Leitsatz (amtlich)
Hat ein Heimkehrer den Anspruch auf Arbeitslosengeld von 26 Wochen erworben (HkG § 14), so ist für die Dauer des Leistungsbezuges nicht HkG § 16, sondern AVAVG § 87 maßgebend. Letztere Vorschrift ist auch dann anzuwenden, wenn die Anwartschaftszeit durch versicherungspflichtige Beschäftigungen nach AVAVG § 86 erfüllt wurde.
Leitsatz (redaktionell)
1. Als besondere Voraussetzung für den Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem HkG ist zu fordern, daß der Heimkehrer eine Anwartschaft auf Arbeitslosengeld für 26 Wochen nach den allgemeinen Vorschriften des AVAVG (AVAVG § 87 Abs 1 Nr 3) noch nicht erworben hat, also nach der Entlassung schuldlos noch nicht 52 Wochen arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigung nachgegangen ist.
2. AVAVG § 87 Abs 2 S 1 war bereits seit seinem Inkrafttreten so auszulegen, daß es nicht auf die tatsächliche Versicherungs- und Beitragspflicht einer Beschäftigung, sondern darauf ankommt, daß sie diesen Erfordernissen unterlegen hätte, wenn sie im Geltungsbereich des AVAVG ausgeübt worden wäre.
Normenkette
AVAVG § 86 Fassung: 1957-04-03, § 87; HkG § 14 Fassung: 1950-06-19, § 16 Fassung: 1950-06-19; AVAVG § 87 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 S. 1
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 21. April 1961 dahin abgeändert, daß die Beklagte verurteilt wird, dem Kläger über die Weitergewährung des Arbeitslosengeldes für die Zeit ab 12. März 1959 für weitere 78 Tage einen neuen Bescheid zu erteilen.
Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zur Hälfte zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I. Der 1911 geborene Kläger stammt aus Oberschlesien. Nach 1932 hatte er in Polen Militärdienst geleistet. Im zweiten Weltkrieg gehörte er der deutschen Wehrmacht an. Im Mai 1945 geriet er in tschechische Gefangenschaft; wenige Wochen später wurde er an Polen ausgeliefert. Ende April oder Anfang Mai 1948 wurde der Kläger aus der Kriegsgefangenschaft entlassen und hielt sich anschließend im polnisch besetzten Schlesien, Bezirk H., auf. Bis zum 9. August 1958 übte er dort verschiedene Beschäftigungen (Verwaltungsangestellter, kaufmännischer und technischer Angestellter, Geschäftsführer, Einkaufs- und Versandleiter, Magazinverwalter) gegen Entgelt aus. Auch war er als Fußballtrainer bei verschiedenen Sportvereinen im Kreise H. tätig. Zwischendurch war der Kläger von Juni 1949 bis März 1951 und nochmals von Mai bis August 1954 in Haft. Am 5. September 1958 siedelte er in die Bundesrepublik Deutschland über. Die Beklagte bewilligte ihm Arbeitslosengeld (Alg) für 156 Tage vom 11. September 1958 an. Arbeitslosenhilfe (Alhi) bezieht der Kläger seit 12. März 1959.
Im Mai 1959 beantragte der Kläger Heimkehrer-Arbeitslosengeld (HkAlg) für 312 Wochentage; er sei länger als drei Jahre kriegsgefangen gewesen und habe sich bis September 1958 in ausländischem Gewahrsam befunden. Mit Bescheid vom 13. Juni 1959 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil der Kläger aus seinen Beschäftigungen im polnisch besetzten Gebiet bereits eine Anwartschaft auf Alg von 26 Wochen erworben habe. Widerspruch (Bescheid vom 10. Juli 1959) und Klage (Urteil des Sozialgerichts vom 2. August 1960) blieben erfolglos.
II. Auf die Berufung des Klägers hob das Landessozialgericht - LSG - (Urteil vom 21. April 1961) die Entscheidung des Sozialgerichts (SG) sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten auf und verurteilte diese "dem Kläger über die Weitergewährung des Arbeitslosengeldes für die Zeit vom 12. März 1959 bis 1. Juli 1959 einen Bescheid zu erteilen". Es wertete dessen nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft in Schlesien ausgeübte Tätigkeiten gemäß § 86 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) als versicherungspflichtige Beschäftigungen im Sinne von § 85 AVAVG und billigte ihm hieraus den Erwerb einer Anwartschaft auf Alg zu. Infolge der Heimkehrereigenschaft des Klägers bemesse sich die Dauer der Unterstützung jedoch auf 312 Tage; denn Kriegsgefangenschaft und nachfolgende Haftzeiten, die einer Internierung im Sinne von § 16 des Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Heimkehrer (Heimkehrergesetz - HkG -) gleichstünden, umfaßten mehr als drei Jahre. Dieser Anspruch sei auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil der Kläger durch seine Beschäftigungen bereits eine Anwartschaft erworben habe. § 14 HkG fingiere lediglich die Anwartschaftszeit bei Heimkehrern, die sich erstmals nach ihrer Entlassung arbeitslos meldeten und ohne ihr Verschulden einen Anspruch auf Unterstützung von 26 Wochen nicht erworben hätten. Er beschränke sich dabei auf die Bezeichnung der Voraussetzungen, unter denen die Anwartschaftszeit fingiert werde. Lägen diese nicht vor, könne hieraus nur die Verneinung der Fiktion abgeleitet werden. Das Gesetz erwarte zwar vom Heimkehrer, den Anspruch auf Alg durch Übernahme einer Arbeit selbst zu erwerben, indem es ihm bei schuldhaftem Unterlassen die Fiktion der Erfüllung der Anwartschaftszeit verweigere. Diese Erwartung wäre jedoch dolos, falls der Heimkehrer durch den tatsächlichen Erwerb eines solchen Anspruchs alle Vergünstigungen aus dem HkG verlöre. Die Richtigkeit dieser Auffassung ergebe sich auch aus Nr. 137 der Verwaltungsvorschriften der Beklagten zu § 16 HkG, die vorsehe, daß bei Erfüllung der Anwartschaftsvorschriften des AVAVG die dem Heimkehrer günstigere Unterstützung zu zahlen sei. In den §§ 14 und 16 HkG sollten nach dem Willen des Gesetzgebers die ansonsten grundsätzlich dem AVAVG unterliegenden Heimkehrer (§ 12 HkG) zweifach begünstigt werden: einmal bezüglich der Erfüllung der Anwartschaft und zum anderen bezüglich der Dauer der Unterstützung.
III. Gegen das ihr am 19. Juni 1961 zugestellte Urteil legte die Beklagte am 17. Juli Revision ein und begründete diese - nach Fristverlängerung gemäß § 164 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) - am 9. September 1961. Das LSG habe die §§ 14 und 16 HkG unrichtig angewendet. Schon der Wortlaut ersterer Vorschrift erhelle, daß der Anspruch auf HkAlg dann ausgeschlossen sei, wenn der Heimkehrer bereits durch Beschäftigungen gemäß §§ 85, 86 AVAVG einen Anspruch auf Alg für 26 Wochen tatsächlich erworben habe. Der Sinn dieser Regelung sei darin zu erblicken, daß die Heimkehrerunterstützung eine Starthilfe darstelle. Aus der Neufassung des § 14 HkG sei aber zu folgern, daß nach dem Willen des Gesetzgebers dieser Hilfe nicht bedürfe, wer nach der Heimkehr bereits eine arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigung von wenigstens 52 Wochen ausgeübt und damit den Nachweis erbracht habe, daß er schon wieder in das Wirtschafts- und Arbeitsleben eingegliedert sei. Der Kläger, dessen Heimkehrereigenschaft unbestritten bleibe, erfülle diese Merkmale infolge seiner Beschäftigungen in Schlesien. Seine Arbeitslosigkeit im Bundesgebiet sei alsdann nicht mehr Folge der Kriegsgefangenschaft, sondern der Aussiedlung aus den unter fremder Verwaltung stehenden Ostgebieten. Für diese Auslegung des § 14 HkG spreche zudem, daß er von späteren Gesetzesänderungen nicht berührt worden sei, die den Heimkehrern Vergünstigungen außerhalb des AVAVG oder über dessen Sätze hinaus zubilligten. Obwohl der Kläger im polnisch besetzten Schlesien 152 Wochen und 4 Tage beschäftigt gewesen sei, könne er schließlich auch nicht Alg für 234 Tage beanspruchen; denn die Verlängerung der Anspruchsdauer über 26 Wochen hinaus sei seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des AVAVG vom 23. Dezember 1956 nur dann zulässig, wenn die hierzu dienenden Beschäftigungen im Geltungsbereich des AVAVG selbst ausgeübt worden seien. Die Anwendung des § 87 Abs. 2 AVAVG in der Fassung des Zweiten Änderungsgesetzes zum AVAVG vom 7. Dezember 1959 scheide aber aus, da diese Regelung erst am 1. Dezember 1959 in Kraft getreten sei.
Die Beklagte beantragte,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 2. August 1960 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragte,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die volle Unterstützung nach § 16 HkG stehe ihm bereits deshalb zu, weil er sich bis zu seiner Aussiedlung, also bis zuletzt, in Gewahrsam befunden habe. Er sei in der Wahl seiner Arbeitsplätze nicht frei gewesen und in seinen Beschäftigungsverhältnissen überwacht worden. Des weiteren erwüchse dem Kläger auch aus § 90 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) ein Anspruch auf Alg über 156 Tage hinaus, da er gleichzeitig Vertriebener sei. Im übrigen bestehe Anspruchskonkurrenz für die Leistung aus dem AVAVG und dem HkG und in einem solchen Falle müsse nach den Verwaltungsvorschriften der Beklagten selber die dem Heimkehrer günstigere Unterstützung gewährt werden.
IV. Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist zulässig, konnte aber nur teilweise Erfolg haben.
Den unangegriffenen Feststellungen des LSG zufolge ist der Kläger zwar Heimkehrer im Sinne von § 1 HkG. Er hat deshalb nach § 12 HkG als Arbeitsloser Leistungen der Arbeitslosenversicherung nach Maßgabe des AVAVG zu beanspruchen, allerdings unter Beachtung der in §§ 13 ff HkG enthaltenen Sonderregelungen. Der Kläger erfüllt jedoch nicht die Anwartschaftszeit für das HkAlg nach § 14 HkG. Deren hier vorgesehene Fiktion wird nämlich nur dann wirksam, wenn sich die Heimkehrer erstmalig nach der Entlassung arbeitslos melden und nach der Entlassung ohne ihr Verschulden einen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung von 26 Wochen nicht erworben haben. Der Sinn der Leistungen nach dem HkG liegt darin, die dem Heimkehrer infolge seiner Gefangenschaft oder Internierung schuldlos treffenden Nachteile in seiner arbeits- und sozialrechtlichen Lage auszugleichen und ihm die Rechte einzuräumen, die er ohne die Gefangenschaft oder Internierung erworben haben würde oder haben könnte (vgl. BSG 15, 109; SozR AVAVG § 87 Bl. Ba 5 Nr. 7). Diesem Ziel und Zweck dient auch die Fiktion der Anwartschaftszeit. Einer solchen Schutzbestimmung bedarf der Heimkehrer jedoch dann nicht mehr, wenn sich nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft seine Wiedereingliederung in das Arbeits- und Berufsleben dadurch erweist, daß er - ohne sich vorher arbeitslos zu melden - mindestens 52 Wochen eine arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigung verrichtet und dadurch einen eigenen Anspruch auf Alg für 26 Wochen bereits nach dem AVAVG erworben hat.
Die vom LSG angestrebte Auslegung des § 14 HkG wird dieser Sinngebung und dem Wortlaut des Gesetzes nicht gerecht. Sie stützt sich einzig auf die Erwägung, daß eine solche Rechtsfolge gleichsam einer Bestrafung jenes Heimkehrers gleichkäme, der im Gegensatz zu anderen sofort nach seiner Entlassung eine Arbeit aufnimmt, weil er - erwirbt er hieraus eine Anwartschaft - der möglicherweise längeren Bezugsdauer des HkAlg verlustig gehe. Das LSG übersieht dabei aber offenbar, daß nur der unverschuldete Nichterwerb einer Anwartschaft aus Arbeit den Anspruch auf HkAlg zur Folge hat. Es müssen also besondere Bedingungen vorliegen, die den Heimkehrer hindern, alsbald in den Arbeitsprozeß einzutreten. Derartige Umstände werden aber in der Regel für den Heimkehrer eine größere Belastung und Benachteiligung darstellen als die mögliche Einbuße der längeren Bezugsdauer des HkAlg infolge Erwerbs einer regelmäßigen Anwartschaft aus eigener versicherungspflichtiger Beschäftigung nach der Entlassung. Der Heimkehrer, dessen Arbeitsfähigkeit und Arbeitsbereitschaft derart bestätigt wird, ist also im Vergleich zu jenem, der - aus welchen Gründen auch immer - unverschuldet keine Anwartschaft erwerben konnte, im Vorteil. Auch daraus wird ersichtlich, daß die Fiktion der Anwartschaft nach Kriegsgefangenschaft oder Internierung denjenigen Heimkehrer begünstigen soll und will, der unverschuldet keine eigene Anwartschaft auf Alg über 26 Wochen erwerben kann oder konnte. Sie stellt somit tatsächlich eine "Starthilfe" für die Eingliederung in das Arbeits- und Wirtschaftsleben jener Heimkehrer dar, die sonst allein der Alhi unterfallen würden. Die Richtigkeit dieser Auslegung des § 14 HkG ergibt sich auch daraus, daß der Gesetzgeber durch das Änderungsgesetz vom 17. August 1953 (BGBl I 931) den die Fiktion der Anwartschaftserfüllung als Heimkehrer ausschließenden Anwartschaftserwerb im Wege versicherungspflichtiger Beschäftigung auf 26 Wochen festgesetzt hat. Nicht jede Anwartschaft - wie es nach dem früheren Wortlaut des § 14 HkG denkbar gewesen ist - schließt mithin den Anspruch auf HkAlg aus, sondern erst der Erwerb der Höchstbezugsdauer nach § 87 Abs. 1 AVAVG, nämlich der Anspruch auf Alg für 156 Tage. Hier wollte der Gesetzgeber erkennbar eine Abgrenzung zu den Fällen vornehmen, in denen aus rein sozialen Gesichtspunkten dem ehemals kriegsgefangenen Heimkehrer noch Leistungen der Arbeitslosenversicherung im Hinblick auf die Kriegsgefangenschaft oder Internierung zu erbringen sind. Dies wird ferner daraus deutlich, daß § 14 HkG anläßlich der Erweiterung der Alg-Bezugsdauer für Heimkehrer durch das Änderungsgesetz zum AVAVG vom 23. Dezember 1956 (BGBl I 1018) nicht geändert worden ist. Hierzu hätte der Gesetzgeber jedoch Veranlassung gehabt, wäre dem § 14 HkG die vom LSG gewählte Auslegung beizumessen. Art. X § 5 des Änderungsgesetzes brachte hingegen ausschließlich Neufassungen für die §§ 15, 16, 17 und 19 HkG, nachdem der Ausschuß für Arbeit (27. Ausschuß) des Deutschen Bundestags lediglich diese Änderungen für erforderlich gehalten hatte (vgl. BT-Drucks., 2. Wahlperiode, Nr. 2714 S. 23).
Der Hinweis des LSG auf Nr. 137 der Verwaltungsvorschriften zum HkG geht ebenfalls fehl. Diese beziehen sich auf § 16 HkG, der allein die Bezugsdauer, nicht aber den Anspruch sonst regelt und betreffen den Fall, daß ein Heimkehrer während des Bezugs von HkAlg in ein Beschäftigungsverhältnis eintritt und hieraus eine Anwartschaft erwirbt; dann soll ihm der Restanspruch auf HkAlg erhalten bleiben, wenn er gegenüber dem Anspruch aus der Beschäftigung der günstigere ist. Zum Inhalt des § 14 HkG sagen die Verwaltungsvorschriften der Beklagten hingegen Entsprechendes nicht aus.
Zusammenfassend ist mithin als besondere Voraussetzung für den Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung nach dem HkG zu fordern, daß der Heimkehrer eine Anwartschaft auf Alg für 26 Wochen nach den allgemeinen Vorschriften des AVAVG (§ 87 Abs. 1 Nr. 3 AVAVG) noch nicht erworben hat, also nach der Entlassung schuldlos noch nicht 52 Wochen arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigung nachgegangen ist. Hat er jedoch eine solche Anwartschaft erlangt, dann gilt für ihn die Fiktion der Anwartschaftserfüllung (§ 14 HkG) nicht mehr. Er hat dann auch als Heimkehrer allein den Anspruch auf die Versicherungsleistung aus seinen Beschäftigungsverhältnissen, und zwar nach den allgemeinen Vorschriften des AVAVG (vgl. § 12 HkG). Für den Kläger treffen diese Umstände zu. Nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft hat er mehrere Jahre in Niederschlesien gearbeitet. Aus diesen Beschäftigungsverhältnissen, die gemäß § 86 AVAVG als versicherungspflichtige Beschäftigungen im Sinne des § 85 AVAVG gelten, stand ihm im Zeitpunkt der Arbeitslosmeldung nach § 87 Abs. 1 AVAVG eine Anwartschaft auf Alg für 26 Wochen zu. Demzufolge konnte für ihn ein Leistungsanspruch mit der Bezugsdauer des § 16 HkG nicht mehr erwachsen. Als Entlassung im Sinne des § 14 HkG hat nach den Begriffsbestimmungen in § 1 HkG nur die Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft, nicht aus dem Gewahrsam allgemein, zu gelten. Der Kläger wurde bereits 1948 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen, und erst danach hat er die anwartschaftsbegründenden Beschäftigungen ausgeübt.
V. Wenn der Kläger sonach Anspruch auf HkAlg für 312 Tage (52 Wochen) nicht erheben kann, so steht ihm aus seinen Beschäftigungen in Niederschlesien gemäß § 87 Abs. 2 Satz 1 AVAVG i. V. m. § 86 AVAVG über die bereits bewilligten 156 Tage hinaus jedoch ein Anspruch auf weitere 78 Tage Alg zu. Hierfür bedarf es keiner Erörterung, ob der Kläger Vertriebener im Sinne des BVFG ist und ihm ein solcher Anspruch aus der vom Senat festgestellten unmittelbaren Geltung des § 90 BVFG erwächst (vgl. BSG 4, 102 ff). Es genügt, daß er als Deutscher im Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31. Dezember 1937, aber außerhalb des Geltungsbereichs des AVAVG einer Beschäftigung nachgegangen ist, die bei Ausübung im Geltungsbereich jenes Gesetzes arbeitslosenversicherungs- und beitragspflichtig gewesen wäre. Diese Erfordernisse treffen nach den Feststellungen des LSG für die Tätigkeiten des Klägers in Niederschlesien in dem der Arbeitslosmeldung (8. September 1958) vorangehenden Dreijahreszeitraum (§ 87 Abs. 2 Satz 1 AVAVG) zu. Er war in der Zeit vom 8. September 1955 bis zum 7. September 1958 insgesamt 152 Wochen und 4 Tage beschäftigt, und zwar in Arbeitsverhältnissen, die zivilen Charakter hatten. Demgegenüber macht die Beklagte zu Unrecht geltend, eine Erhöhung (Erweiterung) des Anspruchs auf 234 Tage sei ausgeschlossen, weil § 87 Abs. 2 Satz 1 AVAVG in der im Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Fassung der Bekanntmachung des Gesetzes vom 3. April 1957 (BGBl I 322) bestimmt habe, daß die versicherungs- und beitragspflichtige Beschäftigung im Geltungsbereich des AVAVG ausgeübt sein mußte. Diese Auffassung wird von dem damaligen Wortlaut dieser Vorschrift: "Für je weitere zweiundfünfzig Wochen versicherungs- und beitragspflichtiger Beschäftigung im Geltungsbereiche dieses Gesetzes innerhalb der letzten drei Jahre vor der Arbeitslosmeldung besteht ein Anspruch für je weitere achtundsiebzig Tage" nicht gedeckt. Wenngleich dieser Satz die Annahme nicht völlig verwehrt, daß der Gesetzgeber hiermit eine im Bereich des AVAVG selbst ausgeübte Tätigkeit gemeint haben könnte, ergeben sich doch genügend bestimmte Anhaltspunkte, denen zufolge in dieser Vorschrift der gesetzgeberische Wille ausgedrückt ist, daß es sich um Beschäftigungen handeln muß, die nicht versicherungs- und beitragspflichtig sind, sondern es nur sein müßten, wenn sie im Geltungsbereich des AVAVG ausgeübt worden wären. § 87 Abs. 2 Satz 1 AVAVG lautet in der Neufassung des Zweiten Änderungsgesetzes zum AVAVG vom 7. Dezember 1959 (BGBl I 705) wie folgt: "Für je weitere zweiundfünfzig Wochen im Geltungsbereiche dieses Gesetzes versicherungs- und beitragspflichtiger Beschäftigung innerhalb der letzten drei Jahre vor der Arbeitslosmeldung besteht ein Anspruch für je weitere achtundsiebzig Tage". Dadurch wird klargestellt, daß es genügt, wenn die Beschäftigung im Geltungsbereich des AVAVG versicherungs- und beitragspflichtig ist, obgleich sie außerhalb des Geltungsbereichs ausgeübt wurde. Das Zweite Änderungsgesetz zum AVAVG ist zwar erst am 1. Dezember 1959 in Kraft getreten. Die vom Gesetzgeber bezeichneten Motive für die Umstellung des Wortlauts in § 87 Abs. 2 Satz 1 AVAVG lassen jedoch erkennen, daß hierdurch keine Neuregelung geschaffen werden sollte, sondern daß es ihm darum ging, durch eine redaktionelle Richtigstellung seinem bereits vorher in gleicher Weise vorhandenen Willen unzweideutig Ausdruck zu verleihen (vgl. BT-Drucks., 3. Wahlperiode 1959, Nr. 1240 S. 12 zu Art. I Nr. 6 a). Es wäre auch kein vernünftiger Grund dafür ersichtlich, daß eine Auslandsbeschäftigung vor dem 1. Dezember 1959 nicht, danach aber doch eine Anwartschaft auf Alg begründet. Daher muß davon ausgegangen werden, daß § 87 Abs. 2 Satz 1 AVAVG bereits seit seinem Inkrafttreten so auszulegen war, daß es nicht auf die tatsächliche Versicherungs- und Beitragspflicht einer Beschäftigung, sondern darauf ankommt, daß sie diesen Erfordernissen unterliegen würde, wenn sie im Geltungsbereich des AVAVG ausgeübt wird. Diesem von Anfang an bestehenden gesetzgeberischen Willen zufolge genügen die vom Kläger in Niederschlesien ausgeübten Beschäftigungen auch den Anforderungen des § 87 Abs. 2 Satz 1 AVAVG aF. Sie wären nach den Feststellungen des LSG versicherungs- und beitragspflichtig gewesen, falls sie im Geltungsbereich des AVAVG verrichtet worden wären. Dem Kläger steht somit hieraus ein Anspruch auf weitere 78 Tage Alg zu.
VI. Nach alledem war auf die Revision der Beklagten das Urteil des LSG in dem Umfang abzuändern, als es dem Kläger einen über weitere 78 Tage hinausgehenden Anspruch auf Alg eröffnete. Im übrigen jedoch war die Revision zurückzuweisen (§ 170 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen