Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Telefax. Ausgangskontrolle. Ausdruck des Sendeprotokolls. Glaubhaftmachung durch Vorlage des Faxprotokolls
Orientierungssatz
1. Ein Rechtsanwalt ist verpflichtet, durch organisatorische Maßnahmen Fehlerquellen bei der Behandlung von Fristsachen in größtmöglichem Umfang auszuschließen; hierzu gehört insbesondere eine wirksame Ausgangskontrolle, durch die gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze auch tatsächlich rechtzeitig hinausgehen.
2. Wird ein solcher Schriftsatz per Telefax übermittelt, so verlangt eine an diesen Grundsätzen ausgerichtete sogfältige Ausgangskontrolle, dass eine Frist erst dann gelöscht werden darf, wenn für den Absender feststeht, dass die beabsichtigte Übermittlung wirklich erfolgt ist. Dies ist grundsätzlich nur dann der Fall, wenn der Übermittler sich von seinem Telefaxgerät ein Sendeprotokoll hat ausdrucken lassen, das die ordnungsgemäße Übermittlung belegt (vgl BSG vom 19.5.2005 - B 10 EG 3/05 B).
Normenkette
SGG § 67 Abs. 1, 2 S. 2, § 160a Abs. 2 Sätze 1-2
Verfahrensgang
SG Würzburg (Gerichtsbescheid vom 17.02.2011; Aktenzeichen S 11 SB 544/09) |
Bayerisches LSG (Urteil vom 14.03.2014; Aktenzeichen L 3 SB 54/11) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm Wiedereinsetzung in die Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zu gewähren, wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 14. März 2014 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. Der Kläger begehrt die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft ab dem 4.2.2009. Das diesen Anspruch verneinende Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) vom 14.3.2014 ist dem den Kläger vor dem LSG vertretenden Prozessbevollmächtigten am 28.3.2014 zugestellt worden. Die Beschwerde des Klägers vom 22.4.2014 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG ist am 23.4.2014 beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen. Auf den entsprechenden Antrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 27.5.2014 hat der Senatsvorsitzende die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde antragsgemäß bis zum 30.6.2014 einschließlich verlängert. Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde vom 30.6.2014 ist ausweislich des Telefax vom selben Tage 23:50 Uhr beim Prozessbevollmächtigten des Klägers abgesandt worden und beim BSG am 1.7.2014 um 00:13 Uhr eingegangen.
Mit am 30.7.2014 eingegangenen Schriftsatz vom selben Tage hat die jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zu gewähren. Zur Begründung hat sie vorgetragen, die Frist zur Begründung des Rechtsmittels sei ordnungsgemäß notiert und der Entwurf für die Begründung am 29.6.2014 fertiggestellt worden. Am Tag des Fristablaufs sei die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde endgültig um 23:00 Uhr fertiggestellt und durch die Prozessbevollmächtigte ausgedruckt worden. Im Anschluss daran sei der Schriftsatz gegen 23:20 Uhr in das voll funktionstüchtige Faxgerät der Kanzlei eingelegt worden unter Eingabe der Faxnummer des BSG. Ab dem Zeitpunkt des Einlegens um 23:20 Uhr sei der Faxvorgang mindestens dreimal vom Faxgerät der Kanzlei aus gestartet und jeweils aus nicht nachvollziehbaren Gründen abgebrochen worden, bzw es habe der Empfang des Faxes bei Gericht nicht funktioniert. Erst nach dem letzten Versuch um 23:50 Uhr sei die Übersendung des Faxes ordnungsgemäß beendet worden. Als Übertragungsdauer sei dabei auf dem Faxbericht die unnatürlich lange Zeit von 12 Minuten und 10 Sekunden angegeben worden, sodass nach dem Faxbericht der Prozessbevollmächtigten das Fax erst um 00:03 Uhr bei Gericht eingegangen sei. Ein Anruf bei dem BSG einen Tag später habe ergeben, dass der Schriftsatz sogar erst um 00:13 Uhr eingegangen sei. Ein Test-Fax habe im Nachhinein ergeben, dass der Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 30.6.2014 in 4 Minuten und 38 Sekunden habe übertragen werden können, sodass normalerweise auch ein Faxbeginn um 23:50 Uhr zur fristgemäßen Übersendung ausreichend gewesen sei. Am Tag des Fristablaufs habe das Faxgerät ordnungsgemäß funktioniert. Diesen Sachverhalt hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers am 30.7.2014 an Eides statt versichert.
Der Bitte des Berichterstatters vom 5.8.2014, zur Glaubhaftmachung die Sendeprotokolle der drei vermeintlich erfolglosen Faxversuche zu übersenden, ist die Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht nachgekommen.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Sie ist nicht innerhalb der einmal um einen Monat verlängerten gesetzlichen Frist von zwei Monaten nach Zustellung des Berufungsurteils begründet worden (§ 160a Abs 2 S 1 und 2 SGG). Dem Kläger ist auf seinen Antrag keine Widereinsetzung in die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zu gewähren.
Zwar ist eine Wiedereinsetzung in die Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde grundsätzlich möglich (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 160a RdNr 10 und 11). Nach § 67 Abs 1 SGG setzt eine Wiedereinsetzung aber voraus, dass jemand ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, und er die Wiedereinsetzung beantragt. Nach § 67 Abs 2 S 2 SGG sind die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft zu machen.
Vorliegend hat der Kläger durch seinen Antrag und die zur Glaubhaftmachung vorgelegte Versicherung an Eides statt nicht überwiegend wahrscheinlich gemacht, dass er ohne Verschulden gehindert war, die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 160a Abs 2 SGG) einzuhalten.
Ein Rechtsanwalt ist verpflichtet, durch organisatorische Maßnahmen Fehlerquellen bei der Behandlung von Fristsachen in größtmöglichem Umfang auszuschließen; hierzu gehört insbesondere eine wirksame Ausgangskontrolle, durch die gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze auch tatsächlich rechtzeitig hinausgehen (vgl BSG Beschluss vom 19.5.2005 - B 10 EG 3/05 B - Juris RdNr 4 mwN). Wird ein solcher Schriftsatz per Telefax übermittelt, so verlangt eine an diesen Grundsätzen ausgerichtete sogfältige Ausgangskontrolle, dass eine Frist erst dann gelöscht werden darf, wenn für den Absender feststeht, dass die beabsichtigte Übermittlung wirklich erfolgt ist. Dies ist grundsätzlich nur dann der Fall, wenn der Übermittler sich von seinem Telefaxgerät ein Sendeprotokoll hat ausdrucken lassen, das die ordnungsgemäße Übermittlung belegt (vgl BSG, aaO).
Entsprechende Sendeprotokolle der drei vermeintlich erfolglosen Faxversuche der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 30.6.2014 sind von dieser trotz Aufforderung durch den Berichterstatter des Senats vom 5.8.2014 zur Glaubhaftmachung nicht vorgelegt worden. Damit kann auch vor dem Hintergrund der von der Prozessbevollmächtigten vorgelegten Versicherung an Eides statt vom 30.7.2014 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden, da nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumnis von der Prozessbevollmächtigten verschuldet war (vgl hierzu: BGH Beschluss vom 8.4.2014 - VI ZB 1/13 - RdNr 7 mwN, NJW 2014, 2047). Grundsätzlich hat ein Nutzer einer Telefaxübertragung bei ordnungsgemäßer Nutzung eines funktionsfähigen Sendegerätes und der korrekten Eingabe der Empfängernummer das seinerseits erforderliche zur Fristwahrung getan, wenn er so rechtzeitig mit der Übertragung beginnt, dass unter normalen Umständen mit deren Abschluss vor 24:00 Uhr zu rechnen ist. Denn die hieraus herrührenden besonderen Risiken dürfen insbesondere im Falle von Störungen des Empfangsgerätes im Gericht nicht auf dessen Nutzer abgewälzt werden (vgl BGH, aaO, RdNr 8 mwN). Insoweit kann im Einzelfall auch von der Erstellung eines Sendeprotokolls abgesehen werden, wenn zB der gesamte Übermittlungsvorgang von einer zuverlässigen Bürokraft oder dem Prozessbevollmächtigten selbst überwacht wird (vgl BSG, aaO, RdNr 5 mwN). Allerdings genügt der Verzicht auf die Erstellung von Sendeprotokollen nicht dem zu fordernden Sorgfaltsmaßstab bei der erforderlichen Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze (vgl BSG, aaO). Nach dem eigenen Vorbringen der Prozessbevollmächtigten des Klägers hat keine Störung ihres Telefaxgerätes vorgelegen. Auch ist auf Nachfrage des Senats eine entsprechende Fehlfunktion am besagten Tage bei dem Faxgerät des BSG nicht bekannt. Unter diesen Umständen ist es trotz der Versicherung an Eides statt durch die Prozessbevollmächtigte des Klägers möglich, dass ihr zu Beginn der Übermittlungsversuche ab 23:20 Uhr am 30.6.2014 Bedienungsfehler unterlaufen sind, welche Ursache der nicht mehr fristgemäßen Übermittlung der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde gewesen sind. Insoweit kommt es nämlich entscheidend darauf an, ob die ab 23:20 Uhr glaubhaft gemachten Anwählversuche frei von Bedienungsfehlern durchgeführt worden sind. Hierzu hätte es der Vorlage der Sendeprotokolle bedurft. Damit kann die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden, weil zumindest die Möglichkeit offen bleibt, dass die Fristversäumung von der Prozessbevollmächtigten des Klägers verschuldet war.
Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 iVm § 169 SGG ohne die Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen