Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensmangel. Sachaufklärungsrüge. Anforderungen an einen Beweisantrag im Rentenstreitverfahren
Orientierungssatz
Der Beweisantrag im Rentenstreitverfahren muss sich möglichst präzise mit den Folgen dauerhafter Gesundheitsbeeinträchtigungen auf das verbliebene berufliche Leistungsvermögen befassen. Je mehr Aussagen von Sachverständigen zum Beweisthema bereits vorliegen, desto genauer muss der Beweisantragsteller von ihm behauptete Unterschiede zum Gegenstand des Beweisthemas machen (vgl BSG vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B = SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6). Das Verlangen nach einer weiteren Begutachtung des Leistungsvermögens genügt deshalb nicht, wenn im Verlauf des Verfahrens schon Gutachten zu den Auswirkungen einer bestimmten Gesundheitsstörung eingeholt worden sind.
Normenkette
SGG § § 103, 118 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2 Nrn. 2, 3 Hs. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2, § 160a Abs. 2 S. 3; ZPO § 403
Verfahrensgang
Thüringer LSG (Urteil vom 31.08.2016; Aktenzeichen L 3 R 1290/14) |
SG Nordhausen (Entscheidung vom 23.07.2014; Aktenzeichen S 35 R 373/11) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 31. August 2016 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Das Thüringer LSG hat mit Urteil vom 31.8.2016 einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung verneint. Der Kläger sei nach den Gutachten der Sachverständigen Dr. S. vom 31.10.2011 und Dr. G. vom 7.5.2012 noch in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dem nach § 109 SGG eingeholten Gutachten des Dr. W. vom 18.12.2012, nach dem das Leistungsvermögen des Klägers auf unter drei Stunden täglich herabgesunken sei, werde nicht gefolgt.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im zuvor benannten Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde an das BSG. Er rügt Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) in Gestalt einer unterlassenen Amtsermittlung, weil das LSG trotz ausdrücklichem Hinweis in der Berufungsbegründung kein "Obergutachten" eingeholt habe. Den Ausführungen des Berufungsgerichts könne zudem nicht gefolgt werden. Es habe seine Entscheidung nicht auf die Erstgutachten stützen dürfen. Ferner macht er eine Divergenz geltend (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG), weil das Urteil des LSG im Widerspruch zu Entscheidungen des BSG stehe, die von einer Fibromyalgie als möglicher leistungseinschränkenden Erkrankung ausgegangen seien.
II. Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Beschwerdebegründung vom 6.1.2017 genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht ordnungsgemäß dargetan sind (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Um eine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG in einer den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG genügenden Weise zu bezeichnen, muss die Beschwerdebegründung ua einen Widerspruch tragender abstrakter Rechtssätze in der Entscheidung des LSG einerseits und einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG andererseits aufzeigen (BSG SozR 1500 § 160a Nr 67 S 89). Diesen Anforderungen wird der Kläger in der Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Er führt zwar die Entscheidung des BSG vom 9.4.2003 (B 5 RJ 36/02 R) an. Er arbeitet jedoch keinen abstrakten Rechtssatz aus dieser Entscheidung heraus, gegenüber dem sich das LSG in Widerspruch gesetzt haben könnte. Vielmehr behauptet er nur, dass das Berufungsgericht, in dem es der Einschätzung des Dr. W. nicht gefolgt sei, gegen die benannte Entscheidung verstoße. Soweit er zudem den Beschluss des BSG vom 9.4.2003 (B 5 RJ 80/02 B) benennt, gilt nichts anderes. Denn auch insoweit behauptet er nur, dass das LSG sich in Widerspruch zum BSG setze, wenn es die Existenz der Erkrankung der Fibromyalgie ablehne. Damit legt er jedoch nicht dar, dass das LSG einen abstrakten Rechtssatz gebildet habe, der sich von einem abstrakten Rechtssatz aus einer Entscheidung des BSG absetze. Sein Vortrag geht daher über eine unbeachtliche Subsumtionsrüge nicht hinaus.
2. Auch einen Verfahrensfehler des LSG hat der Kläger in der Beschwerdebegründung nicht ordnungsgemäß dargetan. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Soweit der Kläger einen Mangel der tatrichterlichen Sachaufklärung nach § 103 SGG rügt, fehlt es bereits an einer Bezeichnung eines prozessordnungsgerechten Beweisantrags (iS von § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG iVm § 118 Abs 1 S 1 SGG, § 403 ZPO). Der Beweisantrag im Rentenstreitverfahren muss sich möglichst präzise mit den Folgen dauerhafter Gesundheitsbeeinträchtigungen auf das verbliebene berufliche Leistungsvermögen befassen. Je mehr Aussagen von Sachverständigen zum Beweisthema bereits vorliegen, desto genauer muss der Beweisantragsteller von ihm behauptete Unterschiede zum Gegenstand des Beweisthemas machen (vgl Senatsbeschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6). Das Verlangen nach einer weiteren Begutachtung des Leistungsvermögens genügt deshalb nicht, wenn - wie der Kläger selbst vorträgt - im Verlaufe des Verfahrens schon Gutachten zu den Auswirkungen einer bestimmten Gesundheitsstörung eingeholt worden sind. Der Kläger bringt insoweit nur vor, dass er in der Berufungsbegründung vom 16.9.2015 auf die Existenz der Erkrankung der Fibromyalgie hingewiesen habe.
Ungeachtet dessen hat der im Berufungsverfahren bereits anwaltlich vertretene Kläger auch nicht dargetan, dass er einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zu Protokoll aufrechterhalten oder das Gericht ihn in seinem Urteil wiedergegeben hat (s hierzu BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Ebenso wenig ist der Beschwerdebegründung zu entnehmen, warum auf der Grundlage der maßgeblichen Rechtsauffassung des LSG die benannten Tatumstände weiter klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen und weshalb das voraussichtliche Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme durch Einholung eines "Obergutachtens" dazu geführt hätte, dass das Berufungsgericht zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung hätte gelangen können. Der Kläger beschränkt sich darauf, eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht zu behaupten, vernachlässigt aber Darlegungen, inwieweit das angefochtene Urteil des LSG darauf beruhen kann. Soweit der Kläger ausführt, das LSG habe sich nicht auf die Gutachten der Dres. S. und G. stützen und auf deren Grundlage seine Erkrankung an einer Fibromyalgie negieren dürfen, sondern hätte weiteren Beweis durch ein "Obergutachten" einholen müssen, rügt er letztlich die Beweiswürdigung des LSG. Diese Rüge kann jedoch, wie ausdrücklich in § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG normiert, nicht zur Zulassung der Revision vor dem BSG führen. Mit seiner Forderung nach einem "Obergutachten" verkennt der Kläger zudem, dass es solcherart unterschiedliche Wertigkeiten von Gutachten nicht gibt, mit denen von vornherein ein Gutachten über ein anderes gestellt werden könnte. Vielmehr ist es gerade Aufgabe des Gerichts, jedes Gutachten in Bezug auf seine Überzeugungskraft bei der Beurteilung tatbestandlicher Voraussetzungen einer gesetzlichen Regelung selbst zu bewerten (vgl Senatsbeschluss vom 8.3.2016 - B 13 R 317/15 B - Juris RdNr 7).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 10448737 |
NZS 2017, 400 |