Leitsatz (redaktionell)
Ein Streit über die Anrechnung von Einkommen gemäß AVAVG § 95 (AFG § 115) betrifft auch dann die Höhe der Leistung, wenn sich nach Anrechnung des Einkommens keine Zahlung mehr ergibt.
Normenkette
AVAVG § 95 Abs. 1; AFG § 115; SGG § 147
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 25. Februar 1972 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Da das Landessozialgericht (LSG) die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassen hat und die Voraussetzungen der Statthaftigkeit nach § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG hier schon der Sache nach nicht in Betracht kommen, könnte sie nur statthaft sein, wenn das Verfahren vor dem LSG an einem mit der Revision substantiiert gerügten Mangel des Verfahrens leiden würde (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; BSG 1, 150; § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG). Das ist nicht der Fall; die Revisionsrügen des Klägers greifen nicht durch.
Ein Verfahrensmangel liegt zunächst nicht darin, daß das LSG die Berufung als unzulässig verworfen hat; die Berufung ist vielmehr nach § 147 SGG unzulässig, weil sie in Angelegenheiten der Arbeitslosenversicherung die Höhe der Leistung betrifft. Im Streit war in der Berufungsinstanz der angefochtene Bescheid vom 21. März 1968 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 1968 nur noch insoweit, als darin Arbeitslosengeld über den 31. März 1968 hinaus "versagt" worden ist. Mit diesem Bescheid wurde die Weiterzahlung von Arbeitslosengeld (Alg) abgelehnt, weil der Kläger ständig bei einem Universitätsinstitut gegen Vergütung beschäftigt sei, diese Vergütung nach § 95 Abs. 1 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) auf sein Alg anzurechnen sei und hiernach kein auszuzahlender Betrag verbleibe. Insoweit hat auch das Sozialgericht (SG) die angefochtenen Bescheide bestätigt; im Hinblick auf die ab April 1968 ständig ausgeübte Nebenbeschäftigung mit gleichbleibenden und regelmäßig gezahlten Einkünften bleibe bei Anrechnung auf das Alg kein auszahlbarer Betrag. Allein gegen diese Entscheidung, daß nämlich infolge Anrechnung von Einkünften kein auszahlbarer Betrag mehr für ihn verbleibe, richtet sich die Berufung des Klägers. Daß sein Anspruch auf Alg dem Grunde nach durch seine Teilbeschäftigung nicht ausgeschlossen wird, hat das SG ausdrücklich betont; auch den angefochtenen Bescheiden der Beklagten ist nichts anders zu entnehmen. Ein Streit über die Höhe einer Leistung liegt aber auch dann vor, wenn auf Grund der angestellten Berechnungen eine Zahlung deshalb nicht in Frage kommt, weil sich als Endbetrag Null ergibt; das hat das Bundessozialgericht (BSG) bereits mit Urteil vom 16. Juni 1955 zu § 148 Nr. 4 SGG ausgesprochen, der die Berufung ausschließt, soweit sie die Höhe der Ausgleichsrente in der Kriegsopferversorgung betrifft (BSG 1, 62, 66). Die dieser Entscheidung zu Grunde liegende prozeßrechtliche Erwägung - es dürfe für die Zulässigkeit der Berufung nicht darauf an kommen, ob bei der Berechnung zufällig noch ein Teilbetrag verbleibe oder nicht - gilt in gleichem Maße für § 147 SGG. Dementsprechend hat sich auch der erkennende Senat dieser Auffassung mit Urteil vom 21. September 1967 - 7 RAr 31/65 - für das Gebiet der Arbeitslosenversicherung in einem Fall, in dem es um Berufsausbildungsbeihilfe ging, angeschlossen (Breithaupt 1968 S. 523=Dienstblatt d. BA Ausg. C Nr. 1417 zu § 147 SGG). Die möglicherweise schwierige Abgrenzung gegenüber Fällen, in denen auf Grund von Berechnungen dieser Art eine echte Voraussetzung für den Anspruch dem Grunde nach entfällt (vgl. z. B. BSG-Urt. v. 15. September 1966 - 7 RAr 61/64 -, SozR Nr. 7 zu § 150 AVAVG = Dienstbl. C Nr. 1189 a zu § 150 AVAVG) spielt im vorliegenden Fall keine Rolle, da es sich hier um einen Fall reiner Anrechnung von Beträgen auf einen dem Grunde nach bestehenden Leistungsanspruch handelt. Dabei kann es für die Frage der Berufungszulässigkeit auch nicht darauf ankommen, ob der Kläger selbst die Anrechnungsvorschrift auf seinen Fall - sei es aus Gründen rechtlicher oder tatsächlicher Art - für anwendbar hält oder nicht; die Unzulässigkeit der Berufung schließt ja gerade die sachliche Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils aus.
Die somit nach § 147 SGG unzulässige Berufung ist auch nicht nach § 150 SGG zulässig. Das SG hat sie nicht nach § 150 Nr. 1 SGG zugelassen. Der Satz in der Rechtsmittelbelehrung des sozialgerichtlichen Urteils, die Berufung gegen dieses Urteil sei nach § 143 SGG zulässig, enthält eindeutig keine Zulassung nach § 150 Nr. 1 SGG (vgl. BSG SozR Nr. 16 zu § 150 SGG); eine solche unrichtige Belehrung eröffnet auch keine Anfechtungsmöglichkeit entsprechend ihrem unrichtigen Inhalt (BSG SozR Nr. 10 zu § 150 SGG). Das LSG hat aber auch zutreffend erkannt, daß die Berufung nicht nach § 150 Nr. 2 SGG wegen eines gerügten wesentlichen Verfahrensmangel des SG zulässig ist. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG handelt es sich nicht um einen Mangel des Verfahrens, wenn das SG in einer Sache, in der die Berufung nach den §§ 144 bis 149 SGG ausgeschlossen war, das Rechtsmittel irrtümlich als nach § 143 SGG statthaft angesehen und deshalb keine Entscheidung über die Zulassung nach § 150 Nr. 1 SGG getroffen hat (BSG SozR Nr. 38, 39 und 40 zu § 150 SGG). Es handelt sich dabei um eine sachlich unrichtige Entscheidung. Demgemäß kann es aber auch keinen wesentlichen Verfahrensmangel des Sozialgerichts darstellen, daß es infolge seiner irrtümlichen Rechtsauffassung den Kläger nicht auf die Unzulässigkeit der Berufung hingewiesen hat, um ihm Gelegenheit zu geben, die Zulassung der Berufung zu beantragen; davon abgesehen, ist die Zulassung der Berufung - unabhängig von einem Antrag - von Amts wegen zu prüfen.
Es liegt also - entgegen der Ansicht der Revision - kein Verfahrensmangel darin, daß das LSG die Berufung als unzulässig verworfen hat, anstatt in der Sache selbst zu entscheiden. Auch die weiteren Revisionsrügen, die das Verfahren vor dem LSG selbst betreffen, greifen nicht durch. Die Rüge, das LSG hätte dem Vertagungsantrag des Klägers in der Verhandlung vom 25. Februar 1972 stattgeben müssen, damit er sich auf die Stellungnahme zu der für ihn neuen Frage der Unzulässigkeit der Berufung hätte vorbereiten und insbesondere weitere Verfahrensrügen nach § 150 Nr. 2 SGG erheben können, ist unbegründet, hinsichtlich der vorzubringenden Verfahrensrügen auch schon unsubstantiiert. Das rechtliche Gehör des Klägers ist durch die Ablehnung der Vertagung nicht beschnitten worden. Er hatte seine schon am 1. August 1970 eingelegte Berufung trotz mehrfacher Aufforderung des LSG zunächst nicht begründet. Bereits zwei Monate vor dem Verhandlungstermin war er aber durch den Schriftsatz der Beklagten vom 16. Dezember 1971 hinreichend darüber informiert, daß nach der mit Gründen und Zitaten dargelegten Auffassung der Beklagten die Berufung - entgegen der Rechtsmittelbelehrung - unzulässig sei und nur durch die begründete Rüge wesentlicher Verfahrensmängel nach § 150 Nr. 2 SGG zulässig sein könnte. Die Ausführungen der Beklagten zur Unzulässigkeit der Berufung schlossen mit dem ausdrücklichen Hinweis, der Kläger möge sie bei der Begründung seiner Berufung berücksichtigen. Der Kläger hat sich dann auch in seiner schriftsätzlichen Berufungsbegründung sehr ausführlich und unter Bezugnahme auf Rechtsprechung und Literatur mit der Frage der Zulässigkeit der Berufung befaßt und auch eine eingehend begründete Verfahrensrüge erhoben. Es kann hiernach keine Rede davon sein, daß der Kläger etwa durch das Aufkommen der Zulässigkeitsfrage in der mündlichen Verhandlung überrascht worden sei. Er hat vielmehr hinreichend Zeit und Gelegenheit gehabt, sich auch insoweit auf die Verhandlung vorzubereiten, und sich - wenn es ihm erforderlich erschien - durch einen Rechtsanwalt beraten oder vertreten zu lassen, zumal er zum Termin rechtzeitig geladen und auch schon vorher durch Verfügung vom 31. Januar 1972 darauf hingewiesen worden war, daß in nächster Zeit Termin anberaumt werden solle.
Unbegründet ist auch die weitere Revisionsrüge, das Urteil des LSG sei in seiner Begründung insoweit unvollständig, als es sich nicht mit dem Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung auseinandersetze, das SG habe eine unrichtige Anrechnungsart hinsichtlich seines während der Arbeitslosigkeit erzielten Einkommens angewandt. Abgesehen davon, daß bei einer in sich schlüssigen Urteilsbegründung nicht auf jede einzelne im Laufe des Verfahrens gefallene Meinungsäußerung einzugehen ist, wenn sie nach der gegebenen Begründung "neben der Sache liegt", brauchte das LSG im vorliegenden Fall nicht auf die sachliche Rechtslage einzugehen, weil die Berufung unzulässig war.
Die somit nicht statthafte Revision ist gemäß § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen