Leitsatz (amtlich)

Die Vorschrift, daß der Anspruch auf Arbeitslosengeld über 156 Tage hinaus ruht, wenn anderweitig ein Anspruch auf Rente oder auf ähnliche Bezüge öffentlich-rechtlicher Art zuerkannt ist AVAVG § 87 Abs 5, gilt auch für die erweiterte Bezugsdauer nach HkG § 16.

 

Normenkette

AVAVG § 87 Abs. 5 Fassung: 1957-04-03; HkG § 16 Fassung: 1956-12-23

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen aas Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 14. Juli 1959 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I. Der 1897 geborene Kläger, vom Beruf Kaufmann, befand sich vom 2. April 1948 bis zum 28. Dezember 1955 in russischer Haft. Nach seiner Entlassung in die Bundesrepublik war er zunächst arbeitsunfähig krank. Am 18. April 1957 meldete er sich arbeitslos; er erhielt damals, seinem Antrag entsprechend, Heimkehrerarbeitslosengeld (HkAlg) für 312 Tage vom Arbeitsamt (ArbA) bewilligt. Als dem Kläger jedoch rückwirkend vom 1. November 1956 an Rente wegen Berufsunfähigkeit aus der Angestelltenversicherung zuerkannt und die Arbeitsverwaltung hierüber von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) verständigt worden war, wurde durch Bescheid vom 20. August 1957 - unter Anrechnung eines Leistungsrestes von 56 Tagen - die Bezugsdauer des HkAlg auf 156 Tage begrenzt. Das ArbA bezog sich dabei auf § 87 Abs. 5 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG), der auch für den Anspruch auf HkAlg gelte. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 1957). Seiner Klage gab das Sozialgericht (SG) statt (Urteil vom 30. April 1958), das die Beklagte verurteilte, dem Kläger vom 17. Oktober 1957 ab HkAlg für weitere 26 Wochen unter Beachtung der Meldevorschriften zu zahlen. Diese Entscheidung wurde auf die Berufung der Beklagten hin vom Landessozialgericht (LSG) aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 14. Juli 1959). Im Heimkehrergesetz (HkG) sei dem Heimkehrer ein Rechtsanspruch auf Alg eingeräumt worden, indem die Zeiten der Kriegsgefangenschaft, Internierung oder Verschleppung wie eine im Inland geleistete arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigung zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dienten. Damit solle eine materielle Gleichstellung des Heimkehrers, der eine Anwartschaft durch versicherungspflichtige Arbeit unverschuldet nicht erwerben konnte, mit den übrigen Arbeitslosen erreicht werden. Auch der Heimkehrer erhalte aber seine Leistung nach Maßgabe des AVAVG (§ 12 HkG); deshalb finde der Leistungsanspruch des Heimkehrers dort seine Grenzen, wo auch der Anspruch der übrigen Arbeitslosen ende. § 87 Abs. 5 AVAVG zufolge müsse der Anspruch nach § 16 HkG, soweit er über 156 Tage hinausgehe, ebenfalls während einer Zeit ruhen, für die dem Heimkehrer eine Versichertenrente zuerkannt sei. Das werde auch durch die Verwaltungsvorschriften zum HkG in der Fassung vom 24. Januar 1956 bestätigt. Die von der Beklagten vorgenommene Begrenzung der Bezugsdauer des HkAlg sei daher nicht zu beanstanden.

Revision wurde zugelassen.

II. Gegen das am 25. Juli 1959 zugestellte Urteil legte der Kläger am 8. August 1959 Revision ein und begründete diese - nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist (§ 164 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) - am 26. Oktober 1959. Nach § 16 HkG stehe ihm ein Anspruch auf HkAlg von insgesamt 312 Tagen zu. Zwar bestimme § 12 HkG, daß arbeitslose Heimkehrer Anspruch auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung nach Maßgabe des AVAVG hätten; diese Vorschrift gebe aber weiterhin bei abweichender Regelung durch das HkG diesem Gesetz den deutlich erkennbaren Charakter einer lex specialis. Das gelte insbesondere auch für § 16 HkG, der bezüglich der Bezugsdauer von § 87 AVAVG abweiche. Dies sei aus dem Grundgedanken des HkG zu erklären, den Heimkehrern für die erlittenen Unbilden gegenüber den übrigen Arbeitslosen gewisse Sonderrechte zu gewähren. Wenn der Wille des Gesetzgebers darauf gerichtet gewesen wäre, die in Abweichung von den Regeln des AVAVG festgelegte Dauer des HkAlg wegen der Bestimmung des § 87 Abs. 5 AVAVG zu kürzen, hätte er dieser Auffassung im Gesetzestext Ausdruck verleihen müssen. Die Verwaltungsvorschriften zum HkG enthielten keine Vorschrift, daß der Anspruch auf verlängerte Bezugsdauer gemäß § 16 HkG während eines Rentenbezugs ruhe. Eine dahingehende Verwaltungsanweisung des Präsidenten der Beklagten jedoch sei als einschränkende Interpretation einer vom Gesetzgeber gewährten Vergünstigung unbeachtlich.

Der Kläger beantragte,

unter Aufhebung des Urteils des LSG vom 14. Juli 1959 die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 30. April 1958 zurückzuweisen

Die Beklagte beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils wiedergegebene Rechtsauffassung, daß unter den Voraussetzungen des § 87 Abs. 5 AVAVG der Anspruch auf Leistung wie bei anderen Arbeitslosen auch bei Heimkehrern ruhe, für zutreffend. Die entsprechenden Weisungen des Präsidenten der Bundesanstalt seien zwar nicht auf die Verwaltungsvorschriften zum HkG, indessen auf § 12 HkG selbst gestützt. Die Vorschrift des § 87 Abs. 5 AVAVG sei deshalb, da ihre Nichtanwendung durch das HkG nicht ausgeschlossen worden sei, auch dann anzuwenden, wenn die verlängerte Bezugsdauer auf § 16 HkG beruhe. So habe das LSG Berlin in einer gleichgelagerten Streitsache ebenfalls entschieden.

III. Die Revision ist - da zugelassen - statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Sie ist daher zulässig.

Die Revision ist jedoch nicht begründet.

Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 20. August in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Oktober 1957 (§ 95 SGG). Wenn die Beklagte in diesen Bescheiden die dem Kläger ursprünglich für 312 Tage bewilligte Leistung auf 156 Tage "begrenzt" hat, so ergibt die Bezugnahme auf § 87 Abs. 5 AVAVG, daß damit der Anspruch als solcher nicht entzogen, sondern lediglich sein Ruhen über eine Bezugsdauer von 156 Tagen hinaus festgestellt wurde. Ruhen im Sinne dieser gesetzlichen Vorschrift bedeutet, daß der Kläger den ihm an sich noch zustehenden Alg-Anspruch für diese Zeit nicht mehr geltend, machen kann (vgl. Draeger/Buchwitz/Schönefelder, Komm. z. AVAVG Anm. 16 zu § 87 verbunden mit Vorbem. 5 vor § 74; Krebs, Komm. z. AVAVG Anm. 12 zu § 87).

Nach § 87 Abs. 5 AVAVG ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld über 156 Tage hinaus während einer Zeit, für die dem Arbeitslosen ein Anspruch auf Rente wegen Erreichung des 65. Lebensjahres oder wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit aus der Rentenversicherung der Arbeiter, der Rentenversicherung der Angestellten oder der knappschaftlichen Rentenversicherung oder auf ähnliche Bezüge öffentlich-rechtlicher Art zuerkannt ist. Dieser Tatbestand trifft in der Person des Klägers bezüglich einer Rente aus der Angestelltenversicherung vom 1. November 1956 an zu. Er wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß sein Anspruch auf Alg nicht unmittelbar im AVAVG selbst begründet ist, sondern aus §§ 12 ff des HkG vom 19. Juni 1950 (BGBl I 221) in den ergänzten und geänderten Fassungen der Gesetze vom 30. Oktober 1951 (BGBl I 875), vom 17. August 1953 (BGBl I 931) und vom 23. Dezember 1956 (BGBl I 1018, 1053) erwächst. Nach § 12 HkG erhalten arbeitslose Heimkehrer Leistungen der Arbeitslosenversicherung nach Maßgabe des AVAVG, soweit in den §§ 13 ff HkG nicht Abweichendes bestimmt ist. Sinn dieser Vorschriften - wie des HkG insgesamt - ist, die dem Heimkehrer infolge seiner Gefangenschaft oder Internierung schuldlos treffenden Nachteile in seiner arbeits- und sozialrechtlichen Lage auszugleichen und ihm die Rechte einzuräumen, die er ohne die Gefangenschaft oder Internierung erworben haben würde oder haben könnte (vgl. Begründung des Entwurfs eines Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Heimkehrer, Allgemeiner Teil, I. Wahlperiode 1949, BT-Drucks. Nr. 631 S. 9). Infolgedessen enthält das HkG Sonderregelungen, die dem Heimkehrer - vor allem bezüglich der Voraussetzungen des Leistungsanspruchs - eine Rechtsstellung einräumen, welche er nach den Vorschriften des AVAVG selbst nicht inne haben könnte. Das gilt u.a. für den Erwerb der Arbeitnehmereigenschaft (§ 13 HkG), die Erfüllung der Anwartschaftszeit (§ 14 HkG), das Bemessungsentgelt (§ 15 HkG), aber auch für die Wartezeit (§ 17 HkG) und für die Befreiung von der Meldepflicht (§ 18 HkG). Hinsichtlich der Dauer der Arbeitslosenunterstützung stellt - der hier streitige - § 16 HkG jedoch lediglich insoweit eine Sonderregelung gegenüber § 87 AVAVG dar, als er anstelle der versicherungspflichtigen Beschäftigung innerhalb der Rahmenfrist für einen Anspruch von 156 Tagen die Heimkehrereigenschaft schlechthin, für einen solchen von 234 Tagen eine mindestens zweijährige und von 312 Tagen eine mindestens dreijährige Kriegsgefangenschaft, Internierung oder Verschleppung zur Grundlage nimmt. Nur diesbezüglich ist § 16 HkG eine lex specialis. Weder in § 16 HkG noch in einer anderen Vorschrift des HkG ist aber eine Regelung getroffen, die sich mit dem Ruhen des HkAlg befaßt. Demzufolge ist - da insoweit Abweichendes vom HkG nicht bestimmt ist - die Vorschrift des § 87 Abs. 5 AVAVG anzuwenden (§ 12 HkG).

IV. Daß diese Rechtsauffassung dem objektiven Willen des Gesetzgebers entspricht, wird auch aus Folgendem erweislicht:

Die ursprüngliche Fassung des § 16 HkG sah nur eine Bezugsdauer von 26 Wochen (156 Tagen) vor. Damit war dem Heimkehrer, dem vorbezeichneten Sinn des HkG entsprechend, lediglich der gleiche Rechtsanspruch eingeräumt, der den übrigen Arbeitslosen nach § 99 AVAVG aF damals höchstenfalls zustand (vgl. Begründung des Entwurfs eines HkG, aaO, S. 13).

Mit der seit 1. April 1957 geltenden Neufassung des § 16 HkG durch Art. X § 5 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 23. Dezember 1956 (BGBl I 1018, 1053) hatte der Gesetzgeber wiederum zum Ziel, den Heimkehrern aus Gründen der Gleichbehandlung eine der Neuregelung des AVAVG - erstmals in § 99 durch Gesetz vom 24. August 1953 (BGBl I 1022) - angepaßte längere Bezugsdauer zuzubilligen (vgl. BT-Drucks. Nr. 2714, II. Wahlperiode 1953 S. 23 Nr. 3 zu § 4 b). Die Bezugsdauervorschriften des HkG (§ 16) und des AVAVG (§ 87 nF; § 99 aF) laufen also jeweils parallel. Es wird indessen an keiner Stelle der Wille des Gesetzgebers erkennbar, den Heimkehrer gegenüber den anderen Arbeitslosen etwa durch einen Ausschluß der Ruhensvorschriften zu bevorzugen. Das LSG ist daher ohne Rechtsirrtum davon ausgegangen, daß die Vorschriften des HkG, auch die des § 16 HkG, lediglich insoweit eine die Normen des AVAVG ausschließende Sonderregelung darstellen, als für die Begründung des Anspruchs in der Person des Heimkehrers die besonderen Voraussetzungen des HkG gelten, daß sich sein Fortbestand bei Vorliegen eines allgemeinen Ruhenstatbestands aber nach der über § 12 HkG maßgebenden Regelung des AVAVG richtet und deswegen § 87 Abs. 5 AVAVG anzuwenden ist. Diese Rechtsauffassung wird ausnahmslos auch in Schrifttum und Rechtsprechung geteilt (vgl. Draeger/Buchwitz/Schönefelder, aaO Anm. VI zu § 87; Krebs, Komm. z. Gesetz über Maßnahmen zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft und weitere Änderungen und Ergänzungen des AVAVG, Teil III Nr. 9 zu § 87 AVAVG; LSG Berlin in SGb 1960, 253; Hess. LSG in Breithaupt 1961, 158). Sie findet schließlich ihre Rechtfertigung in der Überlegung, daß der Heimkehrer zum Ausgleich der durch unverschuldete Freiheitsbeschränkungen erlittenen Nachteile denen gleichgestellt werden soll, die diese Unbilden nicht ertragen mußten, daß er jedoch darüber hinaus keine Rechte erwerben kann, die gegen allgemein anerkannte Grundsätze des Sozialrechts, denen alle übrigen Berechtigten in der Sozialversicherung und Arbeitslosenversicherung unterliegen, verstoßen würden. § 87 Abs. 5 AVAVG hat zum Ziel, den Doppelbezug von Leistungen aus öffentlichen Mitteln jedenfalls über die Regeldauer des Alg-Anspruchs hinaus auszuschließen. Dieser Grundsatz muß mangels einer ausdrücklich abweichenden Gesetzesvorschrift im HkG auch für Heimkehrer gelten.

V. Nach alledem hat das LSG, obschon die Bezugnahme auf die Verwaltungsvorschriften fehlsam gewesen ist, zu Recht den mit der Klage erhobenen Anspruch verneint. Sein Urteil ist im Ergebnis zu bestätigen (§ 170 Abs. 1 SGG); die Revision ist zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 109

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