Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Unzulässigkeit der Anhörungsrüge. Anforderungen an die Darlegung. Urteilsformel. gesamtschuldnerische Haftung
Orientierungssatz
1. Die Anhörungsrüge muss darlegen, dass das Gericht den Anspruch des Rügeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Form verletzt hat. Richtet sich eine auf Nichtbeachtung von Tatsachen bezogene Anhörungsrüge gegen ein Urteil des Revisionsgerichts, muss sie darlegen, dass die angeblich übergangenen Tatsachen nach Revisionsrecht berücksichtigungsfähig waren (vgl BAG vom 30.11.2005 - 2 AZR 622/05 (F) = BAGE 116, 265).
2. Der allein gerichtlich in Anspruch genommene Gesamtschuldner hat keinen Anspruch darauf, dass seine (nur) gesamtschuldnerische Haftung in der Urteilsformel zum Ausdruck kommt (vgl BGH vom 17.5.1990 - III ZR 191/88 = BGHZ 111, 272).
3. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG 1. Senat 3. Kammer vom 2.12.2009 - 1 BvR 2896/09).
Normenkette
SGG § 178a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 5, § 163; BGB §§ 421, § 421ff
Verfahrensgang
Tatbestand
Der erkennende Senat hat mit Urteil vom 5.5.2009 auf die Revision der Klägerin das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt (LSG) vom 28.11.2007 geändert, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle (SG) vom 10.11.2003 zurückgewiesen, welches die Beklagte wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung der Klägerin zur Zahlung von (richtig) 255.645,94 Euro nebst 4 % Zinsen ab 23.6.1998 verurteilte, und die Revision der Beklagten gegen das LSG-Urteil zurückgewiesen.
Mit ihrer Anhörungsrüge trägt die Beklagte ua vor, dem SG-Urteil sei der Erlass eines Mahnbescheides gegen die Beklagte und Frau H. als Gesamtschuldner auf Zahlung von 500.000 DM vorangegangen. In dem sich - aufgrund des Widerspruchs der Beklagten anschließenden - Klageverfahren habe sich das Arbeitsgericht für sachlich zuständig erklärt, das Landesarbeitsgericht (LAG) habe auf die sofortige Beschwerde der Beklagten den Rechtsstreit aber an das SG verwiesen. Frau H. habe am 11.3.1999 vor dem LAG einen Vergleich mit der Klägerin geschlossen, wonach ua Schadensersatzansprüche gegen Frau H. nicht weiter geltend gemacht würden. Das SG habe unter Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht und das Willkürverbot allein die Beklagte verurteilt, ohne die gesamtschuldnerische Haftung von Frau H. zu berücksichtigen. Das LSG habe ebenfalls gegen das Willkürverbot verstoßen, in dem es das SG-Urteil lediglich teilweise aufgehoben habe. Das Bundessozialgericht (BSG) habe unter Verstoß gegen das Willkürverbot die gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten mit Frau H. nicht berücksichtigt.
Entscheidungsgründe
Die Anhörungsrüge ist als unzulässig zu verwerfen, weil die Anhörungsrügeführerin sie nicht in der gesetzlichen Form eingelegt hat.
Nach § 178a Abs 2 Satz 5 SGG muss die Rüge die angefochtene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in § 178a Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG genannten Voraussetzungen darlegen. Mithin muss sie darlegen, dass das Gericht den Anspruch der Rügeführerin auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Richtet sich eine auf die Nichtbeachtung von Tatsachen bezogene Anhörungsrüge gegen ein Urteil eines Revisionsgerichts, muss sie darlegen, dass die angeblich übergangenen Tatsachen nach Revisionsrecht berücksichtigungsfähig waren (vgl dementsprechend BAGE 116, 265 = NJW 2006, 1614; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/derselbe, SGG, 9. Aufl 2008, § 178a RdNr 6b) .
Diesen Anforderungen genügt die Rüge der Beklagten nicht. Sie setzt sich nicht damit auseinander, dass das BSG nach § 163 SGG an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden ist, außer wenn in Bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind. Die Beklagte legt mit ihrer Rüge nicht dar, dass sie im Revisionsverfahren die Tatsachenfeststellungen des LSG insoweit überhaupt angegriffen hat. Im Übrigen geht die Beklagte nicht hinreichend darauf ein, ob das Tatsachenvorbringen entscheidungserheblich ist. Dazu bestand in besonderer Weise Anlass, weil die Klägerin nach dem Erlass des Mahnbescheides, den die Beklagte mit ihrem Widerspruch angriff, ihren Klageantrag in der Hauptsache erweitern konnte (vgl § 99 Abs 3 Nr 2 SGG, entsprechend § 264 Nr 2 ZPO). Hinzu kommt, dass das angeblich vergleichsweise zwischen Frau H. und der Klägerin vereinbarte Unterlassen, Schadensersatzansprüche geltend zu machen, nicht den in §§ 422 bis 424 BGB bezeichneten Tatsachen unterfällt, sodass insoweit § 425 Abs 1 BGB eingreift. Schließlich hat der allein gerichtlich in Anspruch genommene Gesamtschuldner keinen Anspruch darauf, dass seine (nur) gesamtschuldnerische Haftung in der Urteilsformel zum Ausdruck kommt (vgl zB Bundesgerichtshof NJW 1990, 2615, 2616).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG (vgl entsprechend BSG, Urteil vom 5.5.2009 - B 1 KR 9/08 R - SozR 4-2400 § 35a Nr 4 RdNr 35 mwN) . Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 178a Abs 4 Satz 3 SGG) .
Fundstellen