Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensfehler. rechtliches Gehör. verspätete Ladung zur mündlichen Verhandlung. Darlegung einer fehlerhaften Zustellung bei vorliegender Zustellungsurkunde
Orientierungssatz
Nach § 63 Abs 2 S 1 SGG wird von Amts wegen nach den Vorschriften der ZPO zugestellt. Zur Darlegung einer möglichen fehlerhaften Zustellung reicht es nicht aus, dass bestritten wird, eine entsprechende Mitteilung erhalten zu haben, wenn eine Zustellungsurkunde vorhanden ist, die bekundet, dass das Schriftstück mit der Terminsmitteilung in einem zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt worden ist.
Normenkette
SGG § 160a Abs. 2 S. 3 Fassung: 2005-03-22, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Fassung: 1993-08-02, § 62 Fassung: 2005-03-22, § 63 Abs. 1 S. 2 Fassung: 2005-08-12, Abs. 2 S. 1 Fassung: 2005-08-12; GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 180 S. 1 Fassung: 2005-12-05, § 182 Abs. 1 S. 2 Fassung: 2005-12-05, § 418 Fassung: 2005-12-05
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten in der Hauptsache über die Höhe der vom Kläger als gärtnerischer Unternehmer zu zahlenden Beiträge zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung.
Mit Bescheid vom 26.7.2006 stellte die beklagte Krankenkasse die Höhe der Beiträge zur Krankenversicherung sowie zur Pflegeversicherung fest. Den dagegen vom Kläger eingelegten und am 30.8.2006 bei ihr eingegangenen Widerspruch verwarf sie mit Widerspruchsbescheid vom 6.11.2007 wegen Versäumung der Widerspruchsfrist als unzulässig. Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat nach mündlicher Verhandlung die Berufung zurückgewiesen.
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 22.1.2009.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels keinen Zulassungsgrund der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargelegt oder bezeichnet.
Das Bundessozialgericht (BSG) darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers macht in seinem Schriftsatz vom 6.5.2009 als Verfahrensfehler eine Verletzung des Rechts des Klägers auf rechtliches Gehör nach § 62 SGG und Art 103 Abs 1 GG durch einen Verstoß gegen § 63 SGG geltend. Dem Kläger sei vom LSG nicht die Anberaumung der mündlichen Verhandlung auf den 22.1.2009 mitgeteilt und ihm deshalb kein rechtliches Gehör gewährt worden. So sei es ihm nicht möglich gewesen vorzutragen, dass der angefochtene Bescheid nicht am 26.7.2006, sondern erst am 27.7.2006 zur Post gegeben worden und damit sein Widerspruch vom 30.8.2006 nicht verspätet gewesen sei, sowie, dass die zur Feststellung der Beiträge aus seiner selbstständigen Erwerbstätigkeit vorliegenden Auskünfte des zuständigen Finanzamtes unzutreffend gewesen seien.
Wird ein Verfahrensmangel gerügt, sind die ihn vermeintlich begründenden Tatsachen substanziiert darzulegen. Das Revisionsgericht muss sich anhand der Beschwerdebegründung ein Urteil darüber bilden können, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14) . Diesen Anforderungen wird die mit dem Schriftsatz vom 6.5.2009 eingereichte Beschwerdebegründung nicht gerecht. Der Kläger hat zwar behauptet, eine Mitteilung über die Anberaumung der mündlichen Verhandlung auf den 22.1.2009 nicht erhalten zu haben, damit wird jedoch eine Verletzung des § 63 SGG und damit ein Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör nicht hinreichend dargelegt. Es hätte vielmehr ausgeführt werden müssen, dass die vom LSG zur Bekanntgabe der Mitteilung gewählte Zustellung fehlerhaft erfolgt sein und deshalb den Kläger nicht erreicht haben könnte.
Gemäß § 63 Abs 1 Satz 2 SGG sind Terminbestimmungen und Ladungen bekannt zu geben. Das LSG hat hier für die Mitteilung die Zustellung gewählt. Nach § 63 Abs 2 Satz 1 SGG wird von Amts wegen nach den Vorschriften der ZPO zugestellt. Zur Darlegung einer möglichen fehlerhaften Zustellung reicht es nicht aus, dass bestritten wird, eine entsprechende Mitteilung erhalten zu haben, wenn eine Zustellungsurkunde vorhanden ist, die bekundet, dass das Schriftstück mit der Terminsmitteilung in einem zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt worden ist.
Ausweislich der Niederschrift des LSG über die mündliche Verhandlung vom 22.1.2009 hat das Gericht festgestellt, dass der Kläger laut Zustellungsurkunde vom 6.12.2008 ordnungsgemäß vom Termin benachrichtigt worden war. In den Akten des LSG befindet sich eine Zustellungsurkunde vom 6.12.2008 eines gemäß § 33 des Postgesetzes mit Hoheitsbefugnissen ausgestatteten Lizenznehmers. Da nach §§ 182 Abs 1 Satz 2, 418 ZPO die Zustellungsurkunde als öffentliche Urkunde den vollen Beweis der in ihr bezeugten Tatsachen begründet, wird der Gegenbeweis nicht schon durch die bloße Behauptung erbracht, das betreffende Schriftstück nicht erhalten zu haben, weil es für die Wirksamkeit der Zustellung nicht darauf ankommt, ob und wann der Adressat das Schriftstück seinem Briefkasten entnommen oder ob er es tatsächlich zur Kenntnis genommen hat (vgl BSG, Beschluss vom 27.1.2005, B 7a/7 AL 194/04 B) . Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen erfordert vielmehr den Beweis eines anderen als des beurkundeten Geschehensablaufes, der damit ein Fehlverhalten des Zustellers oder eine Falschbeurkundung in der Zustellungsurkunde belegt. Gefordert wird der volle Gegenbeweis in der Weise, dass die Beweiswirkung in der Zustellungsurkunde vollständig entkräftet und jede Möglichkeit der Richtigkeit der in ihr bezeugten Tatsache ausgeschlossen wird (vgl BSG, Beschluss vom 13.11.2008, B 13 R 138/07 B) . Dass die Zustellungsurkunde nicht ordnungsgemäß erstellt worden sein könnte oder eine Falschbeurkundung oder ein anderes Fehlverhalten des Zustellers vorgelegen haben könnte, macht der Prozessbevollmächtigte jedoch nicht geltend. Eines entsprechenden Vortrags hätte es jedoch bedurft, weil nach den vom Zusteller in der Zustellungsurkunde vermerkten Angaben die Voraussetzungen für eine Ersatzzustellung vorgelegen und er diese durch Einlegen des Schriftstücks in einen zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung gemäß § 180 Satz 1 ZPO bewirkt hatte.
Es kann dahinstehen, ob die ergänzende mit am 4.8.2009 eingegangenem Schriftsatz vom 3.8.2009 erfolgte Begründung des Prozessbevollmächtigten diesen Anforderungen entsprochen hätte, in der er auf Vorbringen des Klägers sowie darauf hingewiesen hat, ein an den Kläger gerichteter Brief habe mit der Bemerkung "Empfänger nicht zu ermitteln" nicht zugestellt werden können und der eidesstattlichen Versicherung der Tochter des Klägers vom 19.2.2009 sei zu entnehmen, dass die Terminsmitteilung sich nicht im Briefkasten befunden habe. Soweit der Prozessbevollmächtigte in diesem Schriftsatz ausführt, es werde der gesamte vom Kläger persönlich mit Schriftsatz vom 7.5.2009 erfolgte Vortrag zum Gegenstand der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde gemacht, kann dieser Vortrag bereits deshalb nicht berücksichtigt werden, weil gemäß § 73 Abs 4 SGG sich die Beteiligten vor dem BSG durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen müssen und damit Vorbringen des Klägers selbst - auch bei Bezugnahme auf sein Vorbringen durch seinen Prozessbevollmächtigten - nicht als Begründung herangezogen werden kann (vgl BSGE 7, 35, 39; BSG SozR 1500 § 164 Nr 22) . Im Übrigen konnte mit dem am 4.8.2009 eingegangenen Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 3.8.2009 die Beschwerde nicht mehr fristgemäß ergänzend begründet werden, weil er erst nach Ablauf der bis zum 6.5.2009 verlängerten Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde eingegangen war. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 Abs 2 Satz 4 SGG ohne Antrag des Prozessbevollmächtigten kam hier nicht in Betracht, weil der Schriftsatz auch nicht innerhalb der Antragsfrist von einem Monat nach Wegfall des Hindernisses - hier die fehlende Möglichkeit, Akteneinsicht zu nehmen - bei Gericht einging. Nachdem der Bevollmächtigte des Klägers ausweislich des von ihm unterzeichneten Empfangsbekenntnisses am 1.7.2009 die Akten erhalten hatte, endete die Monatsfrist mit Ablauf des 3.8.2009, eines Montags. Die ergänzende Beschwerdebegründung ging jedoch erst am 4.8.2009 ein.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen, § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen