Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. grundsätzliche Bedeutung. Fremdrentenrecht. Zuordnung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung. Anwendbarkeit des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs im Zusammenhang mit den Regelungen in § 249 Abs 6 und 7 SGB 6 in der Fassung vom 15.12.1995. Verfassungsmäßigkeit von § 56 Abs 2 S 8 und S 9 SGB 6
Orientierungssatz
1. Das Institut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kommt im Zusammenhang mit den Regelungen in § 249 Abs 6 und 7 SGB 6 in der Fassung vom 15.12.1995 - auf die § 28b S 2 FRG ohne Einschränkung Bezug nimmt - nicht zur Anwendung (vgl BSG vom 3.4.2001 - B 4 RA 89/00 R = SozR 3-2600 § 56 Nr 15 S 86 sowie zu den Vorgängerregelungen bereits BSG vom 31.8.2000 - B 4 RA 28/00 R = juris RdNr 19).
2. § 56 Abs 2 S 8 und 9 SGB 6 ist mit Verfassungsrecht vereinbar, soweit die Vorschrift die Kindererziehungszeit im Zweifel der Kindsmutter zuordnet (vgl BSG vom 17.4.2008 - B 13 R 131/07 R = SozR 4-2600 § 56 Nr 5 RdNr 17ff).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1; FRG § 28b Sätze 1-3; SGB VI § 56 Abs. 2 Sätze 8-9, § 249 Abs. 6 Fassung: 1995-12-15, Abs. 7 Fassung: 1995-12-15; GG
Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag der Kläger, ihnen für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. Juli 2018 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines noch zu benennenden Prozessbevollmächtigten zu gewähren, wird abgelehnt.
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Das LSG Nordrhein-Westfalen hat mit Urteil vom 27.7.2018 den von beiden Klägern geltend gemachten Anspruch, dem Kläger zu 1. eine höhere Altersrente unter Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen der Erziehung der beiden gemeinsamen Kinder zu gewähren, abgelehnt.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil, das ihnen am 29.9.2018 zugestellt worden ist, haben die Kläger mit privatschriftlichem Schreiben vom 27.10.2018 am 28.10.2018 Beschwerde beim BSG eingelegt. Zugleich haben sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung eines noch zu benennenden Prozessbevollmächtigten beantragt.
II. 1. Der PKH-Antrag der Kläger ist abzulehnen. Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es hier. Das gegen die angefochtene Berufungsentscheidung statthafte und von den Klägern angestrebte Rechtsmittel ist die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (§ 160a SGG). Die Revision darf gemäß § 160 Abs 2 SGG nur zugelassen werden, wenn einer der dort abschließend genannten Revisionszulassungsgründe vorliegt. Nach Durchsicht der beigezogenen Akten des LSG ist das hier nicht der Fall. Auf diese Durchsicht musste sich die Prüfung durch den Senat beschränken, weil die Kläger ihren Antrag nicht begründet haben. Mit der Ablehnung des PKH-Antrags der Kläger entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
a) Es ist nach Aktenlage nicht ersichtlich, dass ein zur Vertretung vor dem BSG zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 2 iVm Abs 4 Satz 1 SGG) erfolgreich geltend machen könnte, der Rechtssache komme eine grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) zu. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Eine derartige Rechtsfrage stellt sich in diesem Rechtsstreit nicht. Es ergibt sich unmittelbar aus § 28b Satz 2 Fremdrentengesetz (FRG), dass die übereinstimmenden Erklärungen nach dem am 31.12.1996 geltenden § 249 Abs 6 und 7 SGB VI über die - rückwirkende - Zuordnung der im Herkunftsgebiet zurückgelegten Kindererziehungszeiten sowie der Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung wirksam nur innerhalb eines Jahres nach dem Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland abgegeben werden konnten.
Ebenso wenig bedarf es der Klärung, ob das Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs grundsätzlich Anwendung findet, wenn hinsichtlich der Anerkennung dieser Zeiten bei Personen, auf die das FRG anwendbar ist, innerhalb der genannten Frist keine übereinstimmenden Zuordnungserklärungen abgegeben werden. Zwar hat das BSG diese Frage bislang nicht ausdrücklich zu § 28b Satz 2 FRG entschieden. Eine Rechtsfrage ist aber bereits dann als höchstrichterlich geklärt anzusehen, wenn schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte auch zur Beurteilung der als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 31.3.1993 - 13 BJ 215/92 - SozR 3-1500 § 146 Nr 2 - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 3.4.2017 - B 12 KR 92/16 B - juris RdNr 19). So ist es hier. Der Rechtsprechung des BSG lässt sich entnehmen, dass das Institut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nur anwendbar ist, wenn die Folgen der Pflichtverletzung eines Leistungsträgers bei der Erfüllung seiner Aufgaben nach dem SGB im Gesetz weder speziell geregelt noch darin in anderer Weise, etwa durch Härteklauseln, Wiedereinsetzungsregeln oder Fiktionen konzeptuell mitbedacht sind (BSG Urteil vom 15.12.1994 - 4 RA 64/93 - SozR 3-2600 § 58 Nr 2 S 4 f; BSG Urteil vom 31.8.2000 - B 4 RA 28/00 R - juris RdNr 21; BSG Urteil vom 3.4.2001 - B 4 RA 89/00 R - SozR 3-2600 § 56 Nr 15 S 86). Der letztgenannten Entscheidung lässt sich weiter entnehmen, dass es sich bei den Regelungen in § 249 Abs 6 und 7 SGB VI in der am 31.12.1996 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Sozialgesetzes und anderer Gesetze vom 15.12.1995 (BGBl I 1824, 1830 - im Folgenden: SGB VI aF) um Übergangsbestimmungen handelt. Bei deren Ausgestaltung ging es im Wesentlichen darum, die Verwaltung vor übermäßigen Belastungen im Zusammenhang mit der auch für die Vergangenheit eingeführten Begünstigung zu bewahren, so dass das Gesetz (vgl § 249 Abs 6 Satz 5 bzw Abs 7 Satz 2 iVm Abs 6 Satz 5 SGB VI aF) ua eine Wiedereinsetzung in die begünstigende Frist ausschließt (BSG Urteil vom 3.4.2001 - B 4 RA 89/00 R - SozR 3-2600 § 56 Nr 15 S 85 f; zu den entsprechend ausgestalteten Vorgängerregelungen bereits BSG Urteil vom 31.8.2000 - B 4 RA 28/00 R - juris RdNr 19 f). Das BSG hat daher entschieden, dass das Institut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs im Zusammenhang mit den Regelungen in § 249 Abs 6 und 7 SGB VI aF - auf die § 28b Satz 2 FRG ohne Einschränkung Bezug nimmt -, nicht zur Anwendung kommt (BSG Urteil vom 3.4.2001 - B 4 RA 89/00 R - SozR 3-2600 § 56 Nr 15 S 86; zu den Vorgängerregelungen bereits BSG Urteil vom 31.8.2000 - B 4 RA 28/00 R - juris RdNr 19).
Ebenfalls nicht klärungsbedürftig ist die Vereinbarkeit von § 28b Satz 2 FRG mit Verfassungsrecht, insbesondere mit Art 6 Abs 1 und 2 GG, soweit die Vorschrift iVm § 56 SGB VI, § 249 Abs 6 und 7 SGB VI aF bei gemeinsam erziehenden Eltern die Berücksichtigung ihrer übereinstimmenden Zuordnungserklärungen von einer fristgerechten Abgabe dieser Erklärungen abhängig macht. Es ist bereits höchstrichterlich geklärt, dass sich aus dem allgemeinen verfassungsrechtlichen Gebot, die Pflege- und Erziehungstätigkeit der Eltern zu unterstützen, keine konkreten Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen herleiten lassen (stRspr; vgl BVerfG Beschluss vom 6.5.1975 - 1 BvR 332/72 - BVerfGE 39, 316, 326 = SozR 2600 § 60 Nr 1 S 1 f; BVerfG Beschluss vom 29.5.1990 - 1 BvL 20/84, 26/84 und 4/86 - BVerfGE 82, 60, 81 f = SozR 3-5870 § 10 Nr 1 S 6; BVerfG Beschluss vom 7.2.2012 - 1 BvL 14/07 - BVerfGE 130, 240 = SozR 4-7835 Art 1 Nr 1 RdNr 38; BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 11.1.2016 - 1 BvR 1687/14 - juris RdNr 12; vgl auch BSG Beschluss vom 17.6.2019 - B 5 R 121/19 B - juris RdNr 11).
Jedenfalls hinsichtlich der Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung für Kinder, die wie die beiden Kinder der Kläger 1983 oder früher geboren sind, ist zudem höchstrichterlich geklärt, dass § 56 SGB VI Abs 2 Satz 8 und 9 SGB VI - der in Bezug auf den Kläger zu 1. iVm § 28b Satz 1 und 3 FRG zur Anwendung kommt - mit Verfassungsrecht vereinbar ist, soweit die Vorschrift die Kindererziehungszeit im Zweifel der Kindsmutter zuordnet (BSG Urteil vom 17.4.2008 - B 13 R 131/07 R - SozR 4-2600 § 56 Nr 5 RdNr 17 ff). Insoweit wäre eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache auch nicht erfolgreich geltend gemacht, wenn entsprechend dem Berufungsvorbringen der Kläger dargelegt würde, die streitigen Zeiten seien zumindest deswegen beim Kläger zu 1. anzuerkennen, weil ihre Anerkennung bei der Klägerin zu 2. - die unstreitig nicht dem persönlichen Anwendungsbereich des FRG unterfällt - ausscheide. Daraus lässt sich unter keinem Gesichtspunkt eine Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit des § 28b FRG, des § 56 SGB VI oder einer anderen konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht ableiten, die sich ernsthaft stellen würde. Dass das LSG nicht der Rechtsansicht der Kläger gefolgt ist und diese das Berufungsurteil inhaltlich für unzutreffend halten, eröffnet die Revisionsinstanz nicht.
b) Es ist nach der Aktenlage nicht erkennbar, dass der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) vorliegt. Die angefochtene Entscheidung des LSG ist nicht von höchstrichterlicher Rechtsprechung abgewichen.
c) Schließlich lässt sich auch kein Verfahrensmangel feststellen, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte. Insbesondere liegt kein rügefähiger Verfahrensmangel darin, dass eine Beiladung der Klägerin zu 2. unterblieben ist. Zwar ist grundsätzlich beim Streit um die Anrechnung von Kindererziehungszeiten bei einem Elternteil der andere Elternteil notwendig beizuladen nach § 75 Abs 2 Alt 1 SGG (BSG Urteil vom 27.6.1990 - 5 RJ 6/90 - SozR 3-1500 § 75 Nr 3 S 6; BSG Urteil vom 29.10.2002 - B 4 RA 6/02 R - SozR 3-2600 § 71 Nr 3 S 31) und liegt im Verstoß gegen § 75 Abs 2 Alt 1 SGG grundsätzlich ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG (vgl etwa B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 75 RdNr 13a mwN). Vorliegend ist eine Beiladung der Klägerin zu 2. jedoch ausnahmsweise nicht notwendig gewesen. Die Klägerin zu 2. ist nicht derart an dem streitigen Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger zu 1. und der Beklagten beteiligt, dass die Entscheidung auch ihr gegenüber nur einheitlich ergehen kann (vgl § 75 Abs 2 Alt 1 SGG). Da sie unstreitig von der Anrechnung der im Herkunftsgebiet zurückgelegten Kindererziehungszeiten sowie der Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung ausgeschlossen ist, greift die Entscheidung nicht unmittelbar in ihre Rechtssphäre ein. Der Senat kann daher dahin stehen lassen, ob die Beiladung der Klägerin zu 2. schon deswegen zu Recht unterblieben ist, weil diese - worauf das SG Köln in seinen Entscheidungsgründen abgestellt hat - bereits aufgrund der gemeinsamen Klagerhebung mit dem Kläger zu 1. eine Beteiligtenrolle einnimmt. Der Senat lässt insbesondere offen, ob eine Beiladung von Streitgenossen, die als solche bereits am Prozess beteiligt sind, in Einzelfällen geboten sein kann (dagegen etwa B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 74 RdNr 4; Ulmer in Hennig, SGG, § 75 RdNr 1, Stand Juni 2015).
Ebenso wenig ist im Zusammenhang mit der von den Klägern im Berufungsverfahren angeregten Beiladung der Deutschen Rentenversicherung Bund ein rügefähiger Verfahrensmangel erkennbar. Ein Fall der notwendigen Beiladung iS des § 75 Abs 1 Satz 2, Abs 2 SGG ist insoweit unter keinem Gesichtspunkt ersichtlich. Das Unterlassen einer einfachen Beiladung nach § 75 Abs 1 Satz 1 SGG stellt grundsätzlich keinen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG dar (vgl BSG Beschluss vom 18.7.2017 - B 13 R 110/17 B - juris RdNr 9 mwN; BSG Beschluss vom 18.12.2019 - B 13 R 340/18 B - juris RdNr 15).
2. Die von den Klägern selbst eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG). Sie ist bereits deswegen unzulässig, weil sie formunwirksam ist. Schon die Beschwerdeschrift muss von einem vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 2 iVm Abs 4 Satz 1 SGG) eingereicht werden. Hierauf sind die Kläger in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils ausdrücklich hingewiesen worden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13777004 |