Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozesskostenhilfe. Antrag. Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Form. Formular. Beschwerdefrist. Beiordnung eines Notanwalts. Bemühungen. Nichtzulassungsbeschwerde. Zugelassene Prozessbevollmächtigte
Leitsatz (redaktionell)
1. Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist, dass sowohl der grundsätzlich formlose Antrag auf Prozesskostenhilfe als auch die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der für diese gesetzlich vorgeschriebenen Form, d.h. auf dem durch die Prozesskostenhilfeformularverordnung vom 06.01.2014 (BGBl I 34) eingeführten Formular, bis zum Ablauf der Beschwerdefrist eingereicht werden.
2. Die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Notanwalts sind nicht in der erforderlichen Weise dargelegt. Um aufzuzeigen, dass ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt habe nicht gefunden werden können und deshalb die Beiordnung eines Notanwalts erforderlich sei, muss innerhalb der Rechtsmittelfrist durch Angaben und ggf. unter Vorlage entsprechender Korrespondenz geltend gemacht werden, dass die Bemühungen um die Übernahme der Vertretung bei mehreren Rechtsanwälten erfolglos gewesen ist, wofür für ein beabsichtigtes Rechtsmittelverfahren vor einem obersten Bundesgericht erforderlich ist, dass die erfolglosen Bemühungen um eine Prozessvertretung bei mehr als vier zugelassenen Prozessbevollmächtigten substantiiert aufgezeigt werden.
3. Eine von einer Naturpartei selbst eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde zum BSG ist unzulässig, da sie nicht der gesetzlichen Form entspricht, weil sie nicht selbst Beschwerde einlegen kann, sondern sich vor dem BSG durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen muss.
Normenkette
SGG § 64 Abs. 3, § 67 Abs. 1, § 73 Abs. 4, § 73a Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 1, § 160a Abs. 2 S. 1, Abs. 4 S. 1, § 169 Sätze 2-3, § 202 S. 1; ZPO § 78b Abs. 1, §§ 114, 117 Abs. 2, 4, § 121
Verfahrensgang
SG Berlin (Entscheidung vom 21.11.2018; Aktenzeichen S 115 U 466/17) |
LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 12.05.2022; Aktenzeichen L 21 U 221/18) |
Tenor
Die Anträge der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 12. Mai 2022 sowie für die Revision gegen dieses Urteil vor dem Bundessozialgericht Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts zu gewähren, werden abgelehnt.
Der Antrag der Klägerin, ihr für die oben genannten Verfahren einen Notanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem oben genannten Urteil des Landessozialgerichts sowie die Revision der Klägerin gegen dieses Urteil werden als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 12.5.2022 die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 21.11.2018 zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Das Urteil des LSG ist der Klägerin am 21.7.2022 zugestellt worden.
Die Klägerin hat mit drei von ihr unterzeichneten und zeitgleich am 21.8.2022 beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangenen Schreiben vom 20.8.2022 Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG vom 12.5.2022 sowie Revision gegen dieses Urteil eingelegt.
Zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens sowie der Revision hat die Klägerin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) mit Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt. Das erforderliche Erklärungsformular über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hat sie am 2.9.2022 vorgelegt.
Mit Schreiben vom 20.9.2022 hat sie erklärt, keinen zu ihrer Vertretung vor dem BSG bereiten Rechtsanwalt zu finden. Der mit weiterem Schreiben desselben Tages durch die Klägerin gestellte Antrag, die Frist zur Begründung der Revision zu verlängern, ist abgelehnt worden (Beschluss vom 23.2.2023).
II
Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von PKH für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde und für das Revisionsverfahren war abzulehnen. Ihr Antrag, ihr für die genannten Verfahren einen Notanwalt beizuordnen, war ebenfalls abzulehnen. Die Beschwerde und die Revision waren als unzulässig zu verwerfen.
1. Der Antrag auf Gewährung von PKH ist abzulehnen, weil die Voraussetzungen für deren Bewilligung nicht erfüllt sind.
Voraussetzung für die Bewilligung von PKH ist nach der Rechtsprechung des BSG und der anderen obersten Gerichtshöfe des Bundes, dass sowohl der grundsätzlich formlose Antrag auf PKH als auch die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Erklärung) in der für diese gesetzlich vorgeschriebenen Form (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG, § 117 Abs 2 und 4 ZPO), dh auf dem durch die Prozesskostenhilfeformularverordnung vom 6.1.2014 (BGBl I 34) eingeführten Formular, bis zum Ablauf der Beschwerdefrist eingereicht werden (stRspr; zB BSG Beschlüsse vom 20.9.2022 - B 2 U 7/22 BH - juris RdNr 2, vom 13.1.2021 - B 5 R 16/20 BH - juris RdNr 3 und vom 30.1.2017 - B 5 R 30/16 R - juris RdNr 4; jeweils mwN). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Die Klägerin hat bis zum Ablauf der einmonatigen Beschwerdefrist, die am Montag, dem 22.8.2022, endete (§ 160a Abs 1 Satz 2, § 64 Abs 3 SGG), zwar den Antrag gestellt, nicht aber die erforderliche Erklärung vorgelegt. Das Erklärungsformular der Klägerin ist vielmehr erst am 2.9.2022 und damit nach Ablauf der Rechtsmittelfrist beim BSG eingegangen.
Es ist auch nicht erkennbar, dass die Klägerin iS von § 67 Abs 1 SGG ohne Verschulden verhindert gewesen ist, die erforderliche Erklärung rechtzeitig vorzulegen, sodass ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren wäre. Das LSG hatte die Klägerin in der der Entscheidung beigefügten Rechtsmittelbelehrung und den Erläuterungen zur PKH zutreffend darüber belehrt, dass sowohl der PKH-Antrag als auch die formgerechte Erklärung bis zum Ablauf der Beschwerdefrist beim BSG einzureichen sind.
Da der Klägerin keine PKH zusteht, entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
2. Auch der Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts ist abzulehnen. Gemäß § 78b Abs 1 ZPO hat das Prozessgericht, soweit eine Vertretung durch Anwälte geboten ist, einer Partei auf ihren Antrag durch Beschluss für den Rechtszug einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung ihrer Rechte beizuordnen, wenn sie einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint. Diese Vorschrift ist gemäß § 202 Satz 1 SGG auf das Verfahren vor dem BSG wegen des dort geltenden Vertretungszwangs (§ 73 Abs 4 Satz 1 SGG) entsprechend anzuwenden.
Die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Notanwalts sind nicht in der erforderlichen Weise dargelegt. Die Beiordnung kann mit der Begründung beantragt werden, ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt habe nicht gefunden werden können. Um dies aufzuzeigen, muss innerhalb der Rechtsmittelfrist durch Angaben und ggf unter Vorlage entsprechender Korrespondenz geltend gemacht werden, dass die Bemühungen um die Übernahme der Vertretung bei mehreren Rechtsanwälten erfolglos gewesen ist. Hierzu ist es für ein beabsichtigtes Rechtsmittelverfahren vor einem obersten Bundesgericht erforderlich, dass die erfolglosen Bemühungen um eine Prozessvertretung bei mehr als vier zugelassenen Prozessbevollmächtigten substantiiert aufgezeigt werden (stRspr; zB BSG Beschlüsse vom 18.8.2021 - B 2 U 129/21 B - juris RdNr 4, vom 29.4.2021 - B 1 KR 1/21 B - juris RdNr 11 und vom 16.10.2007 - B 6 KA 3/07 S - juris RdNr 2; jeweils mwN). Das ist hier nicht erfolgt. Die Klägerin hat solche erfolglosen Bemühungen um eine Prozessvertretung bei mehr als vier zugelassenen Prozessbevollmächtigten nicht hinreichend substantiiert aufgezeigt.
3. Die von der Klägerin selbst eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht der gesetzlichen Form entspricht. Die Klägerin kann nicht selbst Beschwerde einlegen, sondern muss sich vor dem BSG durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen (§ 73 Abs 4 SGG). Darauf hat das LSG die Klägerin in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils ebenfalls hingewiesen. Die nicht formgerecht eingelegte Beschwerde war daher ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 SGG).
4. Die von der Klägerin zeitgleich eingelegte Revision ist ebenfalls unzulässig. Nach § 160 Abs 1 SGG steht den Beteiligten die Revision gegen ein Urteil des LSG an das BSG nur zu, wenn sie zugelassen worden ist, und zwar entweder schon durch das LSG oder nachträglich durch Beschluss des BSG im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160a SGG. Da das LSG die Revision in seinem Urteil nicht zugelassen hat und im gegenwärtigen Zeitpunkt ein die Revision zulassender Beschluss des BSG (§ 160a Abs 4 Satz 1 SGG) nicht vorliegt, ist die Revision der Klägerin nicht statthaft und allein deswegen schon unzulässig. Überdies entspricht die Revision - wie auch die Nichtzulassungsbeschwerde - nicht der gesetzlichen Form, weil sie ebenfalls durch die Klägerin selbst und nicht durch einen zur Vertretung vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) eingelegt worden ist. Die Revision war daher ebenfalls ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter gemäß § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15641121 |