Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "unbillige Härte" iS des § 10 Abs 1 S 2 der 2. UV-AbfindungsVO vom 10.2.1928, bei dessen Vorliegen ein Anspruch auf Wiederbewilligung der vor dem Inkrafttreten des UNVNG (1.7.1963) nach § 618a RVO iVm der genannten VO abgefundenen Verletztenrente besteht (Weiterentwicklung von BSG vom 31.7.1973 5 RKnU 29/71 = BSGE 36, 107 = SozR Nr 1 zu § 3 der 2. UV-AbfindungsVO; BSG vom 29.11.1973 8/7 RU 62/71 = BSGE 36, 271 = SozR Nr 1 zu § 606 RVO; BSG vom 18.12.1979 2 RU 51/77; BSG vom 30.7.1987 2 RU 44/86 = BSG SozR 2200 § 606 Nr 4).
Normenkette
RVO § 606 Fassung: 1963-04-30, § 611 Abs 2 Fassung: 1963-04-30, § 618a Fassung: 1925-07-14; UVAbfV 2 § § 1, 3 S 1, § 10 Abs 1 S 1, § 10 Abs 1 S 2
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 28.05.1986; Aktenzeichen L 3 U 972/85) |
SG Kassel (Entscheidung vom 09.07.1985; Aktenzeichen S 3 U 198/83) |
Tatbestand
Streitig ist, ob die beklagte Berufsgenossenschaft (BG) verpflichtet ist, die volle Verletztenrente gegen Zurückzahlung der Abfindungssumme nach § 618 a Reichsversicherungsordnung (RVO) aF iVm § 10 Abs 1 Satz 2 der Zweiten Verordnung über die Abfindung von Unfallrenten (2. UV-AbfindungsVO) vom 10. Februar 1928 (RGBl I S 22) wiederzubewilligen.
Der Kläger hatte wegen eines im Jahre 1931 erlittenen Arbeitsunfalles Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 66 2/3 bezogen. Er wurde vom Mai 1953 an zu zwei Dritteln nach der seinerzeit in Kraft befindlichen 2. UV-AbfindungsVO abgefunden. Mit dem Abfindungsbetrag erwarb der Kläger ein Grundstück, auf dem er ein Eigenheim errichtete. Dieses verkaufte er im Jahre 1974 und erwarb ein anderes Grundstück, auf dem er wiederum ein Eigenheim erstellte. Den Verkauf des Grundstückes begründete der Kläger ua damit, daß er ein ebenerdiges Wohnhaus habe bauen müssen, weil er die 16 Stufen zu seinem ersten Wohnhaus nicht mehr habe bewältigen können. Wegen zwischenzeitlicher Verschlimmerung der Unfallfolgen setzte die Beklagte die unfallbedingte MdE auf 80 vH fest. Sie gewährt dem Kläger deswegen vom 1. September 1981 an eine entsprechende Verletztenrente unter Anrechnung der zu zwei Dritteln abgefundenen Rententeile.
Die Beklagte lehnte den Antrag auf Gewährung der ungekürzten Rente gegen Rückzahlung der Abfindungssumme ab, da die zwischenzeitliche Verschlimmerung der Unfallfolgen weder als wichtiger Grund noch als unbillige Härte iS des § 10 Abs 1 Satz 1 und 2 der 2. UV-AbfindungsVO zu werten sei (Bescheid vom 8. August 1983; Widerspruchsbescheid vom 24. November 1983).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 9. Juli 1985). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 28. Mai 1986). Zur Begründung hat es ua ausgeführt: Wichtige Gründe seien nach der Rechtsprechung nur solche, die in ihrer Bedeutung annähernd dem gesetzlichen Beispielsfall der Bewilligung der Abfindung entsprächen. Hierzu rechne nicht eine Verschlimmerung von Unfallfolgen, zumal die zuvor schon bestehende Schwerbehinderteneigenschaft durch die Verschlimmerung nicht berührt werde. Andere Umstände, die einen wichtigen Grund iS der 2. UV-AbfindungsVO rechtfertigen könnten, seien weder ersichtlich noch behauptet.
Mit der - vom seinerzeitigen zuständigen 9b Senat - zugelassenen Revision macht der Kläger eine Verletzung materiellen Rechts (§ 10 Abs 1 Satz 2 der 2. UV-AbfindungsVO) geltend. Dem Antrag auf Wiederbewilligung des erloschenen Rententeils gegen Rückzahlung der Abfindungssumme sei unabhängig vom Vorliegen eines wichtigen Grundes iS des § 10 Abs 1 Satz 1 der 2. UV-AbfindungsVO stattzugeben, wenn die Ablehnung eine unbillige Härte bedeuten würde. Insoweit hätte das Berufungsgericht prüfen müssen, ob der unbestimmte Rechtsbegriff "unbillige Härte" von der Beklagten zutreffend angewandt worden sei. Das Berufungsgericht habe zwar erwähnt, daß eine unbillige Härte geltend gemacht worden sei, sich aber mit diesem Sachvortrag des Klägers nicht auseinandergesetzt und hierzu keine tatsächlichen Feststellungen getroffen.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des SG und LSG aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, den abgefundenen Zahlbetrag entgegenzunehmen und die Verletztenrente ungekürzt auszuzahlen; hilfsweise, das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Berufungsurteil für zutreffend. Eine unbillige Härte - so die Beklagte - dürfe nur geprüft werden, wenn ein wichtiger Grund iS des § 10 Abs 1 Satz 1 der 2. UV-AbfindungsVO vorliege. Das sei hier nicht der Fall.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist entsprechend seinem Hilfsantrag insoweit begründet, als das Urteil des LSG aufzuheben und die Streitsache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen ist (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Es fehlt an den erforderlichen Tatsachenfeststellungen für die Entscheidung, ob der Antrag des Klägers auf Wiederbewilligung der durch Abfindung erloschenen Rententeile gegen Rückzahlung der Abfindungssumme "nicht abgelehnt werden darf, wenn dies eine unbillige Härte bedeuten würde" (§ 10 Abs 1 Satz 2 der 2. UV-AbfindungsVO).
Das Berufungsgericht hat zutreffend entschieden, daß die Berufung nicht gemäß § 145 SGG ausgeschlossen war. Sie betraf insbesondere nicht die Neufeststellung einer Dauerrente wegen Änderung der Verhältnisse (§ 145 Nr 4 SGG). Streitgegenstand ist allein die Frage, ob die abgefundenen Rententeile wieder aufleben (Urteil des Senats vom 18. Dezember 1979 - 2 RU 51/77 = HV-INFO 1986, 1554 - 1558; vgl auch Urteil des Senats vom 30. Juli 1987 - 2 RU 44/86 = SozR 2200 § 606 Nr 4).
Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, daß auf den gegenwärtigen Streitfall die Abfindungsvorschrift des § 611 Abs 2 RVO nF keine Anwendung findet. Zwar gelten nach Art 4 § 2 Abs 1 Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz -UVNG- vom 30. April 1963 (BGBl I S 241) ua die §§ 604 - 618 RVO nF auch für Arbeitsunfälle, die - wie hier - vor dem Inkrafttreten des UVNG (1. Juli 1963) eingetreten sind. Das Bundessozialgericht (BSG) hat die Anwendbarkeit des neuen Abfindungsrechts selbst für den Fall bejaht, daß Arbeitsunfall, Abfindung und Verschlimmerung vor dem 1. Juli 1963 liegen (Urteil des 2. Senats vom 30. Juli 1987 aaO mwN). Indessen hat der 5. Senat des BSG in seinem Urteil vom 31. Juli 1973 (BSGE 36, 107, 108) entschieden, daß bei größeren Renten die Unterschiede zwischen den Abfindungsregelungen alten und neuen Rechts so tiefgreifend sind, daß die alten Vorschriften über den 30. Juni 1963 hinaus anzuwenden sind. Der erkennende Senat hat sich dieser Auffassung angeschlossen (Urteil vom 18. Dezember 1979 aaO).
Nach § 618 a RVO aF (Fassung vom 14. Juli 1925) konnte der Reichsarbeitsminister mit Zustimmung des Reichsrates eine Kapitalabfindung zum Erwerb von Grundbesitz oder zur wirtschaftlichen Stärkung bereits vorhandenen Grundbesitzes zulassen und das Nähere regeln. Von dieser gesetzlichen Möglichkeit hatte er Gebrauch gemacht und die "Zweite Verordnung des Reichsarbeitsministers betr die Abfindung von Unfallrenten" vom 10. Februar 1928 erlassen. Auf der Grundlage dieser Verordnung gewährte die Beklagte dem Kläger zum Erwerb von Grundbesitz eine Abfindung (§ 1 der 2. UV-Abfindungs-VO), die beim Bezug einer zumindest hälftigen Vollrente - hier 66 2/3 - zwei Drittel der Rente umfaßte (§ 3 Satz 1 der 2. UV-AbfindungsVO). Nach § 10 Abs 1 Satz 1 der 2. UV-AbfindungsVO kann auf Antrag die durch die Abfindung erloschene Rente gegen Rückzahlung der Abfindungssumme wiederbewilligt werden, wenn der Abgefundene zur Erlangung einer anderen Erwerbsmöglichkeit das Grundstück weiterveräußert oder wenn andere wichtige Gründe vorliegen. Nach dessen Satz 2 darf der Antrag nicht abgelehnt werden, wenn dies eine unbillige Härte für den Verletzten bedeuten würde.
Das Berufungsgericht hat die in § 10 Abs 1 Satz 1 der 2. UV-AbfindungsVO enthaltenen Tatbestandsvoraussetzungen in Anlehnung an die Rechtsprechung des Senats im Urteil vom 18. Dezember 1979 aaO verneint. Nach seinen Feststellungen, die nicht wirksam mit Verfahrensrügen angegriffen wurden und deshalb bindend sind (§§ 163, 170 Abs 3 Satz 1 SGG), haben solche die Wiederbewilligung des abgefundenen Rententeils rechtfertigenden wichtigen Gründe nicht vorgelegen. Der Kläger wendet sich mit der Revision nicht gegen diese Entscheidung. Er meint vielmehr, das Berufungsgericht hätte seinen Antrag auf Wiederbewilligung des abgefundenen Rententeils unabhängig von dem Vorliegen eines wichtigen Grundes unter dem Gesichtspunkt der unbilligen Härte iS des § 10 Abs 1 Satz 2 der 2. UV-AbfindungsVO prüfen und hierbei die entsprechenden Feststellungen treffen müssen. Dem pflichtet der erkennende Senat auch deswegen bei, weil die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden die unbillige Härte verneint und der Kläger sich sowohl im Klage- wie auch im Berufungsverfahren ausdrücklich darauf berufen hatte.
Entgegen der Meinung der Beklagten setzt die Anwendung des § 10 Abs 1 Satz 2 der 2. UV-AbfindungsVO nicht das Vorliegen eines wichtigen Grundes iS des Satzes 1 dieser Vorschrift dahin voraus, daß erst im Rahmen der weiteren Ermessensausübung die Entscheidung so zu treffen ist, daß sie nicht "eine unbillige Härte für den Verletzten bedeuten würde." Nach der Wortwahl des § 10 Abs 1 Satz 1 "kann wiederbewilligt werden" handelt es sich um eine Ermessensentscheidung (Urteil des Senats vom 18. Dezember 1979 aaO). Die Verkoppelung der Ermessensregelung mit dem unbestimmten Rechtsbegriff des wichtigen Grundes macht diese Norm nicht zu einer zwingenden Vorschrift in dem Sinne, daß beim Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen in jedem Fall sich die entsprechende Rechtsfolge daraus ergibt (BSGE 44, 173, 180 = SozR 4100 § 44 Nr 14). Hingegen begründet § 10 Abs 1 Satz 2 der 2. UVAbfindungsVO, wie die Wortfassung "darf nicht abgelehnt werden" verdeutlicht, einen Rechtsanspruch (vgl auch Michels, BG 1950 S 1, 2). Beim Vorhandensein einer unbilligen Härte ist die durch Abfindung erloschene Rente gegen Rückzahlung der Abfindungssumme antragsgemäß wiederzubewilligen. Ein Ermessensspielraum ist der Beklagten bei diesen Gegebenheiten gerade nicht eingeräumt.
Zudem bestehen zwischen den unbestimmten Rechtsbegriffen "wichtiger Grund" und "unbillige Härte" systematisch Unterschiede von solchem Gewicht, daß eine Verknüpfung im Sinne der Meinung des Beklagten ausscheidet. Der Begriff des wichtigen Grundes ist im Einzelfall inhaltlich unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Vorschrift und ihrer systematischen Einordnung zu bestimmen (BSGE 44, 71, 74 = SozR 4100 § 119 Nr 3). Unter Beachtung dessen hat der erkennende Senat im Urteil vom 18. Dezember 1979 (aaO) ausgeführt, daß die "anderen wichtigen Gründe" für die Wiederbewilligung der Rente sprachlich verbunden seien mit dem besonders angeführten Sachverhalt "Weiterveräußerung des Grundstückes zur Erlangung einer anderen Erwerbsmöglichkeit". Deshalb sei davon auszugehen, daß grundsätzlich als wichtige Gründe iS des § 10 Abs 1 Satz 1 der 2. UV-AbfindungsVO nur solche Umstände anzusehen seien, die in ihrer Bedeutung jedenfalls annähernd dem vorgenannten Beispielsfall entsprächen. So rechne hierunter nicht die längere Lebensdauer und das damit verbundene Risiko, ggf einen höheren Betrag als die Abfindungssumme zu verlieren. Auch schließe eine allgemeine Teuerung den Wertzuwachs des Grundstückes mit ein. Die Teilnahme an der Erhöhung durch laufende Anpassungen (vgl § 579 RVO) nur mit dem nicht abgefundenen Rententeil träfe auch alle Verletzten, die nach altem Recht unter vergleichbaren Voraussetzungen abgefunden worden seien. Aufgrund dieser von der Rechtsprechung entwickelten Rechtsgrundsätze ist auch die Leidensverschlimmerung der Unfallfolgen und die entsprechende Erhöhung der MdE auf 80 vH nach der zutreffenden Entscheidung des LSG nicht als wichtiger Grund zu werten. Durch die erhöhte Rentenleistung wird gerade eine wirtschaftliche Besserstellung erzielt. Allerdings wäre eine andere rechtliche Beurteilung angezeigt, wenn mit der Verschlimmerung die absolut gesetzte Schwerverletztengrenze erreicht worden wäre, was hier gerade nicht der Fall ist. Nach § 3 der 2. UV-AbfindungsVO waren diejenigen Dauerrenten voll abzufinden, die weniger als die Hälfte der Vollrente betragen hatten. In diesem Ausnahmefall hat es der Senat für gerechtfertigt gehalten, § 606 RVO nF mit der Folge des Wiederauflebens der Rente anzuwenden (Urteil vom 30. Juli 1987 aaO mwN).
Im Gegensatz hierzu orientiert sich der unbestimmte Rechtsbegriff der unbilligen Härte (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 626 K III) daran, daß der Gesetzgeber erfahrungsgemäß kaum in der Lage ist, alle möglichen Einzelfälle oder Gruppen von Einzelfällen in ihrer Vielgestaltigkeit zu übersehen und sie durch ausreichend differenzierte Normen einer angemessenen und gerechten gesetzlichen Regelung zuzuführen (vgl ua BSGE 47, 123, 124 f = SozR 3100 § 89 Nr 7 mwN). Da er die Besonderheiten des Einzelfalles nicht ausreichend übersehen kann oder auch unabhängig hiervon eine Normierung im Gesetz für untunlich hält, geht er von der Unvollständigkeit der gesetzlichen Regelung aus. Die Härteregelung dient der Vermeidung von Mißverhältnissen zwischen der Anwendung des Gesetzes und dem Maß der Gerechtigkeit, das der Gesetzgeber verwirklicht sehen will (BSGE 27, 75, 76 = SozR Nr 1 zu § 89 Bundesversorgungsgesetz).
Welche Gründe den Verordnungsgeber bewogen haben, die Härteregelung in § 10 Abs 1 Satz 2 der 2. UV-AbfindungsVO aufzunehmen und welche Vorstellungen damit verbunden sind, läßt sich aus der Rechtsentwicklung nicht ableiten. Nach dem Runderlaß des Reichsarbeitsministers vom 25. April 1928 (AN 1928, 133) heißt es ua, "da sich zudem die Verordnung (gemeint die 2. UV-AbfindungsVO) in ihren wesentlichen Teilen an die Vorschriften der §§ 72 ff des Reichsversorgungsgesetzes über Kapitalabfindung anschließt, so darf auf die hierzu erlassenen Ausführungsbestimmungen vom 13. Dezember 1920 (RGBl S 2146) verwiesen werden." Zusätzlich ist in diesem Runderlaß auf den Kommentar zum Reichsversorgungsgesetz von Karl Ahrendts 1926 S 273 ff sowie auf den Aufsatz von Krohn in "Die Reichsversicherung" 1928 S 56 ff hingewiesen. Weder die Ausführungsbestimmungen noch die angeführte Literatur enthalten Hinweise, die für die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "unbillige Härte" bedeutsam sein könnten. Infolgedessen liegt es nahe, unter Zugrundelegung der oben dargelegten allgemeinen Zweckbestimmung, die der Härteregelung immanent ist, eine Deutung zu finden. Hiervon ausgehend können unter "unbillige Härte" iS des § 10 Abs 1 Satz 2 der 2. UV-AbfindungsVO nur solche Umstände gemeint sein, die nicht oder jedenfalls nicht ausschließlich unter Satz 1 der genannten Vorschrift zu subsumieren sind, denen aber ein solches Maß an Bedeutung zukommt, daß es der Verordnungsgeber für gerechtfertigt gehalten hat, anstelle des in § 10 Abs 1 Satz 1 der 2. UV-AbfindungsVO der Verwaltung zugebilligten Ermessens dem Verletzten einen Rechtsanspruch auf Wiederbewilligung der abgefundenen Rente zuzubilligen. Darauf stellt offenbar auch Podzun ab, wenn er darauf hinweist, daß von einer unbilligen Härte nur gesprochen werden könne, wenn der zu betrachtende Einzelfall sich gegenüber den übrigen, den gleichen Vorschriften unterliegenden Fällen eindeutig in Richtung eines besonders unbilligen Ergebnisses heraushebt (BG 1956, 249, 250).
Der Beweggrund der Sonderregelung, die auf Dauer angelegte Abfindung rückgängig zu machen und dem Verletzten die Rente wiederzubewilligen, erschließt sich aus dem Sinn und Zweck der Verletztenrente. Sie soll möglichst den Standard sichern, welcher der Arbeitsleistung entspricht (Brackmann aaO S 81 n I) und den Mehraufwand von Arbeitskraft zur Erreichung des erzielten Lohnes ausgleichen (Brackmann aaO S 567, 567 a). Mit der Abfindung ist der Lohnersatzfunktion der Rente (vgl auch BSG SozR 2200 § 611 Nr 2) auf andere Weise Rechnung getragen, nämlich dahin, daß nunmehr das ersatzweise gewährte Kapital den Grunderwerb ermöglicht und dadurch eine wirtschaftliche Grundsicherung erreicht wird. Sie rechtfertigte es, die Rente auf Dauer zum Erlöschen zu bringen. Wenn es gleichwohl dem Verordnungsgeber geboten erschien, bei einer unbilligen Härte die erloschene Rente bzw den erloschenen Rententeil wiederzubewilligen, so können damit im wesentlichen solche nach dem Zeitpunkt der Abfindung eingetretenen Umstände gemeint sein, die zu einer außergewöhnlichen Verschlechterung der Situation des Verletzten, beispielsweise auf wirtschaftlichem Gebiet, geführt haben. So etwa müßte der Wiederbewilligung der Rente bzw des Rententeils existentielle Bedeutung zukommen. Das bestätigte letztlich auch Podzun in "Der Unfallsachbearbeiter", 3. Aufl, Kennzahl 640 S 13. Er bringt als Beispielsfall für eine unbillige Härte die Ehescheidung eines Gastwirts, der deswegen seine Gastwirtschaft aufgeben mußte, dadurch also existentiell in eine Notlage geraten ist.
Der dargelegten Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "unbillige Härte" stehen der Erlaß des Bundesarbeitsministers vom 12. Oktober 1950 sowie das Rundschreiben des Hauptverbandes (BG 1953 S 37) nicht entgegen. Darin ist eine unbillige Härte eines durch Kriegseinwirkungen in Verlust geratenen Grundstücks verneint worden, weil es sich wie bei den Folgen der Währungsreform um Auswirkungen handele, die nur im Rahmen des Kriegsschadens- und des Lastenausgleichsrechts zu berücksichtigen seien (Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung 2. Aufl, § 618a RVO Anm 5). Der Bundesarbeitsminister hatte damit ersichtlich allein wegen dieses auf anderer gesetzlicher Grundlage zustehenden finanziellen Ausgleichs davon abgesehen, die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen einer unbilligen Härte iS des § 10 Abs 1 Satz 2 der 2. UV-AbfindungsVO zu bejahen.
Der erkennende Senat vermag mangels der erforderlichen Tatsachenfeststellungen nicht darüber zu entscheiden, ob beim Kläger eine unbillige Härte vorliegt und demgemäß ihm gegen Rückzahlung der Abfindungssumme der erloschene Rententeil wiederzubewilligen und sonach die volle Verletztenrente zu gewähren ist. Dies wird das Berufungsgericht nachzuholen haben. Es hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.
Fundstellen