Leitsatz (amtlich)
1. Ein vom Gericht ernannter Sachverständiger, der sich in dem Rechtsstreit bereits im Auftrage eines Beteiligten gutachtlich geäußert hatte, kann nicht auf Grund des SGG § 118 Abs 1 in Verbindung mit ZPO §§ 406, 41 Nr 5 abgelehnt werden; wohl wird in einem solchen Falle regelmäßig der Ablehnungsgrund des ZPO § 42 vorliegen.
2. Die Rüge, das Landessozialgericht hätte einem auf SGG § 118 Abs 1 in Verbindung mit ZPO §§ 406, 42 gestützten Ablehnungsgesuch stattgeben müssen, weil die Besorgnis der Befangenheit begründet gewesen sei, betrifft nicht einen Mangel des Verfahrens im Sinne des SGG § 162 Abs 1 Nr 2.
Normenkette
ZPO § 42 Fassung: 1950-09-12, § 406 Fassung: 1950-09-12; SGG § 162 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 41 Nr. 5 Fassung: 1950-09-12; SGG § 60 Fassung: 1953-09-03, § 118 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 11. Dezember 1957 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger erlitt am 22. September 1941 einen Arbeitsanfall.
Er zog sich einen Bruch des linken Unterkiefers, einen Bruch im Bereich des linken Scheitelbeines eine Gehirnerschütterung und Verbrennungen zu. Deshalb gewährte die Beklagte ihm nach Anhörung des Prof. Dr. P... eine vorläufige Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) von 20 v.H. mit der Begründung, daß die Kopfverletzung, noch Kopfschmerzen und Schwindelanfälle zur Folge habe, während die Kieferverletzung und die Verbrennungen folgenlos verheilt seien. Auf Grund eines Gutachtens des damaligen Dozenten und Facharztes für Neurologie Dr. D... entzog die Beklagte durch Bescheid vom 29. Oktober 1942 dem Kläger die Rente, weil durch Gewöhnung eine wesentliche Besserung in seinem Zustand eingetreten und seine Erwerbsfähigkeit nur noch um 15 v.H. gemindert sei.
Im Jahre 1954 beantragte der Kläger, ihm die Rente wieder zu gewähren, weil die Unfallfolgen sich verschlimmert hätten. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 26. Januar 1955 ab. Die Klage hiergegen ist in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben.
Zu der Frage, ob eine Verschlimmerung in den Folgen des Unfalls von 1941 eingetreten ist, haben sich auf Veranlassung der Beklagten der Facharzt für Chirurgie Dr. M... Prof. Dr. D... Prof. Dr. D... und Prof. Dr. S... dieser in Zusammenarbeit mit Oberarzt Dr. D... gutachtlich geäußert; der Kläger hat eine Stellungnahme des Nervenfacharztes Dr. D... vorgelegt. Außerdem haben das Sozialgericht (SG.) den Facharzt für Neurologie Dr. Z... und das Landessozialgericht (LSG.) den bereits erwähnten Oberarzt Dr. D... als Sachverständige gehört. Den Sachverständigen Dr. D... hatte der Kläger wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, weil er "im erstinstanzlichen Verfahren auf Veranlassung der Beklagten ein Gutachten erstattet" hatte. Das LSG. hat das Ablehnungsgesuch durch einen in der mündlichen Verhandlung verkündeten und in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils begründeten Beschluß zurückgewiesen.
Das Urteil des LSG. Schleswig vom 11. Dezember 1957 ist dem Kläger am 11 Februar 1958 zugestellt worden. Hiergegen hat er am 8. März 1958 Revision eingelegt und diese am 15. März 1958 begründet. Die Statthaftigkeit des - vom LSG. nicht zugelassenen - Rechtsmittels leitet er aus § 162 Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) her. Er rügt Verletzung der §§ 60 SGG und 406 der Zivilprozeßordnung (ZPO) und führt hierzu folgendes aus: Dr. D... sei kraft Gesetzes als gerichtlicher Sachverständiger ausgeschlossen gewesen, weil er im vorangegangenen Verwaltungsverfahren als medizinischer Berater mitgewirkt habe. Jedenfalls aber hätte das LSG. dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Ablehnungsantrag stattgeben müssen. Ein Gericht, das dazu berufen sei, einen Verwaltungsakt zu überprüfen, dürfe sieh nicht eines Beraters bedienen, der bereits im Verwaltungsverfahren tätig geworden sei. Das Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen werde nicht durch dessen Persönlichkeit - wie das LSG. meine - ausgeräumt. Denn ein Sachverständiger, der sich ein bestimmtes Urteil gebildet habe, lasse sich, da er von der Richtigkeit seiner Ansicht überzeugt sei, hiervon durch keine noch so starken Gründe wieder abbringen.
Die Revision ist nicht statthaft, weil die gerügten Verfahrensmängel nicht vorliegen (BSG. 1 S. 150).
Dr. D... war nicht als Sachverständiger ausgeschlossen. Die Ausschließung eines Sachverständigen kennt weder das SGG noch die ZPO, deren Vorschriften über die Beweisaufnahme im Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit weitgehend Anwendung finden (vgl. Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, § 406 Anm. 2 A). Ob der für Richter geltende Ausschließungsgrund des § 60 Abs. 2 SGG auf Sachverständige entsprechend anzuwenden ist, wie die Revision meint, kann dahingestellt bleiben, weil Dr. D... an dem dem Rechtsstreit vorausgegangenen Verwaltungsverfahren nicht mitgewirkt hat. Das Verwaltungsverfahren war mit dem Bescheid vom 26. Januar 1955 abgeschlossen, also zu einer Zeit, als Dr. D... noch nicht für die Beklagte tätig geworden war. Er hat sich - zusammen mit Prof. Dr. S... - erst am 22. Juni 1955 gutachtlich geäußert und dieses Gutachten ist nur im gerichtlichen Verfahren verwertet worden.
Dagegen kann ein Sachverständiger grundsätzlich aus denselben Gründen abgelehnt werden, aus denen ein Richter kraft Gesetzes ausgeschlossen ist oder abgelehnt werden kann (§ 118 Abs. 1 SGG, § 406 Abs. 1 Satz 1, §§ 41, 42 ZPO).
Im vorliegenden Falle kamen in dem Verfahren vor dem LSG. als Ablehnungsgründe allenfalls die Tatbestände des § 41 Nrn. 5 und 6 sowie des § 42 ZPO in Betracht. § 41 Nr. 5 ZPO ist auf Dr. D... schon deshalb nicht anwendbar, weil dieser nicht vom SG. als Sachverständiger vernommen worden war, sondern im Auftrage eines Prozeßbeteiligten, nämlich der Beklagten, ein Gutachten (zusammen mit Prof. Dr. S...) erstattet hatte. Für solche Fälle werden die Belange eines Prozessbeteiligten durch die Möglichkeit, den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen (§ 42 ZPO), hinreichend gewahrt. Abgesehen hiervon herrscht im zivilprozessualen Schrifttum die Meinung vor, daß § 406 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht nur den früheren Zeugen, sondern auch den früheren Sachverständigen betrifft, daß also aus einer früheren Vernehmung des Sachverständigen für sich allein kein Ablehnungsgrund hergeleitet werden kann (Stein-Jonas, ZPO, 18. Aufl., § 406 Anm. I; Baumbach-Lauterbach a.a.O.; Wieczorek, ZPO und Nebengesetze, Bd. II Teil 2, § 406 Anm. A II b 5). Auch § 41 Nr. 6 ZPO bot keinen Grund, Dr. D... als Sachverständigen abzulehnen, weil in seiner Mitwirkung am Gutachten des Prof. Dr. S... keine Mitwirkung bei dem Erlaß der Entscheidung des SG. zu sehen ist. § 41 Nr. 6 bezieht sich, wie sich schon aus dem Vorhandensein der Nr. 5 ergibt, nur auf die Tätigkeit des Richters, nicht aber des Sachverständigen als dessen Gehilfen.
Wohl bot die zweite Alternative des § 42 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit §§ 406 ZPO dem Kläger die - von ihm auch genutzte - Möglich - ..., den Sachverständigen Dr. D... wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Darin, daß das LSG. keinen Grund gesehen hat, der geeignet gewesen wäre, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen, und demgemäß das Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärt hat, liegt jedoch selbst dann, wenn die Entscheidung des LSG. sachlich unrichtig wäre, nicht ohne weiteres ein Mangel des Verfahrens im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Dies wäre nur der Fall, wenn das LSG. z.B. die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch unter Überschreitung der Grenzen des Rechts, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden (§ 128 SGG), getroffen hätte oder sein Vorfahren in anderer Weise fehlerhaft gewesen wäre. Dies wird jedoch weder von der Revision behauptet, noch ist es ersichtlich. Das Revisionsvorbringen ist vielmehr dahin zu verstehen, daß LSG. hätte inhaltlich zu einer anderen Entscheidung, nämlich zu der Überzeugung kommen müssen, daß Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen gerechtfertigt sei. Es liegt also allenfalls ein Mangel in der Entscheidung selbst, nicht aber im Verfahren des LSG. vor. Dem steht nicht entgegen, daß die Vorschrift über die Ablehnung eines Sachverständigen sich in einem Verfahrensgesetz findet. Das BSG. hat wiederholt entschieden, daß die Verletzung von Vorschriften, die dem Verfahrensrecht zuzurechnen sind, nicht notwendigerweise einen. Verfahrensmangel im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG zur Folge hat (vgl. BSG. 2 S. 81, 3 S. 275 und BSG. in SozR. SGG § 192 Bl. Da 2 Nr. 2). Wollte man in der sachlich unrichtigen Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch einen Mangel im Verfahren sehen, so unterläge jede solche von einem LSG. getroffene Entscheidung - im Falle der Ablehnung von Gerichtspersonen liegt diese Entscheidung außer im Falle des § 171 SGG stets dem LSG. ob (§ 60 Abs. 1 Satz 2 SGG) - der Nachprüfung des BSG. Nach § 177 SGG ist jedoch ein Beschluß, durch den das LSG. über ein Ablehnungsgesuch entscheidet, endgültig. Die verfahrensrechtliche Lage ist hier genau so wie im Zivilprozeß (§ 567 Abs. 3 ZPO); auch dort wird eine das Ablehnungsgesuch zurückweisende Entscheidung des Oberlandesgerichts grundsätzlich als in der Revisionsinstanz nicht nachprüfbar angesehen (vgl. RG. in HRR. 33, 1697).
Die Revision war daher als unzulässig zu verwerfen (§ 169 SGG).
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen