Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsbeziehung zwischen Kassenzahnarzt und Krankenkasse. Erstattungsanspruch der Krankenkasse. Haftungsgemeinschaft
Orientierungssatz
1. Zwischen dem Kassenzahnarzt und der Krankenkasse bestehen keine direkten Rechtsbeziehungen. Für den Kassenzahnarzt ist also allein die Kassenzahnärztliche Vereinigung der Leistende, dem der Gesetzgeber durch § 368n Abs 1 RVO gegenüber den Krankenkassen die Gewährleistungspflicht für eine gesetzes- und vertragsgemäß kassenärztliche Versorgung auferlegt hat. Die Kassenzahnärztliche Vereinigung verfolgt daher gegenüber dem Kassenzahnarzt einen eigenen Leistungszweck, der nicht darin besteht, die Schuld der Kasse gegenüber dem Kassenzahnarzt zu erfüllen.
2. Der Erstattungsanspruch der Kasse für nicht erbrachte Leistungen eines Kassenzahnarztes ist daher nur gegen die Kassenzahnärztliche Vereinigung gerichtet, mit deren Zahlungserwerb die Vermögensverschiebung auf Kosten der Kasse bereits abgeschlossen ist. Das hat zwar zur möglichen Konsequenz, daß die Kassenzahnärztliche Vereinigung, wenn ein ihr selbst gegen den einzelnen Kassenzahnarzt zustehender Rückzahlungsanspruch nicht befriedigt werden kann, den Erstattungsanspruch der Kasse nur durch eine Reduzierung der Vergütung der übrigen kassenzahnärztlichen Mitglieder erfüllen kann, ihre (kassenzahnärztlichen) Mitglieder insoweit also eine Art Haftungsgemeinschaft bilden.
Normenkette
RVO § 368f Abs 1 S 1, § 368n Abs 1; BGB § 387
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK), gegen die die klagende Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZV) eine restliche Gesamtvergütungsforderung geltend macht, mit einer Forderung aufgrund nicht erbrachter Leistungen eines Kassenzahnarztes aufrechnen kann.
Die Klägerin hat die ihr für das Quartal II/1980 zustehende (Gesamt-)Vergütung für kieferorthopädische Leistungen in der Gesamthöhe von 87.200,-- DM nur teilweise erhalten. In Höhe des nichtbezahlten Anteils von 58.204,04 DM hat die Beklagte die Aufrechnung erklärt. Der als Mitglied der Klägerin zugelassen gewesene Kassenzahnarzt Dr. E. hatte in den Quartalen II/1976 bis IV/1979 43.418,23 DM, nämlich 47,62 % der insgesamt als Labor- und Materialkosten geltend gemachten Summe von 91.184,07 DM abgerechnet, obwohl er entsprechende Leistungen nicht erbracht hatte. Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, daß auch von den in den vorausgegangenen Quartalen I/1974 bis I/1976 von Dr. E. abgerechneten Labor- und Materialkosten in Höhe von 31.049,58 DM ein entsprechender Prozentanteil, nämlich 14.785,81 DM, unrechtmäßig erworben worden war. Die Gesamtsumme von 58.204,04 DM hat die Beklagte von der von der Klägerin für das Quartal II/1980 für kieferorthopädische Leistungen geforderten 87.200,-- DM in Abzug gebracht und insoweit die Aufrechnung erklärt. Auf die Klage der KZV hat das Sozialgericht (SG) die AOK antragsgemäß zur Zahlung der restlichen Gesamtvergütung in Höhe von 58.204,04 DM verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Beklagten habe gegen die Klägerin ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zugestanden, mit dem sie habe aufrechnen können. Entgegen der Ansicht des SG werde dies auch nicht durch die Vorschrift des § 24 des Bundesmantelvertrags-Zahnärzte (BMV-Z) über die "Begleichung von Schadensersatzansprüchen" ausgeschlossen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und macht geltend: Sie hafte nicht für ein fehlerhaftes Verhalten des Zahnarztes. Ihre Überwachungsfunktion erstrecke sich auch nicht darauf, ob die vom Kassenzahnarzt abgerechneten Leistungen auch wirklich erbracht worden seien. Entsprechende Untersuchungen würden den Grundsätzen einer freiberuflichen Tätigkeit zuwiderlaufen. Müsse sie für Rückforderungsbeträge aufkommen, so liefe das darauf hinaus, daß letztlich die Kassenzahnärzte für die von ihren Kollegen ausgelösten Regresse einzutreten hätten. Dies sei auch mit dem in § 368f der Reichsversicherungsordnung (RVO) vorgesehenen Prinzip der Einzelleistungsvergütung nicht zu vereinbaren. Nach der Verteilung der Gesamtvergütung an die Kassenzahnärzte sei sie gemäß § 818 Abs 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) auch nicht mehr bereichert. Wenn und solange sie den eigenen Rückerstattungsanspruch gegen den einzelnen Kassenzahnarzt nicht realisieren könne, bestehe ihre Bereicherung alleine in Form dieses Rückerstattungsanspruches.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. November 1985 - L 7 Ka 941/83 - aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 29. Juni 1983 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Das LSG hat zu Recht die Ansicht vertreten, daß die Klagforderung durch die Aufrechnung der Beklagten erloschen ist (vgl § 389 BGB).
Die von der Beklagten zur Aufrechnung gestellte - der Höhe nach unstreitige - Forderung richtete sich, wie noch auszuführen sein wird, gegen die Klägerin als Schuldnerin. Insofern standen sich zwei Forderungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig waren, gegenüber; die zur Aufrechnung gestellte Forderung war auch fällig (vgl § 387 BGB).
Die Klägerin war dann Schuldnerin der zur Aufrechnung gestellten Forderung, wenn die vorausgegangenen, unstreitig von der Beklagten an die Klägerin bezahlten Vergütungsleistungen für diese bestimmt waren, jedoch ohne Rechtsgrund erfolgten. Beide Voraussetzungen liegen hier vor. Gemäß § 368f Abs 1 Satz 1 RVO entrichtet die Krankenkasse nach Maßgabe des Gesamtvertrages für die gesamte kassenärztliche Versorgung (§ 368 RVO) mit befreiender Wirkung eine Gesamtvergütung an die Kassenärztliche Vereinigung. Auch wenn diese die Gesamtvergütung unter die Kassenärzte zu verteilen hat (§ 368f Abs 1 Satz 2 RVO), so ist sie selbst doch Gläubigerin dieser Leistungen. Die KZV hat die Zahlungen für sich selbst erlangt ohne bloß (unmittelbarer) Vertreter der Kassenzahnärzte zu sein. Da sie demnach die Leistung als eigene fordern konnte und auch in Empfang genommen hat und diese Übertragung auch ihre eigene geldwerte Güterlage (Vermögen) berührte, besteht, soweit diese Leistung ohne Rechtsgrund erfolgte, wie im Recht der ungerechtfertigten Bereicherung nach § 812 BGB ein Rückerstattungsanspruch nur zwischen dem Leistenden und dem (Erst-)Empfänger (vgl Palandt, Komm BGB, 45. Aufl, Anm 5 B c bb). An dem Rechtsgrund für die Zahlungen der Beklagten hat es aber in Höhe der zur Aufrechnung gestellten Forderung gefehlt. Der Kassenzahnarzt Dr. E. hat die entsprechenden, von ihm abgerechneten Leistungen nicht erbracht. Bedenken, ob unter den gegebenen Umständen ein Erstattungsanspruch der beklagten Kasse wirklich gegenüber der KZV und nicht ausschließlich gegenüber dem Kassenzahnarzt besteht, könnten allenfalls deshalb gegeben sein, weil mit der Zuwendung der Kasse Leistungen vergütet werden sollten, die primär von der Kasse (gegenüber den Versicherten) geschuldet werden, im Hinblick auf deren Zahlungen die klagende KZV insoweit also nur eine Art Zwischenstation darstellt, und die Kassenzahnärzte demnach ihre Vergütung zwar von der im eigenen Namen handelnden KZV, aber mittelbar doch von der Kasse empfangen, deren Verpflichtungen sie letztlich erfüllen. Solche Bedenken greifen jedoch nicht durch. Zwischen dem Kassenzahnarzt und der Krankenkasse bestehen keine direkten Rechtsbeziehungen. Schon deswegen verbietet sich eine Anlehnung an die Anweisungsfälle, bei denen die (zivilrechtliche) Rechtsprechung eine Leistungskondiktion zwischen dem Anweisenden und dem Zahlungsempfänger, nicht aber zwischen dem Angewiesenen - dem Dritten - und dem Empfänger zuläßt, zwischen denen keine Rechtsbeziehungen bestehen; durch den Zuwendungsakt des Dritten bleibt hier die Einheitlichkeit des Bereicherungsvorganges zwischen dem (anweisenden) Schuldner und dem Empfänger (Gläubiger) gewahrt (RG 130, 310; BGHZ 50, 227). Im vorliegenden Fall bestehen aber nur Rechtsbeziehungen zwischen der KZV und dem Kassenzahnarzt. Für den Kassenzahnarzt ist also allein die KZV der Leistende, dem der Gesetzgeber durch § 368n Abs 1 RVO gegenüber den Krankenkassen die Gewährleistungspflicht für eine gesetzes- und vertragsgemäß kassenärztliche Versorgung auferlegt hat. Die KZV verfolgt daher gegenüber dem Kassenzahnarzt einen eigenen Leistungszweck, der nicht darin besteht, die Schuld der Kasse gegenüber dem Kassenzahnarzt zu erfüllen.
Der Erstattungsanspruch der Kasse ist daher nur gegen die KZV gerichtet, mit deren Zahlungserwerb die Vermögensverschiebung auf Kosten der Kasse bereits abgeschlossen ist. Das hat zwar zur möglichen Konsequenz, daß die KZV, wenn ein ihr selbst gegen den einzelnen Kassenzahnarzt zustehender Rückzahlungsanspruch nicht befriedigt werden kann, den Erstattungsanspruch der Kasse nur durch eine Reduzierung der Vergütung der übrigen kassenzahnärztlichen Mitglieder erfüllen kann, ihre (kassenzahnärztlichen) Mitglieder insoweit also eine Art Haftungsgemeinschaft bilden. Dies muß aber als Folge der hier gegebenen Rechtsstrukturen und der der KZV auferlegten Gewährleistungspflicht hingenommen werden.
Der allgemeine Rechtsgedanke des zivilrechtlichen Bereicherungsanspruchs gilt auch im öffentlichen Recht (vgl BSG Urteil vom 21. November 1986 - 6 RKa 5/86 - mwN). Der Beklagten stand daher in Höhe der streitigen Klagforderung ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch gegen die Klägerin zu.
Die Klägerin kann sich nicht auf eine Entreicherung (vgl § 818 Abs 3 BGB) berufen, da sie jedenfalls gegenüber der Krankenkasse die obengenannte Gewährleistungspflicht trägt, wozu auch die Gewähr für eine sorgfältige und wahrheitsgemäße Abrechnung der Leistungen gehört (BSG aaO).
Die Bestimmung des § 24 BMV-Z steht dem Erstattungsanspruch der Beklagten nicht entgegen (BSG aaO). Sie beschränkt sich auf Schadensersatzansprüche bei kassenzahnärztlichen Pflichtverletzungen und erstreckt sich nicht auf Fälle nicht erbrachter Leistungen (BSG aaO).
Da die Klagforderung demnach durch Aufrechnung erloschen ist, konnte die Revision der Klägerin keinen Erfolg haben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen