Verfahrensgang
SG Hannover (Entscheidung vom 22.08.2022; Aktenzeichen S 78 R 882/17) |
LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 30.01.2023; Aktenzeichen L 2 BA 45/22) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 30. Januar 2023 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten um die Versicherungspflicht des Klägers als Gesellschafter-Geschäftsführer der beigeladenen GmbH in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung.
Nach dem Gesellschaftsvertrag wurden Gesellschafterbeschlüsse zunächst grundsätzlich mit einfacher Mehrheit gefasst. Abweichend davon beschlossen die Gesellschafter im Rahmen eines Gesellschafterbeschlusses am 23.12.2012 die Einstimmigkeit von Entscheidungen. Auf den Statusfeststellungsantrag des nicht über mindestens 50 vH der Stimmanteile verfügenden Klägers stellte die Beklagte dessen Versicherungspflicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses für die Zeit ab 1.12.2012 fest (Bescheid vom 28.4.2017; Widerspruchsbescheid vom 4.10.2017). Die Versicherungspflicht endete zum 5.9.2017 mit dem Tag der Eintragung einer Änderung des Gesellschaftsvertrags (Sperrminorität) ins Handelsregister (Bescheid vom 23.9.2021). Das SG hat die Klage gegen die Feststellung der Versicherungspflicht abgewiesen (Urteil vom 22.8.2022). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Der Geschäftsführervertrag des Klägers weise typische Elemente einer abhängigen Beschäftigung auf. Schuldrechtliche Vereinbarungen würden keine ausreichende Sperrminorität begründen, weil sie dem Grundsatz der Vorhersehbarkeit im Beitragsrecht nicht genügen würden. Auch die zivilrechtliche Durchsetzbarkeit der schuldrechtlichen Vereinbarung der Gesellschafter ändere daran nichts. Der Kläger könne sich mangels Vergleichbarkeit der Sachverhalte auch nicht auf das Urteil des BSG vom 8.7.2020 (B 12 R 26/18 R) zum Gesellschafter-Geschäftsführer einer Muttergesellschaft mit Sperrminorität berufen. Auch die weiteren Argumente des Klägers ua zur Bürgschaft und eheähnlichen Gemeinschaft mit einer weiteren Gesellschafterin würden zu keinem anderen Ergebnis führen (Beschluss vom 30.1.2023).
Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Der Kläger hat die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und fähig (Klärungsfähigkeit) ist. Mit der Beschwerdebegründung ist daher aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des § 162 SGG stellt. Hierzu ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung auszuführen, weshalb eine Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Schließlich ist darzulegen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt (vgl BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Nach Auffassung des Klägers stellt sich folgende Frage von grundsätzlicher Bedeutung:
"Führt ein Gesellschafterbeschluss, mit welchem beschlossen wird, dass alle Gesellschafter sich verpflichten, in allen Entscheidungen ohne Ausnahme zukünftig einstimmig zu handeln, zu einer Sperrminorität und damit zu der Bewertung, dass ein Gesellschafter-Geschäftsführer, der nicht mindestens 50 Prozent der Anteile an der Gesellschaft hält, keine abhängige und der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und dem Recht der Arbeitsförderung unterliegende Beschäftigung ausübt?"
Es kann dahinstehen, ob der Kläger damit eine abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung oder Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht (BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN) formuliert hat. Denn er hat jedenfalls die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage nicht hinreichend dargelegt.
Eine Rechtsfrage ist dann als höchstrichterlich geklärt und damit als nicht (mehr) klärungsbedürftig anzusehen, wenn diese bereits beantwortet ist. Ist sie noch nicht ausdrücklich entschieden, genügt es, dass schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der vom Beschwerdeführer als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (stRspr, vgl zB BSG Beschluss vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 7 mwN; s auch Beschluss vom 28.11.2018 - B 12 R 34/18 B - juris RdNr 6). Mit solcher Rechtsprechung hat sich eine Beschwerde auseinanderzusetzen. Hier hätte sich der Kläger daher mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung beschäftigen müssen, wonach die für das Sozialversicherungsrecht maßgebliche Rechtsmacht innerhalb einer Gesellschaft unter Beachtung der gesellschaftsrechtlichen Formvorschriften in der Satzung und nicht nur schuldrechtlich eingeräumt sein muss (vgl zB BSG Urteil vom 11.11.2015 - B 12 KR 13/14 R - BSGE 120, 59 = SozR 4-2400 § 7 Nr 26, RdNr 29ff; BSG Urteil vom 14.3.2018 - B 12 KR 13/17 R - BSGE 125, 183 = SozR 4-2400 § 7 Nr 35, RdNr 22 mwN; BSG Urteil vom 12.5.2020 - B 12 R 5/18 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 50 RdNr 18 f; BSG Urteil vom 7.7.2020 - B 12 R 17/18 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 49 RdNr 22 ff; BSG Urteil vom 29.6.2021 - B 12 R 8/19 R - juris RdNr 15 mwN; BSG Beschluss vom 1.11.2022 - B 12 BA 17/22 B - juris RdNr 8 f). Allein die Behauptung, die aufgeworfene Rechtsfrage sei noch nicht abschließend geklärt, entbindet nicht von der Verpflichtung, sich mit den bereits in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Rechtsgrundsätzen substantiiert auseinanderzusetzen.
2. Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass der angefochtene Beschluss des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine solche Abweichung ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage zum Bundesrecht die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Insoweit genügt es nicht darauf hinzuweisen, dass das LSG seiner Entscheidung nicht die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hätte. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz. Sie liegt daher nicht schon dann vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat (vgl BSG Beschlüsse vom 12.5.2005 - B 3 P 13/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und vom 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN). Eine Abweichung nach diesen Maßgaben hat der Kläger nicht dargetan.
Er entnimmt der Entscheidung des LSG sinngemäß den Rechtssatz,
"dass ein Gesellschafterbeschluss, mit welchem beschlossen wird, dass alle Gesellschafter sich verpflichten, in allen Entscheidungen ohne Ausnahme zukünftig einstimmig zu handeln, nicht zu einer Sperrminorität oder einem Vetorecht und damit zu der Bewertung führt, dass ein Gesellschafter-Geschäftsführer, der nicht mindestens 50 Prozent der Anteile an der Gesellschaft hält, trotz eines solchen Gesellschafterbeschlusses eine abhängige und der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und dem Recht der Arbeitsförderung unterliegende Beschäftigung ausübt, weil diese Regelung nicht im Gesellschaftsvertrag der GmbH festgehalten ist".
Dem stellt er die Entscheidung des BSG vom 8.7.2020 (B 12 R 26/18 R - BSGE 130, 282 = SozR 4-2400 § 7 Nr 51) gegenüber, aus der er ableitet,
"dass sich eine Sperrminorität auch aus Vereinbarungen ergeben kann, die außerhalb des Gesellschaftsvertrages der GmbH, bei der der Geschäftsführer beschäftigt ist, zu finden ist. Das Bundessozialgericht ist mit der genannten Entscheidung der Auffassung, dass sich trotzdem eine die Versicherungspflicht ausschließende Rechtsmacht ergibt, auch wenn dies nicht im Gesellschaftsvertrag der den Geschäftsführer beschäftigenden GmbH festgehalten ist."
Der Kläger legt insoweit aber nicht hinreichend dar, dass das BSG den behaupteten Rechtssatz in seiner Verallgemeinerung tatsächlich aufgestellt hätte (zu diesem Erfordernis vgl BSG Beschluss vom 14.2.2022 - B 12 R 30/21 B - juris RdNr 8 mwN). Er leitet den vermeintlichen Rechtssatz aus dem Ergebnis ab, ohne die entscheidungserheblichen Gesichtspunkte einzubeziehen. Wie er selbst mitteilt, betrifft die Entscheidung einen Geschäftsführer, der zwar nicht an der GmbH, aber an einer (Mutter-)Gesellschaft beteiligt war, die mindestens 50 vH der Anteile an der GmbH hielt, und dem durch Gesellschaftsvertrag eine umfassende Sperrminorität bei der Stimmabgabe in der (Tochter-)GmbH eingeräumt war. Mit dem lediglich auf einen Teilaspekt verkürzten "Rechtssatz" genügt der Kläger nicht den Anforderungen an eine Divergenzrüge. Denn er zeigt nicht auf, ob es nach dieser Entscheidung für die im Sozialversicherungsrecht maßgebliche Rechtsmacht grundsätzlich oder nur (ausnahmsweise) unter bestimmten Bedingungen auf eine außerhalb des Gesellschaftsvertrags geregelte Sperrminorität ankommen "kann" und ob der vorliegende Fall gerade insoweit vergleichbar ist.
Wenn der Kläger die Sachverhalte in einem von ihm selbst für wesentlich gehaltenen Punkt (Möglichkeit und Folgen eines rechtswidrigen Abstimmungsverhaltens) für vergleichbar ansieht, den das BSG nicht ausdrücklich erwogen oder als entscheidungserheblich angesehen hat, legt er letztlich nur seine eigene Rechtsauffassung und Schlussfolgerungen aus der Entscheidung zugrunde. Damit wird jedoch keine Abweichung des LSG dargetan, vielmehr rügt er im Kern die Unrichtigkeit der Entscheidung. Darauf kann eine Nichtzulassungsbeschwerde aber nicht gestützt werden (vgl BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 3 mwN).
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI16025725 |