Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionsnichtzulassungsbeschwerde. Vertragszahnarzt. "Kürettage". Qualifizierung als Rechtsbegriff. Auslegung durch Gericht ohne Einholung eines Gutachtens. Keine Erwähnung von “Kürettage” in Ausbildungsordnung für Dentalhygienikerinnen und in Leistungslegende der Nrn. P 200 und 202 Bema-Z. Abrechenbarkeit nur bei Behandlung durch Zahnarzt
Orientierungssatz
Der Begriff "Kürettage" findet sich weder in der ab dem 1.1.1998 geltenden Fassung der Ausbildungsordnung für Dentalhygienikerinnen noch in der Leistungslegende der ab dem 1.1.2004 geltenden Leistungspositionen P 200 Bema-Z und P 202 Bema-Z.
Normenkette
SGB 5 § 87 Abs. 1-2; Bema Nr. P200; Bema Nr. P202
Verfahrensgang
Tatbestand
Die in einer Gemeinschaftspraxis zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassenen Kläger wenden sich gegen sachlich-rechnerische Berichtigungen ihrer Abrechnung durch die Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZÄV) Stuttgart, die seit dem 1. Januar 2005 in der beklagten KZÄV Baden-Württemberg aufgegangen ist, in den Quartalen II/1997, I/1998 und II/1998. Die KZÄV Stuttgart berichtigte in den drei streitbefangenen Quartalen in 52, 29 und 58 Fällen systematischer Parodontosebehandlung den Ansatz der Gebührennummer P 200 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für zahnärztliche Leistungen (Bema-Z). In den betroffenen Behandlungsfällen hatten die Kläger die abgerechneten Parodontosebehandlungen ausschließlich von Dentalhygienikerinnen ausführen lassen. Die KZÄV Stuttgart beanstandete den Ansatz der Position P 200 Bema-Z mit der Begründung, diese Leistungsposition sei nur berechnungsfähig, wenn der Zahnarzt selbst chirurgische Leistungen erbracht habe. Derartige Leistungen dürften nicht an Dentalhygienikerinnen delegiert werden. Entweder hätten die Kläger daher Leistungen berechnet, die sie nicht selbst erbracht, sondern rechtswidrigerweise delegiert hätten, oder der Leistungsinhalt der Position P 200 Bema-Z sei mangels Durchführung chirurgischer Maßnahmen seitens des Zahnarztes nicht vollständig erbracht. Bloße Teilleistungen einer systematischen Parodontosebehandlung dürften nicht nach Position P 200 Bema-Z abgerechnet werden.
Während das Sozialgericht die angefochtenen Berichtigungsbescheide idF des Widerspruchsbescheides aufgehoben hat, hat das Landessozialgericht (LSG) auf die Berufung der Rechtsvorgängerin der Beklagten das sozialgerichtliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Der Leistungsinhalt der Nr P 200 Bema-Z sei nur erbracht, wenn auch chirurgische Maßnahmen des Zahnarztes angefallen seien. Derartige Maßnahmen dürften nicht an Dentalhygienikerinnen delegiert werden (Urteil vom 1. September 2004).
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision machen die Kläger geltend, das Berufungsurteil leide an einem Verfahrensmangel (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫), und im Rechtsstreit seien Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Der von den Klägern gerügte Verfahrensmangel liegt nicht vor. Die Kläger machen geltend, das Berufungsgericht sei dem von ihnen gestellten Antrag, "ein parodontologisches Gutachten einzuholen zum Beweis der Tatsache, dass der Begriff der Kürettage nach der in den Jahren 1997 und 1998 geltenden zahnmedizinischen Wissenschaft auch durch ein reines deep-scaling und/oder root-planing erfüllt werden kann", ohne hinreichenden Grund iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nicht nachgegangen. Das trifft nicht zu. Das LSG hat in seinem Urteil dargelegt, bei dem Begriff "Kürettage" im Sinne von Gebührenziffer P 200 Bema-Z handele es sich um einen Rechtsbegriff. Deshalb sei es unerheblich, wie der Begriff umgangssprachlich in der zahnärztlichen Praxis verwendet werde bzw welche wissenschaftlichen Erkenntnisse in diesem Zusammenhang zu einer Änderung von Definition und Behandlungsmethoden führen könnten. Ausgehend von der für die Beurteilung eines Verfahrensmangels iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG maßgeblichen Rechtsauffassung des LSG (dazu näher BSG SozR 1500 § 160a Nr 34 S 50) hat dieses sich nicht gedrängt sehen müssen, den beantragten Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu erheben. Wenn es sich bei den Begriffen der "chirurgischen Maßnahmen" und der "subgingivalen Kürettage" um Rechtsbegriffe handelt, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen der Berechnungsfähigkeit einer Position des Bema-Z beschrieben werden, war die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Begriffsklärung nicht nur nicht naheliegend, sondern ausgeschlossen.
Die Rechtsauffassung des LSG, wonach die Auslegung der tatbestandlichen Voraussetzungen einer Leistungslegende in den vertrags(zahn)ärztlichen Gebührenordnungen im Streitfall Sache der Gerichte ist und eine Klärung durch Sachverständigengutachten in der Regel ausscheidet, stimmt im Übrigen mit der dazu ergangenen Rechtsprechung des Senats überein (zuletzt Urteil vom 20. Oktober 2004 - B 6 KA 41/03 R -, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen).
Den von den Klägern als klärungsbedürftig angesehenen Rechtsfragen kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Eine solche ist gegeben, wenn eine Rechtsfrage benannt worden ist, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig, klärungsbedürftig (entscheidungserheblich) und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist. Die Kläger halten für klärungsbedürftig, ob in den Jahren 1997 und 1998 der Begriff der "Kürettage" im Sinne der Nr P 200 Bema-Z in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung auch durch ein reines "deep-scaling" und/oder "root-planing" erfüllt werden konnte und ob diese Behandlungsmaßnahmen nach Nr P 200 Bema-Z abrechenbar gewesen sind. Die Annahme einer grundsätzlichen Bedeutung scheidet schon deshalb aus, weil die maßgebliche Leistungslegende der Nr P 200 Bema-Z in der 1997/1998 geltenden Fassung zum 31. Dezember 2003 außer Kraft getreten ist. Zwar können auch Fragen der Auslegung und Anwendung außer Kraft getretenen Rechts grundsätzliche Bedeutung haben, doch setzt das voraus, dass noch in einer Vielzahl von Streitverfahren die inzwischen außer Kraft getretenen Vorschriften Anwendung finden, oder die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte auch für die Auslegung des neuen Rechts Bedeutung haben (vgl Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl 2005, IX, RdNr 61). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Es ist weder von den Klägern dargetan noch für den Senat ersichtlich, dass die Auslegung der Nr P 200 Bema-Z aF unter dem Gesichtspunkt der Delegationsfähigkeit von Leistungen der systematischen Parodontosebehandlung noch in einer Vielzahl von Streitigkeiten zu klären ist. Das Berufungsgericht hat in der Begründung seiner Entscheidung, die Revision nicht zuzulassen, darauf hingewiesen, dass in seinem Zuständigkeitsbereich dazu keine Streitverfahren anhängig sind. Der Bezirk des Berufungsgerichts umfasste nach dem bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Rechtszustand den Bezirk von vier KZÄVen. Die Kläger haben demgegenüber lediglich pauschal behauptet, die zutreffende Auslegung der maßgeblichen Vorschriften stelle sich für alle Zahnärzte als problematisch dar, die systematische Parodontosebehandlungen durchgeführt und dabei bestimmte Leistungen an Dentalhygienikerinnen delegiert haben. Konkrete Streitverfahren dazu haben die Kläger nicht angeführt. Solche sind auch nicht bekannt.
Der Auffassung der Beschwerde, die Auslegung der Leistungslegende der Nr P 200 Bema-Z in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung habe ohne Einschränkung auch für die seit dem 1. Januar 2004 geltende Fassung der Nr 200 und Nr 202 P Bema-Z Bedeutung, kann ebenfalls nicht gefolgt werden. Die für die Entscheidung des Rechtsstreits insgesamt zentrale Rechtsauffassung der Kläger geht dahin, sie dürften alle nach Nr P 200 Bema-Z aF zu erbringenden Leistungen an Dentalhygienikerinnen delegieren. Das könnte allenfalls dann richtig sein, wenn Dentalhygienikerinnen auch "chirurgische Maßnahmen der systematischen Behandlung der Parodontopathien" im Sinne der Leistungslegende dieser Position erbringen dürften. Dass das grundsätzlich nicht zulässig ist, weil chirurgische Maßnahmen dem Zahnarzt vorbehalten sind, stellen die Kläger selbst nicht in Abrede. Sie machen lediglich geltend, die in der im Klammerzusatz unter "zum Beispiel" zur Erläuterung "aller Maßnahmen dieser Art" erwähnte "Kürettage" sei so zu verstehen, dass die davon erfassten Leistungen auch von Dentalhygienikerinnen erbracht werden dürften. Der Begriff "Kürettage" findet sich jedoch weder in der ab dem 1. Januar 1998 geltenden Fassung der Ausbildungsordnung für Dentalhygienikerinnen noch in der Leistungslegende der ab dem 1. Januar 2004 geltenden Leistungspositionen P 200 Bema-Z und P 202 Bema-Z. In den letztgenannten Vorschriften ist lediglich von "systematischer Behandlung von Parodontopathien (supra- und subgingivales Debridement)" bzw von "systematischer Behandlung von Parodontopathien (chirurgische Therapie)" die Rede. Es ist nicht erkennbar, dass die vom Senat ggf aufzustellenden Grundsätze zur Auslegung des Begriffs "Kürettage" im Sinne der Leistungslegende der Nr P 200 Bema-Z aF für die Auslegung der seit dem 1. Januar 2004 geltenden Leistungslegenden Nr P 200 und Nr P 202 Bema-Z von Bedeutung sind.
Schließlich ist die von den Klägern aufgeworfene Auslegungsfrage hinsichtlich des Begriffs "Kürettage" nicht klärungsbedürftig. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, für die Auslegung der Leistungslegende der Nr P 200 Bema-Z in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung sei entscheidend, dass in der amtlichen Anmerkung formuliert ist: "Dieser Leistungsansatz setzt chirurgische Maßnahmen der systematischen Behandlung der Parodontopathien voraus". Wenn die Auffassung des LSG richtig ist, dass derartige chirurgische Maßnahmen ausnahmslos ein Tätigwerden des Zahnarztes selbst erfordern, kann der Leistungsinhalt der Nr P 200 Bema-Z nie allein durch die Leistungserbringung einer Dentalhygienikerin erbracht werden. Auf die Auslegung des beispielhaft zur Erläuterung des Begriffs "Maßnahmen dieser Art" in der Leistungslegende verwendeten Begriffs "Kürettage" kommt es dann nicht mehr an. Die Grundsätze zur Auslegung der vertrags(zahn)ärztlichen Gebührenordnung sind im Übrigen in der Rechtsprechung des Senats hinreichend geklärt und vom LSG zutreffend zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach tragen die Kläger die Kosten des von ihnen geführten erfolglosen Rechtsmittels. Die Verpflichtung zur gesamtschuldnerischen Kostentragung beruht auf § 159 Satz 2 VwGO.
Fundstellen