Leitsatz (amtlich)
Ein Aufenthalt im Ausland ist auch dann im Sinne des RVO § 1282 Nr 1 aF nicht freiwillig, wenn er versicherte Ausländer seinem Wunsche, in das Inland zurückzukehren, nur deshalb nicht folgen kann, weil er sich in einer Zwangslage befindet, durch die das Beharren auf dem Rückkehrwillen nur unter Vernachlässigung bzw Aufgabe wesentlichster rechtsgeschützter Güter des Versicherten möglich und daher schlechthin unvernünftig wäre.
Normenkette
RVO § 1282 Nr. 1 Fassung: 1934-05-17, § 1283 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Celle vom 27. Juni 1957 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Der 1885 geborene Kläger hält sich seit Jahrzehnten in Schweden auf, wo er als Spezialarbeiter zunächst für deutsche, dann für schwedische Firmen tätig war; im Jahre 1935 erwarb er unter Aufgabe seiner deutschen die schwedische Staatsangehörigkeit.
Den im November 1950 geltend gemachten Anspruch auf Altersrente - für den alle übrigen Voraussetzungen erfüllt waren - hat die Beklagte durch Bescheid vom 17. August 1951 vom 1. Dezember 1950 an anerkannt mit der Maßgabe, daß die Invalidenrente nach § 1282 der Reichsversicherungsordnung - RVO - (a. F.) ruhe, weil der Kläger als Ausländer sich gewöhnlich freiwillig im Ausland aufhalte.
Der Kläger legte gegen diesen Bescheid mit der Begründung, sein Aufenthalt in Schweden sei nicht als freiwillig anzusehen, beim Oberversicherungsamt H Berufung ein, hatte damit jedoch keinen Erfolg.
Seine gegen dieses Urteil (vom 11.12.1951) fristgemäß eingelegte weitere Berufung an das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg ging am 1. Januar 1954 nach § 215 Abs. 8 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf das Landessozialgericht Celle über.
Das Landessozialgericht holte Auskünfte ein, aus denen sich ergab, daß der Kläger die ihm laufend gewährte schwedische Staatspension bei Verlegung seines Wohnsitzes in das Ausland nicht mehr erhalten würde (Auskunft der Konsular-Abteilung der Deutschen Gesandtschaft in S vom 23.9.1955), daß ihm unter den gleichen Umständen auch seine Werkspension nicht mehr gezahlt werden würde (Auskunft der früheren Arbeitgeberin, L. M. E, Fernsprechgesellschaft, vom 5.9.1955) und daß einer Transferierung seines Kapitals nach Deutschland zwar im Zeitpunkt der Auskunft ( Valutakontoret S vom 10.9.1955) zugestimmt werden würde, daß die Erteilung einer derartigen Zustimmung zu einem früheren Zeitpunkt jedoch fraglich gewesen sei.
Das Landessozialgericht änderte durch Urteil vom 27. Juni 1957 unter Aufhebung des Urteils des Oberversicherungsamts den Rentenbescheid der Beklagten dahin ab, daß es die Anordnung des Ruhens der Rente aufhob und die Zahlung einer vorläufigen einmaligen Leistung von 2.000,- DM an den Kläger anordnete.
Das Landessozialgericht legt in seiner Entscheidung, bei der es ebenfalls nur den Begriff "Freiwilligkeit" des Auslandsaufenthalts als streitig betrachtet, zunächst die alte Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts dar: Danach habe für die Annahme einer Unfreiwilligkeit des Auslandsaufenthalts stets der ernsthafte Wille, aus dem Ausland zurückzukehren, vorhanden sein müssen; dem Rentenberechtigten mußte es jedoch aus zwingenden Gründen unmöglich gewesen sein, diesen Willen auszuführen. Als derartig zwingende Gründe seien zunächst nur die Gefährdung der Gesundheit, später aber auch der Verlust von Heimat, Eigentum oder wirtschaftlich gesichertem Dasein angesehen worden. Die Rechtsprechung nach dem zweiten Weltkrieg sei alsdann insoweit noch weiter gegangen (z. B. Breithaupt 1950 S. 813, 1953 S. 976 u. a.), als sie es bei objektiver Unmöglichkeit der Rückkehr für eine Überforderung angesehen habe, trotzdem den Rückkehr willen noch zu verlangen, zumal ein solcher innerer Vorgang schwer feststellbar sei und daher dem Rechtskundigen einen Vorteil vor dem Unkundigen verschaffen würde.
Das Landessozialgericht Celle hält diese Rechtsprechung, bei der es bei einem berechtigten Ausländer ausreiche, daß eine Zwangslage vorliege, die "seinen Willen bei verständiger Würdigung der Sachlage mit Rücksicht auf rechtlich anerkannte und geschützte Lebensgüter zum Verbleib im Ausland" bestimme, für zutreffend und auch auf den vorliegenden Fall für anwendbar.
Eine derartige Zwangslage erblickt das Landessozialgericht im vorliegenden Fall darin, daß der Kläger und seine Ehefrau bei der Verlegung ihres Hausstands in die Bundesrepublik sowohl die ihnen in Schweden gezahlte Rente und Pension verlieren als auch ihre Wohnung aufgeben müßten, ohne in Deutschland in absehbarer Zeit mit der Zuweisung einer Wohnung rechnen zu können. Die Wohnsitzverlegung würde daher finanzielle Aufwendungen und Opfer erfordern, die in keinem Verhältnis zu der zu erwartenden deutschen Rente stünden. Auch wenn der Kläger seit 1955 damit habe rechnen können, daß er sein privates Sparkapital aus Schweden nach Deutschland überweisen dürfe, liege darin nur eine für die Gesamtbetrachtung nicht entscheidend ins Gewicht fallende Erleichterung. Da somit keine Freiwilligkeit des Auslandsaufenthalts angenommen werden könne, sondern der Verbleib des Klägers durch jene Verhältnisse erzwungen sei, entfielen die Ruhensvoraussetzungen.
Das Landessozialgericht hat die Revision gegen sein Urteil vom 27. Juni 1957 zugelassen.
Die Beklagte hat am 23. September 1957 gegen das ihr am 9. September 1957 zugestellte Urteil unter Antragstellung Revision eingelegt und diese am 12. Oktober 1957 begründet. Sie rügt unrichtige Anwendung des § 1282 RVO (a. F.).
Wenn angenommen werden solle, der ursprünglich völlig freiwillige Aufenthalt des Klägers sei später zu einem unfreiwilligen geworden, so müßte der Kläger trotz des von ihr im Gegensatz zum Landessozialgericht für erforderlich gehaltenen Rückkehrwillens an seiner Rückkehr durch besondere Umstände gehindert sein; dieser Rückkehrwille fehle jedoch, zumindest sei er nicht festgestellt.
Die Beklagte hat auf den Kläger seit dem Inkrafttreten des vorläufigen Europäischen Abkommens über die Systeme der sozialen Sicherheit für den Fall des Alters, der Invalidität und zugunsten der Hinterbliebenen (BArbBl. 1956 S. 536) in der Bundesrepublik, d. h. seit dem 1. September 1956, die Ruhensvorschriften des § 1282 RVO (a. F.) nicht mehr angewandt und ihm die Rente in derselben Höhe ausgezahlt, in der sie einem deutschen Staatsangehörigen in Schweden gezahlt worden wäre.
Die Beklagte hat dementsprechend die Revision in der mündlichen Verhandlung vom 3. März 1960 auf den Anspruch des Klägers auf Auszahlung seiner Rente für die Zeit vor dem 1. September 1956 beschränkt und beantragt, insoweit unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts die Berufung gegen das Urteil des Oberversicherungsamts vom 11. Dezember 1951 zurückzuweisen.
Demgegenüber hat der Kläger kostenpflichtige Zurückweisung der Revision beantragt.
Er ist der Auffassung, aus seinem Gesamtverhalten während seines jahrzehntelangen Aufenthalts in Schweden sei eindeutig zu entnehmen, daß er stets den Willen zur Rückkehr nach Deutschland gehabt habe. Er habe zunächst viele Jahre lang ohne eigenen Haushalt und festen Wohnsitz mit seiner Frau in möblierten Unterkünften gelebt. Erst 1935 sei er auf Drängen seiner schwedischen Firma S. geworden, was er bereits 1930 hätte tun können, aber wegen seines festen Willens, später nach Deutschland zurückzukehren, damals unterlassen habe. Erst der Krieg und gesundheitliche Gründe hätten ihn nach jahrelanger Abstandnahme dazu gezwungen, sich in Schweden einen nur als vorübergehend gedachten eigenen Haushalt anzuschaffen und einen festen Wohnsitz zu nehmen; der Haushalt sei mit Rücksicht auf das Rückkehrstreben nur bescheiden in einer kleinen Zweizimmerwohnung eingerichtet und dies erst nach einem fast 21-jährigen Aufenthalt in Schweden im Jahre 1944. Er habe auch weder mit der Werkspension noch mit der Staatspension von vornherein rechnen können. Von entscheidender Bedeutung für die Unfreiwilligkeit seines Aufenthalts sei es gewesen, daß ihm ein Wechsel seiner Staatsangehörigkeit nach dem Kriege lange Zeit nicht möglich gewesen sei; ohne diesen Staatsangehörigkeitswechsel würde er jedoch keine Zuzugsgenehmigung in Deutschland bekommen haben. Alle seine vorsorglichen Planungen seien durch den Krieg zerstört, ihm bleibe jetzt nichts weiter übrig, als in Schweden zu bleiben; doch sei dies nunmehr zwangsläufig ein unfreiwilliger Aufenthalt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist frist- und formgerecht unter Antragstellung eingelegt und begründet worden; sie ist vom Landessozialgericht zugelassen und daher statthaft.
Die Revision ist auch zulässig; zwar hat in erster Instanz noch das Oberversicherungsamt H entschieden; gegen dessen Urteil war jedoch nach den damaligen Vorschriften ordnungsmäßig (weitere) Berufung an das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg eingelegt worden, bei welchem "Verwaltungsgericht des zweiten Rechtszuges die Sache bei Inkrafttreten des SGG noch anhängig war"; die Berufung, die auch nach dem SGG zulässig war, ging daher zu diesem Zeitpunkt nach § 215 Abs. 8 SGG als Berufung im Sinne des SGG auf das Landessozialgericht über.
Die Revision ist jedoch sachlich nicht begründet.
I Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt, wie das angefochtene Urteil zutreffend hervorgehoben hat und wie auch seitens der Parteien übereinstimmend angenommen wird, allein davon ab, ob der Aufenthalt des Klägers in Schweden für die Zeit vom 1. Dezember 1950 (auf den Antrag folgender Monatserster) bis zum 31. August 1956 im Sinne des § 1282 RVO (a. F.) als "freiwillig" anzusehen ist. Für die Zeit vom 1. September 1956 an hat die Beklagte der durch das "Vorläufige Abkommen über die Systeme der Sozialen Sicherheit für die Fälle des Alters, der Invalidität und zugunsten der Hinterbliebenen" geänderten Rechtslage (Gleichstellung der Ausländer mit den Inländern) bereits durch Rentenzahlung Rechnung getragen und ihre Revision in der mündlichen Verhandlung dementsprechend auf die vorhergehende Zeit beschränkt.
Die Vorschrift, daß bei einem berechtigten Ausländer die Rente ruht, solange er sich freiwillig gewöhnlich im Ausland aufhält, gilt heute gleichermaßen in der Unfallversicherung (§ 615 Abs. 1 Nr. 3 RVO) wie in der Rentenversicherung (§ 1282 Nr. 1 RVO a. F., § 1283 Abs. 1 Nr. 1 RVO n. F.; § 93 bzw. § 50 RKG a. F., § 80 RKG n. F.; § 60 Abs. 1 Nr. 1 AVG n. F. - alle Vorschriften gegebenenfalls in Verbindung mit dem Abschnitt II des FremdRG vom 7.8.1953), wenn sie auch infolge der immer weiter sich erstreckenden Wirksamkeit zwischenstaatlicher Gleichbehandlungsregelungen an Bedeutung in letzter Zeit sehr verloren hat.
Bis zur Änderung der RVO durch das Gesetz vom 19. Juli 1923 war in dieser Beziehung keinerlei Unterschied zwischen dem Inländer und dem Ausländer gemacht worden.
Geht man auf den Ursprung jener Regelung zurück, so zeigt sich, daß zunächst in den Unfallversicherungsgesetzen vom 6. Juli 1884 und den diese ergänzenden Gesetzen aus den Jahren 1885 und 1886 die Rentenzahlung wie im Inland in gleicher Weise auch in das Ausland zu erfolgen hatte. Bei den späteren Unfallgesetzen (§ 39 des Bau- und § 75 des See-Unfallgesetzes von 1887) ist den Berufsgenossenschaften bereits die Möglichkeit eingeräumt worden, die Rentenzahlung bei Auslandsaufenthalt ruhen zu lassen, während im Invaliden- und Angestelltenversicherungsgesetz schließlich ein Zwang zum Ruhen vorgeschrieben war. Anlaß zu dieser Regelung waren ursprünglich rein äußerliche, verwaltungsmäßige Schwierigkeiten, die durch die Zahlung ins Ausland und die dort erheblich umständlichere Kontrolle (des Übernehmens des Versicherten bzw. der Nachuntersuchung) veranlaßt waren und die bei der Invalidenversicherung infolge der dort zahlreicheren Fälle wesentlich stärker ins Gewicht fielen als bei der Unfallversicherung (vgl. AN. 1898 S. 395 Nr. 675); hinzu kam, wie das Reichsversicherungsamt in AN. 1898 S. 633 Nr. 694 erwähnt, die Erwägung, daß bei der Rentenversicherung im Gegensatz zur Unfallversicherung die Mittel teilweise vom Ausland in jener Frühzeit der Sozialversicherung, in der dieser gedanklich immer noch ein Fürsorgecharakter beigelegt wurde, ein strengerer Maßstab sinnvoll erschien.
Auf den Beweggrund des Auslandsaufenthalts wurde in jenen ersten Regelungen nicht abgestellt. Bei bestimmten Sachlagen wurde daher bereits damals schon die Anwendung dieser Ausnahmen nicht gestattenden Ruhensvorschrift als unbillig empfunden, besonders dann, wenn der Aufenthalt im Ausland erwiesenermaßen nur aus gesundheitlichen Gründen gewählt worden war (vgl. AN. 1905 S. 279 Nr. 1183). Im Entwurf der RVO wurde dementsprechend zunächst eine Ausnahme von dem Ruhen der Rente für den Fall vorgesehen, daß der Versicherte sich seiner Gesundheit wegen im Ausland aufhielt (wobei die klare Formulierung der für notwendig gehaltenen Kontrolle schwer war). In der Gesetz gewordenen Fassung wurde demgegenüber (§ 1313 älteste Fassung) für das Entfallen des Ruhens auf die auch auf andere Sachverhalte anwendbare "Unfreiwilligkeit" des Auslandsaufenthalts abgestellt, indem das Ruhen nur noch bei "freiwilligem" Aufenthalt vorgeschrieben war (vgl. hierzu auch AN. 1913 S. 735).
Im Jahre 1923 schließlich wurde jenes weitgehende Ruhen auf Ausländer beschränkt (§ 1314, dann § 1282 RVO), während bei Inländern nur noch die aus Ordnungsgründen für erforderlich gehaltene Vorschrift des Ruhens bei Nichtmitteilung der Aufenthaltsangabe (§ 1313, dann § 1281 RVO) Platz griff.
II Dieser Entwicklung entsprechend hat die Praxis und Rechtsprechung niemals daran gezweifelt, daß ein Auslandsaufenthalt, der aus "zwingenden Gesundheitsrücksichten" erfolgt, mit Rücksicht auf die "Zwangslage, in die der Rentenberechtigte durch Rücksicht auf seine Gesundheit, also auf ein rechtlich anerkanntes und durch die Arbeiterversicherungsgesetze besonders geschütztes Gut, versetzt ist", nicht als freiwillig gelten kann, "wenn er auch in gewissem Sinne freiwillig ist" (AN. 1913 S. 735 = EuM. Bd. 1 S. 259 - vgl. auch AN. 1913 S. 737 = EuM. Bd. 2 S. 19; EuM. Bd. 1 S. 258 und viele andere). Entsprechende gesundheitliche Gründe liegen auch der Entscheidung des Sächsischen Landesversicherungsamts vom 11. Juli 1925 (EuM. 1921 S. 492) zugrunde, nach der die im Inland fehlende, im Ausland jedoch mögliche Pflege eines Versicherten in hohem Alter dessen Auslandsaufenthalt unfreiwillig erscheinen läßt.
In seiner Entscheidung vom 2. April 1925 (EuM. Bd. 18 S. 151) hatte das Bayerische Landesversicherungsamt darüber hinaus ausgeführt, der Ausschluß der Freiwilligkeit dürfe nicht allein bei gesundheitlicher Zwangslage angenommen werden; nach seiner Meinung konnte nämlich auch der Druck der persönlichen Lebensverhältnisse, zwingende wirtschaftliche Not, zu den Gründen gehören, welche Anlaß zum Aufenthaltswechsel in das Ausland geben und das Ruhen ausschließen, wobei man allerdings voraussetzen müsse, daß die Notlage im Inland unerträglich gewesen sein müsse und daß sie durch eigenes Zutun der betreffenden Person nicht hätte beendet werden können.
Dieser Auffassung trat das Reichsversicherungsamt in seiner Entscheidung vom 26. Januar 1926 (AN. 1926 S. 205) bei: "Soll der Aufenthalt im Ausland die Rente zum Ruhen bringen, so muß er auf freier Willensentschließung des Berechtigten beruhen. An einer solchen fehlt es nicht nur dann, wenn der Berechtigte sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet oder wenn er - abgesehen von dem Fall des § 1314 Nr. 2 RVO - einem unwiderstehlich von außen herantretenden gegen seine Person gerichteten Zwange unterliegt. Die Freiwilligkeit ist vielmehr auch dann ausgeschlossen, wenn der Berechtigte sich in einer sonstigen Zwangslage befindet, die zwar die freie Willensentschließung nicht völlig ausschaltet, jedoch geeignet ist, den Berechtigten bei verständiger Würdigung der Sachlage mit Rücksicht auf rechtlich anerkannte und geschützte Lebensgüter zur Aufenthaltsnahme im Ausland zu bestimmen, so aus Rücksichten der Gesundheit oder auch zur Erhaltung eines menschenwürdigen Daseins in wirtschaftlicher Beziehung, wie es Art. 151 der Reichsverfassung als Ziel für alle Inländer im Auge hat. Ob solche Umstände vorliegen, muß im einzelnen Fall festgestellt werden ...".
Da das Ruhen der Rente nur vorgeschrieben ist, solange der Auslandsaufenthalt freiwillig ist, ist anerkanntermaßen die Rente wieder zu zahlen, wenn sich der freiwillige später in einen unfreiwilligen Aufenthalt verwandelt.
Auf der anderen Seite nahm das Reichsversicherungsamt jedoch stets "Freiwilligkeit" an, wenn eine Rückkehr zwar objektiv unmöglich geworden war, aber auch der Wille zu einer solchen Rückkehr fehlte (z. B. AN. 1914 S. 703); selbst durch einen Antrag auf eine Einreiseerlaubnis würde die Unfreiwilligkeit des Auslandsaufenthalts bei sonst dafür sprechender Sachlage nicht nachgewiesen (BG. 1926 S. 271).
Nach dem Kriege hat die Rechtsprechung, worauf sich das angefochtene Urteil besonders beruft, neben einer Ausweitung der als zwingend angesehenen persönlichen Lage des Versicherten (z. B. wenn der Versicherte infolge Abtretung ursprünglich deutschen Gebietes sich nunmehr im Ausland aufhielt und dort beheimatet war und Grundeigentum besaß) die Auffassung vertreten, wenn objektiv eine Rückkehr unmöglich sei, liege eine Überforderung vor, trotzdem noch den Nachweis des Rückkehrwillens zu verlangen (Urteil vom 4.3.1953, OVA. Schleswig, Breithaupt Bd. 42 S. 976). Begründet wird diese Rechtsprechung insbesondere damit, daß es sich bei dem Rückkehrwillen um einen häufig schwer nachweisbaren inneren Vorgang handele und daß bei einer Aufrechterhaltung dieser Forderung der rechtlich informierte Versicherte, der diesen Willen äußerlich kund tue, vor dem normalen, vor der Ungunst der Verhältnisse resignierenden Versicherten unbilligerweise bevorzugt werde.
III Diese Rechtsprechung ist, soweit sie den eigenen Rückkehrwillen des Versicherten völlig ausklammert bzw. ausklammern will, nicht haltbar. Wenn das Gesetz als Merkmal für das Ruhen ausdrücklich auf die "Freiwilligkeit" abstellt, so liegt es nicht mehr im Rahmen des richterlichen Ermessens bei der Urteilsfindung, dieses wesentliche Merkmal - sei es auch immer aus irgendwelchen Gründen - fortfallen zu lassen. Eine so gekennzeichnete Auffassung müßte zwangsläufig dazu führen, daß bei objektiver Unmöglichkeit der Rückkehr in das Inland die Rente völlig unabhängig davon, ob der Versicherte ohne jede Zwangslage zurückkehren wollte oder nicht, stets zu zahlen wäre.
Entscheidend kann vielmehr auch in diesen extremen Fällen ebenso wie in allen anderen nur die Frage sein, ob der Auslandsaufenthalt des Versicherten auf seinem eigenen freien, d. h. demnach nicht durch äußere Umstände erzwungenen Willen beruht. Hierbei ist jedoch im Sinne des § 1282 RVO, was in einigen Entscheidungen offenbar nicht klar erkannt ist, nicht der philosophische Begriff der Willensfreiheit zugrunde zu legen. Selbstverständlich geht auch in den Fällen des durch Krankheit erforderlich gewordenen Auslandsaufenthalts der Wille des Versicherten letztlich auf dieses Verweilen im Ausland, aber damit ist dieser Aufenthalt noch nicht "freiwillig" im Sinne der RVO, d. h. auf den freien, durch zwingende äußere Umstände unbeeinflußten Willen des Versicherten zurückzuführen; seine Willensbildung ist vielmehr durch äußeren übermäßigen Zwang der Verhältnisse ihm aufgenötigt und daher unfreiwillig, allerdings nur unter der selbstverständlichen, aber notwendigen Voraussetzung, daß sie nicht ohnehin - auch ohne jene Zwangslage - in derselben Richtung des Auslandsaufenthalts gegangen wäre. Erst wenn sich ergibt, daß ohne Berücksichtigung angeblich zwingender äußerer Einflüsse der Wille zur Rückkehr vorliegt oder doch anzunehmen ist, daß der Berechtigte ohne jenen "Zwang" gewillt wäre, in das Inland zurückzukehren, entsteht überhaupt die weitere Frage, ob der jener Einflüsse wegen letztlich auf ein Verbleiben im Ausland umgebogene Wille immer noch als frei oder als unfrei, also als erzwungen anzusehen ist. In dieser Hinsicht wird zu fordern sein, daß die Zwangslage derartig eindeutig und unabweislich sein muß, daß das Beharren auf einem entgegengesetzten Rückkehrwillen nur unter Vernachlässigung und Hintansetzung bzw. Aufgabe wesentlichster rechtsgeschützter Güter und Werte des Versicherten möglich und damit schlechthin unvernünftig wäre. Solange Vor- und Nachteile des In- und Auslandsaufenthalts noch sinnvoll gegeneinander abgewogen werden können und solange der Versicherte sich dann abschließend für die ihm aus seiner Sicht vorteilhaftere Lösung entscheidet, liegt immer noch eine echte freiwillige Entscheidung vor; erst wenn die für den Auslandsaufenthalt sprechenden Gründe ein derartiges Gewicht gewinnen, daß sie mit Notwendigkeit zum Verziehen in das Ausland oder Verbleiben im Ausland zwingen, entfällt im Sinne des § 1282 RVO (a. F.) die Freiwilligkeit. Es muß daher auch in den Fällen, in denen eine derart gekennzeichnete starke Zwangslage vorliegt, vorab überprüft werden, ob diese Zwangslage auf den Willen des Versicherten überhaupt eingewirkt hat bzw. noch einwirkt, d. h. ob der Versicherte erst und nur durch sie zu einem von seinem sonst (hypothetisch) gefaßten Willen abweichenden und damit erzwungenen Willen gebracht wird, ob er nur aus diesem Grunde seinem Wunsche, in das Inland zurückzukehren, nicht folgen konnte. Müßte davon ausgegangen werden, daß der Versicherte ohnehin nicht an eine Rückkehr denken würde, so kann auch eine noch so starke Zwangslage seinen Auslandsaufenthalt nicht zum "unfreiwilligen" machen (z. B. Verbleiben feindlicher Ausländer im Ausland während des Kriegszustandes).
Es ist daher erforderlich, daß in allen Fällen, in denen ein versicherter Ausländer die Unfreiwilligkeit seines Auslandsaufenthalts geltend macht, um das Ruhen der Rente zu beseitigen, zunächst geklärt wird, ob er überhaupt rückkehrwillig ist oder ohne Vorliegen einer wirklichen Zwangslage sein würde. Dabei wird sich bei echten Ausländern allerdings häufig ergeben, daß deren Wille ohnehin nicht auf eine Rückkehr gerichtet ist (vgl. dazu AN. 1918 S. 403 = EuM. Bd. 10 S. 214), während bei einem Inländer nach Lage der Sache ein solcher Wunsch mit dem Reichsversicherungsamt meist unterstellt werden kann (AN. 1913 S. 735).
Das angefochtene Urteil geht von der unzutreffenden Auffassung aus, daß ein Rückkehrwille nur dann vorliege, wenn der Wille des Berechtigten trotz vorliegender Zwangslage unverändert auf die tatsächliche Rückkehr ausgerichtet ist, womit eine Beschränkung auf Fälle objektiver Unmöglichkeit der Rückkehr (z. B. Gefangenschaft, Transportunfähigkeit u. ä.) vorgenommen werden müßte, und glaubt deshalb, in Fällen einer Zwangslage auf einen derartigen "Rückkehrwillen" überhaupt verzichten zu müssen. Einen so verstandenen "Rückkehrwillen" hat das Landessozialgericht - wie der Rüge der Beklagten zuzugeben ist - daher auch nicht festgestellt.
Wenn das angefochtene Urteil jedoch ausführt, zu fordern sei "das Vorliegen einer Zwangslage, die geeignet ist, den Willen des Versicherten bei verständiger Würdigung der Sachlage mit Rücksicht auf rechtlich anerkannte und geschützte Lebensgüter zum Verbleib im Ausland zu bestimmen", so nimmt es damit an, daß erst und nur das Vorliegen der Zwangslage den Kläger zum Auslandsaufenthalt bestimmt hat; es hat mithin auch festgestellt, daß ohne jene Zwangslage dessen Wille auf die Rückkehr in das Inland gerichtet gewesen wäre, da sonst nicht davon gesprochen werden könnte, daß die "Zwangslage" den Willen des Klägers erst noch hätte bestimmen müssen und können.
IV Schließlich kommt es noch darauf an, ob der Zwang im vorliegenden Falle ausgereicht hat, den Willen des Klägers entsprechend zu beeinflussen und damit unfrei zu machen. Es bestehen keine Bedenken, mit dem angefochtenen Urteil die gegebene Sachlage als ausreichend für einen derartigen Zwang, weiter in Schweden zu bleiben, anzusehen. Der Kläger, der die Altersgrenze bereits überschritten hatte und daher mit einer Erwerbstätigkeit in Deutschland nicht mehr rechnen konnte, und seine Ehefrau würden bei einem Umzug nach Deutschland (selbst wenn er genehmigt worden wäre) fast aller Unterhaltsmittel beraubt worden sein; sie hätten zudem nicht mit einer irgendwie angemessenen Unterkunft oder Wohnung rechnen können, so daß schon der Versuch einer derartigen Aufgabe des Aufenthalts in Schweden durchaus unvernünftig gewesen wäre.
Danach erweist sich der Aufenthalt des Klägers in Schweden als unfreiwillig; die Revision war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen