Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Streitig ist die Verzinsung einer aufgrund der Nachentrichtung von Beiträgen nach dem Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) gewährten Rentennachzahlung.
Die im Jahre 1957 geborene Klägerin bezog Waisenrente aus der Versicherung des im August 1971 verstorbenen F… S… (Versicherter). Im August 1975 erklärte sie sich zur Nachentrichtung von Beiträgen nach dem WGSVG bereit. Die Beklagte ließ die Nachentrichtung nach § 10 a WGSVG zu und lehnte zugleich eine Nachentrichtung nach § 10 WGSVG ab (Bescheid vom 19. November 1976). Der Widerspruch blieb erfolglos. Im anschließenden Klageverfahren erklärte sich die Beklagte bereit, die Nachentrichtung nach § 10 WGSVG zuzulassen, sobald die Bestimmung der Zeiten und Höhe der nachzuentrichtenden Beiträge erfolgt sei. Im August 1978 spezifizierte die Klägerin die nachzuentrichtenden Beiträge nach Zeiten und Höhe. Noch im selben Monat erkannte die Beklagte die Berechtigung zur Beitragsnachentrichtung an. Der Nachentrichtungsbetrag in Höhe von 2.052,- DM ging im Oktober 1978 bei der Beklagten ein. Hierauf nahm die Beklagte eine Neuberechnung der Waisenrente für die Zeit ab September 1975 vor (Bescheid vom 19. März 1980).
Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Verzinsung des Nachzahlungsbetrages ab 1. Januar 1978. Diesem Begehren entsprach die Beklagte zunächst für die Zeit von Mai 1979 bis einschließlich Februar 1980. Sie vertrat hierzu die Auffassung, der vollständige Leistungsantrag im Sinne des § 44 Abs. 2 SGB I sei erst im Zeitpunkt der Beitragszahlung (Oktober 1978) gestellt gewesen.
Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 30. April 1981). Im Berufungsverfahren gegen dieses Urteil erkannte die Beklagte den Zinsanspruch ab 1. März 1979 an. Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 27. April 1983 unter Aufhebung des sozialgerichtlichen Urteils die Klage insoweit abgewiesen, als eine Verzinsung vor dem 1. März 1979 begehrt wurde und zur Begründung u.a. ausgeführt, die Verzinsung beginne nach § 44 Abs. 2 SGB I frühestens nach Ablauf von sechs Monaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrages. Diese Voraussetzung sei erst mit der spezifizierten Bereiterklärung im August 1978 erfüllt gewesen. Ein weitergehender sozialrechtlicher Wiederherstellungsanspruch bestehe nicht.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, daß die Spezifizierung der Beitragsnachentrichtung nach Zeiten und Höhe erst im August 1978 erfolgt sei. Hätte die Beklagte sofort dem im August 1975 gestellten Antrag auf Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen entsprochen, dann wäre eine Spezifizierung sowie eine Beitragszahlung bereits viel früher erfolgt. In diesem Falle hätte die Verzinsung des Nachzahlungsbetrages mindestens ab 1. Januar 1978 einsetzen müssen.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß), das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. April 1983 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30. April 1981 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
Mit Recht hat das LSG den Zinsanspruch für die Zeit vor dem 1. März 1979 verneint. Ein solcher Anspruch ergibt sich weder aus § 44 SGB I noch aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch.
Nach § 44 SGB I sind Geldleistungen nach Eintritt ihrer Fälligkeit zu verzinsen (Abs. 1). Unabhängig von der Fälligkeit beginnt die Verzinsung frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrages beim zuständigen Leistungsträger (Abs. 2).
Nach § 41 SGB I werden Ansprüche auf Sozialleistungen mit ihrer Entstehung fällig. Den Zeitpunkt der Entstehung regelt § 40 SGB I. Hiernach entstehen Ansprüche, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen (Abs. 1). Die Sonderregelung des Abs. 2 für Ermessensleistungen kommt hier nicht in Betracht, weil die Rentennachzahlung auf einem Rechtsanspruch beruht. Der Anspruch auf eine höhere Rente und damit auf eine Rentennachzahlung konnte im vorliegenden Fall nur durch die Anrechnung weiterer Versicherungszeiten (vgl. § 1253, 1255, 1258 Reichsversicherungsordnung - RVO -) begründet werden. Hierzu bedurfte es der Nachentrichtung von Beiträgen. Die nachentrichteten Beiträge bildeten die Voraussetzung für die Neufeststellung der Rente. Demzufolge ist der Anspruch auf Neuberechnung der Rente erst mit der Zahlung der nachentrichteten Beiträge im Oktober 1978 entstanden.
Indessen kann nach § 44 Abs. 2 SGB I der Zinsanspruch auch zu einem nach der Fälligkeit des Rentenanspruches liegenden Zeitpunkt entstehen, wenn die Sechsmonatsfrist dieser Vorschrift erst nach dem Zeitpunkt der Fälligkeit abläuft. Diese Frist richtet sich nach dem Eingang des vollständigen Leistungsantrages, der zeitlich mit der Entstehung und damit der Fälligkeit eines Anspruches nicht zusammenfallen muß (so BSG-Urteil vom 9. September 1982 - 5b RJ 68/81 = SozR 1200 § 44 Nr. 5). Vollständig ist ein Leistungsantrag erst dann, wenn der zuständige Leistungsträger in der Lage ist, die gesetzlichen Leistungsvoraussetzungen festzustellen und die begehrte Leistung zu bewilligen. Hierzu hat der Gesetzgeber dem Leistungsträger in § 44 Abs. 2 SGB I eine Frist von sechs Monaten eingeräumt, weil er offenbar davon ausging, daß innerhalb dieses Zeitraumes ein Leistungsanspruch verbeschieden und erfüllt werden kann. Unter dem Gesichtspunkt des Verzuges (§ 285 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -), der vom Schuldner zu vertreten ist, soll der Sozialleistungsträger nicht mit den typischen Verzugsfolgen der Zinszahlung belastet werden, wenn er nicht in der Lage ist, einem Leistungsantrag zu entsprechen, sei es, daß der Antrag nicht ihm, sondern einem unzuständigen Leistungsträger vorliegt, sei es, daß der dem Leistungsträger bekannte Sachverhalt die Bewilligung der Leistung noch nicht erlaubt, weil der Leistungsantrag noch unvollständig ist. Der Antrag auf eine Neufeststellung der Rente aufgrund nachentrichteter Beiträge ist erst dann vollständig im Sinne des § 44 Abs. 2 SGB I, wenn die beabsichtigte Nachentrichtung nach Zeiträumen und Beitragsklassen spezifiziert ist. Erst dann wird der Sozialleistungsträger - hier die Beklagte - in die Lage versetzt, die Rente zu berechnen (BSG a.a.O.) und hierüber einen ggf. mit einem Widerrufsvorbehalt (§ 32 Abs. 2 Nr. 3 SGB 10) für den Fall der Nichtzahlung der in der Bereiterklärung angekündigten Beiträge versehenen Bescheid zu erteilen.
Die Klägerin hat nach den insoweit nicht angegriffenen und daher bindenden Feststellungen des LSG die beabsichtigte Beitragsnachentrichtung im August 1978 nach Zeiträumen und Beitragsklassen spezifiziert. Von da aus ist die Sechsmonatsfrist des § 44 Abs. 2 SGB I zu berechnen. Demzufolge beginnt die Verzinsung der Nachzahlung frühestens am 1. März 1979. Insoweit hat die Beklagte dem Begehren der Klägerin entsprochen.
Ein weitergehender Zinsanspruch ist auch nicht aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch abzuleiten. Dieser Anspruch zielt darauf ab, einen Versicherten im Falle des rechtswidrigen Verhaltens eines Sozialleistungsträgers so zu stellen, als ob sich der Leistungsträger von Anfang an rechtmäßig verhalten hätte (vgl. BSG-Urteil vom 21. Februar 1980 - 5 RKn 19/78 = BSGE 50, 12 = SozR 2200 § 313 Nr. 6 m.w.N.). Die Klägerin erblickt ein rechtswidriges Verhalten der Beklagten darin, daß sie ihrem Antrag auf Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen nach dem WGSVG nicht sofort stattgegeben hat. Die von der Klägerin erstrebte Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes kann indessen nur darin liegen, daß sie so zu stellen ist, als wenn die Beklagte dem im August 1975 gestellten Antrag auf Nachentrichtung von Beiträgen nach dem WGSVG sofort stattgegeben hätte. Damit wären aber noch nicht die Voraussetzungen des § 44 SGB I erfüllt gewesen. Grundlage für die Verzinsung sind, wie bereits ausgeführt, die Zeitpunkte der Fälligkeit des Nachzahlungsanspruches und der Eingang des vollständigen Leistungsantrages. Fällig werden kann der Anspruch frühestens mit der tatsächlichen Beitragszahlung, der vollständige Leistungsantrag liegt erst mit der Spezifizierung der nachzuentrichtenden Beiträge nach Zeiträumen und Beitragsklassen vor. Beide Voraussetzungen waren weder bei der Antragstellung im August 1975 noch bei der hierauf ergangenen Bescheiderteilung vom November 1976 erfüllt. Die Klägerin hat seinerzeit lediglich die Zulassung zur Nachentrichtung beantragt und eine Beitragszahlung angekündigt. Sie hat die Nachentrichtung weder spezifiziert noch irgendeine Zahlung an die Beklagte geleistet. Wäre sie auch durch die Zulassung zur Nachentrichtung in die Lage versetzt worden, eine Spezifizierung vorzunehmen und die Beiträge tatsächlich zu leisten, so ergibt sich hieraus noch nicht, ob und zu welchem Zeitpunkt sie von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hätte. Die Festlegung eines dieser Zeitpunkte ist indessen notwendig, weil nur auf diese Weise der Zeitpunkt des Beginns des Zinsanspruches festgelegt werden kann. Für irgendwelche Unterstellungen, wann die Klägerin eine Spezifizierung vorgenommen und den Betrag gezahlt hätte, fehlt es sowohl nach ihrem Vorbringen als auch nach den Feststellungen des LSG an jeglichen brauchbaren Anhaltspunkten. Fest steht lediglich, daß die Klägerin die beabsichtigte Beitragsnachentrichtung im August 1978 spezifiziert und dementsprechend die Beiträge im Oktober 1978 tatsächlich gezahlt hat. Hieraus ergibt sich ein Zinsanspruch ab dem 1. März 1979 nach § 44 Abs. 2 SGB I; für einen weitergehenden Wiederherstellungsanspruch bleibt kein Raum. Die Nachteile, die ein Versicherter dadurch erleidet, daß ein fälliger Anspruch nicht unverzüglich erfüllt wird, will das Gesetz ausschließlich durch die Bewilligung eines Zinsanspruches nach § 44 SGB I ausgleichen. Für Schadensersatzansprüche aus anderen Rechtsgrundlagen ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten nicht gegeben (§ 51 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Nach alldem war die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.4 RJ 55/83
Bundessozialgericht
Verkündet am
1. März 1984
Fundstellen