hätte gedrängt fühlen müssen.
Soweit der Kläger kritisiert, das LSG habe bei seiner Bewertung seinen Vortrag zur Erforderlichkeit der Warzenbehandlung und den damit einhergehenden zeitlichen Pflegebedarf nicht ausreichend zur Kenntnis genommen, weil die dahingehenden Befunde wegen Aufgabe der Praxis des behandelnden Arztes nicht mehr berücksichtigt werden konnten und der vom ihm auf seinen Wunsch bestellte erstinstanzliche Sachverständige die diesbezüglichen Tatsachen übergangen habe, geht das Berufungsurteil, wie der Kläger selbst einräumt, auf die genannten Gesichtspunkte ein, wenn auch nicht in seinem Sinne. Mit seiner Rüge einer unzutreffenden Rechtsanwendung des LSG in seinem Einzelfall kann er aber keine Revisionszulassung erreichen (vgl stRspr; grundlegend BSG Beschluss vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).
Schließlich durfte sich das LSG ohne Verfahrensfehler aufgrund der prozessualen Möglichkeit des § 153 Abs 2 SGG auf die Entscheidungsgründe des SG beziehen und sich auf weitere Ausführungen zum weiteren Vortrag des Klägers beschränken.
4. Da aus den genannten Gründen kein Anspruch auf Bewilligung von PKH besteht, war der Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwaltes für das Beschwerdeverfahren abzulehnen (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO).
Fundstellen
Dokument-Index HI14470787 |