Verfahrensgang

SG Braunschweig (Entscheidung vom 10.06.2016; Aktenzeichen S 12 VE 5/15)

LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 07.02.2020; Aktenzeichen L 10 VE 43/16)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 7. Februar 2020 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger begehrt in der Hauptsache eine Beschädigtenrente nach den Vorschriften des Opferentschädigungsgesetzes iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) nach einem Grad der Schädigung (GdS) von 90 anstelle des zuerkannten GdS von 80 wegen der anerkannten Schädigungsfolgen einer Gewalttat vom 7.5.2012. Diesen Anspruch hat das LSG unter Bezugnahme auf die Entscheidung des SG verneint (Beschluss vom 7.2.2020).

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, Divergenz und Verfahrensmängel.

II

Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) und des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der hierfür erforderlichen Weise dargetan worden sind (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss daher, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen Senatsbeschluss vom 31.1.2018 - B 9 V 63/17 B - juris RdNr 6; Senatsbeschluss vom 30.11.2017 - B 9 V 35/17 B - juris RdNr 4). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung des Klägers nicht gerecht.

Der Kläger hält sinngemäß folgende Fragen für grundsätzlich bedeutsam:

Durfte das LSG ohne Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens davon ausgehen, dass keine wesentlichen Änderungen der Schädigungsfolgen bei dem Kläger eingetreten sind, die einen höheren Anspruch auf Beschädigtenversorgung rechtfertigen? Wann dürfen Gerichte in Bezug auf medizinische Sachverhalte im sozialen Entschädigungsrecht auf Grundlage eigener Sachkenntnis einen Sachverhalt bewerten und wann ist die Einholung eines Sachverständigenrats erforderlich? Wann müssen sich Gerichte hinsichtlich ihrer Entscheidung am Einzelfall orientieren und jedes Verfahren für sich bewerten?

Damit hat der Kläger jedoch bereits keine Rechtsfragen iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG bezeichnet. Vielmehr zielt die Fragestellung auf die Klärung und Bewertung von Tatsachen ab und beinhaltet im Kern letztlich Fragen der Beweiswürdigung und der Sachaufklärung. Die Zulassung der Revision kann gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 2 SGG aber nicht mit der Behauptung verlangt werden, das LSG habe gegen den Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung verstoßen. Dies gilt nicht nur für den Fall, dass die Beschwerde ausdrücklich eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG geltend macht, sondern auch dann, wenn sie ihre Angriffe gegen die Beweiswürdigung des LSG in das Gewand einer Grundsatzrüge zu kleiden versucht. Ein Beschwerdeführer kann diese gesetzlichen Beschränkungen der Verfahrensrüge in § 160 Abs 2 Nr 3 SGG - soweit sie reichen - nicht erfolgreich dadurch umgehen, dass er die Rügen in Fragen von grundsätzlicher Bedeutung kleidet (vgl BSG Beschluss vom 28.2.2018 - B 1 KR 65/17 B - juris RdNr 5). Der Kläger zeigt nicht auf, dass es hier um Fragen von grundsätzlicher Bedeutung geht, bei denen die gesetzlichen Beschränkungen der Verfahrensrüge nicht greifen.

Selbst wenn man die von dem Kläger formulierten Fragen in eine Rechtsfrage "umdeuten" könnte und wollte, hat er es unterlassen, die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragestellungen darzulegen. Er geht nicht darauf ein, inwieweit die Fragen bereits durch Gesetz oder höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt sind. Insbesondere hätte sich der Kläger zunächst mit den Anspruchsvoraussetzungen in § 30 Abs 1 und 2 BVG unter Beachtung der Vorgaben der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG) sowie mit § 103 SGG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung auseinandersetzen müssen. Denn das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt, wenn die Frage bereits höchstrichterlich geklärt ist und ihre Beantwortung keinem vernünftigen Zweifel unterliegt (vgl zB Senatsbeschluss vom 7.3.2019 - B 9 V 40/18 B - juris RdNr 7). Daran fehlt es ebenfalls.

2. Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die in zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG aufgestellt hat. Zudem muss die angefochtene Entscheidung auf dieser Abweichung beruhen.

Diese Darlegungspflicht erfüllt die Beschwerdebegründung nicht. Der Vortrag, es könne nicht nachvollzogen werden, "weshalb keine weiteren Ermittlungen trotz Aufforderung von Amts wegen" erfolgt seien und dass das Gericht zu den Ermittlungen verpflichtet sei, die nach "Lage der Sache" erforderlich seien, bezeichnen keine Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG. Der Kläger benennt weder einen abstrakten Rechtssatz aus einer der von ihm zitierten Entscheidungen des BSG noch stellt er einen solchen divergierenden abstrakten Rechtssatz des LSG aus dem angefochtenen Beschluss gegenüber (stRspr, zB Senatsbeschluss vom 25.10.2018 - B 9 V 27/18 B - juris RdNr 8 mwN).

3. Soweit der Kläger meint, dass das LSG seiner Amtsermittlungspflicht nicht nachgekommen sei, erfüllt sein Vorbringen nicht die notwendigen Darlegungsanforderungen einer Sachaufklärungsrüge (s hierzu allgemein Senatsbeschluss vom 21.12.2017 - B 9 SB 70/17 B - juris RdNr 3). Auf den Verfahrensmangel einer unterlassenen Sachaufklärung (§ 103 SGG) kann sich der Kläger schon deshalb nicht mit Erfolg berufen, weil er keinen vor dem LSG bis zuletzt aufrecht erhaltenen Beweisantrag benannt hat, den das Berufungsgericht übergangen haben könnte (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 3 SGG).

4. Der Senat war nicht verpflichtet, den Prozessbevollmächtigten des Klägers entsprechend seiner Bitte in der Beschwerdebegründung um einen rechtlichen Hinweis "soweit weitere Ausführungen als nötig erachtet werden", vorab auf die Unzulänglichkeit des Beschwerdevortrags aufmerksam zu machen. Das Gesetz unterstellt, dass ein Rechtsanwalt in der Lage ist, Formerfordernisse einzuhalten; gerade dies ist ein Grund für den Vertretungszwang vor dem BSG gemäß § 73 Abs 4 SGG. § 106 Abs 1 SGG gilt insoweit nicht. Ein Rechtsanwalt muss in der Lage sein, ohne Hilfe durch das Gericht eine Nichtzulassungsbeschwerde ordnungsgemäß zu begründen (stRspr, zB BSG Beschluss vom 21.7.2010 - B 7 AL 60/10 B - juris RdNr 7). Hierauf ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers auch bereits mehrfach hingewiesen worden.

5. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

6. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI14113909

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge