Leitsatz (amtlich)
Die 1. Alternative des RVO § 1268 Abs 5 "Rente, die dem Versicherten im Zeitpunkt seines Todes zustand" ist nur erfüllt, wenn der Versicherte schon Rente beantragt hatte. (Anschluß an Urteil des BSG 1969-01-23 12 RJ 112/67 = SozR Nr 13 zu § 1268 RVO).
Normenkette
RVO § 1268 Abs. 5 S. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Sprungrevision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 23. November 1964 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Rechtsstreit wird über die Höhe der Leistung geführt, die die Beklagte der im Jahre 1907 geborenen Klägerin für die ersten drei Monate nach dem Tode ihres Ehemannes - des Versicherten - zu erbringen hat.
Nach den Feststellungen des Sozialgerichts (SG) hat der Versicherte zuletzt, d. h. bis zu seinem Tode im Februar 1964 Rente wegen Berufsunfähigkeit bezogen. Eine Leistung in der Höhe dieser Rente abzüglich des Kinderzuschusses - so hat das SG gemeint - stehe der Klägerin gemäß § 1268 Abs. 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) für das sogenannte Sterbevierteljahr (vom 1. März bis zum 31. Mai 1964) zu. Dabei sei es unbeachtlich, daß der Versicherte während der Zeit des Bezugs der Berufsunfähigkeitsrente weitere Versicherungszeiten zurückgelegt habe. Der Witwe solle nach dem Tode ihres Ehemannes möglichst schnell eine ihren Lebensunterhalt sicherstellende Rentenleistung gewährt werden. Diese Erwägung schließe es - entgegen der Meinung der Klägerin - auch aus, einer eventuellen Erwerbsunfähigkeit des Versicherten Bedeutung beizumessen, wenn er - wie hier - keinen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gestellt habe. - Demgemäß hat das SG den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch, der auf Gewährung einer Leistung gerichtet war, die sich an der Erwerbsunfähigkeitsrente des Versicherten orientieren sollte, in Übereinstimmung mit der Beklagten verneint (Urteil vom 23. November 1964).
Das SG hat die Berufung zugelassen, die Klägerin Sprungrevision eingelegt (§ 161 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Im Verlaufe des Verfahrens vor dem Revisionsgericht hat die Beklagte unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG; vgl. nunmehr § 1268 Abs. 5 Satz 2 RVO) der Klägerin die Witwenrente auch für die ersten drei Monate nach dem Tode des Versicherten gezahlt, weil dies für sie günstiger war. Die Klägerin ist jedoch der Auffassung, daß ihr für das Sterbevierteljahr eine der Erwerbsunfähigkeitsrente ihres Ehemannes - ohne Kinderzuschuß - entsprechende Leistung zustehe. Wie sie bereits in der Tatsacheninstanz vorgetragen habe, sei ihr Ehemann vor seinem Tode erwerbsunfähig gewesen, ihm habe also zuletzt die Erwerbsunfähigkeitsrente zugestanden (§ 1268 Abs. 5 Satz 1 RVO). Darauf, daß er diese Rente nicht bezogen habe, komme es ebensowenig an wie auf die Tatsache, daß es insoweit an der Antragstellung fehle. - Auch aus einer anderen Erwägung, falls man der ersten nicht folgen sollte, rechtfertige sich der von ihr erhobene Anspruch. Sie - die Klägerin - habe beim Tode ihres Ehemannes das 45. Lebensjahr vollendet gehabt (§ 1268 Abs. 2 Nr. 1 RVO). Ein Versicherter sei nicht nur dann "nicht rentenberechtigt" (§ 1268 Abs. 5 RVO) gewesen, wenn er überhaupt keine Rente bezogen habe; eine Rentenberechtigung in diesem Sinne liege - trotz Bezugs der Berufsunfähigkeitsrente - auch dann nicht vor, wenn ein Anspruch auf die Rente, aus der sich später die Witwenrente ableite, nicht bestehe. In dem vorliegenden Fall richte sich die Witwenrente aber nach der Erwerbsunfähigkeitsrente des Versicherten (§ 1268 Abs. 2 Nr. 1, § 1253 Abs. 2 RVO). Ihr Ehemann sei in Bezug auf die Erwerbsunfähigkeitsrente nicht rentenberechtigt gewesen, ihr stehe deshalb für das Sterbevierteljahr eine Leistung zu, wie sie sich für den Versicherten vor seinem Tode als Erwerbsunfähigkeitsrente errechnet hätte.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie, die Klägerin, noch 603,63 DM - abzüglich inzwischen gezahlter 86,10 DM - zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Meinung, daß in den Fällen, in denen der Versicherte zuletzt eine Berufsunfähigkeitsrente bezogen habe, der Witwe für die ersten drei Monate nach dem Tode des Versicherten in der Regel eine von dieser Rente abgeleitete Leistung zustehe. Es bestehe kein Anlaß, von diesem Grundsatz in dem von der Klägerin beantragten Umfange abzuweichen. Die nach Eintritt der Berufsunfähigkeit der Versicherten noch zurückgelegten Versicherungszeiten seien inzwischen berücksichtigt worden: Die Klägerin habe für das Sterbevierteljahr die höhere Witwenrente anstelle der Leistung nach § 1268 Abs. 5 Satz 1 RVO erhalten.
Die Revision hat keinen Erfolg. Der Klägerin steht für die ersten drei Monate nach dem Tode ihres Ehemannes kein über die Leistungen der Beklagten hinausgehender Anspruch zu.
Nach § 1268 Abs. 5 Satz 1 RVO erhält die Witwe für die ersten drei Monate an Stelle der Witwenrente - § 1268 Abs. 1 bis 4 RVO - die Rente ohne Kinderzuschuß, die dem Versicherten im Zeitpunkt seines Todes zustand, oder, wenn der Versicherte zu diesem Zeitpunkt nicht rentenberechtigt war, die Rente des Versicherten ohne Kinderzuschuß, aus der die Rente nach den Absätzen 1 bis 3 zu berechnen ist. Der Versicherte hatte zuletzt die Berufsunfähigkeitsrente bezogen. Diese stand ihm zu, insoweit war er rentenberechtigt; einen Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente hatte er nicht gestellt.
Der erkennende Senat vermag die Auffassung der Klägerin, für die Frage, ob einem Verstorbenen eine "Rente zustand", komme es allein auf den materiell-rechtlichen Anspruch an, in diesem Zusammenhang sei das Fehlen der Antragstellung ohne Bedeutung, nicht zu teilen. Er folgt vielmehr der bisherigen Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil des 12. Senats - SozR Nr. 13 zu § 1268 RVO -). In der genannten Entscheidung ist ausgeführt, Sinn und Zweck sowie die Entstehungsgeschichte der hier auszulegenden Vorschrift deuteten darauf hin, daß es sich um einen zumindest durch Antragstellung realisierten Rentenanspruch handeln müsse. Dies hält der erkennende Senat vor allem aus Gründen der Praktikabilität für sinnvoll. Die für das Sterbevierteljahr zu erbringende Leistung soll nach Möglichkeit schnell, ohne daß eine Unterbrechung in der Leistungsgewährung eintritt, ausgezahlt werden. Ein schnelles Handeln setzt aber voraus, daß keine Änderung der Ausgangslage eintritt. Diesem Erfordernis wird am besten genügt, wenn die Rente, die dem Versicherten zuletzt ausgezahlt wurde, zunächst auch der Witwe gewährt wird. Müßte in jedem Falle geprüft werden, in welchem Umfang eine weitere Einschränkung der Erwerbsfähigkeit des Versicherten tatsächlich vorgelegen hat, so würde dies dem Zweck des Gesetzes nicht gerecht. Zwar ist eine solche Prüfung dann erforderlich, wenn der Antrag auf Versichertenrente gestellt war. Aber auch damit läßt sich die von der Klägerin vertretene Auffassung nicht stützen. Die Prüfung, in welchem Umfang die Erwerbsfähigkeit des Versicherten eingeschränkt war, ist in einem solchen Fall wegen des Antrags auf Gewährung der Versichertenrente notwendig, nicht dagegen wegen der der Witwe zustehenden Leistung.
Realisiert war in dem vorliegenden Fall der Anspruch auf die Berufsunfähigkeitsrente, daraus folgt, daß der Versicherte "rentenberechtigt" war, daß also die zweite Alternative des § 1268 Abs. 5 Satz 1 RVO, "nicht rentenberechtigt", auf ihn nicht zutraf. Daran ändert sich nichts dadurch, daß die Klägerin beim Tode ihres Ehemannes bereits das 45. Lebensjahr vollendet hatte. Gemäß § 1268 Abs. 2 Nr. 1 RVO wirkt sich diese Tatsache auf die Höhe der Witwenrente aus. Die für das Sterbevierteljahr zu erbringende Leistung wird hierdurch nicht in der Weise beeinflußt, wie es die Klägerin für zutreffend hält. Aus dem Gesetz ergibt sich kein Anhalt dafür, daß eine Rentenberechtigung des Versicherten dann nicht vorliegt, wenn dieser zwar eine Rente, aber nicht die Rente bezieht, aus der sich die Witwenrente ableitet.
Für die vom Senat gewonnene Lösung spricht auch die im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz vom 9. Juni 1965 eingefügte Vorschrift des § 1268 Abs. 5 Satz 2 RVO. Hiernach gilt nämlich Satz 1 dieser Vorschrift nicht, wenn die Gewährung der Rente nach den Absätzen 1 bis 4 für den Berechtigten günstiger ist. Der Gesetzgeber hat damit zum Ausdruck gebracht, auf welche Weise Nachteile, die durch die in § 1268 Abs. 5 Satz 1 RVO enthaltene vereinfachenden Regelung entstehen können, auszugleichen sind, nämlich durch die Gewährung der regulären Witwenrente von Anfang an, nicht aber durch eine Durchbrechung der in § 1268 Abs. 5 Satz 1 RVO gewählten Unterscheidung. Auch für das Sterbevierteljahr wird die Witwenrente gezahlt, wenn diese höher ist als die zunächst vorgesehene Leistung. Dies hat die Beklagte beachtet.
Die Revision muß hiernach zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung ergeht in Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen