Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Tatsächliche Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung. Wirksame rechtliche Verpflichtung. Mietverhältnis unter Verwandten. Fremdvergleich. Keine Bindung an vorangehende Entscheidungen. Ehrenamtlicher Richter. Ablehnung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Tatsächliche Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung sind bis zur Angemessenheitsgrenze zu übernehmen, wenn sie aufgrund einer wirksamen rechtlichen Verpflichtung vom Hilfebedürftigen zu tragen sind, unabhängig davon, ob bei einem behaupteten Mietverhältnis unter Verwandten die Höhe der Miete oder die Vertragsgestaltung einem Fremdvergleich standhält.

2. Eine Bindung an vorangehende Entscheidungen besteht bei abschnittsweiser Bewilligung nicht.

3. Allein die Stellung als aktiver Bediensteter eines kommunalen Trägers ist kein objektiv vernünftiger Grund, fehlende Unparteilichkeit zu befürchten; es müssen grundsätzlich einzelfallbezogene Umstände hinzutreten, um Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines ehrenamtlichen Richters zu rechtfertigen.

 

Normenkette

SGG § 12 Abs. 5, § 33 Abs. 1 S. 2, § 73 Abs. 4, § 73a Abs. 1 S. 1, §§ 103, 153 Abs. 5, § 160 Abs. 2, § 202; ZPO §§ 43, 44 Abs. 4, §§ 114, 121, 547 Nr. 1; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

SG Itzehoe (Entscheidung vom 12.11.2019; Aktenzeichen S 22 SO 192/18)

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 28.09.2022; Aktenzeichen L 9 SO 64/19)

 

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 28. September 2022 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt A, O, beizuordnen, wird abgelehnt.

 

Gründe

I

Der Kläger macht im Wege eines Überprüfungsverfahrens höhere Leistungen für Kosten der Unterkunft nach dem Dritten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Jahre 2016 und 2017 geltend.

Der Kläger, der Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII bezieht, lebt in der Wohnung seiner Mutter in einem 14 qm großen Zimmer und gab seit 2011 an, hierfür vereinbarungsgemäß eine Pauschalmiete in Höhe von 300 Euro monatlich zu zahlen. Seit Mai 2012 berücksichtigte der beklagte Träger der Sozialhilfe lediglich noch die von ihm - dem Sozialhilfeträger - für ein Zimmer dieser Größe als angemessen angesehenen Kosten. Unter anderem bewilligte er für die Jahre 2016 und 2017 Leistungen unter Berücksichtigung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 161 Euro. Einen Antrag auf Überprüfung der insoweit bestandskräftig gewordenen Entscheidungen lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 19.2.2018; Widerspruchsbescheid vom 19.10.2018). Die Klage hat keinen Erfolg gehabt (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ≪SG≫ Itzehoe vom 12.11.2019; Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 28.9.2022). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG unter Bezugnahme auf die Entscheidung des SG ausgeführt, der Kläger habe nicht belegen können, dass ihm die geltend gemachten Unterkunftskosten in Höhe von 300 Euro tatsächlich entstanden seien. Dies wäre nur dann der Fall, wenn er und seine Mutter einen Untermietvertrag mit einer rechtlich wirksamen Mietzahlungsverpflichtung über 300 Euro monatlich geschlossen hätten. Zwar reiche eine entsprechende mündliche Abrede aus; nach der durchgeführten Beweisaufnahme habe sich der Senat aber nicht davon überzeugen können, dass eine solche Abrede getroffen worden sei. Ob für ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft eine Miete in Höhe von 300 Euro angemessen gewesen sei, sei nicht entscheidungserheblich.

Der Kläger beantragt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Rechtsanwalt A für die beabsichtigte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem bezeichneten Urteil.

II

Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist nicht begründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫ iVm § 114 Zivilprozessordnung ≪ZPO≫); daran fehlt es hier. Hinreichende Aussicht auf Erfolg wäre nur zu bejahen, wenn einer der drei in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte; denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Der Rechtssache kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist bereits geklärt, dass tatsächliche Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung bis zur Angemessenheitsgrenze zu übernehmen sind, wenn sie aufgrund einer wirksamen rechtlichen Verpflichtung vom Hilfebedürftigen zu tragen sind, unabhängig davon, ob bei einem behaupteten Mietverhältnis unter Verwandten die Höhe der Miete oder die Vertragsgestaltung einem Fremdvergleich standhält (vgl nur BSG vom 23.3.2010 - B 8 SO 24/08 R - SozR 4-3500 § 29 Nr 1 RdNr 13 mwN). Eine Bindung an vorangehende Entscheidungen besteht nach der ständigen Rechtsprechung bei abschnittsweiser Bewilligung nicht. Diesen rechtlichen Maßstäben folgt auch die vorliegende Entscheidung des LSG. Anhaltspunkte dafür, dass eine Divergenzrüge (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) Aussicht auf Erfolg versprechen könnte, bestehen damit ebenso wenig. Die Frage, ob die Entscheidung der Vorinstanzen im Einzelfall zutreffend ist, vermag die Zulassung der Revision nicht zu eröffnen.

Es ist schließlich auch nicht erkennbar, dass ein Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG) mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnte. Für das Vorliegen eines absoluten Revisionsgrunds (vgl § 202 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO) ist nichts ersichtlich; insbesondere wird eine Verletzung des gesetzlichen Richters (Art 101 Abs 1 Satz 2 Grundgesetz ≪GG≫) nicht erkennbar. Das LSG kann in einem Fall, in dem - wie hier - erstinstanzlich durch Gerichtsbescheid entschieden wurde, nach seinem Ermessen die Berufung durch Beschluss dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet (§ 153 Abs 5 SGG). Dies ist vorliegend durch Beschluss vom 10.11.2021 geschehen; zuvor waren die Beteiligten angehört worden (zum Ganzen BSG vom 21.9.2017 - B 8 SO 3/16 R - SozR 4-1500 § 153 Nr 16 RdNr 13 ff).

Auch auf eine fehlerhafte Behandlung des angebrachten Ablehnungsgesuchs kann ein zugelassener Prozessbevollmächtigter eine Beschwerde nicht mit Erfolg stützen. Vorliegend hat der Kläger, der in der mündlichen Verhandlung anwesend war, erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung in einem an das Gericht gerichteten Telefax ein Ablehnungsgesuch gegen die beiden ehrenamtlichen Richter gestellt. Er hat dabei mit seinem Gesuch keine Gründe geltend gemacht, die erst nachträglich - etwa durch das Verhalten der ehrenamtlichen Richter in der mündlichen Verhandlung - entstanden sind (zu solchen Fällen § 60 SGG iVm § 44 Abs 4 ZPO), sondern hat vorgetragen, dass in Angelegenheiten der Sozialhilfe (lediglich) ehrenamtliche Richter aus der Vorschlagsliste der Kreise und kreisfreien Städte mitwirken (vgl § 33 Abs 1 Satz 2 iVm § 12 Abs 5 SGG) und schon daraus die Besorgnis der Befangenheit folge. Bereits zuvor hatte sein Prozessbevollmächtigter nach Anhörung des Klägers und einer Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung aber abschließende Anträge zur Sache gestellt. Damit liegt ein Fall vor, der zum Verlust des Ablehnungsrechts führt (§ 60 Abs 1 SGG iVm § 43 ZPO), sodass über das Ablehnungsgesuch nicht entschieden werden musste. Ohnehin ist allein die Stellung als aktiver Bediensteter eines kommunalen Trägers kein objektiv vernünftiger Grund, fehlende Unparteilichkeit zu befürchten; es müssen grundsätzlich einzelfallbezogene Umstände hinzutreten, um Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (vgl zur Mitwirkung Bediensteter kommunaler Spitzenverbände als ehrenamtliche Richter BSG vom 6.12.2017 - B 8 SO 10/16 R - und nachfolgend Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫ vom 23.5.2018 - 1 BvR 2792/17). Solche Gründe trägt der Kläger selbst schon nicht vor.

Der Verfahrensmangel der Verletzung des § 103 SGG (unzureichende Sachaufklärung durch das Gericht) kann zur Zulassung der Revision nur führen, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG). Das LSG ist zwar dem in der mündlichen Verhandlung (hilfsweise) gestellten Antrag, ein Sachverständigengutachten auf dem Gebiet der Wohnungswirtschaft zu dem Beweisthema einzuholen, dass ein WG-Zimmer zum Preis von 300 Euro einschließlich Telefon und Strom im Bereich I mit unterem Wohnungsstandard in den Jahren 2016, 2017 angemessen gewesen ist, nicht gefolgt. Es ist aber nicht erkennbar, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter insoweit mit Erfolg vortragen könnte, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der unterlassenen Beweisaufnahme beruhen könnte und das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, für den Kläger günstigeren Ergebnis hätte gelangen können. Das LSG hat ausgeführt, dass zu seiner Überzeugung höhere als die vom Beklagten zugrunde gelegten Unterkunftskosten schon tatsächlich nicht angefallen sind. Ausgehend von diesem Standpunkt war eine Beweisaufnahme zu den abstrakt angemessenen Unterkunftskosten nicht entscheidungserheblich.

Mit der Ablehnung der PKH entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

Krauß

Bieresborn

Scholz

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16186717

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