Verfahrensgang
SG Speyer (Urteil vom 06.01.1993) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 6. Januar 1993 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob der klagende Landkreis gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung von Aufwendungen für Taschengeld und Bekleidungsbeihilfe hat, die er einem Versicherten der Beklagten, W … S … (S), während einer von der Beklagten bewilligten stationären Heilbehandlung als Sozialhilfeleistungen gewährt hat.
Die Beklagte bewilligte dem S als medizinische Maßnahme zur Rehabilitation ein stationäres Heilverfahren in Form einer Langzeittherapie wegen Drogenabhängigkeit, das in der Zeit vom 24. August 1982 bis 24. Februar 1984 durchgeführt wurde. Die Gewährung von Übergangsgeld lehnte die Beklagte dem S gegenüber mit Bescheid vom 12. Januar 1993, die von Taschengeld mit Schreiben vom 22. August 1983 ab.
Das Landesamt für Jugend und Soziales des Landes Rheinland-Pfalz als überörtlicher Sozialhilfeträger gewährte dem S für die Zeit des Heilverfahrens Taschengeld in Höhe von insgesamt 1.810,50 DM sowie Bekleidungsbeihilfen in Höhe von insgesamt 900 DM nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Die von dem Kläger geltend gemachte Erstattung dieser Kosten in Höhe von insgesamt 2.710,50 DM lehnte die Beklagte ab.
Das Sozialgericht Speyer (SG) hat die Klage mit Urteil vom 27. Juni 1988 abgewiesen. Auf die Sprungrevision des Klägers hat der 5. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG zurückverwiesen (Urteil vom 28. Juni 1989 – 5 RJ 57/88 = SozR 2200 § 1237b Nr 8). Er hat seine Entscheidung auf folgende Erwägungen gestützt:
Das SG habe zwar zutreffend entschieden, daß die Beklagte aufgrund der §§ 1237 ff der Reichsversicherungsordnung (RVO) weder berechtigt noch verpflichtet gewesen sei, dem S Taschengeld oder Bekleidungsbeihilfe zu gewähren. Entgegenstehende ältere Rechtsprechung des BSG habe auf der vor Inkrafttreten des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes (RehaAnglG) am 1. Oktober 1974 bestehenden Gesetzeslage beruht. Nach dem nunmehr geltendem Rehabilitationsrecht würden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und des Lebensbedarfs ausschließlich durch das Übergangsgeld abgegolten; Barleistungen wie Taschengeld und Bekleidungsbeihilfe seien weder als Leistungen der medizinischen Rehabilitation (§ 1237 RVO) noch als ergänzende Leistungen (§ 1237b RVO) vorgesehen. Dies gelte auch für Fälle, in denen dem Versicherten kein Übergangsgeld gewährt werde. Dennoch könne über den Erstattungsanspruch noch nicht abschließend entschieden werden. Ein Anspruch auf Taschengeld und Bekleidungsbeihilfe komme nämlich als zusätzliche Leistung aus der Versicherung iS der §§ 1305 ff RVO in Betracht. § 1306 RVO ermögliche die Gewährung von Leistungen, die das Gesetz als solche ausdrücklich nicht vorsehe, also auch dem Übergangsgeld entsprechenden Leistungen an Personen, die – wie S – keinen Anspruch auf Übergangsgeld hätten. Einem etwaigen Erstattungsanspruch gem § 104 Abs 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) iVm § 1306 RVO stünde nicht entgegen, daß es sich dabei um eine Ermessensleistung handele.
Bei solchen Leistungen bestehe der Erstattungsanspruch nur dann nicht, wenn der vorrangig verpflichtete Leistungsträger dem nachrangigen Träger entgegenhalten könne, daß evidente Gründe für eine Ablehnung der Leistung vorlägen. Derartige Gründe für die Ablehnung einer zusätzlichen Leistung iS der §§ 1305 ff RVO habe die Beklagte in ihrer Revisionserwiderung zwar dargelegt. Da diese Gründe aber auch neues Tatsachenvorbringen beinhalteten, welches das Revisionsgericht nicht überprüfen dürfe, sei allein deshalb die Zurückverweisung an das SG geboten gewesen. Solche Gründe seien zwar grundsätzlich bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor der Tatsacheninstanz darzutun (vgl BSG SozR 1300 § 104 Nr 6). Da das SG aber eine Ermessensleistung nach § 1306 RVO als Anspruchsgrundlage für den Erstattungsanspruch des Klägers nicht in Betracht gezogen und deshalb die Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren auch keine Veranlassung gehabt habe, ihre Gründe für die Ablehnung anzugeben, müsse der Rechtsstreit an die Tatsacheninstanz zur Durchführung der ihr vorbehaltenen tatsächlichen Ermittlungen zurückverwiesen werden.
Das SG hat die Klage erneut abgewiesen mit der Begründung, die Beklagte habe evidente Gründe für die Verweigerung der Kannleistung vorgetragen (Urteil vom 6. Januar 1993). Solche Gründe lägen immer dann vor, wenn der vorrangig verpflichtete Leistungsträger die Leistung gegenüber dem Versicherten ebenfalls rechtmäßig hätte ablehnen dürfen, also dann, wenn keine Ermessensreduktion auf Null im Sinne einer Verpflichtung zur Leistung gegeben sei. § 1306 RVO sei eine weitgehende Generalklausel, die zu jedweder Leistung zum wirtschaftlichen Nutzen von Versicherten ermächtige. Entsprechend weit sei auch der Ermessensspielraum der Beklagten. Deren Entscheidung, alle im Rahmen des § 1307 RVO zur Verfügung stehenden Mittel für Maßnahmen nach § 1305 RVO zu verwenden, sei mithin nicht ermessensfehlerhaft. Es sei nicht zu beanstanden, daß die Beklagte Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit als vordringlich ansehe. Da die Nichtanwendung des § 1306 RVO rechtsfehlerfrei sei, komme es auf die Ausübung eines konkreten Ermessens im Rahmen dieser Vorschrift nicht mehr an.
Mit der – vom SG erneut zugelassenen – Sprungrevision rügt der Kläger die Verletzung des § 104 Abs 1 SGB X sowie der §§ 1305 ff RVO: Die Beklagte habe im sozialgerichtlichen Verfahren keine evidenten Gründe zur Verweigerung der Kannleistung vorgebracht. Das SG habe das zurückverweisende Urteil des BSG fehlerhaft interpretiert, wenn es für die „Evidenz” ausreichen lasse, daß keine Ermessensreduzierung auf Null vorliege. In dem Umstand, daß die Beklagte für § 1306 RVO keinerlei Mittel zur Verfügung stelle, liege ein Ermessensfehler in Form des völligen Ermessensnichtgebrauchs. Es stehe nicht fest, daß die zur Verfügung stehenden Mittel in der maßgeblichen Zeit von 1982 bis 1984 für die angegebenen Zwecke nach § 1305 RVO verwendet worden seien; unstreitig sei nur das Fehlen jeglicher Mittel für Maßnahmen nach § 1306 RVO. Ein Vorrang für Leistungen nach § 1305 RVO sei dem Gesetz nicht zu entnehmen. Außerdem sei nach einer Entscheidung des BSG (Urteil vom 25. Oktober 1990 – 7 RAr 14/90 –) die Erschöpfung von Haushaltsmitteln kein Umstand, der zum generellen Ausschluß von Ermessensleistungen führen dürfe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Speyer vom 6. Januar 1993 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.710,50 DM nebst den gesetzlichen Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor: Der Kläger übersehe den Unterschied zwischen relativ engen Ermessensvorschriften wie zB in §§ 1236 ff RVO und den §§ 1305, 1306 RVO. Erstgenannte Vorschriften normierten Regelleistungen, während es sich bei letztgenannten um Vorschriften handele, die kein gebundenes Ermessen zum Inhalt hätten, sondern einen weitergehenden Ermessensspielraum eröffneten. Die Versicherungsträger könnten hier völlig frei entscheiden, ob und in welcher Höhe sie Mittel für derartige Maßnahmen zur Verfügung stellen wollten. Bei ihr sei es – ebenso wie bei anderen Rentenversicherungsträgern – seit langem üblich, die gesetzlich vorgesehenen Mittel so wie vorgetragen zu verwenden. Die Versicherungsträger hätten spätestens seit dem Inkrafttreten des RehaAnglG am 1. Oktober 1974 kein Taschengeld für Rehabilitanden gewährt, was auch den Bestrebungen des Gesetzgebers widersprochen hätte.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Sprungrevision des Klägers ist zulässig.
Im Revisionsverfahren fortwirkende, von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrenshindernisse liegen nicht vor. Insbesondere war S nicht notwendig zum Verfahren beizuladen (§ 75 Abs 2 Alt 1 SGG). Zwar ist der Versicherte nach der Rechtsprechung des BSG bei dem Erstattungsstreit zwischen einem Träger der Sozialhilfe und einem Kranken- bzw Rentenversicherungsträger grundsätzlich notwendig beizuladen (vgl BSG SozR 1500 § 75 Nrn 60 und 80); das BSG hat insoweit entscheidend auf die ungeklärte Situation im Hinblick auf die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X abgestellt. Eine Ausnahme gilt aber dann, wenn die Rechte des Versicherten durch den Erstattungsstreit nicht mehr unmittelbar berührt werden. Das ist ua der Fall, wenn es – wie hier – um Kostenerstattung für eine Leistung geht, die der Versicherte bereits erhalten hat, deshalb unabhängig vom Ausgang des Verfahrens nicht nochmals beanspruchen kann (vgl BSG Urteil vom 17. November 1987 – 4a RJ 5/87 –, insoweit in SozR 2200 § 1237 Nr 21 nicht vollständig abgedruckt; s auch Senatsurteil vom 16. Dezember 1993 – 13 RJ 21/93 = SozR 3-2200 § 1237a Nr 2) und die er auch nicht zurückerstatten muß.
Die Sprungrevision ist aber nicht begründet.
Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Zu entscheiden hatte das SG einzig über die Frage, ob das neue Tatsachenvorbringen der Beklagten in ihrer Revisionserwiderung, mit dem sie evidente Gründe für die Verweigerung der Kannleistung dargelegt hat, zutreffend ist. Die revisionsgerichtliche Überprüfung des angefochtenen Urteils ist entsprechend beschränkt.
Das BSG hat in seinem zurückverweisenden Urteil vom 28. Juni 1989 bereits verbindlich für diesen Rechtsstreit entschieden, daß ein Anspruch auf Taschengeld und Bekleidungsbeihilfe, der nach § 104 SGB X Gegenstand eines Erstattungsanspruchs gegen die Beklagte sein könnte, nicht nach den §§ 1237 ff RVO, sondern allenfalls nach § 1306 RVO in Betracht komme. Einem darauf gestützten Anspruch des Klägers könne die Beklagte zwar nur evidente Gründe für eine Verweigerung dieser Kannleistung entgegenhalten. Sie habe derartige Gründe aber im Revisionsverfahren dargelegt. Demgemäß hat der 5. Senat des BSG die Sache allein zur Überprüfung des entsprechenden Tatsachenvorbringens – aber nicht zur erneuten rechtlichen Würdigung – an die Tatsacheninstanz zurückverwiesen.
An diese rechtliche Beurteilung war das SG gemäß § 170 Abs 5 SGG gebunden. Auch der erkennende Senat hat sich an diese Vorgaben zu halten. Das Revisionsgericht ist an die rechtliche Beurteilung, die seinem eigenen Zurückverweisungsurteil zugrunde lag, gebunden, wenn es mit der von ihm zurückverwiesenen Sache infolge abermaliger Revision erneut befaßt wird (vgl BSGE 21, 292, 294; BSG SozR 3-1500 § 170 Nr 1; Bundesfinanzhof ≪BFH≫ BFHE 91, 509; Bundesverwaltungsgericht ≪BVerwG≫ Buchholz 310 § 144 Nrn 10 und 12). Dies gilt auch dann, wenn – wie hier – mittlerweile ein anderer Senat zuständig geworden ist (BVerwG Buchholz 310 § 144 Nr 10; BFHE 101, 36). Die Bindung entfällt lediglich dann, wenn das Revisionsgericht inzwischen seine der Zurückverweisung zugrundeliegende Rechtsauffassung geändert hat und dann erneut mit derselben Sache befaßt wird (vgl Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes ≪GmSOGB≫ BSGE 35, 293, 295) oder wenn er seine bisherige Rechtsauffassung bei der gleichzeitigen Entscheidung über andere Revisionen, die dieselbe Rechtsfrage betreffen, aufgibt (vgl BFH NJW 1995, 216). Diese Ausnahmen liegen hier jedoch nicht vor.
Die Beklagte hatte im ersten Revisionsverfahren in dieser Sache mit der Revisionserwiderung vorgetragen: Sie gewähre nach § 1305 RVO stationäre Kinderheilbehandlungen und Nach- sowie Festigungskuren für Geschwulstkranke. Die hierfür zur Verfügung stehenden Mittel reichten nicht aus, um den Bedarf in vollem Umfang zu decken. Es wäre nicht zu verantworten, wenn sie bei diesem Sachverhalt die vom Gesetzgeber abgeschafften Taschengeldzahlungen wieder aufnähme. Das SG hat in seinem angefochtenen Urteil ua festgestellt, die Beklagte habe zumindest in den Jahren 1982 bis 1990 sämtliche im Rahmen des § 1307 RVO zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel für Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit nach § 1305 RVO verwendet und für zusätzliche Maßnahmen nach § 1306 RVO keinerlei Aufwendungen getätigt. Sie habe für § 1305 RVO allgemeine Richtlinien erstellt und entsprechend diesen Richtlinien an Einzelmaßnahmen Sachleistungen in Form von stationärer Kinderheilbehandlung und Nach- sowie Festigungskuren für Geschwulstkranke, darüber hinaus Zuschüsse für allgemeine Maßnahmen nach § 1305 RVO gewährt. An diese tatsächlichen Feststellungen, welche die Richtigkeit des tatsächlichen Vorbringens der Beklagten im ersten Revisionsverfahren bestätigen und die nicht mit Verfahrensrügen angefochten werden können (§ 161 Abs 4 SGG), ist der erkennende Senat gebunden (§ 163 SGG). Eine weitere Überprüfung des Streitstoffs ist ihm verwehrt. Damit hat der Kläger keinen Erstattungsanspruch gegen die Beklagte, weil diese evidente Gründe vorgetragen hat, mit denen sie die Leistung gegenüber S hätte verweigern können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 4 SGG.
Fundstellen