Leitsatz (redaktionell)
Als "bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit" (Hauptberuf) iS von RKG § 45 Abs 2 kann nur eine tatsächlich verrichtete Tätigkeit angesehen werden, sofern hierfür auch Beiträge zur knappschaftlichen Rentenversicherung entrichtet worden sind.
Im Rahmen des RKG § 45 Abs 2 ist die Verweisung eines Aufsichtshauers auf Bürotätigkeiten zulässig, wenn er die dafür erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten erworben hat.
Normenkette
RKG § 45 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. Januar 1964 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten der Revisionsinstanz sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der im Jahre 1923 geborene Kläger war im Ruhrkohlenbergbau zunächst als Bergjungmann, Schlepper und Lehrhauer, anschließend seit 1946 als Hauer und Schießmeister (mit Sonderausbildung) tätig. Von Oktober 1951 bis März 1954 besuchte er die Bergschule, die er mit der Steigerprüfung abschloß. Während der letzten Bergschulzeit wurde er von November 1953 bis März 1954 auf der Zeche als Lehrsteiger geführt. Nach Ablegung der Steigerprüfung wurde er nicht als Steiger in das Angestelltenverhältnis übernommen, weil er auf Grund einer durch die Berufsgenossenschaft veranlaßten Untersuchung als staubgefährdet galt. Er wurde zunächst noch unter Tage als Aufsichtshauer im Arbeiterverhältnis beschäftigt, dann aber am 14. Januar 1955 nach Übertage verlegt. Er arbeitete bis Oktober 1955 als Büroarbeiter, anschließend als kaufmännischer Angestellter der Gruppe C und seit Anfang 1958 als kaufmännischer Angestellter der Gruppe B im Endgehalt. Das Anstellungsverhältnis endete am 30. April 1962 auf Grund eines arbeitsgerichtlichen Vergleichs.
Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers vom 18. Januar 1958 auf Gewährung der Bergmannsrente ab, nachdem eine ärztliche Untersuchung ergeben hatte, daß er auch weiterhin in der Lage war, als kaufmännischer Angestellter zu arbeiten. Widerspruch und Klage vor dem Sozialgericht (SG) blieben erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG unter Zulassung der Revision mit folgender Begründung zurückgewiesen:
Es sei das zur Zeit des Rentenantrags geltende, mit dem Knappschaftsversicherungs-Neuregelungsgesetz (KnVNG) in Kraft getretene Recht anzuwenden, obgleich die silikosebedingte Verlegung des Klägers nach Übertage schon vor dem 1. Januar 1957 erfolgte. Der Anspruch des Klägers sei daher nach § 45 des Reichsknappschaftsgesetzes neuer Fassung (RKG nF) zu beurteilen. Die Fähigkeit des Klägers, jedenfalls noch Übertagearbeiten als kaufmännischer Angestellter zu verrichten, schließe verminderte bergmännische Berufsfähigkeit bei ihm aus. "Bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit" des Klägers sei die eines Aufsichtshauers im Gedinge. Als Grubensteiger könne er nicht angesehen werden, weil er nicht als solcher angestellt und besoldet und auch nicht bergbehördlich anerkannt worden sei. Auch während der Zeit, in der er als Bergschüler unter der Dienstbezeichnung Lehrsteiger geführt wurde, habe er Hauerlohn erhalten. Zur Zeit der Antragstellung im Januar 1958 sei er ausbildungsmäßig in der Lage gewesen, als kaufmännischer Angestellter der Gruppe B zu arbeiten. Diese Tätigkeit sei dem Beruf des Hauers oder Aufsichtshauers gegenüber im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig. An der objektiven Fähigkeit, als kaufmännischer Angestellter der Gruppe B in knappschaftlichen Betrieben zu arbeiten, habe sich durch die Beendigung dieser Tätigkeit bei der Bergwerksgesellschaft H AG nichts geändert. Der Kläger sei daher seit Antragstellung nicht vermindert bergmännisch berufsfähig gewesen.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen und formellen Rechts.
Daher schon vor dem 1. Januar 1957 alle Voraussetzungen für die Gewährung der Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 3 der Verordnung (VO) vom 4. Oktober 1942 und § 35 RKG aF erfüllt und nur den Rentenantrag erst nach Inkrafttreten des KnVNG gestellt habe, sei noch das alte Recht anzuwenden. Der Rentenantrag sei nicht materielle Voraussetzung der Bergmannsrente und habe daher für die Frage, ob altes oder neues Recht anzuwenden sei, keine Bedeutung. Aus den Vorschriften des KnVNG gehe nicht hervor, daß § 45 RKG nF auch auf vor dem 1. Januar 1957 eingetretene Versicherungsfälle Anwendung finde, vielmehr ergebe sich aus Art. 2 § 22 das Gegenteil.
Aber auch bei Anwendung des neuen Rechts sei der Anspruch nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 RKG nF begründet. Das LSG hätte nicht von der Tätigkeit eines Hauers, sondern der Tätigkeit eines Steigers als bisher verrichteter knappschaftlicher Arbeit ausgehen müssen. Es hätte berücksichtigen müssen, daß seine Berufsausbildung auf die Steigertätigkeit ausgerichtet und mit der Steigerprüfung abgeschlossen war und er solche Tätigkeit auch tatsächlich schon verrichtet habe. Das LSG hätte die angebotenen Beweise dafür erheben müssen, daß er eine Aufsichtstätigkeit ausgeübt habe und dabei wie ein Grubensteiger eingesetzt worden sei.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, ihm vom 1. Januar 1958 an Bergmannsrente zu gewähren,
hilfsweise,
den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für richtig. Die Tätigkeit als Lehrsteiger muß nach ihrer Ansicht schon deshalb außer Betracht bleiben, weil der Kläger als Bergschüler keine Beiträge zur knappschaftlichen Rentenversicherung entrichtet habe. Da die seit November 1955 verrichtete Tätigkeit eines kaufmännischen Angestellten gegenüber der früher verrichteten Hauertätigkeit wesentliche Vorzüge aufweise, müsse man sogar von dieser kaufmännischen Tätigkeit als Hauptberuf ausgehen.
Beide Parteien sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
II
Die durch Zulassung statthafte Revision ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit.
Bei Prüfung der Voraussetzungen nach § 45 Abs. 2 RKG ist das LSG zu Recht von der Tätigkeit eines Aufsichtshauers als der bisher verrichteten knappschaftlichen Arbeit ausgegangen. Würde man von seiner Tätigkeit als kaufmännischer Angestellter ausgehen, so käme ein Rentenanspruch schon deshalb nicht in Frage, weil der weiteren Verrichtung dieser Tätigkeit gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Da der Kläger jedoch seine Untertagetätigkeit aus gesundheitlichen Gründen aufgeben mußte, also aus Gründen, für die die knappschaftliche Rentenversicherung einzustehen hat, ist weiterhin von dieser Tätigkeit auszugehen. Der besondere Fall einer nachträglich freiwilligen Lösung von dieser Tätigkeit (vgl. BSG in SozR RKG § 35 aF Nr. 18) liegt - entgegen der Ansicht der Beklagten - hier nicht vor; es ist nämlich nicht anzunehmen, daß der Kläger, dem ja unter Tage die Steigerlaufbahn offenstand, freiwillig bei der Tätigkeit als kaufmännischer Angestellter verblieben wäre, wenn er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung wieder zur Bergmannstätigkeit hätte zurückkehren können.
Geht man hiernach von der bergmännischen Tätigkeit des Klägers aus, so kann als sein Hauptberuf nur der des Aufsichtshauers im Gedinge, nicht der Steigerberuf angesehen werden. Die Bergmannsrente deckt nur die gesundheitlich bedingte Aufgabe eines tatsächlich ausgeübten Berufs, nicht etwa auch den Verlust der begründeten Aussicht auf eine spätere Berufsentwicklung. Der Kläger ist aber tatsächlich nie Grubensteiger gewesen. Er ist weder zum Steiger ernannt und in das Angestelltenverhältnis übernommen, noch als Steiger besoldet worden. Er hat also jedenfalls den vollen Status eines Steigers nicht erreicht.
Das LSG konnte es daher dahinstehen lassen, ob das Vorbringen des Klägers, er habe bereits eine Aufsichtstätigkeit ausgeübt und sei dabei wie ein Grubensteiger eingesetzt worden, entgegen der Zechenauskunft zutrifft. Denn, wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 1. Juni 1965 - 5 RKn 135/64 - ausgeführt hat, bedeutet der in § 45 Abs. 2 RKG gebrauchte Ausdruck "bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit" nicht etwa, daß es allein auf die Art der Arbeit ankäme und daß Anstellungsverhältnis und Besoldung daher bei der Bestimmung des Hauptberufs außer Betracht bleiben müßten. Wesentlicher Sinn und Zweck der Bergmannsrente ist die Entschädigung für eine gesundheitliche bedingte Lohneinbuße. Bei Prüfung der verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit kommt es demgemäß entscheidend auf die wirtschaftliche Gleichwertigkeit und damit praktisch auf die tarifliche Einstufung der Tätigkeit an; hierbei spielen aber die vorgenannten Faktoren eine wesentliche Rolle. Grundsätzlich kann auch ein Beruf nur dann als "versicherter" Hauptberuf gelten, wenn für seine Verrichtung Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet worden sind. Für den Kläger sind aber nur Beiträge vom Hauerlohn, nicht von einem Steigergehalt, das er nie bezogen hat, entrichtet worden. Das LSG hatte daher nach seiner sachlich richtigen Auffassung keinen Anlaß, über die Tätigkeit des Klägers als Lehrsteiger und Aufsichtshauer noch weitere Beweise zu erheben. Die Tätigkeit des Klägers, die er in den letzten Monaten seiner Bergschulzeit unter der Bezeichnung "Lehrsteiger" verrichtete, scheidet als besondere Berufstätigkeit schon deshalb aus, weil es sich nur um eine kurze und vorübergehende Ausbildungsstation auf dem Wege zur Qualifikation als Steiger handelte. Es kommt daher nicht darauf an, ob für diese Zeit überhaupt Beiträge zur knappschaftlichen Rentenversicherung entrichtet worden sind.
Die Tätigkeit als kaufmännischer Angestellter der Gruppe B ist der Tätigkeit eines Aufsichtshauers im Gedinge im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig. Es ist aber auch eine Tätigkeit mit "ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten" im Sinne des § 45 Abs. 2 RKG. Hierbei muß die Ausbildung des Klägers zum Grubensteiger außer Betracht bleiben, weil er ja nicht mehr Steiger geworden ist und für die Tätigkeit eines Aufsichtshauers diese qualifizierte Ausbildung nicht vorgeschrieben ist. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 25. März 1966 - 5 RKn 77/64 - ausgeführt hat, kommt es bei dem Vergleich der für bestimmte Tätigkeiten jeweils erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht auf ihre "Gleichartigkeit", sondern nur auf ihre "Gleichwertigkeit" an, so daß ein Facharbeiter (Hauer) im Rahmen des § 45 Abs. 2 RKG auch auf reine Bürotätigkeiten verwiesen werden kann, wenn er die dafür erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten erworben hat. Daß die Kenntnisse und Fähigkeiten eines kaufmännischen Angestellten der Gruppe B gegenüber denen eines Aufsichtshauers als im wesentlichen gleichwertig anzusehen sind, ergibt sich schon aus dem Umstand, daß diese Tätigkeiten grundsätzlich jedenfalls von Personen ausgeübt werden, die eine Lehre durchlaufen oder zumindest durch langjährige praktische Verrichtung dieser Tätigkeiten entsprechende Kenntnisse und Fähigkeiten erworben haben. So bedürfte auch der Kläger selbst trotz seiner für einen Hauer ungewöhnlich guten Vorbildung noch einer längeren Einarbeitung für diese Tätigkeit.
Daß der Kläger nach langjähriger Angestelltentätigkeit im Bergbau seine Stelle aus Gründen, für die die Rentenversicherung nicht einzustehen hat, wieder verloren hat und seither als Arbeiter außerhalb des Bergbaus tätig ist, ändert nichts daran, daß er auf diese Angestelltentätigkeit in knappschaftlich versicherten Betrieben verwiesen werden kann, weil er gesundheitlich und ausbildungsmäßig objektiv hierzu tauglich ist.
Das LSG hat auch zu Recht den Anspruch des Klägers nur nach § 45 RKG nF - also dem zur Zeit der Antragstellung geltenden Recht -, nicht auch nach § 3 der VO vom 4. Oktober 1942 i. V. m. § 35 RKG aF geprüft, obgleich die gesundheitlich bedingte Verlegung des Klägers nach Übertage bereits im Jahre 1955 erfolgte und damit nach damals geltendem Recht bei rechtzeitiger Antragstellung möglicherweise die Voraussetzungen der Knappschaftsrente aR erfüllt waren. Die Antragstellung hat nämlich auch für die vom Kläger erstrebte Bergmannsrente zumindest insofern materiell-rechtliche Bedeutung, als der Beginn der Rente hiervon sowohl nach altem wie nach neuem Recht abhängig ist (§ 51 RKG aF i. V. m. § 1286 RVO aF bzw. § 82 Abs. 2 RKG nF). Hiernach hätte im vorliegenden Fall die Leistung frühestens Anfang 1958 beginnen können. Für diesen Zeitpunkt konnte eine Knappschaftsrente aR nicht mehr festgestellt werden, weil es diese Rentenart nicht mehr gab. Ist aber eine Rente nur nach den bis zum 31. Dezember 1956 geltenden Vorschriften - also nach "altem Recht" - zu gewähren, so wird sie nach Art. 2 § 31 KnVNG lediglich "weitergezahlt", wenn sie vor dem 1. Januar 1957 - gemeint ist wohl: für die Zeit vor dem 1. Januar 1957 - festgestellt worden ist. Sie konnte auch nicht im Wege der Umstellung als Bergmannsrente festgestellt werden, weil das in Art. 2 § 22 ff KnVNG geregelte Umstellungsverfahren eine Umstellung nur zum 1. Januar 1957 zuläßt (so Urteil des Senats vom 13. Mai 1966 - 5 RKn 97/63). Der Kläger übersieht, wenn er die gegenteilige Ansicht mit Art. 2 § 22 KnVNG begründen will, daß diese Vorschrift ausdrücklich nur "die Berechnung" der Rente regelt, dabei aber notwendig voraussetzt, daß zum Jahreswechsel 1956/1957 bereits ein Anspruch auf Rentenzahlung - sei es auch durch nachträgliche Feststellung - auf Grund alten Rechts bestand. Die Vorschrift besagt nichts dafür, daß noch Renten nach altem Recht für die Zeit nach dem Inkrafttreten des KnVNG neu entstehen könnten.
Möglicherweise ist dem Kläger dadurch, daß er den Rentenantrag nicht bereits vor, sondern erst nach Inkrafttreten des KnVNG gestellt hat, ein Nachteil erwachsen, weil nach altem Recht eine Verweisung nur auf "gleichartige" Tätigkeiten möglich war. Wie in dem oa Urteil vom 13. Mai 1966 bereits ausgeführt ist, verstößt die Übergangsregelung des KnVNG insoweit aber nicht gegen verfassungsmäßig garantierte Grundrechte. Der Gesetzgeber hat das Recht der knappschaftlichen Rentenversicherung zum 1. Januar 1957 völlig neu - und zwar ganz überwiegend zu Gunsten der Versicherten - geregelt. Wenn er hierbei für die Neubewilligung bestimmter Leistungen ausschließlich für die Zeit nach Inkrafttreten des neuen Rechts vorschreibt, daß sie nur unter den Voraussetzungen dieses neuen Rechts erfolgen soll, so verstößt er damit nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. Dem Kläger stand auch bei Inkrafttreten des KnVNG nach altem Recht weder ein Anspruch auf Leistung zu, noch konnte ein solcher Anspruch rückwirkend für diesen Zeitpunkt entstehen; die Eigentumsgarantie nach Art. 14 des Grundgesetzes wird also durch diese Regelung ebenfalls nicht verletzt.
Demgemäß ist die Revision zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Der Senat konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 i. V. m. §§ 153, 165 SGG).
Fundstellen