Verfahrensgang
SG Braunschweig (Entscheidung vom 22.01.2019; Aktenzeichen S 42 VE 10/17) |
LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 18.05.2021; Aktenzeichen L 10 VE 13/19) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 18. Mai 2021 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
In dem der Beschwerde zugrundeliegenden Rechtsstreit wendet sich die Klägerin gegen die Herabsetzung des Grads der Schädigungsfolgen (GdS) wegen der Folgen eines sexuellen Missbrauchs in der Kindheit und im Alter von 14 Jahren. Widerspruch und Klage sind ohne Erfolg geblieben. Die Berufung der Klägerin hat das LSG durch Beschluss vom 18.5.2021 zurückgewiesen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt und diese mit einer grundsätzlichen Bedeutung, Divergenz und Verfahrensmängeln begründet.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form. Die Klägerin hat darin weder die ausdrücklich geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG) noch einen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet.
1. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist. Die Beschwerdebegründung hat deshalb anhand des anwendbaren Rechts auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Schrifttum nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (stRspr; zB BSG Beschluss vom 29.1.2018 - B 9 V 39/17 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 19.10.2011 - B 13 R 241/11 B - SozR 4-4200 § 25 Nr 1 RdNr 9).
Die Klägerin misst der Frage grundsätzliche Bedeutung zu,
"ob das LSG Niedersachsen-Bremen ohne Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens davon ausgehen durfte, dass keine wesentliche Änderungen der Schädigungsfolgen beim Kläger (gemeint: bei der Klägerin) eingetreten sind die einen höheren Anspruch auf Beschädigtenversorgung rechtfertigen".
Dabei gehe es um die abzugrenzende Rechtsfrage,
"wann Gerichte in Bezug auf medizinische Sachverhalte im sozialen Entschädigungsrecht auf Grundlage eigener Sachkenntnis einen Sachverhalt bewerten dürfen und wann die Einholung eines Sachverständigenrats erforderlich ist".
Des Weiteren gehe es um die Rechtsfrage,
"ob und inwiefern sich Gerichte hinsichtlich ihrer Entscheidung an den Einzelfall orientieren müssen und jedes Verfahren für sich bewerten muss".
Zur Erläuterung führt sie aus, das LSG habe bei seiner Entscheidung keine eigenständige Argumentation bzw Begründung hinsichtlich des Sachverhalts vorgenommen, sondern sich die Ausführungen des fehlerhaften erstinstanzlichen Urteils zu Eigen gemacht. Eine eigene Bewertung habe nicht stattgefunden. Zudem hätten die von ihr (der Klägerin) dargelegten Punkte zu ihrem Gesundheitszustand keine hinreichende Beachtung gefunden und seien bei der Entscheidung nicht hinreichend bewertet worden.
Damit hat die Klägerin bereits keine hinreichend konkreten Rechtsfragen zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bestimmten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht aufgeworfen. Vielmehr zielt die Fragestellung auf die Klärung und Bewertung von Tatsachen ab und beinhaltet im Kern letztlich Fragen der Beweiswürdigung und der Sachaufklärung. Die Zulassung der Revision kann gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG aber nicht mit der Behauptung verlangt werden, das LSG habe gegen den Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung verstoßen. Dies gilt nicht nur für den Fall, dass die Beschwerde ausdrücklich eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG geltend macht, sondern auch dann, wenn sie ihre Angriffe gegen die Beweiswürdigung des LSG in das Gewand einer Grundsatzrüge zu kleiden versucht. Ein Beschwerdeführer kann diese gesetzlichen Beschränkungen der Verfahrensrüge in § 160 Abs 2 Nr 3 SGG - soweit sie reichen - nicht erfolgreich dadurch umgehen, dass er die Rügen in Fragen von grundsätzlicher Bedeutung kleidet (vgl BSG Beschluss vom 14.2.2020 - B 9 V 41/19 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 28.2.2018 - B 1 KR 65/17 B - juris RdNr 5). Die Klägerin zeigt nicht auf, dass es hier um Fragen von grundsätzlicher Bedeutung geht, bei denen die gesetzlichen Beschränkungen der Verfahrensrüge nicht greifen.
Selbst wenn man die von der Klägerin formulierten Fragen in Rechtsfragen "umdeuten" könnte und wollte, hat sie es unterlassen, die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragestellungen darzulegen. Sie geht nicht darauf ein, inwieweit die Fragen bereits durch Gesetz oder höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt sind. Insbesondere hätte sich die Klägerin zunächst mit den Voraussetzungen einer Entscheidung über die Herabsetzung des GdS in § 48 Abs 1 SGB X und § 30 Abs 1 BVG sowie mit § 103 SGG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung auseinandersetzen müssen. Denn das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt, wenn die Frage bereits höchstrichterlich geklärt ist und ihre Beantwortung keinem vernünftigen Zweifel unterliegt (vgl zB BSG Beschluss vom 7.3.2019 - B 9 V 40/18 B - juris RdNr 7). Daran fehlt es ebenfalls.
2. Auch der Zulassungsgrund der Divergenz wird nicht formgerecht bezeichnet.
Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt sind. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung einer Divergenz sind ein oder mehrere entscheidungstragende Rechtssätze aus der Berufungsentscheidung und zu demselben Gegenstand gemachte und fortbestehende aktuelle abstrakte Aussagen aus einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG einander gegenüberzustellen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 25.10.2018 - B 9 V 27/18 B - juris RdNr 8 mwN). Zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 21; BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17). Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht infrage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (vgl BSG Beschluss vom 24.4.2015 - B 13 R 37/15 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f).
Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Der Vortrag, es könne nicht nachvollzogen werden, "weshalb keine weiteren Ermittlungen trotz Aufforderung von Amts wegen" erfolgt seien und dass das Gericht zu den Ermittlungen verpflichtet sei, die nach "Lage der Sache" erforderlich seien, bezeichnet keine Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG. Die Klägerin benennt weder einen abstrakten Rechtssatz aus einer der von ihr zitierten Entscheidungen des BSG noch stellt sie diesem einen solchen divergierenden abstrakten Rechtssatz des LSG aus dem angefochtenen Beschluss gegenüber.
3. Soweit die Klägerin meint, dass das LSG seiner Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) nicht nachgekommen sei, erfüllt ihr Vorbringen nicht die notwendigen Darlegungsanforderungen einer Sachaufklärungsrüge (s hierzu allgemein BSG Beschluss vom 21.12.2017 - B 9 SB 70/17 B - juris RdNr 3). Auf den Verfahrensmangel einer unterlassenen Sachaufklärung (§ 103 SGG) kann sich die Klägerin schon deshalb nicht mit Erfolg berufen, weil sie keinen vor dem LSG bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrag benannt hat, den das Berufungsgericht übergangen haben könnte (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 3 SGG).
4. Der Senat war nicht verpflichtet, den Prozessbevollmächtigten der Klägerin entsprechend ihrer Bitte in der Beschwerdebegründung um einen rechtlichen Hinweis "soweit weitere Ausführungen als nötig erachtet werden", vorab auf die Unzulänglichkeit des Beschwerdevortrags aufmerksam zu machen. Das Gesetz unterstellt, dass ein Rechtsanwalt in der Lage ist, Formerfordernisse einzuhalten; gerade dies ist ein Grund für den Vertretungszwang vor dem BSG gemäß § 73 Abs 4 SGG. § 106 Abs 1 SGG gilt insoweit nicht. Ein Rechtsanwalt muss in der Lage sein, ohne Hilfe durch das Gericht eine Nichtzulassungsbeschwerde ordnungsgemäß zu begründen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 29.5.2019 - B 9 V 15/19 B - juris RdNr 15 mwN).
5. Dass die Klägerin die Berufungsentscheidung inhaltlich für unrichtig hält, kann als solches nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 17.4.2019 - B 13 R 83/18 B - juris RdNr 5 mwN).
6. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
7. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 1, § 169 Satz 2 und 3 SGG).
8. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14892293 |