Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 05.10.2016; Aktenzeichen L 5 KA 2373/14) |
SG Stuttgart (Entscheidung vom 24.04.2014; Aktenzeichen S 5 KA 5611/12) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 5. Oktober 2016 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2061 Euro festgesetzt.
Gründe
I
Der Kläger ist als Facharzt für Allgemeinmedizin in F. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er verfügt über die Zusatzqualifikationen "Naturheilverfahren" und "Psychotherapie" und macht für die Quartale III/2010 und IV/2010 Nachzahlungen in Höhe von 762 Euro bzw knapp 1300 Euro geltend. Er begründet seine Forderung damit, dass seine genehmigungsbedürftigen und zeitabhängigen Leistungen nach Kapitel 35.2 Einheitlicher Bewertungsmaßstab für die ärztlichen Leistungen (EBM-Ä) nur quotiert vergütet worden seien und sieht insoweit eine Benachteiligung gegenüber den Ärzten für Psychotherapeutische Medizin, den Psychologischen Psychotherapeuten, den Psychiatern und allen anderen ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Ärzten.
Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat ausgeführt, die Differenzierung im Honorarverteilungsvertrag (HVV) der beklagten KÄV für die beiden streitbefangenen Quartale zwischen (a) Fachärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie, Fachärzten für Nervenheilkunde einerseits, (b) Psychologischen Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Fachärzten für psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie anderen ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Vertragsärzten und schließlich (c) sonstigen psychotherapeutisch tätigen Ärzten sei sachgerecht. Die Leistungen nach Kapitel 35.2 EBM-Ä, die von Ärzten erbracht werden, die nicht ausschließlich psychotherapeutisch tätig sind und auch nicht zu den Gruppen der Fachärzte für Psychotherapie und der psychologischen Psychotherapeuten gehören, seien aus einem arztgruppenspezifischen Verteilungsvolumen honoriert worden. Das Honorarvolumen dieser "freien Leistungen" sei durch die abgerechneten und anerkannten Honorarforderungen der betreffenden Ärzte im jeweiligen Abrechnungsquartal geteilt worden. Hieraus ergebe sich die jeweilige Quotierung für diese Leistungen, wobei eine Mindestquote von 80 % im HVV vereinbart worden sei. Mit dieser Quote sind nach Feststellung des LSG die genehmigungsbedürftigen und zeitabhängigen Leistungen des Klägers nach Kapitel 35.2 EBM-Ä vergütet worden, während die übrigen antragsgenehmigungspflichtigen Leistungen der oben genannten spezialisierten Arztgruppen mit den vollen Preisen der Euro-Gebührenordnung honoriert worden sind. Die darin liegende Ungleichbehandlung sei jedoch gerechtfertigt, weil die Vorgabe des Gesetzes zur Gewährleistung einer angemessenen Vergütung der Psychotherapeuten auf die vom HVV explizit aufgeführten Arztgruppen beschränkt sei. Nur für diese ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Ärzte und psychologischen Psychotherapeuten könnten die Grundsätze der Rechtsprechung des BSG zur angemessenen Vergütung der Psychotherapie gelten, die der Gesetzgeber in verschiedenen Stufen umgesetzt habe. Zwischen Ärzten für Allgemeinmedizin, die auch psychotherapeutische Leistungen erbrächten, und Ärzten und psychologischen Psychotherapeuten, die im Wesentlichen nur diese Leistungen erbringen und abrechnen könnten, bestünden Unterschiede von solchem Ausmaß und Gewicht, dass eine Differenzierung zulässig sei (Urteil vom 5.10.2016).
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil macht der Kläger geltend, im Rechtsstreit seien Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
II
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von dem Kläger geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der zu entscheidenden Rechtsfragen liegt nicht vor.
1. Der Kläger wirft die Frage auf, ob eine unterschiedliche Vergütung antragspflichtiger psychotherapeutischer Leistungen der ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Ärzte und psychologischen Psychotherapeuten auf der einen und der nicht ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Ärzte auf der anderen Seite mit Recht und Gesetz, insbesondere mit dem aus Art 12 iVm mit Art 3 Abs 1 GG abgeleiteten Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit vereinbar ist. Schon gegen die Klärungsfähigkeit dieser allgemein gehaltenen Fragestellung bestehen Bedenken, jedenfalls aber fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit.
In der allgemeinen Formulierung des Beschwerdeführers, die auf jeden Vergütungsunterschied ganz gleich in welcher Konstellation und in welchem Ausmaß zielt, wäre die aufgeworfene Frage in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht zu entscheiden. Zu entscheiden wäre lediglich, ob zwischen beiden genannten Gruppen in der Weise differenziert werden darf, dass die Leistungen der einen Gruppe mit den vollen Preisen der regionalen Gebührenordnung vergütet werden, während die Leistungen der anderen Gruppe (nicht ausschließlich psychotherapeutisch tätige Ärzte) mengenabhängig und ggf nur mit einer reduzierten Quote dieses Vergütungsniveaus honoriert werden dürfen. Um diese Frage zu klären, bedarf es jedoch der Durchführung eines Revisionsverfahrens nicht, weil die Antwort im Sinne der Bejahung in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Urteil auf dem Hintergrund der gesetzlichen Regelungen und der Rechtsprechung des Senats auf der Hand liegt.
Die Differenzierung knüpft, wie sowohl das LSG als auch die Beklagte zutreffend dargestellt haben, an die Regelung des § 87b Abs 2 Satz 6 SGB V idF des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) vom 26.3.2007 an, die für die Vergütung der Vertragsärzte im hier betroffenen Zeitraum (Quartal III und IV/2010) maßgeblich war. Danach sind antragspflichtige psychotherapeutische Leistungen der Psychotherapeuten, der Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, der Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie und der Fachärzte für Nervenheilkunde, der Fachärzte für Psychosomatik und Psychotherapie sowie der ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Ärzte außerhalb der Regelleistungsvolumina (RLV) zu vergüten. Bereits die bis Ende 2008 für die Vergütung der psychotherapeutischen Leistungen der Psychotherapeuten und anderer vorwiegend psychotherapeutisch tätigen Arztgruppen allein maßgebliche Regelung des § 85 Abs 4 Satz 4 SGB V begrenzte die Verpflichtung der Partner der Honorarverteilungsmaßstäbe zur Schaffung von Regelungen zur "angemessenen Höhe der Vergütung je Zeiteinheit" auf diejenigen Leistungserbringergruppen, die auch im hier maßgeblichen HVV der Beklagten genannt sind (vgl zum Zusammenwirken dieser Regelung mit § 87b Abs 2 Satz 6 und § 87 Abs 2c Satz 6 SGB V idF des GKV-WSG Senatsurteil vom 25.1.2017 - B 6 KA 6/16 R - RdNr 28). Fortgeschrieben wird die Differenzierung auch für den ab 2013 maßgeblichen Rechtszustand. In § 87 Abs 2c Satz 6 SGB V ist es für den Bewertungsausschuss bei der Verpflichtung geblieben, über die "Bewertungen für psychotherapeutische Leistungen" - also auf der Ebene des EBM-Ä - eine angemessene Vergütung je Zeiteinheit zu gewährleisten. § 87b Abs 2 Satz 4 SGB V (idF des GKV-VSG vom 16.7.2015, zuvor Satz 3) bestimmt ergänzend, dass im Verteilungsmaßstab Regelungen zugunsten der schon in § 85 Abs 4 Satz 4 und § 87b Abs 2 Satz 6 SGB V genannten Gruppen zu treffen sind, zu denen Hausärzte, die nicht "ausschließlich psychotherapeutisch tätig" sind, ausdrücklich nicht gehören.
Für den hier maßgeblichen Zeitraum (2010) hat die Beklagte von der durch § 87b Abs 2 Satz 6 SGB V idF des GKV-WSG zumindest nicht generell ausgeschlossenen Möglichkeit der Einbeziehung der Leistungen nach Kapitel 35.2 EBM-Ä der nicht genannten Arztgruppen in deren RLV keinen Gebrauch gemacht. Die antragspflichtigen psychotherapeutischen Leistungen der nicht ausschließlich psychotherapeutischen Ärzte werden als freie Leistungen, also außerhalb von RLV vergütet. Das begünstigt hier zunächst die Ärzte, die diese Leistungen erbringen. Wären die relativ hoch bewerteten Leistungen nach Kapitel 35.2 EBM-Ä Bestandteil des RLV von Hausärzten, hätte der Kläger in den streitbefangenen Quartalen nur ein sehr viel geringeres Honorar erhalten können. Soweit der Kläger rügt, als Folge der Zuordnung der Leistungen des Kapitel 35.2 EBM-Ä zu den "freien" Leistungen und der Vergütung aus einem dafür gebildeten Topf sei jede Quotierung unzulässig, trifft das nicht zu, ohne dass es insofern der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte. Der Senat hat mehrfach entschieden, dass auch die sogenannten freien Leistungen unter Geltung der RLV-Systematik ggf einer Quotierung unterzogen werden dürfen (vgl etwa BSG SozR 4-2500 § 87b Nr 4), und es ist nicht ersichtlich, weshalb dies für die antragspflichtigen Leistungen nach Kapitel 35.2 EBM-Ä nicht ebenso grundsätzlich möglich sein sollte.
Der Kläger nimmt als Arzt für Allgemeinmedizin an der hausärztlichen Versorgung teil und ist berechtigt, eine Vielzahl von Leistungen im Rahmen der Versorgung seiner Patienten zu erbringen. Das unterscheidet ihn von der Mehrzahl der in § 87b Abs 2 Satz 6 SGB V idF des GKV-WSG und der korrespondierenden Regelung in HVV der Beklagten aufgeführten Gruppen, insbesondere den psychologischen Psychotherapeuten, den Ärzten für psychotherapeutische Medizin und den ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Ärzten. Die besonderen Leistungsbedingungen dieser Arztgruppe, die der Senat in seiner auf Januar 1999 zurückgehenden Rechtsprechung (BSGE 83, 205 = SozR 3-2500 § 85 Nr 29) stets hervorgehoben hat, gelten für einen an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden Arzt, der im - überdurchschnittlich großen - Umfang antragspflichtige psychotherapeutische Leistungen erbringt, nicht. Die Entscheidung des Klägers, im Rahmen seiner hausärztlichen Tätigkeit nicht die Erklärung abzugeben, ausschließlich psychotherapeutisch tätig zu sein, und sich damit den Leistungsbedingungen und Leistungsgrenzen der psychologischen Psychotherapeuten und der Ärzte für psychotherapeutische Medizin anzunähern, andererseits aber in einem Umfang, der weit über das für Allgemeinärzte übliche Maß hinausgeht, antragspflichtige psychotherapeutische Leistungen zu erbringen, zwingt die Beklagte nicht zu einer Honorarverteilung, die bei diesem Praxiszuschnitt dem Kläger die aus seiner Sicht optimale Ertragssituation garantiert. Ähnlich wie Fachärzte, die sich auf ein ganz bestimmtes Leistungsspektrum innerhalb ihres Fachgebietes beschränken, treffen den Kläger mit seiner eher untypischen Praxisausrichtung - hausärztlicher Versorgungsbereich und Durchführung grundsätzlich dem fachärztlichen Versorgungsbereich zugeordneten Leistungen des Abschnitts 35.2 EBM-Ä - die wirtschaftlichen Folgen einer entsprechenden Entscheidung. Im Übrigen hat die Beklagte durch die Untergrenze von 80 % des Vergütungsniveaus nach der regionalen Euro-Gebührenordnung hinreichend Sorge getragen, dass die Vergütung dieser Leistungen nicht völlig verfällt, sodass auch dem Kläger insoweit ein angemessenes Vergütungsniveau erhalten bleibt.
2. Der Kläger stellt weiter die Frage, ob es vom Gebot der Honorarverteilungsgerechtigkeit und der Kalkulationssicherheit gedeckt ist, dass durch einen HVV nach Bewilligung und/oder Behandlungsaufnahme nachträglich in die Höhe des Honoraranspruchs für bereits genehmigte antragspflichtige psychotherapeutische Leistungen eingegriffen wird. In dieser Allgemeinheit ist die Frage schon deshalb nicht klärungsfähig, weil sie unterstellt, dass mit Bewilligung einer antragspflichtigen Psychotherapie der Honoraranspruch des Vertragsarztes für den gesamten genehmigten Behandlungszeitraum in der Form feststeht, dass jede Änderung in späteren Quartalen als Eingriff in eine bereits gesicherte Vergütungsposition erscheint, der nach den verfassungsrechtlichen Maßstäben für eine echte bzw zumindest für eine unechte Rückwirkung zu beurteilen wäre. Das trifft ersichtlich nicht zu, weil die Vergütung vertragsärztlicher Leistungen quartalsweise erfolgt und sich regelmäßig Änderungen in der Höhe der Gesamtvergütung und des vertragsärztlichen Honorars auch bei gleichbleibender Leistungserbringung ergeben können, die nicht unter dem Gesichtspunkt rückwirkender Änderungen zu beurteilen sind.
Im Übrigen ist die Klärungsbedürftigkeit der Frage nicht dargelegt, weil nicht ersichtlich ist, dass sie sich außerhalb des hier zu entscheidenden Falls stellen könnte. Sie ist auf die Situation zugeschnitten, dass die beklagte KÄV im HVV für nur insgesamt zehn Quartale zwischen dem dritten Quartal 2010 und dem vierten Quartal 2012 ein entsprechendes Vergütungskontingent speziell für freie Leistungen iS des Kapitels 35.2 EBM-Ä gebildet hat. Solange die Vergütung der antragspflichtigen Leistungen des Abschnitts 35.2 EBM-Ä nach den allgemeinen Regeln über die Vergütung vertragsärztlicher Leistungen erfolgt, müssen die Erbringer dieser Leistungen auch die diesem System immanenten Schwankungen des Vergütungsniveaus hinnehmen. Mit der Untergrenze von 80 % der Preise der regionalen Gebührenordnung ist insoweit ein Sicherungsmechanismus eingebaut, der einen Übergang von der nicht begrenzten zur quotierten Vergütung abfedert.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.
Die Höhe des Streitwertes ergibt sich aus den vom Kläger geltend gemachten Beträgen.
Fundstellen
Dokument-Index HI11141357 |