Leitsatz (redaktionell)
Vom Hauptberuf eines Steigers kann nicht ausgegangen werden, wenn der Versicherte nach Ablegung der Steigerprüfung mit Aufsichtsfunktionen unter Tage nur probeweise im Arbeitsverhältnis beschäftigt wurde. Einem solchen Versicherten ist die Tätigkeit als Platzmeister zumutbar.
Normenkette
RKG § 45 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. April 1964 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger beantragte am 13. August 1958 die Gewährung der Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit. Er hat, nachdem er seit 1949 als Schlepper, Lehrhauer und Hauer im Bergbau gearbeitet und auch die Bergschule absolviert hatte, am 28. März 1956 die Grubensteigerprüfung abgelegt. Danach wurde er vom 4. April 1956 bis zum 10. Februar 1957 als Aufsichtsperson unter Tage - mit dem Geschäftskreis eines Grubensteigers bergbehördlich anerkannt - im Arbeiterverhältnis beschäftigt. Auf Veranlassung der Bergbau-Berufsgenossenschaft (BBG) wurde er am 11. Februar 1957 wegen sogenannter Frühsilikose nach Übertage verlegt und dort mit Aufsichtstätigkeiten im Arbeiterverhältnis beschäftigt. Mit dem 1. Mai 1958 wurde er als Platzmeister in das Angestelltenverhältnis (Gruppe 13 des Tarifvertrags für den Aachener Steinkohlenbergbau) übernommen.
Bei der ärztlichen Untersuchung wurde außer beginnender silikotischer Einlagerungen kein krankhafter Befund erhoben. Wegen der Staubeinlagerungen nach verhältnismäßig kurzer bergmännischer Tätigkeit hielten die medizinischen Gutachter den Kläger nur noch für fähig, Arbeiten über Tage zu verrichten. Durch Bescheid vom 5. März 1959 lehnte die Beklagte, ausgehend vom Hauptberuf als Hauer, die beantragte Rentengewährung ab. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos.
Das Sozialgericht gab seiner Klage statt und sprach ihm die Bergmannsrente vom 1. August 1958 an zu. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) dieses Urteil abgeändert und den Kläger mit der Klage abgewiesen: Der Kläger sei nicht vermindert bergmännisch berufsfähig (§ 45 Abs. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes - RKG -), weil er noch Übertagearbeiten - u. a. als Platzmeister - verrichten könne. Die Tätigkeit als Platzmeister sei der Tätigkeit des Hauers (Aufsichtshauer im Gedinge) und auch der des Fahrhauers (Angestellter) noch im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig und dem Kläger auch sozial zumutbar. Vom Hauptberuf als Grubensteiger könne man nicht ausgehen, weil der Kläger den vollen Status eines Steigers noch nicht gehabt habe und auch nicht als solcher besoldet worden sei. Die Beschäftigung im Aufsichtsdienst unter Tage habe von Anfang an unter dem Vorbehalt seiner Tauglichkeit zu diesem Beruf gestanden. Man habe daher seine Anstellung zunächst bis zu der nahe bevorstehenden Nachuntersuchung auf Grubentauglichkeit verschoben, die dann (am 5. Oktober 1956) ungünstig ausgefallen sei. Die unter diesen Umständen verrichtete Aufsichtstätigkeit könne nur als vorübergehende Tätigkeit angesehen werden und müsse als "bisher verrichtete Tätigkeit" im Sinne des § 45 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) ausscheiden.
Mit der Revision rügt der Kläger, daß das LSG bei Prüfung der verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit nicht vom Hauptberuf als Steiger ausgegangen sei. Er habe nach Absolvierung der Bergschule die aufsichtsführende Tätigkeit eines Grubensteigers mit voller Verantwortung ausgeführt. Anders als im Steinkohlenbergbau des Ruhrgebiets würden die Grubensteiger im Aachener Steinkohlenbergbau üblicherweise zunächst bergbehördlich verpflichtet und dann erst nach einer gewissen "Einfügungszeit" in das Angestelltenverhältnis übernommen. Maßgeblich sei hier aber die tatsächlich verrichtete Tätigkeit nach abgeschlossener Ausbildung. Es sei auch in sich widersprüchlich, ihn einerseits nur als Hauer zu bewerten, andererseits aber bei der Verweisung auf Übertagetätigkeiten seine Qualifikation als Steiger zu berücksichtigen.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 14. November 1960 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.
Die vom LSG ausdrücklich zugelassene, auch frist- und formgerecht eingelegte Revision ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Bergmannsrente; er ist nicht vermindert bergmännisch berufsfähig. Seine Krankheit - die sogenannte Frühsilikose - steht der Ausübung seiner neuen Tätigkeit als Platzmeister (Angestellter über Tage) im Bergbau nicht entgegen. Er ist damit imstande, seiner bisher verrichteten knappschaftlichen Arbeit "im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Arbeiten von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben auszuüben" (§ 45 Abs. 2 RKG).
Als "bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit" (Hauptberuf) des Klägers hat das LSG mit Recht die Tätigkeit als Hauer (Aufsichtshauer im Gedinge), nicht als Steiger angesehen. Die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit deckt nur die gesundheitlich bedingte Aufgabe eines tatsächlich ausgeübten Berufs, nicht auch den Verlust der begründeten Aussicht auf eine spätere Berufstätigkeit (vgl. BSG 6, 38). Der Kläger ist aber tatsächlich nie Grubensteiger gewesen. Wenn er auch nach Ablegung der Bergschulprüfung und unter bergbehördlicher Anerkennung seines Geschäftskreises während längerer Zeit wie ein Grubensteiger tätig gewesen ist, so hatte er doch, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, den vollen Status eines Steigers noch nicht erreicht. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG ist die Anstellung als Steiger deshalb unterblieben, weil zunächst die gesundheitliche Tauglichkeit des Klägers für diesen Beruf zweifelhaft war und sich dann seine Untauglichkeit ergab; seine Tätigkeit "wie ein Grubensteiger" hatte hiernach nur den Charakter einer vorübergehenden Tätigkeit und konnte als solche nicht sein Hauptberuf werden. Das gleiche müßte aber erst recht dann gelten, wenn - wie der Kläger in der Revision vorbringt - im Aachener Revier eine gewisse Einfügungs- oder Anlaufzeit im Arbeiterverhältnis zur normalen Berufsentwicklung eines Steigers gehört; denn unter diesen Umständen hätte er bei der erzwungenen Aufgabe der Untertagearbeit seine berufliche Entwicklung zum Steiger überhaupt noch nicht abgeschlossen.
Der in § 45 Abs. 2 RKG gebrauchte Ausdruck "bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit" bedeutet auch nicht etwa, daß es hier allein auf die Art der Arbeit ankäme und daß Anstellungsverhältnis und Besoldung bei der Bestimmung des Hauptberufs völlig außer Betracht bleiben müßten. Das folgt schon daraus, daß es bei Prüfung der verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit entscheidend auf die "wirtschaftliche Gleichwertigkeit" und damit praktisch auf die tarifliche Einstufung der Tätigkeit ankommt, bei der diese Faktoren doch eine wesentliche Rolle spielen. Grundsätzlich kann ein Beruf aber nur dann als "versicherter" Hauptberuf gelten, wenn für seine Verrichtung Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet worden sind. Für den Kläger sind jedoch nur Beiträge von seinem Hauerlohn, nicht aber von einem Steigergehalt, das er nie bezogen hat, entrichtet worden.
Wie das LSG bedenkenfrei dargelegt hat, ist die Arbeit des Platzmeisters der eines Gedingehauers im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig. Es ist aber auch eine Tätigkeit mit "ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten" im Sinne des § 45 Abs. 2 RKG. Hierbei muß die bergschulmäßige Ausbildung des Klägers zum Grubensteiger außer Betracht bleiben, weil er ja nicht mehr Steiger geworden ist und für die Tätigkeit eines Hauers mit Aufsichtsfunktionen diese qualifizierte Ausbildung nicht vorgeschrieben ist. Die berufliche Entwicklung eines Tagearbeiters über Aufseher- und Vorarbeiterfunktionen zum Meister vollzieht sich aber auf Grund von Erfahrung und Bewährung letztlich in ähnlicher Weise wie etwa der Aufstieg eines Neubergmanns zum Aufsichtshauer oder zum Fahrhauer, wenn auch mit Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse unter Tage die Ausbildung hier strenger geregelt ist. Trotz Verschiedenheit der technischen Arbeitsvorgänge enthält die Aufsichtsführung auf beiden Gebieten auch viele Gemeinsamkeiten; ehemalige Fahrhauer und Steiger werden daher bei Grubenuntauglichkeit bevorzugt als nichthandwerkliche Meister im Übertagebetrieb eingesetzt. Insgesamt gesehen sind daher die Kenntnisse und Fähigkeiten eines solchen Meisters denen eines Aufsichtshauers zwar nicht gleichartig, aber doch gleichwertig im Sinne von § 45 Abs. 2 RKG.
Die Verweisung des Klägers als Hauer auf die Tätigkeit als angestellter Meister im Übertagebetrieb enthält im vorliegenden Fall auch keinen inneren Widerspruch. Es mag zweifelhaft sein, ob der Kläger, wenn man einerseits seine berufliche Qualifikation zum Steiger bei der Bestimmung des Hauptberufs unberücksichtigt läßt, andererseits gerade wegen dieser Qualifikation ganz allgemein auf Meistertätigkeiten verwiesen werden könnte, für die ein Hauer in der Regel nicht ohne weiteres als befähigt anzusehen ist. Im vorliegenden Fall war der Kläger aber zur Zeit der Antragstellung bereits als Platzmeister angestellt, nachdem er zunächst über ein Jahr als Arbeiter im Aufsichtsdienst über Tage beschäftigt gewesen war. Bei diesem Sachverhalt läge verminderte bergmännische Berufsfähigkeit auch bei einem einfachen Hauer ohne Bergschulausbildung nicht mehr vor. Dem Kläger erwächst also versicherungsrechtlich aus seiner besonderen Ausbildung nicht etwa ein Nachteil.
Die Revision war daher zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen