Leitsatz (amtlich)
1. GKG § 6 ist über SGG § 202 auch im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anzuwenden.
2. Ist an einer Streitsache neben anderen Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts ein Fürsorgeverband beteiligt, so ist die nach SGG §§ 184, 185 fällige Gebühr nach SGG § 187 zu gleichen Teilen auf alle Körperschaften usw einschließlich des Fürsorgeverbandes zu verteilen. Der Fürsorgeverband ist nach FürsPflV § 28 von der Entrichtung des auf ihn fallenden Anteils befreit.
Normenkette
SGG § 184 Fassung: 1953-09-03, § 185 Fassung: 1958-06-25, § 187 Fassung: 1953-09-03, § 202 Fassung: 1953-09-03; GKG § 6 Fassung: 1957-07-26; FürsPflV § 28 Fassung: 1931-06-05
Tenor
Auf die Erinnerung der Beklagten wird die Gebührenfeststellung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Bundessozialgerichts vom 26. November 1959 aufgehoben.
Gründe
I. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 19. Juni 1958 ist durch Beschluß des Senats vom 11. August 1958 als unzulässig verworfen worden (§ 169 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hatte die nach § 184 SGG zu entrichtende Gebühr von 60,- DM am 15. August 1958 zunächst nur zur Hälfte mit 30,- DM zu Lasten der beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA.) festgestellt, da er mit Rücksicht auf § 187 SGG die andere Hälfte auf den beigeladenen Bezirksfürsorgeverband berechnete, der nach § 28 Abs. 1 der Reichsverordnung über die Fürsorgepflicht vom 13. Februar 1924 (RGBl. I S. 100) in der Fassung vom 5.Juni 1931 (RGBl. I S. 279) (FürsPflVO.) gebührenbefreit war. Am 26. November 1959 hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle sodann - veranlaßt durch eine inzwischen erfolgte Kostenprüfung - von der beklagten LVA. den Restbetrag von 30,- DM nacherhoben, da er bei seiner bisherigen Feststellung von der irrigen Annahme ausgegangen sei, daß die Gebührenfreiheit des Beigeladenen eine Ermäßigung der Gebühr für die beklagte LVA. zur Folge habe.
Die beklagte LVA. hat am 15. Dezember 1959 Erinnerung gegen die Gebührennacherhebung eingelegt und nach § 189 Abs. 2 SGG das Bundessozialgericht zur Entscheidung angerufen. Sie ist der Auffassung, daß die Gebührenfestsetzung vom 4. September 1958 auch für den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle unanfechtbar geworden sei und deshalb eine Nachforderung schon aus formalen Gründen nicht in Frage komme; sie hält jedoch auch die sachliche Berechtigung der Nacherhebung nicht für gegeben: Die in § 187 SGG vorgeschriebene Gebührenteilung müsse auch bei Beteiligung einer gebührenbefreiten öffentlich-rechtlichen Körperschaft zu einer anteiligen Ermäßigung der von den übrigen beteiligten Körperschaften zu entrichtenden Gebührenanteile führen.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen.
II. Die von der beklagten LVA. vorgebrachten Verfahrensbedenken greifen nicht durch. Die Frage, ob die einmal erfolgte Gebührenfeststellung nicht nur für den Gebührenschuldner unanfechtbar, sondern auch durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nicht mehr abänderbar ist, hat § 6 des Gerichtskostengesetzes (GKG) für den Geltungsbereich dieses Gesetzes dahin geregelt, daß Kosten wegen irrigen Ansatzes nur, aber auch immer dann noch nachgefordert werden können, wenn der berichtigte Ansatz dem Zahlungspflichtigen vor Ablauf des nächsten Kalenderjahres nach Rechtskraft der Entscheidung oder nach anderweiter Erledigung des Rechtsstreits mitgeteilt worden ist. Es bestehen keine Bedenken, diese Vorschrift auch im Sozialgerichtsverfahren entsprechend anzuwenden. Zwar ist im § 202 SGG, der bei Fehlen gesetzlicher Verfahrensvorschriften im SGG eine entsprechende Anwendung der Vorschriften der Zivilprozeßordnung (ZPO) und des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) dann vorschreibt, wenn die grundsätzlichen Unterschiede beider Verfahrensarten diese Anwendung nicht ausschließen, das GKG nicht ausdrücklich erwähnt. Gleichwohl ist davon auszugehen, daß auch solche Vorschriften, die in anderen Gesetzen als in der ZPO und dem GVG enthalten sind, jedenfalls dann bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 202 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anzuwenden sind, wenn sie sich inhaltlich auf das Verfahren nach der ZPO beziehen und dieses ergänzen. Zu diesen Vorschriften ist § 6 GKG zu zählen; diese Bestimmung trägt dem allgemeinen Rechtsgedanken Rechnung, daß die Staatskasse berechtigt sein muß, entgegen den gesetzlichen Vorschriften zu niedrig festgesetzte Kosten innerhalb einer angemessenen Frist nachzufordern; diese Frist ist mit Rücksicht auf die regelmäßig erst zu einer derartigen Nachforderung führenden verwaltungsmäßigen Maßnahmen - das gesamte "Kostenprüfungsverfahren" - sinnvoll auf praktisch ein bis zwei Jahre bemessen. Kraft ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift gilt diese Bestimmung nicht nur für den Gesamtbereich der Gerichtsbarkeit vor den "ordentlichen" Gerichten (§ 1 GKG), sondern darüber hinaus (einschließlich der sonstigen Vorschriften des GKG) gleichermaßen auch für die Arbeitsgerichtsbarkeit (§ 12 Abs. 5 ArbGG) und für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (§ 139 VwGO) entsprechend, soweit für die in Frage kommenden Verfahren keine ausdrücklichen abweichenden Vorschriften erlassen sind. Es bestehen daher entgegen der Auffassung der Revisionsbeklagten keine Bedenken, § 6 GKG über § 202 SGG entsprechend auch im sozialgerichtlichen Verfahren anzuwenden, so daß der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle als befugt anzusehen war, bei irrigem Kostenansatz jene Kosten innerhalb der erwähnten Frist nachzufordern.
III. Die weitere Nachprüfung ergibt jedoch, daß die Nachforderung sachlich nicht begründet ist.
Die Frage, ob die für die Fürsorgeverbände durch § 28 FürsPflVO bestimmte Gebührenfreiheit bereits das Entstehen einer Gebühr für den Fürsorgeverband hindert und deshalb bei Mitbeteiligung anderer öffentlich-rechtlicher Körperschaften oder Anstalten die volle Gebühr von diesen zu zahlen ist oder ob der Fürsorgeverband an sich (gegebenenfalls anteilig) Gebührenschuldner wird, die Gebühr aber von ihm wegen Gebührenbefreiung nicht erhoben werden kann und der Gebührenausfall demnach zu Lasten der Staatskasse geht, ist in Rechtsprechung und Literatur bisher durchaus unterschiedlich beantwortet (erstere Auffassung vertreten z.B.: LSG. Hamburg, Breith. 1959 S. 778 f; LSG. München, Breith. 1956 S. 1078, das in einer späteren Entscheidung (vgl. Breith. 1958 S. 792) jene Ansicht allerdings aufgegeben hat. Tschischgale, Das Kostenrecht in Sozialsachen, 1959 S.47 Abs. 6; Brocke-Reese, Gebühren und Kostenrecht der Sozialgerichtsbarkeit, 1957, XIII, Erläuterung 3 e auf S.47 u.a.; anderer Ansicht dagegen: LSG. München, Breith. 1958 S. 792 (s.o.); SG. Münster (Beschluß vom 23.1.1956 - IV KV 56/55 - wiedergegeben von Gölkel in "Gebührenfreiheit der Fürsorgeverbände im sozialgerichtlichen Verfahren"), ZfF. 1956 S. 119 mit zustimmender Anmerkung von Gölkel; Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 2. Aufl., allerdings etwas widerspruchsvoll in Anm. zu § 187 am Ende; Gölkel in ZfF. 1957 S. 36 u.a.
Auszugehen ist davon, daß nach § 183 SGG das Sozialgerichtsverfahren grundsätzlich kostenfrei ist und daß die Pflicht zur Entrichtung einer Gebühr, die im § 184 Abs. 1 SGG den Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts auferlegt wird, demgegenüber eine nur diese juristischen Personen des öffentlichen Rechts treffende Sonderregelung darstellt. Daraus folgt zunächst, daß bei allen sonstigen Prozeßbeteiligten nicht davon gesprochen werden kann, sie seien von der Zahlung einer Gebühr befreit, sondern nur davon, daß für sie der allgemein herrschende Grundsatz der Kostenfreiheit des Verfahrens gilt; auch für die Länder, die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Beschluß vom 10.12.1956, SozR. § 184 SGG Da 3 Nr. 6) keine Körperschaften des öffentlichen Rechts im Sinne des § 184 SGG sind, gilt demnach das gleiche, so daß es verfehlt ist, die sogenannte "Gebührenfreiheit" der Länder der wesensmäßig davon verschiedenen "Gebührenfreiheit" der Fürsorgeverbände gleichzustellen, wie es bei der Erörterung des vorliegenden Problems immer wieder geschieht. In Wirklichkeit handelt es sich bei den Fürsorgeverbänden nicht um eine irgendwie geartete Gebührenfreiheit mit der "absoluten" Wirkung, daß das Verfahren für sie im Sinne von § 183 SGG kostenfrei wäre, sondern einzig darum, daß sie "relativ" von der Zahlung der Gebühren befreit sind; eine derartige Befreiung setzt begrifflich voraus, daß die Verpflichtung zur Zahlung der Gebühr an sich entstanden ist, daß demnach der Fürsorgeverband nur davon befreit wird, diese Zahlungsverpflichtung auch zu erfüllen. Auch der Wortlaut des § 28 FürsPflVO spricht eindeutig für die Richtigkeit dieser Auffassung, da er in seinem Abs. 1 Satz 2 ausdrücklich betont, die Befreiung erstrecke sich auf die "Fällig werdenden Gerichtsgebühren", "soweit diese gesetzlich den Fürsorgeverbänden zur Last fallen"; eine derartig umständliche Fassung wäre nicht verständlich, wenn damit nur hätte gesagt werden sollen, daß in bestimmten Fällen Gebührenansprüche überhaupt nicht entstünden. Es ist deshalb auch bei der Beteiligung eines nach § 28 FürsPflVO von der Gebührenbezahlung befreiten Fürsorgeverbands die entstehende Gebühr zunächst auf sämtliche beteiligten Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts im Sinne des § 184 SGG (einschließlich jenes Fürsorgeverbandes) zu gleichen Teilen aufzuteilen; jeder beteiligte Kostenschuldner hat alsdann den auf ihn entfallenden Teil zu entrichten; der auf den Fürsorgeverband entfallende Teil fällt seiner persönlichen Befreiung wegen der Staatskasse zur Last.
Eine derartige Regelung erscheint auch allein billig, da der Staat, der nach § 28 FürsPflVO im Interesse einer Ausgabenherabsetzung für die ohnehin überlasteten Fürsorgeverbände auf die Verwirklichung seines Kostenanspruchs ihnen gegenüber verzichtet, durch die hier nicht gebilligte Handhabung der Gebührenerhebung im Ergebnis ohne eigene Einbuße die Folgen seines Verzichts auf die sonstigen kostenpflichtigen Körperschaften abwälzen würde.
Das gefundene Ergebnis wird auch nicht widerlegt durch den Hinweis darauf, daß § 187 SGG seinem Wortlaut nach stets davon ausgehe, daß die volle Gebühr bezahlt werden müsse (die "Gebühr"); nicht darauf stellt jedoch § 187 SGG ab, daß stets die volle Gebühr eingeht, sondern einzig darauf, daß auch bei Beteiligung mehrerer Kostenschuldner der Berechnung immer nur eine Gebühr zugrunde zu legen ist und daher niemals insgesamt ein höherer Betrag eingefordert werden darf; darüber, ob der einzelne Schuldner den auf ihn entfallenden Anteil der für ihn berechneten Gebühr im Endergebnis entrichtet bzw. zu entrichten hat oder ob der Staat einzelnen Schuldnern gegenüber auf die tatsächliche Entrichtung der von ihnen an sich zu leistenden Gebühr bzw. ihres Gebührenanteils verzichtet, besagt jene Bestimmung nichts.
Es war daher wie geschehen zu entscheiden.
Fundstellen